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14. September 2023
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Pascal Herm

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Geldbrief

Vorsichtig optimistisch — unser Blick auf die Inflation

Lesedauer: 9 min
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Pascal Herm, Max Krahé

Heute Nachmittag hat die EZB erneut die Leitzinsen erhöht. Dazu passend werfen wir einen Blick auf Lage und Ausblick der Inflation in Deutschland. Unser Fazit ist vorsichtig optimistisch: Energie und Nahrungsmittel haben ein Plateau erreicht oder sinken, so dass sie die Inflation bald bremsen. Wohnungsmieten entwickeln sich — entgegen der Erfahrung vieler Großstädter — in der Fläche immer noch um ca. 2% pro Jahr, und während Unsicherheiten in Bezug auf die Lohnentwicklung verbleiben, ist auch diese bisher nicht als Inflationstreiber in Erscheinung getreten.

Die neuesten Zahlen signalisieren eine langsame Abkühlung

Die EZB hat heute ihre drei Leitzinsen um je 0,25% angehoben, um damit die Kreditvergabe zu bremsen, das Nachfragewachstum zu reduzieren, die Arbeitslosigkeit zu erhöhen und damit die Inflation wieder auf 2% zu bringen. Doch wie steht es eigentlich derzeit um die Inflation? 

Das Statistische Bundesamt hat letzte Woche gemeldet, dass die Inflation bei 6,1% steht. Genauer: Der Verbraucherpreisindex lag im August 2023 6,1% über seinem Niveau von August 2022. Damit setzt sich die Entschleunigung der Inflation von ihrem Höhepunkt — 8,8% im Oktober 2022 — fort.[1]

Energie- und Nahrungsmittelpreise spielen hierbei eine Doppelrolle: im Vergleich zu letztem Jahr sind die Preissteigerungen dort deutlich zurückgegangen, was zur Reduktion der Inflation insgesamt beiträgt (siehe Abbildung 1). Dennoch liegen die Teuerungsraten hier weiterhin über dem Durchschnitt: Nahrungsmittel sind heute 9% teurer als im August 2022, Energieprodukte 8,3%.

Dienstleistungen sind um 5,1% teurer als im Vorjahresmonat. Dies wird letztmalig durch den Sondereffekt des 9-Euro-Tickets von letztem Sommer befeuert: Dieses senkte den durchschnittlichen Preis des öffentlichen Nahverkehrs so stark, dass er heute 113% teurer ist als im August 2022. Allein dies trägt 0,8 Prozentpunkte zur Gesamtinflation und 1,5 Prozentpunkte zur Dienstleistungsinflation bei.[2] Im Vergleich zum September 2022, in dem es das 9-Euro-Ticket nicht mehr gab, ist der ÖPNV jedoch heute 23% günstiger, auch durch die Einführung des Deutschland-Tickets im Mai 2023.

Abbildung 1

Am Horizont: leichte Entspannung der Energieverbraucherpreise

Soweit die aktuellen Zahlen. Wird sich die Inflation zukünftig festsetzen oder kann mit einer weiteren Abkühlung gerechnet werden? Ein Blick dahin, wo die Inflation ihren Anfang nahm — im Energiemarkt — verspricht weitere Entschleunigung. Neue Lieferquellen für Gas und hohe Einspareffekte zeigen ihre Wirkung[3]: Unter der Annahme, dass niedrigere Beschaffungskosten an die Kunden weitergeben werden, schätzen wir, dass der Preisindex Ende 2024 für Gas um 7% und für Strom um bis zu 11% gegenüber dem Vorjahr fallen wird (siehe Abbildung 2). Damit würden Gas- und Strompreise mit minus 0,4 Prozentpunkten zur Abkühlung der Gesamtinflation beitragen, im Gegensatz zu einem unmittelbaren Beitrag von plus 0,6 Prozentpunkten heute.

Gut sichtbar: Bei Gas setzt der bremsende Effekt erst später ein, weil ein Basiseffekt durch die Dezember-Soforthilfe 2022 die Preisänderung von Gas im Dezember 2023 nach oben zieht und ab April 2024 die Mehrwertsteuersenkung voraussichtlich zurückgenommen wird.

Abbildung 2

Diese Bremswirkung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Preise für Strom und Gas weiter auf einem hohen Niveau befinden. Ausgehend von Großhandels- und Termingeschäftspreisen werden sie in nächster Zeit vermutlich nicht auf die Vorkrisenwerte zurückfallen. Ebenso bestehen nach wie vor Risiken für weitere Preisschocks in diesem Bereich: Die Internationale Energieagentur warnt zum Beispiel vor zunehmenden Druck am Ölmarkt durch ein chinesisches Nachfragehoch und global sinkende Lagerbestände, und auch die angespannte geopolitische Weltlage könnte zu erneuten Preissteigerungen führen.

Ein ähnliches Bild bei Nahrungsmittelpreisen

Der Energie nachgelagert sind Nahrungsmittelpreise. Mit einer Steigerung von 9% im Vergleich zum letzten Jahr und einer Gewichtung von 104,69 Promille im Warenkorb tragen sie fast einen vollen Prozentpunkt zur gegenwärtigen Inflation bei. Dennoch rechnet die Europäische Zentralbank mit einem kurzfristigen Rückgang der Lebensmittelinflation, einerseits durch einen Basiseffekt aufgrund sehr hoher Vorjahrespreise, anderseits durch die sinkenden Energiepreise. Im Einklang mit der EZB-Prognose lässt sich bereits ein Rückgang der Erzeugerpreise beobachten: Diese waren für landwirtschaftliche Produkte diesen Juni 4,9% günstiger als im Juni 2022.

Aber auch hier bestehen hohe Unsicherheiten, teils ausgehend vom fortschreitenden Klimawandel: Zum Beispiel halbierte sich letztes Jahr die Olivenölproduktion in Spanien durch eine Dürre, dieses Jahr droht die zweite Dürre in Folge. Gleichzeitig hat Indien, der weltweit größte Reisproduzent, auf Grund von Überschwemmungen im Juli seine Reisexporte eingeschränkt. Olivenölpreise sind von Januar 2022 bis August 2023 um 47% gestiegen, Reis um 33%, beides deutlich über den 22% für Nahrungsmittel insgesamt. Weitere Dürren oder Überflutungen — wie diese Woche in Libyen — können nicht ausgeschlossen werden.

Vorläufig Ruhe im Karton: Die Wohnkosten bis jetzt unauffällig

Überraschend für alle Stadtbewohner:innen könnte die Entwicklung am Wohnungsmarkt sein. Während in den Großstädten große Preissprünge bei Neuvermietungen verzeichnet werden, zeigt der Inflationsindex für Wohnungsmieten, dessen Entwicklung von Bestandsmieten dominiert wird, immer noch einen vergleichsweise geringen Anstieg: 2,1% im Vergleich zum Vorjahr. Dennoch sollte die Dynamik am Wohnungsmarkt weiter beobachtet werden (siehe Abbildung 3). Falls sich die kontinuierliche Zunahme der Inflation hier verstetigt, könnte sie bis Ende nächsten Jahres mit circa einem halben Prozentpunkt zur Kerninflation beitragen. Eine schnelle Rückkehr zu einer niedrigeren Gesamtinflation wäre erschwert.

Abbildung 3

Die große Frage: Was machen die Löhne?

Während der Erstrundenimpuls höherer Produktionskosten, der von Firmen an die Verbraucher weitergeben wurde, abflacht, steht nun die Frage im Raum, ob und in welcher Höhe Zweitrundeneffekte folgen werden. Dabei im Fokus: Welche Auswirkungen könnten die zu erwartenden Lohnsteigerungen haben, die die hohen Reallohnverluste der letzten Zeit wiedergutmachen sollen?

Zunächst ist unklar, wie stark die Löhne steigen werden in der nächsten Zeit. Die EZB erwartet einen nominalen Lohnanstieg von 14% im Euroraum bis Ende 2025, was einer jährlichen Steigerung von knapp über 5% entspräche. In Deutschland stiegen die nominalen Tariflöhne zuletzt um nur 2,7% (2,5% ohne Sonderzahlungen), während der Nominallohnindex um 6,6% anstieg. Die Bundesbank geht von 5,2% Erhöhung der nominalen Bruttolöhne im Jahr 2024 aus, rückläufig auf 4,1% in 2025 (S. 25).

Ob Lohnkostensteigerungen im Bereich von 4-6% ebenso an die Verbraucher weitergegeben werden und damit Zweitrundeneffekte verursachen, hängt von weiteren Faktoren ab, darunter die Produktivitätsentwicklung sowie die Preissetzungsmacht der Firmen. Sollten Unternehmen zum Beispiel versuchen, 25% der Gewinnmargen zu verteidigen, die sie durch Nominallohnzuwächse und einen allgemeinen Preisrückgang zu verlieren drohen, würde das Inflationsziel der EZB von 2% um einen Prozentpunkt nach oben verfehlt, erklärte EZB-Präsidentin Christine Lagarde im Juni. Hohe Produktivitätsgewinne von 2% hingegen würden Lohnsteigerungen von 4% mit dem EZB-Inflationsziel vereinbar machen. Der Ausblick für beides ist unklar: belastbare Prognosen sind zumindest uns keine untergekommen.

Der Gesamtausblick: vorsichtig optimistisch

Die akute Krise scheint vorerst überstanden. Mit sich stabilisierenden Energiepreisen wird in nächster Zeit der ursprüngliche Treiber der Inflation zu einem Bremsfaktor werden. Die sich trübenden konjunkturellen Aussichten, verstärkt durch die jetzt einsetzende Transmission der weltweiten geldpolitischen Straffung, sprechen ebenfalls für eine weitere Abkühlung.

Dennoch: Unsicherheiten verbleiben. Die Nahrungsmittelpreise werden auch weiterhin den Risiken geopolitischer Konflikte und Wetterextremen ausgesetzt sein und ein unerwartet starkes Anziehen der Löhne in Kombination mit weiterhin starken Profitmargen könnte die Inflation länger oben halten. Wenn es hier eine Lektion der vergangenen Jahre gibt, dann, wie rudimentär unser Verständnis der Inflation auch heute noch ist.

Unsere Leseempfehlungen: 

  • Im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität haben Prognos, das Öko-Institut, sowie das Wuppertal Institut eine Studie zu Wertschöpfungsketten und Versorgungssicherheit im Kontext der Dekarbonisierung durchgeführt. Eine klare Leseempfehlung für alle, die sich für den Nexus von Transformation und Souveränität interessieren.
  • Ebenfalls spannend: Eine Studie von Agora Energiewende und Roland Berger zur Frage, welche Sockelkapazitäten in kritischen Wertschöpfungsketten, wie z.B. Solar PV oder Batterien, notwendig sind, um Europas Energiewende resilient gegenüber Versorgungsengpässen zu gestalten. Das Ergebnis: ca. 50% der EU-Nachfrage in diesen Bereichen wären erforderlich. Um diese Kapazitäten zu erreichen, könnten laut der Studie Mehrinvestitionen von 10 bis 30 Milliarden Euro bis 2027 und 30 bis 95 Milliarden Euro von 2028 bis 2034 erforderlich sein.
  • Mario Draghi hat an zwei Stellen eine Lanze für eine europäische Fiskalunion gebrochen: in einem Gastbeitrag bei The Economist, sowie in seiner Feldstein Vorlesung beim amerikanischen National Bureau of Economic Research. Kern seines Argumentes: Während eine Fiskalunion in den frühen 2010er-Jahren vor allem der makroökonomischen Stabilisierung durch Abfederung asymmetrischer Schocks gedient hätte, würde eine Fiskalunion heute vor allem der Meisterung gemeinsamer Herausforderungen dienen, insbesondere Transformation, Energiekrise, Industriepolitik und Krieg. Für ersteres gab es damals keine Mehrheiten; für letzteres sieht er bessere Chancen.

Fußnoten

[1] Im Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) ist die Entschleunigung noch deutlicher zu erkennen. Dieser zeigte zu seinem Höhepunkt (ebenfalls Oktober 2022) eine Inflation von 11,6% an und ist jetzt auf 6,4% zurückgefallen. Im Vergleich zum VPI wird insbesondere Wohnen geringer gewichtet im HVPI, so dass die Preisentwicklungen in anderen Bereichen — wie zum Beispiel Energie und Lebensmittel — dort stärker ins Gewicht fallen.

[2] Dies birgt das Potential für weitere Entschleunigung in nächster Zeit: Bleiben die Preise von Zeitfahrkarten und Abonnements zwischen August und September größtenteils stabil, wird sich aufgrund der Veränderung im Basismonat deren Inflationsrate auf circa -23% umkehren, was einem Beitrag von -0,2 Prozentpunkten zur Gesamtinflation und -0,3 Prozentpunkten zur Dienstleistungsinflation entspräche.

[3] Ein beachtlicher deflationärer Effekt im Energiebereich ergab sich außerdem durch die Revision des Warenkorbs, auf dessen Grundlage der Verbrauchpreisindex berechnet wird. Die turnusmäßige Aktualisierung zum Jahreswechsel 2023 auf die Gewichtung des neuen Basisjahrs 2020 sorgte dafür, dass sich unter anderem die Gewichtung von Gas in den durchschnittlichen Konsumausgaben mehr als halbierte (siehe S. 10, Monatsbericht März 2023 der Bundesbank). Grund dafür ist laut Statistischem Bundesamt primär die Quellenumstellung auf die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen (VGR) als neue Datenbasis. Die veränderte Gewichtung von Gas reduzierte die Gesamtinflation zum Jahreswechsel um einen Prozentpunkt. Auf Grund der niedrigeren Teuerungsraten im Energiebereich fällt das neue Wägungsschema jetzt jedoch weniger ins Gewicht. Insgesamt glättet das neue Wägungsschema daher die jetzige Inflationsentwicklung, da es sowohl die energiegetriebenen Spitzen 2022 als auch die energiegetriebene Abkühlung jetzt geringer ausfallen lässt.


Medien- und Veranstaltungsbericht 14.09.2023

  • Medienerwähnungen und Auftritte
    • Am 01.09.23 wurde in der Spiegel-Titelstory die von uns in Auftrag gegebene Studie des IW Consult über die energieintensive Industrie in Deutschland erwähnt.
    • Am 05.09.2023 wurde auch bei Trends über die Spiegel-Titelstory geschrieben und in dem Zusammenhang wurden Zahlen aus der Industriestudie zitiert.
    • Am 05.09.23 wurde das Dezernat im Deutschlandfunk-Podcast Der Tag erwähnt.
    • Am 07.09.23 setzte sich auch der FAZ Podcast für Deutschland mit dem Industriestrompreis auseinander und erwähnte dabei das Dezernat.
    • Am 07.09.23 war Philippa bei Markus Lanz zu Gast und diskutierte u.a. über einen Industriestrompreis, energieintensive Industrien und die Situation auf dem Arbeitsmarkt.
    • Am 08.09.23 gab es eine Nachlese zur Lanz-Sendung bei der Rheinischen Post und im Merkur.
    • Am 12.09.23 war Max bei den Mikroökonomen im Podcast zu Gast und hat über sein Papier zur Stagnation in Italien
    • Am 13.09.23 wurde Philippa in der Zeit mit Aussagen zur Konjunkturkomponente der Schuldenbremse zitiert.
  • Veranstaltungen
    • Heute Abend am 14.09.23 findet die fünfte Ökonominnenrunde gemeinsam mit Fiscal Future statt. Zu Gast ist dieses Mal Prof. Dr. Nicola Fuchs-Schündeln. Sie ist Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und u.a. im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz und der Bundesbank. Das Event ist offen für alle FLINTA*. Zur Anmeldung geht es hier.

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