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19. September 2024
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Nils Gerresheim

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Geldbrief

Gute Industriepolitik ist schwierig

Lesedauer: 6 min
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Nils Gerresheim, Max Krahé

Gute Industriepolitik ist schwierig. Dies unterstreicht die Nachricht, dass Intel den Baustart seiner Chipfabriken bei Magdeburg um mindestens zwei Jahre verschiebt. Aber wie ist Intel-Magdeburg grundsätzlich einzuordnen? Ist die angedachte 10-Milliarden-Subvention gute Industriepolitik? Zur Beantwortung dieser Fragen haben wir in den letzten Monaten einen Leitfaden zur Bewertung von staatlichen Investitionen (BESTInvest) erstellt und auf Intel-Magdeburg angewandt. Unser Ergebnis: Das Projekt ist zu Recht umstritten. Effekte auf gesamt- und regionalwirtschaftlichen Wohlstand, Klima und europäische Souveränität sind zwar positiv, aber im Verhältnis zur Investitionssumme moderat.

Nach zweieinhalb Jahren Planung kam diesen Montag die Meldung: Intel wird sein Projekt um die beiden Halbleiterfabriken bei Magdeburg pausieren – für etwa zwei Jahre (Der Spiegel). Das Vorhaben ist ein Prestigeprojekt: Angedacht war, dass Chips mit einer Strukturgröße von 1,5 Nanometern produziert werden sollen. Das wären aktuell die weltweit fortschrittlichsten Chips. Gleichzeitig wäre das über 30 Milliarden Euro umfassende Projekt die größte Einzelinvestition eines ausländischen Unternehmens in Deutschland.

Auch für die Bundesregierung spielen die geplanten Intel Werke in Magdeburg eine wichtige Rolle. Mit 9,9 Milliarden Euro wäre die geplante Förderung des Projekts die höchste, die je an ein einzelnes Unternehmen in der Geschichte der Bundesrepublik ging. Damit, so Olaf Scholz, schließe Deutschland technologisch zur Weltspitze auf und baue eigene Kapazitäten für die Ökosystementwicklung und Produktion von Mikrochips aus.

Gleichzeitig war das Projekt von Anfang an umstritten. Clemens Fuest (Präsident des ifo Instituts) bemängelte beispielsweise, dass das Intel-Werk durch seinen Fokus auf die physische Chipproduktion nur in geringem Maße zur Forschungsförderung beitragen werde, Stefan Kooths (Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum des IfW Kiel) argumentierte, dass die Gelder besser in Bildungsinvestitionen angelegt seien.

Vor diesem Hintergrund wollten wir verstehen, was ein gutes industriepolitisches Projekt ausmacht und wie solche Vorhaben analysiert werden könnten. Zu diesem Zweck haben wir in den letzten Monaten einen Leitfaden für die Bewertung von staatlichen Investitionen (BESTInvest-Leitfaden) entwickelt und auf die Intel-Ansiedlung angewandt.

Das Ergebnis unserer Analyse haben wir Dienstag publiziert. Unser Fazit: Das Projekt ist zu Recht umstritten. Der BESTInvest-Leitfaden identifiziert vier Ziele, die mit industriepolitischen Maßnahmen verfolgt werden können, und strukturiert die Untersuchung möglicher Projekte entlang von acht Mechanismen, mittels derer ein Projekt zur Erreichung dieser Ziele beitragen kann.[1] Abbildung 1 zeigt, wie die Magdeburger Intel-Werke in diesem Raster abschneiden.

Abbildung 1

Diese Bewertungen begründen sich wie folgt. In der Halbleiterbranche schaffen Lernkurven-, Cluster und Innovationseffekte zwar Pfadabhängigkeiten, die grundsätzlich ein „infant industry“ Argument plausibel und eine industriepolitische Investition sinnvoll machen können. Doch deren Ausmaß ist mit großen Unsicherheiten verbunden. Insbesondere bleibt unklar, ob die angedachte einmalige Unterstützung ausreichen würde, um Intel Werke langfristig wettbewerbsfähig zu machen.

Auch die erwarteten Innovationseffekte sind verhältnismäßig gering: Einerseits sollen die Werke ein Fertigungs- und kein Forschungsstandort werden. Andererseits werden technische Innovationen in der Halbleiterproduktion in der Regel geheim gehalten und sind schwer zu kopieren, sodass geringe Innovationsexternalitäten zu erwarten sind.

Zudem werden verhältnismäßig wenige Arbeitsplätze in einem Arbeitsmarkt geschaffen, in dem aktuell ein Fachkräftemangel herrscht. Es ist daher offen, ob die gesamt- und regionalwirtschaftlichen Effekte des Projektes die Höhe der Subventionssumme rechtfertigen.

Neben den wirtschaftlichen Faktoren sind auch Klima- und Souveränitätseffekte relevant. Diese schätzen wir als positiv, aber moderat ein. Auf den Seiten 16-21 unseres Berichtes lesen Sie die Gründe.

Die geplanten Intel Werke in Magdeburg sind also nicht aus jeder Perspektive kluge Industriepolitik. Doch eine abschließende Gesamtbewertung hängt an der Gewichtung der einzelnen Aspekte. Aufgrund der oben angesprochenen Pfadabhängigkeiten spielt außerdem die Bereitschaft und die Fähigkeit, gegebenenfalls mit weiteren Maßnahmen die Clusterbildung und die Wettbewerbsfähigkeit der Halbleiterbranche in Deutschland und Magdeburg zu fördern, eine Rolle. Es gibt also keine einfachen Antworten. Gute Industriepolitik ist schwierig.

Deshalb freuen wir uns, unsere Analyse kommenden Donnerstag (26.09.24) um 12 Uhr im Zuge eines Webinars mit Ihnen zu diskutieren. Wir begrüßen zu diesem Anlass Dr. Marc Bovenschulte, Leiter des Bereichs Demografie, Cluster und Zukunftsforschung bei der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, der unser Papier kommentieren wird. Als Co-Autor des Reports „Ökonomische Effekte der Intel-Ansiedlung in Magdeburg“ sowie Autor des Artikels „Entstehende Hightech-Komplexe als Kern regionaler Missionen“, könnten wir uns keinen geeigneteren Gesprächspartner vorstellen.

Unsere Leseempfehlungen:

  • Unseren Report zu der staatlichen Förderung der Intel-Halbleiterwerke in Magdeburg finden Sie hier.
  • Die erwähnte VDI/VDE Innovation + Technik GmbH Studie untersucht ebenfalls die ökonomischen Effekte der Intel-Ansiedlung und geht dabei besonders detailliert auf Lieferkettenzieheffekte ein.
  • Ebenfalls empfehlenswert ist diese Studie des CIMA Institut für Regionalwirtschaft zu den regionalen Implikationen der Intel-Ansiedlung, unter anderem mit einem Fokus auf Arbeitsmarkteffekte.
  • Zuletzt: Der Spiegel Artikel zur Projekt-Verschiebung von Intel-Magdeburg

Fußnoten

[1] Die vier Ziele sind gesamtwirtschaftlicher Wohlstand, regionaler Wohlstand, Klimawandelbekämpfung und Souveränitätssicherung. Die acht Mechanismen sind Lernkurveneffekte, Clustereffekte, Innovationseffekte, Lieferkettenzieheffekte, die Kapitalkostenvorteile der öffentlichen Hand, Arbeitsmarkteffekte, Externalitäten und unvollständige Versicherungseffekte. Siehe Gerresheim & Krahé (2024), S. 6, Tabelle 1 für einen Überblick.


Medien- und Veranstaltungsbericht 19.09.24

  • Medienerwähnungen und Auftritte
    • Am 11.09.24 wurde Max Krahé bei Exakt im MDR zu Ungleichheit in Deutschland und dem Zusammenhang von Haushaltskürzungen und der Wahl von extremen Parteien interviewt.
    • Am 12.09.24 erwähnte Anne Will unsere Studie „Was kostet eine sichere, lebenswerte und nachhaltige Zukunft?“ in ihrem Podcast.
    • Am 13.09.24 wurde unsere Studie in der BILD erwähnt.
    • Am 15.09.24 wurde im Sunday Wrap von Erik Nielsen (Group Chief Economics Advisor, UniCredit) Philippa Sigl-Glöckners Gastbeitrag in der Zeit erwähnt.
    • Am 18.09.24 diskutierte der Sozial-Klimarat unsere Finanzierungsvorschläge für die öffentlichen Zusatzbedarfe der Dekarbonisierung.
    • Am 18.09.24 gab es eine Replik von Stefan Kolev auf Philippa Sigl-Glöckners Gastbeitrag in der Zeit.
    • Am 19.09. war Florian Schuster zu Gast bei einer Anhörung zur Schuldenbremse im Finanzausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages.
  • Veranstaltungen
    • Am 25.09.24 um 20 Uhr stellt Philippa Sigl-Glöckner ihr Buch „Gutes Geld – Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ in der taz Kantine vor. Moderiert wird die Veranstaltung von Micky Beisenherz. Tickets gibt es hier.
    • In einem Webinar am 26.09.24 um 12 Uhr stellen wir  in dem wir die Ergebnisse unseres Reports zu der staatlichen Förderung der Intel-Ansiedlung vor und diskutieren diese mit Ihnen. Hierzu freuen wir uns den Experten Dr. Marc Bovenschulte, Leiter des Bereichs Demografie, Cluster und Zukunftsforschung bei der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH begrüßen zu dürfen. Hier geht es zur Anmeldung.
    • Am 01.10. um 16 Uhr werden wir in einem Webinar die öffentlichen Finanzbedarfe für Dekarbonisierung, die wir bis 2030 in unserer Studie zum Gesamtfinanzierungsbedarf für die Modernisierung Deutschlands identifizieren, näher vorstellen und diskutieren. Wir freuen uns Dr. Brigitte Knopf, Direktorin von Zukunft KlimaSozial und Simon Müller, Direktor Deutschland bei Agora Energiewende, für eine kritische Einordnung und Diskussion gewonnen zu haben. Hier geht es zur Anmeldung.

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an nils.gerresheim[at]dezernatzukunft.org


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