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12. September 2024
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Felix Heilmann

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Geldbrief

Wie finanzieren wir eine sichere, lebenswerte und nachhaltige Zukunft?

Lesedauer: 10 min
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Felix Heilmann, Florian Schuster

Diese Woche haben wir zwei Studien zu öffentlichen Finanzbedarfen und Finanzierungsoptionen für eine umfassende Modernisierung Deutschlands veröffentlicht: Wir zeigen auf 250 Seiten, dass zur Erreichung breit akzeptierter Ziele in zentralen Zukunftsfeldern zusätzliche öffentliche Gelder in Höhe von 782 Mrd. Euro bis 2030 erforderlich sind. In einem ergänzenden Policy Paper machen wir Vorschläge, wie diese Bedarfe im Rahmen der Schuldenbremse gedeckt werden können. Dieser Geldbrief fasst die Ergebnisse der Studien sowie zwei Veranstaltungen, auf denen wir sie präsentiert und diskutiert haben, zusammen.

Zwei Fragen haben uns in den letzten Monaten beschäftigt: Welche zusätzlichen öffentlichen Finanzbedarfe bestehen bis 2030, um breit geteilte Ziele in zentralen Zukunftsfeldern zu erreichen und somit Deutschland zu modernisieren? Und: Wie lassen sich diese Modernisierungsbedarfe finanzieren?

Am Montag haben wir hierzu zwei Studien veröffentlicht. Anschließend stellten wir unsere Ergebnisse zur Diskussion: zunächst in einem Webinar mit Prof. Dr. Michael Hüther, dem Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, und dann im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit Katja Hessel, MdB und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen, Andreas Audretsch, MdB und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen Bundestagsfraktion, sowie unserer Direktorin und Geschäftsführerin Philippa Sigl-Glöckner.

Studie #1: Wie groß sind die zusätzlichen öffentlichen Finanzbedarfe?

Als Ausgangspunkt für unsere Arbeit haben wir bewusst die Erreichung breit akzeptierter gesellschaftlicher Ziele gewählt. In Zeiten, in denen Haushaltsdebatten oft von Sparzwängen dominiert sind, wollten wir die Perspektive wechseln und untersuchen: Welche Ziele sind den Menschen in Deutschland und den Politiker:innen der demokratischen Mitte wirklich wichtig? Und: Wenn man diese Ziele ernst nimmt, welche öffentlichen Finanzierungsbedarfe jenseits bereits eingeplanter Mittel gibt es, um sie zu erreichen?

Um einen gemeinsamen Nenner der politischen Mitte abzubilden, haben wir seit Januar über 70 Fachgespräche geführt sowie in einem Expert:innenworkshop diskutiert, welche Ziele und Finanzierungswege wirklich als breit akzeptiert gelten können. Basierend auf dieser Grundlage und in enger Rückkopplung mit Fachexpert:innen haben wir dann berechnet, welche Zusatzbedarfe zur Erreichung dieser Ziele notwendig sind – für Bund, Länder und Kommunen. Unsere Ergebnisse haben wir auf 250 Seiten detailliert aufgeschrieben.  Die Excel-Tabelle mit allen Einzelposten kann hier heruntergeladen werden. Unser Ziel: Eine transparente und umfassende Daten- und Debattenbasis für zielorientierte Überlegungen in der Finanzpolitik zu schaffen.

Unter dem Strich stellen wir fest, dass es 782 Mrd. Euro zusätzlicher öffentlicher Finanzmittel braucht, um bis 2030 breit akzeptierte Ziele in den Bereichen Bildung, Dekarbonisierung, Digitalisierung, Forschung, Gesundheit, Verkehr, Wohnen, innere Sicherheit, Klimaanpassung, wirtschaftliche Resilienz, Verteidigung sowie weitere Aspekte äußerer Sicherheit zu erreichen. Das entspräche pro Jahr durchschnittlich ca. drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Bei Umsetzung aller dieser Maßnahmen würde der Anteil der Staatsausgaben am BIP, sofern nicht anderswo eingespart wird, ungefähr auf das Niveau Österreichs steigen und weiterhin unter dem Finnlands liegen. Das zeigt: Eine Umsetzung wäre ambitioniert und nicht aus der Portokasse finanzierbar – aber auch nicht jenseits des Möglichen.

Abbildung 1

Die positive Rezeption unserer Ergebnisse als „eine große Fleißarbeit, die in eindrucksvoller Weise gelungen ist“ (Michael Hüther) hat uns sehr gefreut. Auch Katja Hessel stellte mit Blick auf die Finanzbedarfe fest: „Etliche Studien kommen im Kern zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Das untermauert die Zahlen dieser Studie.“ Und: „Viele der in der Studie genannten Bedarfe treiben uns natürlich um“.

Die Notwendigkeit einer zielorientierten Ausrichtung finanzpolitischer Debatten betonte auch Andreas Audretsch in seiner Einschätzung, dass diese Studie „wichtig [ist]. Denn sie beginnt bei den Bedarfen, bei der Frage ‚Wo wollen wir als Gesellschaft denn hin?‘“. Die Dringlichkeit und Bedeutung dieser Fragen unterstreichen auch der ebenfalls in dieser Woche veröffentlichte Bericht Mario Draghis zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit Europas sowie eine neue Studie zu Transformationspfaden für den Industriestandort von BDI, BCG und IW.

Studie #2: Wie lassen sich diese Modernisierungsbedarfe finanzieren?

Unsere Bedarfsschätzung zeigt also: Der Handlungs- und Finanzbedarf ist enorm. Gleichzeitig sind alle derzeit diskutierten Finanzierungsvorschläge nur schwer umzusetzen oder problematisch, von einer Schuldenbremsenreform (die eine Zweidrittelmehrheit braucht) über großvolumige Einsparungen (die kaum zu finden und wirtschaftlich schädlich sind, daher keine einfache Mehrheit finden) bis zur Finanzierung mit privatem Kapital (das teurer ist als eine öffentliche Finanzierung).

Die gute Nachricht: Auch ohne Grundgesetzänderung lassen sich viele der von uns ermittelten Bedarfe finanzieren. In unserer zweiten Studie skizzieren wir Finanzierungsoptionen im Rahmen der Schuldenbremse. Dabei stützen wir uns auf unsere Bottom-Up-Bedarfsschätzung und das resultierende granulare Verständnis der Bedarfe: Diese erlauben es uns, für jeden Bedarfsposten maßgeschneiderte Finanzierungsmöglichkeiten vorzuschlagen. Damit wollen wir die Debatte um Finanzierungslösungen für die Modernisierung bereichern, die spätestens im kommenden Bundestagswahlkampf intensiv geführt werden muss.

Abbildung 2

Konkret erläutern wir zwei Mechanismen, mittels derer im Rahmen der Schuldenbremse Verschuldung vorgesehen ist: finanzielle Transaktionen und die Konjunkturkomponente. Erstere könnten 405 Mrd.  Euro der von uns berechneten Bedarfe decken; letztere 41 Mrd. Euro. Außerdem gehen wir auf die laufenden Staatseinnahmen ein, aus denen weitere 118 Mrd.  Euro zu finanzieren wären. Ebenso betrachten wir die spezielle Situation in den Kommunen, wo ein Kommunalinvestitionsförderprogramm 175 Mrd.  Euro an Bedarfen decken könnte und weitere 44 Mrd. aus den kommunalen Haushalten kommen müssten.

  • Finanzielle Transaktionen stellen Vermögenstausche dar, zum Beispiel wenn der Staat sein Geld nutzt, um Unternehmensbeteiligungen zu erwerben oder Darlehen zu vergeben. Kredite, die dafür aufgenommen werden, sind von der Schuldenbremse befreit. „Finanzielle Transaktionen sind kein Trick“, stellte auch Michael Hüther in unserem Webinar klar, sondern ein Verfahren zur Finanzierung überjähriger Investitionen im Rahmen der Schuldenbremse. Ungefähr die Hälfte der ermittelten Bedarfe lässt sich auf diese Weise decken, vor allem für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, Rüstungsbeschaffung, Wohnungsbau und die Förderung privater Klimainvestitionen (siehe Abbildung 2). Andreas Audretsch unterstützte in der Paneldiskussion diesen Vorschlag: „Wir werden finanzielle Transaktionen brauchen, wie auch andere Instrumente der Finanzierung.“
  • Die Konjunkturkomponente erlaubt unter der Schuldenbremse Verschuldung bis zur Vollauslastung der Wirtschaft. Wir schlagen vor, sie so zu reformieren, dass sie Spielräume schafft für Ausgaben, die das produktive Potenzial der deutschen Wirtschaft verbessern, insbesondere im Bereich Bildung, Forschung und Entwicklung.
  • Andere Ausgaben, die weder Investitionen sind noch das produktive Potenzial ausweiten, sollten weiterhin aus den laufenden Steuer- und sonstigen Einnahmen bezahlt werden. Eine ernsthafte Modernisierungsagenda bringt also zusätzliche Haushaltsbelastungen mit sich.
  • Auch im kommunalen Bereich bestehen enorme Zusatzbedarfe, insbesondere im investiven Bereich (175 Mrd. Euro). Da viele Kommunen diese ob ihrer prekären Finanzlage nicht allein schultern können werden, schlagen wir die Neuauflage eines Kommunalinvestitionsförderprogramms von Bund und Ländern vor, das für diese mittels finanzieller Transaktionen schuldenbremsenneutral zu finanzieren wäre.

Kein 0-1-Denken bei der Schuldenbremse

Das Fazit unserer Studien lautet: Vieles ist möglich unter der Schuldenbremse; die von uns skizzierten Optionen sind kurzfristig praktikabel und umsetzbar. Michael Hüther lobte deshalb den systematisierenden Beitrag unserer Arbeit, „der uns wegbringt vom 0-1-Denken bei der Schuldenbremse, welches intellektuell unterbewirtschaftet ist und uns Möglichkeiten verbaut, die dazwischen liegen“.

Dennoch gilt: Die Schuldenbremse macht vieles unnötig teuer und komplex. Mittelfristig sollte deshalb eine Debatte über eine Schuldenbremsenreform geführt werden, die sich vom derzeit starren Fokus auf eine Senkung der Schuldenquote löst und stattdessen produktive Ausgaben in den Mittelpunkt stellt. „Was die Schuldenbremse angeht, müssen wir uns anschauen, wie man sie mit Investitionen besser in Einklang bringt. Aber die Schuldenbremse abzuschaffen: das ist keine gute Idee“, stellte Katja Hessel auf dem abendlichen Panel klar. Andreas Audretsch plädierte mit Blick auf die nächste Wahl für eine „grundsätzliche Lösung“.

Entscheidend ist aus unserer Perspektive, eine breite gesellschaftliche Debatte über Finanzierungslösungen zu führen. Denn über Bedarfe in Höhe von mehreren Prozentpunkten des BIP besteht heute Einigkeit. Gelder in dieser Größenordnung können aber nur dann mobilisiert werden – ob über Neuverschuldung, Mehreinnahmen oder Umschichtungen – wenn breite Mehrheiten damit einverstanden sind.

Zuletzt: Geld allein wird nicht ausreichen, um die Modernisierung zu meistern. Darüber besteht über Parteigrenzen hinweg Einigkeit, wie auch in unserer Paneldiskussion deutlich wurde. Denn zu finanziellen und verfassungsrechtlichen kommen „reale“ Grenzen hinzu. Für viele Investitionen, etwa den Aufbau klimafreundlicher Produktionsanlagen oder den Schulbau, sind Geldtöpfe notwendig, aber nicht hinreichend. Es braucht außerdem eine fähige Verwaltung, die notwendigen Investitionsgüter und insbesondere mehr Arbeitskräfte. Die Modernisierung erfordert daher ergänzende Politikmaßnahmen, die z. B. das Arbeitskräftepotenzial Deutschlands erweitern, wie größere Anstrengungen bei der Zuwanderung oder der Frauenerwerbstätigkeit. Philippa Sigl-Glöckner sagte dazu auf dem Panel: „Wenn wir es schaffen, Menschen, insbesondere Zugewanderte, besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren, dann bin ich optimistisch, dass ein solches Modernisierungsprogramm aufgehen kann. Am Ende des Tages ist es gute Politik, genau das hinzubekommen.“

Anders gesagt: Eine gute Zukunft braucht gute Politik. Mit unseren Studien zu Finanzbedarfen und Finanzierungsoptionen wollen wir die Debatte darum beleben. Wir laden alle Interessierten ein, mit uns darüber ins Gespräch zu kommen.

Unsere Leseempfehlungen:

  • Unsere Studie zu öffentlichen Finanzbedarfen für eine sichere, nachhaltige und lebenswerte Zukunft finden Sie hier.
  • Die daran anknüpfende Studie zu Finanzierungsoptionen findet sich hier.
  • Zwar nicht zum Lesen, aber die Aufzeichnung unseres Webinars mit Prof. Dr. Michael Hüther steht zum Anschauen bei YouTube bereit.
  • Ungefähr zeitlich zu unseren Veröffentlichungen hat Mario Draghi seinen Bericht zur Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit vorgestellt.
  • Ebenfalls mit Finanzbedarfen und der Modernisierung des Landes beschäftigen sich die Transformationspfade für das Industrieland Deutschland, die BCG, der BDI und das IW am Dienstag veröffentlicht haben.

Medien- und Veranstaltungsbericht 12.09.24

  • Medienerwähnungen und Auftritte
    • Am 18.07.24 wurde unser Geldbrief zum Bundeshaushalt 2025 in einem Explainer vom Global Public Policy Institute erwähnt.
    • Am 06.08.24 wurde das Dezernat im Tagesspiegel zum Bundeshaushalt 2025 erwähnt.
    • Am 07.08.24 wurden auf tagesschau.de die Vorschläge des Dezernats zur Einsparung der globalen Minderausgaben im Bundeshaushalt erwähnt.
    • Am 08.08.24 erschien ein Porträt über Dr. Max Krahé im Tagesspiegel Background.
    • Am 08.09.24 berichtete die FAZ exklusiv über unsere Studien „Was kostet eine sichere, lebenswerte und nachhaltige Zukunft?“ und „Wie wir die Modernisierung Deutschlands finanzieren“.
    • Am 08.09.24 wurden die Studien ebenfalls im Berlin.Table bei den Table.Documents gelistet.
    • Am 09.09. hat das Berlin Playbook von Politico über das Verteidigungskapitel unserer beiden Studien berichtet.
    • Am 09.09.24 berichtete die SZ über die Analyse zu Verteidigungsbedarfen im Rahmen unserer Studie zu öffentlichen Finanzbedarfen.
    • Am 09.09.24 fand unser Webinar zu unseren beiden Studien „Was kostet eine sichere, lebenswerte und nachhaltige Zukunft?“ und „Wie wir die Modernisierung Deutschlands finanzieren“ statt. Die Hauptautoren Felix Heilmann und Dr. Florian Schuster stellten die Ergebnisse vor und Prof. Dr. Michael Hüther kommentierte im Anschluss die beiden Studien. Anschauen kann man sich das Webinar hier. Am Abend haben wir dann zur Studienvorstellung in unsere Räumlichkeiten eingeladen und anschließend auf einer Podiumsdiskussion diskutiert.
    • Am 10.09.24 wurde Dr. Florian Schuster im SZ Dossier zu unseren Studien zitiert.
    • Am 10.09.24 wurde auch im Tagesspiegel Background ausführlich über die Studien berichtet.
    • Am 10.09.24 erwähnt Mark Schieritz in seinem Kommentar für Die Zeit ebenfalls unsere Bedarfsanalyse.
    • Am 10.09.24 hat auch Table.Media einen Artikel über unsere Studien zu Bedarfe und Finanzoptionen veröffentlicht.
    • Am 10.09.24 sprach Maurice Höfgen im Wirtschaftsbriefing von Jung und Naiv über unsere Studien.
    • Am 10.09.24 spricht der Podcast Ostausschuss der Salonkolumnisten mit Dr. Christian Mölling über unsere Studien.
    • Am 11.09.24 hat der Focus eine ausführliche Zusammenfassung unserer Studien veröffentlicht.
    • Am 11.09.24 fand unser DZ Newsroom mit Lars Klingbeil, MdB und Co-Parteivorsitzender SPD und Philippa Sigl-Glöckner, Dezernat Zukunft e.V., statt. Die Aufzeichnung gibt es zeitnah bei uns auf Youtube.
    • Am 11.09.24 hat Le Monde über die beiden Studien berichtet.
    • Am 11.09.24 hat Philippa Sigl-Glöckner einen Gastbeitrag in der Zeit über die Ausgestaltung und Historie der Schuldenbremse veröffentlicht.
    • Am 11.09.24 hat Philippa Sigl-Glöckner bei einer Veranstaltung von FiscalFuture und der Bertelsmann Stiftung unsere neuen Studien vorgestellt und mit Klaus Günter Deutsch vom BDI diskutiert.
  • Veranstaltungen
    • Am 25.09.24 um 20 Uhr stellt Philippa Sigl-Glöckner ihr Buch „Gutes Geld – Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ in der taz Kantine vor. Moderiert wird die Veranstaltung von Micky Beisenherz. Tickets gibt es hier.

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an felix.heilmann[at]dezernatzukunft.org


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