Image
5. April 2023
 / 

Max Krahé

 / 
 / 
Geldbrief

Alle Wege führen nach Rom

Lesedauer: 11 min
[wp_dark_mode_switch style="3"]

Max Krahé, Levi Henze

Am 30. und 31. März fand das erste Treffen des European Macro Policy Networks (EMPN) statt. Was den Gründern der Europäischen Union recht war, konnte uns nur billig sein: Treffpunkt Rom. In diesem Geldbrief berichten wir über die Tagung, erklären, was es mit dem EMPN auf sich hat, und stellen unsere drei jüngsten Kooperationen im Rahmen des Netzwerks vor. Wer es besonders eilig hat: Hier ein Highlights-Video von unseren Freunden bei FiscalFuture.

Treffpunkt Rom

Ende 2021 haben wir das European Macro Policy Network (kurz: EMPN) gegründet. Nachdem sich das Netzwerk anderthalb Jahre nur virtuell austauschen konnte, trafen wir uns letzte Woche das erste Mal persönlich. Zusammen mit einem Dutzend der von uns geförderten Partnerorganisationen kamen wir für eine Tagung in Rom zusammen.

Dieses Treffen diente zwei Zielen: erstens, das Fundament für eine langanhaltende, produktive sowie in unseren Augen dringend notwendige Zusammenarbeit zu schaffen. Zweitens, unser Netzwerk einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen.

Unsere Gastgeber waren eine Forschungsgruppe um Dario Guarascio an der ökonomischen Fakultät der Sapienza Universität sowie die Fondazione Giacomo Brodolini (FGB), seit Januar 2022 Teil des EMPN-Netzwerks. Dario Guarascio, Jelena Reljic und ihr Team haben keine Mühen gescheut, das Treffen freundlich, produktiv und zugänglich zu gestalten.

Der erste Tag diente der Vertiefung unserer Zusammenarbeit. Durch intensiven Austausch haben wir uns besser kennen gelernt und Vertrauen aufgebaut, um so aus Heterogenität produktive Kooperation zu machen.

Wie weiter unten erläutert, zielt das EMPN darauf ab, den innereuropäischen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Austausch zu stärken. Damit wollen wir darauf hinwirken, die europäische Finanzarchitektur noch besser in den Dienst der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union zu stellen. Für einen solchen Austausch scheint es uns essenziell, eine möglichst breite Gruppe an unterschiedlichen Organisationen und Ländern zu versammeln. So sind sowohl Forschungsgruppen und -institute (z.B. am wiiw Wien, der JKU Linz, der TU Chemnitz oder der Sapienza Universität Rom), als auch Think Tanks (z.B. das Instituut voor Publieke Economie in Den Haag oder Arena Idé in Schweden), Vereine und Stiftungen (z.B. die Fondazione Giacomo Brodolini in Rom, FiscalFuture in Berlin oder Our New Economy in den Niederlanden) Mitglieder im EMPN, und das bisher aus sieben Ländern.[1]

Damit ein Austausch innerhalb dieser heterogenen Gruppe gut funktioniert, sind Vertrauen und persönliche Gespräche unerlässlich. Diese zu ermöglichen und damit die vielfältigen Ansätze, Schwerpunkte und Perspektiven der EMPN-Mitgliedschaft miteinander in Kontakt zu bringen, war der Schwerpunkt des ersten Tages. Dieser Teil des Treffens war der Mitgliedschaft des EMPNs vorbehalten.

Tag zwei umfasste den öffentlichen Teil des Treffens.[2] Im Vordergrund standen einerseits Diskussionen rund um die Herausforderungen der europäischen Makro- und Industriepolitik, andererseits die Vorstellung des EMPNs vor einem breiteren Publikum. Mit über 120 Gästen erschienen doppelt so viele wie ursprünglich erwartet.

Höhepunkt des Tages war der Keynote-Vortrag von Adam Tooze. Adam stellte einige der vorherrschenden Erzählungen rund um europäische Klima- und Industriepolitik und den amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA; wir berichteten im Geldbrief) in Frage.[3] In Bezug auf den IRA betonte er, dass dies zwar ein großer industriepolitischer Schritt sei, der IRA aber weniger kohärent sei, als er in europäischen Augen teils erscheine. Auch bleibe er zu klein, um den amerikanischen Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze zu sichern.

In Bezug auf Europa hob Adam hervor, dass hier trotz der prominenten Rolle des Europäischen Emissionshandels (hier von uns genauer betrachtet) auch in Europa durchgängig Industriepolitik betrieben wurde. Diese war allerdings nicht immer zielführend, wie zum Beispiel im Fall der Stärkung des Dieselmotors. Auch die Erstickung der europäischen Solarbranche nach 2010 nahm er kritisch unter die Lupe: Hier sei weniger die chinesische Konkurrenz als eher das Abwürgen europäischer Investitionsvolumina durch Förderreduktionen und kontraktive Makropolitik verantwortlich. Dass große und dringende Aufgaben vor uns stehen, war spätestens nach diesem Vortrag klar.

Flankiert wurde die Keynote durch drei Panels. Den Auftakt machte vormittags eine Diskussion um europäische Industriepolitik und Dekarbonisierung. Kritische und analytische Präsentationen kamen von Annamaria Simonazzi (FGB), Antonio Andreoni (SOAS), Cédric Durand (Université de Genève) und Janek Steitz von uns, der zu unserem laufenden Industrieprojekt berichtete.

Nach der Keynote und dem Mittagessen folgte ein Panel zur gesamtwirtschaftlichen Situation Italiens. Als große und exportstarke, aber seit Jahren stagnierende Volkswirtschaft ist Italien ein Schlüssel zum Verständnis wichtiger Probleme in der europäischen Finanzarchitektur, wie auch unser eigenes Papier zu diesem Thema betonte. Perspektiven auf Italiens Wirtschaftsstruktur, Reformgeschichte und Arbeitsmarktentwicklung wurden von Valeria Cirillo (Università di Bari), Philipp Heimberger (wiiw), und Donato di Carlo (MPIfG, zukünftig LUHNIP) präsentiert.

Das letzte Panel verknüpfte die industriepolitische und makroökonomische Ebene. Erik Nielsen (UniCredit), Mario Pianta (Scuola Normale Superiore di Pisa), Chiara Criscuolo (OECD), Francesca Bria (Italian National Innovation Fund) und Michele Raitano (Sapienza) diskutierten Reformbedarfe und -möglichkeiten für Europa und Italien. Ein zentrales Ergebnis war, dass die jetzige Inflation und die großen Fiskalpakete der letzten Krisenjahre nicht den Blick darauf verstellen dürfen, dass zur Bewältigung der Dekarbonisierung und zur Sicherung von Wohlstand und Souveränität strukturelle fiskalische Mehrbedarfe in Europa bestünden. Auch wurde festgehalten, dass große Teile der öffentlichen Verwaltung in Italien und in Europa in ihrer jetzigen Aufstellung und Personalstärke nicht in der Lage seien, das notwendige Ausgaben- und Investitionsvolumen schnell und effektiv umzusetzen. Diese Flaschenhälse seien dringend zu lösen.

Zum Abschluss des Tagungsberichts folgt ein kurzes Video von unseren Freunden und Partnern bei Fiscal Future.

Makropolitik ist Europapolitik – Warum gibt es das EMPN?

So viel zum ersten Treffen des EMPNs. Warum genau haben wir uns entschieden, dieses Netzwerk ins Leben zu rufen?

In keinem Mitgliedsstaat der Europäischen Union lassen sich Fiskal-, Geld- und Wirtschaftspolitik getrennt vom europäischen Kontext betrachten. In der Geldpolitik ist das offensichtlich. Aber auch in der Fiskalpolitik gilt: Makropolitik ist Europapolitik. Denn die Defizite, Überschüsse und Ausgabenstruktur eines Mitgliedsstaates beeinflussen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, die Preisentwicklung und das Wirtschaftswachstum im Rest der Union. Darüber hinaus wird zunehmend deutlich, dass geopolitische Herausforderungen und die Dekarbonisierung auch in der Wirtschaftspolitik eine vertiefte europäische Zusammenarbeit unumgänglich machen.

Gleichzeitig sind die politischen Willensbildungs- und Entscheidungsstrukturen in Europa aber nach wie vor stark von unterschiedlichen nationalen Rahmen geprägt. Wie Brunnermeier, James und Landau in ihrem The Euro and the Battle of Ideas festgehalten haben, gibt es zusätzlich zu den wohlbekannten sprachlichen und institutionellen Barrieren auch heute noch staatsphilosophische und ökonomisch-theoretische Differenzen, die gemeinsames europäisches Reden und Handeln herausfordernd machen.

Mit dem EMPN streben wir an, die Notwendigkeit europäischen Denkens und Handelns mit der Realität nationaler Debatten- und Entscheidungsräume zu vereinen. Indem wir Partnerorganisationen, die in ihren jeweiligen nationalen Kontexten glaubwürdig verankert sind, in einen engen Austausch miteinander bringen, wollen wir helfen, Vorschläge und Lösungen zu entwickeln, die sowohl national als auch europäisch gangbar und sinnvoll sind. Dabei setzen wir auf einen dezentralen Ansatz, im Rahmen dessen wir Komplementaritäten und Möglichkeiten für konstruktiven Austausch überall nutzen wollen, wo und wann immer sich diese präsentieren, ob innerhalb des gesamten Netzwerks oder zwischen einzelnen Teilen davon.

Unsere Hoffnung ist, dass wir auf diesem Wege dazu beitragen können, dass die europäische Finanzarchitektur in Zukunft noch besser den Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union dient.

Ein erstes Beispiel dieser Art von Arbeit ist das gemeinsame Papier zur Reform der europäischen Fiskalregeln, das wir Ende letzten Jahres zusammen mit unseren holländischen Partnern vom Instituut voor Publieke Economie (IPE) geschrieben haben.

Dem IPE wünschen wir bei dieser Gelegenheit alles Gute zu seinem ersten Geburtstag. Die Geburtstagsfeier gestern, so haben wir erfahren, war bestens besucht. Sigrid Kaag, die niederländische Finanzministerin, hat ihre geplante Rede zwar in letzter Minute absagen müssen, aufgrund dringender parlamentarischer Geschäfte. Aber ihr geplanter Auftritt verdeutlicht, was für hervorragende Arbeit und was für eine rasche Etablierung in der niederländischen Debatte dem IPE in seinem ersten Jahr gelungen ist! Die Bevorzugung des Parlamentes gegenüber IPEs Geburtstagsfeier können wir natürlich nur mit Missgunst betrachten.

Eine neue Partnerschaft und zwei Neugründungen: Arena Idé, LUHNIP und Institut Avant-garde im EMPN

Zuletzt freuen wir uns, beim EMPN-Treffen und diese Woche unsere jüngsten drei Kooperationen auf den Weg gebracht zu haben.

Erstens haben wir eine Kooperation mit Arena Idé, einem gewerkschaftsnahen progressiven und überparteilichen schwedischen Think Tank, abgeschlossen. Im Rahmen des EMPNs unterstützt das Dezernat Zukunft Arena Idé mit 155.000 Euro in den Jahren 2023 und 2024. Dies ermöglicht es Arena, eine weitere Ökonomin zu beschäftigen, um Themen wie Inflation und die Zukunft des Wohlfahrtsstaat intensiver zu bearbeiten; sowie eine hochkarätige internationale Konferenz auszurichten, in der es um progressive Finanzpolitik nach der Zeitenwende gehen wird. Wer über diese Konferenz informiert bleiben möchte, kann hier Updates erhalten. Wir freuen uns sehr, mit Elinor Odeberg, Arena’s Chefökonomin (und Twitter-Folgeempfehlung), und dem ganzen Arena Team zusammen zu arbeiten!

Zweitens freuen wir uns, eine italienische Neugründung unterstützen zu können: Donato di Carlo — vormals Postdoc am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln und ebenfalls eine Twitter-Folgeempfehlung — wird den LUISS Hub for New Industrial Policy and Economic Governance in Rom (LUHNIP) aufbauen und leiten. Mit der Förderung des Dezernats Zukunft, 424.000 Euro in der Förderperiode 2023/24, kann LUHNIP ab sofort seine Arbeit aufnehmen. Im Mittelpunkt wird dabei die Erforschung der Zusammenhänge zwischen Struktur- und Makropolitik stehen. Ziel ist insbesondere die Entwicklung eines neuen industriepolitischen Rahmenwerks, sowie die Behandlung der Frage, wie dieses konstruktiv in Italien und Europa angewendet werden könnte.

Zu guter Letzt sind wir höchst erfreut, bald auch eine französische Neugründung im EMPN willkommen heißen zu können: das Institut Avant-garde. Dieses Institut, gegründet von Clara Leonard und Mathilde Viennot, befindet sich zurzeit im Aufbau und wird vom Dezernat mit 424.000 Euro über die nächsten zwei Jahre unterstützt. Clara war zuvor beim französischen Finanzministerium und finalisiert ihre Promotion zur Geschichte nicht-marktbasierter Finanzierungsmechanismen französischer Staatsschuld im 20. Jahrhundert, unter der Direktion von Eric Monnet. Mathilde bringt langjährige Erfahrung von France Stratégie, dem Think Tank der französischen Regierung, wo sie zu Primärverteilung, Ungleichheit und dem französischen Wohlfahrtsstaat forscht. Ein erster inhaltlicher Schwerpunkt des Institut Avant-garde wird die Frage sein, wie die Tragfähigkeit öffentlicher Schulden besser und umfassender verstanden werden kann. Auch hier lohnt es sich sehr, Clara, Mathilde und dem Institut selber auf Twitter zu folgen.

Wir wünschen Clara, Mathilde, Donato, Elinor und ihren jeweiligen Teams viel Glück und Erfolg beim Aufbau von Institut Avant-garde, LUHNIP und bei der zukünftigen Arbeit!


Fußnoten

[1] Einen Überblick über die geförderten Projekte und Mitglieder gibt es auf unserer Website. Vertreten waren Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich und Schweden.

[2] Das Programm des zweiten Tages kann hier runtergeladen werden.

[3] Eine Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung finden Sie hier. Die Keynote beginnt bei 3:19:23.


Medien- und Veranstaltungsbericht 06.04.2023

  • Medienerwähnungen und Auftritte
    • Am 20.03.23 wurde der Geldbrief über die Zinsberechnungen des Finanzministeriums im Wirtschaftsbriefing von Jung und Naiv besprochen.
    • Am 23.03.23 wurde in der YouTube-Sendung Money & Macro das Italienpapier von Max erwähnt.
    • Am 24.03.23 hat der Lage der Nation Podcast nochmal an das Interview mit Philippa erinnert.
    • Am 25.03.23 hat Max auf Phenomenal World einen Aufsatz zum Buch „The Triumph of Broken Promises“ von Fritz Bartel veröffentlicht. Zusammen mit Georg Diez hat er das Buch am 4.4. bei der Buchhandlung Felix Jud in Hamburg besprochen.
    • Am 31.03.23 wurde die Gründung des LUISS Hub for New Industrial Policy and Economic Governance verkündet.
    • Am 03.04.23 wurde die Kooperation im Rahmen des EMPN-Netzwerks zwischen dem schwedischen Think Tank Arena Idé und Dezernat Zukunft abgeschlossen.
    • Am 04.04.23 wurde die Unterstützung  des Institut Avant-garde im Rahmen des EMPNs unterschrieben.
    • Erinnerung: Am 11.04.23 wird Philippa bei Planet Wissen im WDR zu sehen sein. Der Titel der Sendung lautet „Geld aus dem Nichts – Wann kommt der nächste Finanzcrash?“ und läuft um 10:55 Uhr. Anschließend steht die Sendung in der ARD-Mediathek zur Verfügung.
  • Veranstaltungen
    • Wir möchten Euch Isabella Webers Buchpremiere „Das Gespenst der Inflation“ am 17.04.23 um 18:30 Uhr ans Herz legen. Moderiert von Mark Schieritz wird Isabella ihr Buch in der Heinrich-Böll-Stiftung vorstellen. Hier gelangt ihr zur Anmeldung. Sie zeichnet die damaligen Debatten um die Neugestaltung des chinesischen Wirtschaftssystems minutiös nach. Insbesondere legt sie dar, wie es China gelang, die Inflation zu begrenzen, in dem es aus der Geschichte anderer Länder lernte.

The Geldbrief is our newsletter on current developments in economic, fiscal, and monetary policy. We appreciate your feedback and suggestions. Send it to max.krahe[at]dezernatzukunft.org


Hat dir der Artikel gefallen?

Show some love mit einer Spende
oder folge uns auf Twitter

Teile unsere Inhalte

Ähnliche Artikel aus unserem Archiv