„Soll das staatliche Geldmonopol gesichert werden? Ja!“ Katharina Pistor im Interview mit dem Dezernat Zukunft, Teil 1
Katharina Pistor (Twitter: @KatharinaPistor) ist Professorin für vergleichende Rechtswissenschaft und Direktorin des Center on Global Legal Transformation an der Columbia Universität in New York. Ihr neuestes Buch ist The Code of Capital.
Teil 2 des Interviews ist hier verfügbar.
1. Wir haben letzten August ihr Buch rezensiert. Würden sie gerne darauf reagieren?
Ihre Rezension war sehr informativ und ich habe ihrer Zusammenfassung eigentlich nichts hinzufügen. Dieses Interview gibt mir allerdings die Möglichkeit, auf die Fragen zu antworten, die Sie aufgeworfen haben.
Zunächst zu Ihrer Frage nach den Motiven des Gesetzgebers. Wie Sie richtig festgestellt haben, ist meine These nicht, dass das Recht einfach Instrument der herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, ist. Der Gesetzgeber ist oft nur mittelbar an der Kodierung von Kapital beteiligt. Geschickte Juristen können sich der Institutionen des Privatrechts (vor allem des Vertrags-, Eigentums- und Gesellschaftsrechts) bedienen, um neue Kapitalgüter zu schaffen. Hierfür bedarf es keiner Zustimmung des Gesetzgebers, sondern allenfalls der Sanktionierung durch die Gerichte, sollte eine bestimmte Kodierungsstrategie angegriffen werden. Das geschieht durchaus. Dann geht es letztlich darum, wer die besseren Argumente hat, insbesondere ob der Beklagte darlegen kann, dass eine neue Kodierungsstrategie im Wesentlichen bereits anerkannten Rechtskonstruktionen entspricht und daher gleichen Rechtsschutz genießen sollte. Der Gesetzgeber kann natürlich auch aktiv werden und das Privatrecht ändern, oder seinen Gebrauch durch Regulierung begrenzen. Er kann auch durchaus das Fallrecht der Gerichte korrigieren. Auch das kommt vor.
Selbst der eher konservative deutsche Gesetzgeber hat sich in dem Jahrzehnt vor der Finanzkrise jedoch wiederholt davon überzeugen lassen, Gesetze zu erlassen, die die Kodierung von Finanzkapital erleichtert haben und hat Entscheidungen, die sich dagegen ausgesprochen haben, korrigiert. Das ist in der Regel damit begründet worden, dass nur auf diese Weise der Finanzstandort Deutschland wettbewerbsfähig bleiben würde. Da hinter steht natürlich auch massive Lobbyarbeit der Finanzindustrie, die zudem in Assoziationen, wie beispielsweise der ISDA hervorragend organisiert ist.
Die zweite Frage betraf die Rechtsmodule, insbesondere welche der genannten Module (Vertragsrecht, Eigentums- und Kreditsicherungsrecht, Gesellschaftsrecht, Konkursrecht sowie der englische Trust) den längsten Hebel haben. Das lässt sich nicht so einfach sagen—auch wenn ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass der englische Trust das anpassungsfähigste Modul ist. Vielleicht wichtiger ist die Frage, welche der Attribute des Kapitals, die durch verschiedene Rechtsmodule geschaffen werden können, den größten Effekt bei der Kodierung von Kapital haben. Da würde ich den Beständigkeitsschutz nennen: hierdurch werden die Bedingungen für die Inkubation privaten Wohlstands und seines Wachstums geschaffen.
2. Ihr nächstes Projekt dreht sich um Daten und digitale Währungen. Fangen wir mit digitalen Währungen an: Sie haben unter anderem Facebooks Währungsprojekt Libra kritisiert. Was ist das Problem mit Libra?
Wie man an meinem Buch sieht, denke ich in zwischenmenschlichen und sozialen Beziehungen, die durch Recht strukturiert sind, wie sie es so schön gesagt haben. So auch bei der Libra. Wenn ein Privatunternehmen, wie Facebook, ankündigt, ein neues globales Zahlungsmittel zu schaffen, dann stellen sich mir unmittelbar Fragen, wie: Wer ist der Emittent des Zahlungsmittels? Welche Rechtsform wurde gewählt? Welches Rechtssystem? Wer sind die Teilhaber? Wie werden Gewinne und Verluste verteilt? Welche Rechte haben die Nutzer der neuen Währung? Welche Risiken sind ihnen rechtliche zugeordnet? Wie wird das neue Zahlungsmittel gestützt? Was passiert falls das Vertrauen in die Währung schwindet? Wer hat dann dafür einzustehen?
Wenn man sich mit diesen Fragen im Kopf die Gestalt der Libra anschaut, dann sieht das ganz anders aus als wenn man dem Marketing glaubt, dass hier erstmals eine globale Währung geschaffen werden soll, die vor allem denjenigen nutzen soll, die keinen Zugang zu regulären Banken haben. Die Libra soll von einem schweizer Verein emittiert werden, zu deren Mitgliedern Facebook sowie eine Reihe weiterer, von Facebook handverlesender, Unternehmen gehören. Anders als bei Bitcoin, beispielsweise, kann nicht einfach jeder mitmachen. Im Anfangsstadium hat Facebook das alleinige Sagen, später der Verein.
Die Libra selbst soll durch eine Reserve gestützt werden, in den sich „sichere“ Vermögenswerte, wie Staatsanleihen und Bankkonten vertrauenswürdiger Staaten befinden. Allerdings kann der Libraverein die Zusammensetzung der Reserve jederzeit mit 2/3 Mehrheit ändern. Etwaige Zinseinnahmen der Reserven werden nicht an die Nutzer der Libra, sondern an die Vereinsmitglieder abgeführt, was auf mögliche Interessenskonflikte hindeutet: Denn die Höhe der Zinsen hängt bekanntlich mit dem Risiko der Einlagen zusammen. Die Mitglieder des Vereins könnten daher durchaus daran interessiert sein, riskantere Vermögenswerte in die Reserve aufzunehmen. Sie werden es im Zweifel auch einfach tun, um die Nachfrage nach der Libra zu decken, selbst wenn nicht genügend wirklich sichere Vermögenswerte verfügbar sind.
Schließlich tragen die Nutzer der Libra das Wechselkursrisko, einschließlich des Risikos, dass die Werte in der Reserve an Wert verlieren – wobei sie selbst keinen Zugriff auf die Werte in der Reserve haben. So strukturiert man keine Währung, die angeblich vor allem den 1.7 Milliarden Menschen auf der Welt, die keinen Zugang zu Banken haben, dienen soll.
Und schließlich: Was passiert, wenn die Werte in der Reserve gar nicht mehr so sicher sind, wie sie zuerst schienen und es einen Sturm auf die Libra gibt? Werden die Zentralbanken der Staaten, deren Werte in der Reserve liegen, dann wirklich nicht als Reservekäufer auftreten, um die Libra zu stützen, einer Währung, die global von Milliarden von Individuen und Unternehmen genutzt wird? Welcher Staat wird denn das Risiko eingehen, dass ein solches Währungssystem (immer vorausgesetzt natürlich, dass die Libra erfolgreich sein wird) implodiert?
3. Was halten Sie von Central Bank Digital Currency, vielleicht als Alternative zu Libra?
Bei der Frage der Central Bank Digital Currencies (CBDCs) geht es grundsätzlich um drei Problemstellung. Erstens, soll das staatliche Geldmonopol gesichert werden; zweitens, sollen die staatlichen Geld- und Zahlungssysteme an die technologische Entwicklung angepasst werden; und drittens, sollen die existierenden Geldsysteme reformiert werden und wenn ja, wie.
Ich würde alle drei Fragen mit „Ja“ beantworten. Unsere existierenden Geldsysteme setzen sich aus staatlichem Geld sowie privaten Zahlungsmitteln zusammen. Sie sind also hybrid. Allerdings gilt nur für staatliches Geld, dass dessen Nominalwert garantiert ist. Nicht jeder hat Zugang zu diesem Geld, aber jeder, der dieses Geld besitzt, kann damit seine Steuern bezahlen und es auch im Privatverkehr als Zahlungsmittel einsetzen.
Die Zahlungssysteme der Zentralbanken wie der Geschäftsbanken sind bereits weitgehend digitalisiert. Bei den CBDCs geht es um den weiteren Schritt, der Papier- und Buchform des Geldes eine digitale Form hinzuzufügen, bzw. diese Form irgendwann zum einzigen Zahlungsmittel zu machen. China ist bereits auf dem besten Wege dorthin und ich denke, dass dies auch in anderen Ländern kommen wird.
Wünschenswert wäre es aber aus meiner Sicht, nicht nur die bestehenden Strukturen dem technischen Fortschritt anzupassen, sondern ihn dafür zu nutzen das System zu reformieren. Soll, beispielsweise, international die Vorherrschaft des Dollars und des amerikanischen Zentralbanksystems (der Fed) an der Spitze des internationalen Zahlungssystems festgeschrieben werden? Gäbe es Möglichkeiten, den Zugang zu rechtlich sanktionierten Zahlungsmitteln zu verbilligen und Menschen bzw. Kleinbetrieben zugänglich zu machen, die derzeit davon ausgeschlossen sind? Könnten, mit anderen Worten, inklusivere Zahlungssysteme geschaffen werden, die dennoch robust sind und wie sähen diese aus? Auf diese Fragen gibt es bisher keine abschließenden Antworten. Diese zu finden ist aber eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe auf internationaler Ebene. Ich fürchte, dass die Zentralbanken, die durch die Libra in Zugzwang gebracht worden sind, sich nicht vertieft mit solchen Fragen auseinandersetzen werden. Dennoch begrüße, dass mit den CBDCs die Digitalisierung und Globalisierung von Zahlungssystemen als sozialpolitische Aufgabe erkannt worden ist.
4. Digitale Zentralbankwährungen könnten, wenn sie der gesamten Bevölkerung zugänglich gemacht werden, Banken die klassische Finanzierung über Konten und Spareinlagen erschweren. Ist das ein “Feature” oder ein “Bug”?
Für die Gestaltung von CBDCs gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: CBDCs lediglich als Ersatz von Papiergeld; bzw. CBDCs als Ersatz von Papiergeld und Bankkonten. In letzteren Fall würden Haushalte direkt Konten bei der Zentralbank anlegen (wobei deren Verwaltung auf andere übertragen werden könnte). In dieser Variante würden CBDCs in der Tat den Banken die Funktion der Geldschöpfung nehmen, was manche durchaus befürworten, andere ablehnen, nicht zuletzt, da es den Banken eine wesentliche Einkommens- und Liquiditätsquelle nehmen würde. In der Übergangsphase von unserem Hybridsystem zu einem allein auf CBDCs basierenden Geldsystem könnte in der Tat zur Destabilisierung des jetzigen Finanzsystems kommen. Dies ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass Zentralbanken Vorsicht gebieten.
Allerdings werden sich private Anbieter dieses Zögern zu Nutze machen, um ihre eigenen Zahlungsmittel in den Verkehr zu bringen, so jedenfalls der Plan der Libra, um den Zentralbanken zuvorzukommen. Wenn dies erst einmal in großem Umfang geschehen ist, könnten die Zentralbanken ihre Vormachtstellung an den Geldmärkten verlieren. Mit anderen Worten, das Modell der Geschäftsbanken ist in jedem Fall unter Beschuss. Die Frage ist, ob die Zentralbanken ein konkurrenzfähiges Modell zur Libra bzw. zu der chinesischen CBDC, schaffen werden das effizient, inklusiv und sicher ist.
5. Im Gegensatz zu Bargeld bergen digitale Währungen das Potential, bzw. die Gefahr, Transaktionshistorien vollständig nachvollziehbar zu machen. Wie sollten wir damit umgehen? Ist Anonymität hier noch eine Option, und falls ja, eine attraktive?
Wie ihre Frage bereist andeutet, kann man die Nachvollziehbarkeit als Potential aber auch als Gefahr sehen. Als Potential, denn unlauterer Geldverkehr kann auf diese Weise jedenfalls erschwert werden. Als Gefahr, denn auf diese Weise wird letztlich jede Zahlungsanweisung festgehalten und sichtbar bzw. überprüfbar gemacht. Allerdings gibt es verschiedene Möglichkeiten, digitale Währungen zu schaffen. So könnten beispielsweise digital Tokens (Münzen?) ausgegeben werden, die dezentral zirkulieren und nicht auf einem zentralen Ledger festgehalten werden. Darüber hinaus gibt es anscheinend kryptographische Möglichkeiten, Anonymität zu schützen – wobei ich als technologischer Laie nicht genau abschätzen kann, wie sicher diese Möglichkeiten tatsächlich sind. Ob dies den Grad der Anonymität wiederherstellen können, der im reinen Bargeldverkehr herrscht sei dahingestellt. Wir sollten uns auch darüber klar sein, dass der Bargeld-Zahlungsverkehr nur einen relativ geringen und zudem schwindenden Teil des gesamten Zahlungssystems ausmacht. Der Rest ist bereits jetzt schon weitgehend digitalisiert und somit grundsätzlich nachvollziehbar bzw. überwachbar.
In der zweiten Hälfte des Interviews geht es mit Daten weiter, dem zweiten Aspekt von Professor Pistors neuem Forschungsprojekt.
Picture credit: Columbia University and Princeton University Press
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