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20. March 2020
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Max Krahé

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„Der Wert von Daten liegt in der Möglichkeit, mit ihnen das Verhalten einzelner und ganzer Gruppen zu steuern.“ Katharina Pistor im Interview mit dem Dezernat Zukunft, Teil 2

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MAX KRAHÉ

Katharina Pistor (Twitter: @KatharinaPistor) ist Professorin für vergleichende Rechtswissenschaft und Direktorin des Center on Global Legal Transformation an der Columbia Universität in New York. Ihr neuestes Buch ist The Code of Capital.

Teil 1 des Interviews ist hier verfügbar.

6. Daten sind das neue Öl: ja, nein, oder falsche Frage?

Mit diesem Satz wird auf den materiellen Wert von Daten hingewiesen und insofern hat er seine Berechtigung. Aber dabei sollte man es dann auch belassen. Denn Daten unterscheiden sich von Öl oder anderen Gütern in entscheidenden Punkten.

Zunächst ist die Rohinformation, die zu durch Kategorisierung zu Daten werden, in unbegrenztem Ausmaß verfügbar. Wir alle produzieren ständig Informationen über uns selbst, ob wir wollen oder nicht, einfach dadurch, dass wir sind und uns verhalten. Andere Güter sind begrenzt, Daten sind es grundsätzlich nicht; sie werden es erst in den spezifischen Anwendungen, die die Daten-Erheber (die Online Plattformen, Videoüberwachungen, Smart Phone Anbieter etc.) bzw. deren Kunden ihnen zuordnen.

Darüber hinaus gilt, dass der Wert der Daten jedes Einzelnen von uns relativ gering ist; die Möglichkeit, aus Daten Gewinn zu schöpfen ergibt sich erst aus der Masse. Nicht der Grenzwert eines einzelnen Datums, sondern die Masse zählt. Und schließlich wird der materielle Wert von Daten nicht wirklich durch deren Handel eruiert – auch wenn dies durch Metaphern wie Daten als neues Öl suggeriert werden soll. Der Wert von Daten liegt in der Möglichkeit, mit ihnen das Verhalten einzelner und ganzer Gruppen zu steuern. Sie sind Kontrollinstrument und werden zu diesem Zweck geschöpft, verkauft und eingesetzt. Es geht letztlich darum, das künftige Verhalten von Bürgern und Konsumenten für den Staat bzw. die Anbieter von Waren und Dienstleistern vorhersehbar zu machen um so gegenüber den Bürgern bzw. Konsumenten Vorteile zu erzielen. Die Informationsasymmetrien, die es in normalen Marktbeziehungen gibt, werden potenziert, denn das Gewinnspiel mit Daten besteht gerade darin, dass eine Seite (der Verkäufer) sie hat, während der Konsument im Dunkeln tappt.

7. Wenn Daten Kapital sind, was genau ist dann Datenauswertung? Sind die traditionellen Begriffe in denen wir Produktion bisher beschreiben hier anwendbar?

Ich denke, dass wir ein neues Vokabular benötigen, um den Phänomenen des digitalen Zeitalters gerecht zu werden. Wie oben ausgeführt, lassen sich Daten nicht mit Öl vergleich und auch hinsichtlich von Kapitalgütern muss man die geläufigen Begriffe anpassen.

In meinem Buch argumentiere ich, dass Kapital rechtlich kodiert ist, d.h., dass einfache Güter erst durch eine besondere Form der Verrechtlichung wertschaffend werden, die ihnen bzw. ihren Inhabern relative Vorteile gegen den Rest der Welt gewähren. Daten lassen sich anhäufen und wirtschaftlich auswerten, ohne dass es eine explizite Zuordnung von Eigentumsrechten und dergleichen mehr bräuchte. Auch lassen sich Daten relativ effektiv ohne staatliche Hilfe gegen den Zugriff anderer sichern. Das Modell von Big Tech basiert auf der Monopolisierungen umfangreicher Datensätze, die begrenzt anderen gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden, damit sie Reklame, Informationen (echte und falsche) zielgerichtet an Konsumenten richten können. Mit Monopolen ist natürlich schon immer Reichtum geschaffen worden, aber andere Güter lassen Gewinnschöpfung durch Handel zu. Der sogenannte „Handel“ von Daten besteht demgegenüber aus zwei Schritten (Ökonomen sprechen hier auch von zweiseitigen Märkten): der kostenlosen Akkumulation von Kundendaten und dem begrenzten Zugang zu den Algorithmen, die diese Daten auswerten. Bei jedem Schritt bestimmt Big Tech die Konditionen. Es ist fraglich, ob man dies noch als Markt bezeichnen soll.

Die traditionelle Vorstellung von der Produktion von Gütern passt auch nicht so einfach. Rohinformation wird laufend von uns allen „produziert“. Das kann man als Arbeit bezeichnen, die unentgeltlich geleistet wird, aber die eigentliche Arbeit liegt wohl erst im nächsten Schritt, wenn Rohinformationen gesäubert, geordnet und klassifiziert werden um sie der Analyse zugänglich zu machen. Mary Gray spricht hier ganz richtig in ihrem Buch von „Ghost Work“ oder Geisterarbeit. Die für das Tech-Unternehmen wesentliche Wertschöpfung erfolgt dann durch die Datenanalyse, wobei derselbe Datensatz immer wieder und für die unterschiedlichsten Zwecke analysiert werden kann. Je größer der Datensatz und je vielfältiger die Anwendung, desto höher der Nutzen. Und solange Big Tech freien Zugang zu Nutzerdaten hat, wird sich diese Goldgrube nie erschöpfen.

8. Wie ihr Kollege Tim Wu beschrieben hat werden viele Daten vor allem benutzt, um unsere Aufmerksamkeit zu binden und zu lenken. Handelt es sich hier um ein neues Phänomen?

Es gibt selten etwas, was es noch nie gegeben hat. Doch manchmal gibt es Qualitätssprünge. Der Umfang in dem Daten von uns allen heutzutage aufgenommen, gespeichert, verarbeitet und selektiv Verkäufern und Anbietern von Dienstleistungen zugänglich gemacht wird, ist neu. Das hat mit ein paar Minuten Reklame abends vor der Tagesschau nur noch wenig zu tun. Wir können versuchen, auf unseren Computern oder Tablets Reklame zu blockieren, bzw. Gesetzgeber können die Datenschöpfung von unserer Zustimmung abhängig machen. Aber wenn wir uns dieser Möglichkeiten bedienen, wird der Zugang zu Internetseiten bzw. digitalen Plattformen erheblich beschränkt.

Es ist auch nicht so einfach möglich, stattdessen auf eine andere Plattform überzuwechseln, denn die digitale Welt lebt von Netzwerken und damit auch von Netzwerkeffekten. Wenn ich soziale Kontakte mit Menschen, die auf der ganzen Welt verteilt sind, aufnehmen möchte, nützt es mir wenig, wenn es eine alternative zu Facebook gibt, wenn sich bereits 2.5 Milliarden Menschen für Facebook entschieden haben. Grundsätzlich könnten alle wechseln; jeder einzelne aber steht vor der Frage, ob die anderen denn mitkämen – ein klassisches „collective action problem“.

9. Informationsfreiheit im Zusammenspiel mit großen Datenspeichern und fähigen Suchmaschinen haben das „organische“ Vergessen mehr oder weniger abgeschafft. Ist die jetzige Regelung der EU Kommission, wie durch den EuGH interpretiert, eine gute Lösung?

Die EU Regelung greift meines Erachtens nach zu kurz. Da geht es ja vor allem um „persönliche“ Daten, d.h. Daten, die für eine unmittelbare Identifizierung einer Person benutzt werden können. Mittelbar lassen sich Personen aber auch durch die sogenannten Industriedaten identifizieren. Das hat die New York Times uns kurz vor Weihnachten 2019 vor Augen geführt, in dem sie eine ihr zugespielte Datenbank, die Lokalisationsdaten von Handies gespeichert hat, ausgewertet hat. Wo sich ein Handy zu irgendeinem Zeitpunkt befindet, mag ja zunächst nicht bedenklich klingen. Aber es ist kein Zufall, dass sich mein Handy regelmäßig zwischen meiner Wohnung und meinem Arbeitsplatz hin und her bewegt. Da braucht es nicht viel mehr, um ein Individuum über Lokalisationsdaten zu identifizieren. Das gilt übrigens auch für den Präsidenten der USA, dessen Bewegungen erfasst werden konnten, da offenbar zumindest einer seiner Sicherheitspersonen sein ungesichertes Handy immer bei sich führte.

Darüber hinaus ist die Zustimmungspflicht für bestimmte Datennutzung nicht sehr effektiv. Ohne wirkliche Alternativen werden die meisten Nutzern der Erhebung ihrer Daten zustimmen und selten, wenn überhaupt, nachforschen, ob weitere Datenerhebungen, denen nicht zugestimmt wurde, auch wirklich „legitim“ waren. Dieses nachzuweisen obliegt letztlich demjenigen, der die Legitimität anzweifelt. Letztlich liegt das Problem bei der Datenerhebung nicht lediglich bei der Sicherung einer minimalen Privatsphäre. Es geht um die Kontrolle menschlichen und sozialen Verhaltens in großem Stil und um dies zu verhindern bedarf es wesentlich einschneidender Maßnahmen.

10. Nach welchen Prinzipien könnte man bei der Regulierung von Datenhandel und – nutzung Ziele wie das Wahren der Privatsphäre, das Gemeinwohl, und Verteilungsgerechtigkeit abwägen?

Ich denke, dass wir hier wieder auf die alten Freiheitsrechte zurückgreifen können und müssen. Allerdings sollten diese nicht nur als Abwehrrechte gegen Staaten, sondern auch gegen Private einsetzbar sein. Ein besonderes Problem, das sich hier stellt, ist, dass sowohl staatliche also auch private Interessen die totale Erfassung menschlichen Verhaltens befürworten. So wie im militärisch-industriellen Komplex sich private und öffentliche Interessen treffen, gilt dies auch für den Daten-Sicherheit-Komplex.

Edward Snowden hat dies für die USA eindrücklich dokumentiert: Private Anbieter entwickeln Überwachungssoftware, -sensoren etc., und erhalten lukrative Verträge, diese durch ihre Mitarbeiter (nach entsprechendem security clearing) auszuwerten. Der Staat hat sich wiederholt Zugang auf von privaten Firmen gesammelte Daten verschafft, einschließlich Daten, die ihm aus verfassungsrechtlichen Gründen selbst verwehrt gewesen wären.

Dabei sei nochmals betont, dass es nicht allein um die Privatsphäre des Einzelnen geht, sondern auch um die Sicherung eines öffentlichen Raums, in dem Individuen miteinander diskutieren, handeln und agieren können, ohne konstant überwacht, abgehört bzw. digital abgetastet werden. Nur so kann der Wahrheitsgehalt von Fakten untersucht werden, ohne dass das Werturteil der Betrachter beständig durch fake news verunsichert wird. Ohne einen solchen öffentlichen Raum kann es keine Demokratie geben. Das erleben wir heute täglich in den USA, der bisher ältesten Demokratie, wo dieser Raum zusehends schwindet.

11. Zum Abschluss: Wenn sie die legislative Allmacht hätten, welche rechtlichen Maßnahmen würden sie in den Bereichen Daten und digitale Währungen einführen?

Die If-I-was-the-queen-of-the-universe-Frage….

Zunächst zu den Daten. Die Rohinformationen, die wir alle Tag für Tag produzieren, sollten gegen unbefugten Zugriff geschützt werden – etwa mit Hilfe eines digitalen Passes, der es jedem Einzelnen erlauben würde zu bestimmen, wer und zu welchen Zwecken diese Informationen einsehen, bzw. welchen Datenbanken diese Informationen zur Verfügung gestellt werden sollen – entweder umsonst (für gemeinnützige Zwecke) oder aber im Gegenzug für eine Beteiligung an dem privaten Unternehmen, das die Daten ausbeutet. Es sollten nicht lediglich ein paar Cents für Rohinformationen gezahlt werden, denn der wirtschaftliche Wert der Daten ergibt sich erst aus der Ausbeutung von großen Datenbanken. Es gäbe somit gemeinnützliche Datenbanken, etwa für die Erforschung von Erbkrankheiten oder den Effekt von Nahrung etc. auf die Gesundheit. Es gäbe aber auch private Datenbanken, aber die Produzenten dieser Daten würden am Gewinn der Datenbank beteiligt – vergleichbar mit Aktionären, die auch an den künftigen Profiten eines Unternehmens beteiligt sind.

Die gemeinnützigen Datenbanken würden durch unabhängige Gremien verwaltet (ähnlich wie das Internet durch das Internet Governance Forum verwaltet wird). Die Satzungen dieser Datenbanken würden bestimmen, für welche Zwecke Zugang zu den Daten erteilt werden kann. Bei den Unternehmen, die private Datenbanken erstellen, würde ein Treuhänder eingerichtet werden, der die Interessen der Datenproduzenten vertreten und deren Beteiligung an der Unternehmensführung und den Gewinnen sicherstellen würde.

Was digital Währungen angeht, gehen meine Gedanken in eine ganz ähnliche Richtung. Die neuen Technologien machen es grundsätzlich möglich, Geldsysteme zu schaffen, die allen Menschen und Unternehmen zu relativ geringen Kosten zugänglich sind und sie an effizienten und stabilen Zahlungssystemen teilhaben zu lassen. Ich spreche bewusst von Geld bzw. Zahlungssystemen im Plural, denn es scheint mir sinnvoll Zahlungssysteme nicht zu monopolisieren, sondern eine Vielzahl allerdings inter-operable Systeme zu schaffen. Ein einziges globales System wäre zu störanfällig und würde auch nicht den Bedürfnissen verschiedener Nutzergruppen gerecht werden.

Es erscheint mir durchaus sinnvoll, dass die Zentralbanken ein digitales Zahlungssystem als öffentliches Gut erstellen und es kostenlos zur Verfügung zu stellen. Die Zahlungssysteme der Zentralbanken sollten inter-operabel sein, aber auch mit von privaten oder gemeinnützigen Organisationen entwickelten Zahlungssystemen. Die Ankoppelung an die von Zentralbanken gesteuerten Zahlungssystemen könnte von bestimmten Kriterien abhängig gemacht werden, wie beispielsweise Kontrolle der Geldwäsche, aber auch davon, wie robust und inklusiv dies Systeme wären.

Ein solches Gesamtsystem würde die private Kreditvergabe nicht ausschließen, aber durch den vereinfachten Zugang zu Geld und Zahlungssystemen würden wesentlich mehr Verbraucher in den Genuss von Liquidität kommen und die Abhängigkeit von teuren Krediten verringert werden. Auch könnten Missbräuchen in Kreditgeschäften, wie exzessiv hohe Zinssätze bzw. Gebühren, entgegengewirkt werden, indem die Nutzung des allgemeinen Zahlungssystems der Zentralbanken an Normen geknüpft würde, die solchen Missbräuchen entgegenwirken.

Wir danken Ihnen für das Interview, Frau Professor Pistor!

Picture credit: Columbia University and Princeton University Press

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