Ein Jahr im Zeichen der Finanzpolitik

2024 offenbarte die destruktiven Folgen einer Fixierung auf niedrige Schuldenquoten. Dekarbonisierung, Verteidigung und Bildung bleiben chronisch unterfinanziert: Bis 2030 fehlen hier 782 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern. Obwohl Deutschland fiskalischen Spielraum hat, bleibt dieser ungenutzt. Doch nicht alles ist schlecht: Die Reform der europäischen Fiskalregeln, die dieses Jahr in Kraft tat, war ein Fortschritt. Und es mehren sich die Zeichen, dass 2025 ein Reformprozess der deutsche Finanzverfassung beginnen könnte. Das begrüßen wir.

Mehr Staat wagen – und 100 Mrd. € beim Ausbau des Stromnetzes sparen

Damit die Energiewende bis 2045 gelingen kann, müssen sich die Investitionen ins Stromübertragungsnetz verdreifachen. Die hohen Netzentgelte werden deshalb weiter steigen. Gleichzeitig bekommen die Übertragungsnetzbetreiber das notwendige Eigenkapital am Markt nicht in der nötigen Höhe. Um diese Engpässe zu reduzieren, schlagen wir vor, dass sich der Staat stärker am Übertragungsnetz beteiligt: Über Staatsbeteiligungen an den Übertragungsnetzbetreibern könnten Kapitalengpässe gemildert und Finanzierungskosten reduziert werden. Der Einstieg für privates Kapital würde attraktiver, Netzentgelte würden sinken. Dieser Geldbrief fasst die Ergebnisse unserer am 3.12.24 erschienen Studie zusammen.

Effekte staatlicher Beteiligungen auf den Stromnetzausbau

Der Übertragungsnetzausbau erfordert eine Verdreifachung der Netzinvestitionen und wird zu steigenden Netzkosten von heute 10 auf rund 30 Mrd. Euro bis 2045 führen. Die Übertragungsnetztbetreiber haben einen Eigenkapital-Engpass und können den Eigenkapitalbedarf von etwa 70 Mrd. Euro bis 2045 im derzeitigen Regulierungsumfeld nicht ausschließlich über den Markt mobilisieren, was bereits zu Rating-Herabstufungen geführt hat. Mithilfe eines Risikomodells schätzen wir, dass in der regulatorischen Eigenkapital-Verzinsung ein zusätzlicher Risikoaufschlag von 2 bis 2,5 % nötig ist, um hinreichend Eigenkapital über den Markt zu mobilisieren. Durch diese Anpassung würden Netzmehrkosten bis 2080 von etwa 75 Mrd. Euro entstehen, jährlich bis zu 1,6 Mrd. Euro. Steigende Netzentgelte wären die Folge. Ein Amortisationskonto ist indes keine attraktive Lösung, denn das Netzinvestitionsprofil erlaubt nur bedingt Kostenglättung und wäre zudem sehr teuer für den Staat (bis zu 20 Mrd. Euro bis 2065).

Deutschland braucht neue Schulden – und kann sie sich leisten

Die Ampel ist am Geld gescheitert – oder genauer: Sie ist daran gescheitert, dass Deutschland seit Jahren keinen verlässlichen Finanzierungsrahmen hat, der Geld dorthin lenkt, wo es Wirtschaft und Gesellschaft am meisten nützt. Diese Wahl bietet die Chance darüber zu streiten und die drängenden Fragen zu stellen: Wo wollen wir Geld anders verteilen? Und wie setzen wir das Instrument der Staatsverschuldung vernünftig ein? In diesem Geldbrief zeigen wir, dass Deutschland sich zusätzliche Schulden leisten kann, und argumentieren, dass die Politik jetzt handeln sollte, indem sie die Schuldenbremse reformiert oder andere gangbare Finanzierungslösungen umsetzt.

Public financing needs for the modernisation of Germany (Summary)

This study maps the additional public financing needed to achieve widely accepted targets in areas that are pivotal to Germany’s stability and future. Overall, we estimate an additional public financing need of 782 billion euros across all levels of government from 2025 to 2030. This would correspond to an average of around 3 percent of gross domestic product (GDP) per year. Our findings are consistent with and complement other estimates of public needs published this year. The need for significant additional public financing for the future viability and modernization of the country can thus increasingly be seen as a consensus position.

Tod durch Schuldenbremse

Die Ampel ist aus. Gescheitert ist sie an einer dogmatischen Auslegung der Schuldenbremse. Diese machte aus den Abwägungsfragen, um die es bei guter Finanzpolitik immer geht, ein gefährliches Reinheitsgebot, das nur die reine Lehre oder den Bruch kennt. Doch die reine Lehre, in der Schulden stets das Böse sind, ist falsch, schädlich und weltfremd. Das Ende der Ampel ist damit eine Chance, wieder zu besseren Finanzdiskussionen zu kommen.

Beschleuniger oder Bremsklotz? Der Staat als Akteur in der grünen Industriepolitik

Mit der Ausweitung grüner Industriepolitik scheint der Staat die grüne Transformation beschleunigen zu wollen. Doch in einigen Sektoren verhindert er den Ausstieg aus fossilen Energien aktiv. Im Geldbrief beleuchtet unsere neue Kollegin Dr. Vera Huwe, wie sich diese widersprüchliche Gleichzeitigkeit erklären lässt. Anhand ihrer Studie zur Transformation der Luftfahrtindustrie, die unten verlinkt ist, lotet sie Potentiale und Grenzen grüner Industriepolitik aus.

From Windmills to Semiconductors: A Dutch-Led Debate on Industrial Policy

Two weeks ago, we gathered in The Hague for our third European Macro Policy Network (EMPN) conference, with over 120 participants joining to address some of Europe’s most urgent challenges. Hosted by the Ministry of Finance of the Netherlands, the event explored Europe’s investment needs, the threats facing its industries – and the quality jobs tied to them – and how better European coordination of industrial and energy transition could foster a more resilient economy. This newsletter captures the key discussions.

Wie finanzieren wir eine sichere, lebenswerte und nachhaltige Zukunft?

Diese Woche haben wir zwei Studien zu öffentlichen Finanzbedarfen und Finanzierungsoptionen für eine umfassende Modernisierung Deutschlands veröffentlicht: Wir zeigen auf 250 Seiten, dass zur Erreichung breit akzeptierter Ziele in zentralen Zukunftsfeldern zusätzliche öffentliche Gelder in Höhe von 782 Mrd. Euro bis 2030 erforderlich sind. In einem ergänzenden Policy Paper machen wir Vorschläge, wie diese Bedarfe im Rahmen der Schuldenbremse gedeckt werden können. Dieser Geldbrief fasst die Ergebnisse der Studien sowie zwei Veranstaltungen, auf denen wir sie präsentiert und diskutiert haben, zusammen.

Was kostet eine sichere, lebenswerte und nachhaltige Zukunft?

Die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse wurde überarbeitet. Durch technische Verbesserungen entstehen im Bundeshaushalt 2025 3,4 Mrd. Euro zusätzlicher finanzieller Spielraum. Wir schlagen vor die potenzialerweiternden Maßnahmen der Wachstumsinitiative in der Potenzialschätzung zu berücksichtigen. Das schafft einen zusätzlichen Spielraum von 3 Mrd. Euro, ohne dass die Schuldenbremse reformiert werden muss.

Investitionstracker: Update 1. Halbjahr 2024

Im Laufe des ersten Halbjahres 2024 wurden privatwirtschaftliche Großinvestitionen mit einem Gesamtvolumen von 39 Milliarden Euro angekündigt oder in die Umsetzung gebracht, verteilt auf 24 Projekte mit einem Mindestvolumen von 100 Millionen Euro. Diese Investitionen zielen auf eine Transformation hin zu einer klimaneutralen und souveränen Wirtschaft ab.

Zwölf Haushalte — zwölfmal mehr Demokratie

Mehr als drei Monate sind vergangen, seit das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für nichtig erklärte. Doch obwohl der Haushalt 2024 im Anschluss neu aufgestellt wurde, fehlt es uns bisher an tiefergehenden, strukturellen Reformen. Das bisher zu Unrecht ignorierte Konzept monatsscharfer Bundeshaushalte könnte die Antwort sein.

Investitionshemmnis Unsicherheit

Heute werfen wir einen Blick auf private Investitionen in Deutschland. Eine längere Phase der Stagnation scheint kein Ende zu nehmen. Geldpolitik und Finanzierungskosten sind dafür signifikant, geben aber keine ganz zufriedenstellende Erklärung ab. Basierend auf den neusten Ergebnissen der EIB Investment Survey leiten wir her, dass die wirtschaftspolitische Unsicherheit ein besonders wichtiges Hemmnis für private Investitionen in Deutschland ist.

Q4-2023 Update Investitionstracker

Im Laufe des Jahres 2023 wurden 43 private Investitionen, jede mindestens 100 Millionen Euro, mit einem Gesamtvolumen von circa 104 Milliarden Euro angekündigt. Diese Investitionen zielen auf für eine Transformation hin zu einer klimaneutralen und souveränen Wirtschaft ab.

Lehren aus dem Haushaltstheater – Sparzwang führt nicht zu besseren Staatsfinanzen

Das Haushaltsurteil aus dem November 2023 löste eine veritable Kürzungskrise aus. Dabei war der Sparzwang hausgemacht und nicht notwendig. Die turbulenten Wochen zeigen: Sparzwang führt nicht zu besseren Staatsfinanzen, sondern vor allem zu kreativer Haushaltsführung. Einsparungen sind abstrakt leicht zu fordern, praktisch in der nötigen Größenordnung aber kaum umsetzbar – und die eigentliche Finanzierungsklippe steht ab 2025 an. Für eine nachhaltige Haushaltspolitik braucht es breitere Debatten zu Bedarfen, Einnahmen und Finanzierungsoptionen.

Über Unsicherheit, Investitionen und was der Staat tun kann

In diesem Geldbrief geht es um den Zusammenhang zwischen Unsicherheit und Investitionstätigkeit. Denn die wirtschaftspolitische Unsicherheit ist global zuletzt gestiegen, vor allem in Deutschland. Wir untersuchen, in welchem Maße sich die gestiegene Unsicherheit mit dem deutschen Exportmodell und der wackeligen Haushaltspolitik der Ampel erklären lässt und diskutieren Strategien zur Reduktion wirtschaftlicher Unsicherheit und Steigerung von Investitionen in der Zeitenwende. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Staat zu.

Können Einsparvorschläge strukturelle Lücken nach dem KTF-Urteil schließen?

Mit dem BVerfG-Urteil vom 15. November 2023 stellen sich grundsätzliche Fragen zur Finanzierung struktureller Mehrbedarfe für die Bewältigung außergewöhnlicher historischer Aufgaben. Ist es möglich, diese durch Einsparungen zu finanzieren?
Hier versuchen wir eine erste Annäherung an diese komplexe Frage. Aufgrund der Vielzahl an Faktoren und den andauernden Unsicherheiten kann jede Antwort nur vorläufig sein. Unser Zwischenergebnis zeigt aber deutlich, wie groß die Lücke zwischen Einsparvorschlägen und identifizierten strukturellen Mehrbedarfen ist.

Von Notlagen und Normallagen

Ein Paukenschlag aus Karlsruhe: Mit dem Urteil vom 15.11.2023 hat das Bundesverfassungsgericht die Zuführung von 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds für nichtig erklärt. Dieser Geldbrief erklärt zunächst, was passiert ist und wirft einen ersten Blick auf die Folgen des Urteils. Anschließend legt er dar, warum das Urteil in Richtung wiederholter Notlagen deutet, und erklärt, warum gleichzeitig der Weg aus der Notlage zurück in die Normallage heute so schwierig ist.

Investitionstracker

Seit Beginn des Jahres wird viel über die wirtschaftliche Lage in Deutschland und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts diskutiert. Einerseits ist wieder vom „kranken Mann Europas“ die Rede. Einige befürchten, dass mehr und mehr Unternehmen aufgrund schlechter Standort- und Rahmenbedingungen ins Ausland abwandern werden.

Angebotspolitik — ein Upgrade ist fällig!

Laut Finanzminister Christian Lindner braucht es dringend eine angebotsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik, um Deutschland auf den Wachstumskurs zu bringen – eine sogenannte „Angebotspolitik“. Doch Angebotspolitik ist nicht gleich Angebotspolitik. Die heutigen Herausforderungen erfordern tatsächlich eine Ausweitung und Umstrukturierung der wirtschaftlichen Angebotsseite, doch neoklassische Altrezepte greifen zu kurz. Es braucht ein neues und weitergefasstes Verständnis von Angebotspolitik.

Ein resilienter Boom: Spaniens Energiewende

In Berlin haben letzte Woche die Sommerferien begonnen. Auch der Geldbrief verabschiedet sich nächste Woche in die Sommerpause. Doch vorher richtet sich unser Blick nach Spanien, das seit Wochen unter einer Hitzewelle leidet, und wo diesen Sonntag Wahlen anstehen. Unser Fokus: der Ausbau der erneuerbaren Energien und die kluge Förderung der vom Kohleausstieg betroffenen Regionen.

Frischer Wind in Washington

Mehr und mehr wird deutlich: Bidenomics ist ein ökonomischer Paradigmenwechsel. Dieser Geldbrief schnuppert in den frischen Wind rein, der gerade in Washington weht: Was hat diese Zäsur ausgelöst? Was genau ist der Inhalt von Bidenomics? Und wie sehen seine vorläufigen Ergebnisse aus?

Industriestrompreis – Impulse für einen Kompromiss

In diesem Geldbrief widmen wir uns dem Thema Industriestrompreis. Politiker:innen und Expert:innen sind sich uneinig, ob ein Industriestrompreis eine gute Idee ist. Auch wir tun uns schwer. Auf der Basis der Erkenntnisse unseres Industrieprojektes sehen wir aber die Möglichkeit für einen Kompromiss, mit dem beide Seiten leben könnten.

Kipppunkte sind näher als angenommen

In diesem Geldbrief machen wir einen Ausflug in die Klimawissenschaft. Warum? Unsere Kernthemen der Finanz- und Wirtschaftspolitik werden sowohl von der Entwicklung der Klimakrise als auch den Transformationsbemühungen massiv beeinflusst – und tragen umgekehrt dazu bei, ob und wie die Transformation gelingen kann. In unserem neuen Hintergrundpapier „16 Gründe für schnelles Handeln – Kipppunkte und ihre Bedeutung für die Klimapolitik“ zeigen wir das Kipppunkte im Erdsystem ein Umdenken der Finanz- und Wirtschaftspolitik erfordern. Denn Kipppunkte sind viel näher als gedacht. Trotz vieler Unsicherheiten ist eins gewiss: Rasche Emissionsreduktionen noch in diesem Jahrzehnt sind zentral, um die Risiken des Überschreitens von Kipppunkten zu reduzieren.

16 Gründe für schnelles Handeln – Kipppunkte und ihre Bedeutung für die Klimapolitik

Die jüngste klimawissenschaftliche Forschung zeigt: Kipppunkte sind sehr viel näher als lange angenommen. Diese dramatische Revision ist aber weitgehend unbemerkt geblieben. In dieser Kurzpublikation zeichnen wir den aktuellen Wissensstand über Kippelemente im Erdsystem nach, diskutieren Wechselwirkungen mit gesellschaftlichen Risiken und leiten grundlegende Implikationen für die deutsche Klimapolitik ab.

Importreserve statt Exportflut: LNG zwischen Energiesicherheit und Klimaschutz

In den letzten Monaten haben wir haben uns gemeinsam mit Agora Energiewende und im Austausch mit Expert:innen aus dem gesamten Spektrum der Debatte mit der Frage beschäftigt, inwiefern die aktuell diskutierten Maßnahmen zum Ausbau der Versorgung mit Flüssigerdgas (LNG) das Erreichen der Klimaziele gefährden können und welche Pfade es gibt, um sowohl die notwendige Gasversorgung sicherzustellen als auch die Klimaziele zu erreichen.

Klimaneutralität erfordert eine „all-of-economy“-Strategie

Der dieswöchige Geldbrief greift ein Argument auf, zu dem Philippa, Max und Janek auf Project Syndicate einen englischen Meinungsbeitrag veröffentlicht haben: Mit ihrer technischen Antwort auf den Klimawandel steuern die Europäische Union und Deutschland auf fiskalische und soziale Verwerfungen zu. Eine erfolgreiche Dekarbonisierung erfordert einen gesamtwirtschaftlichen Ansatz, der technische Maßnahmen zur Emissionsminderung mit guten und hoch bezahlten Arbeitsplätzen sowie finanzieller Sicherheit verbindet.

Schumpeter und der unaufhaltsame Fortschritt grüner Technologien

Immer mehr Studien zeigen, dass eine erneuerbare Energieversorgung in der langen Frist deutlich günstiger sein wird als die fossile von heute. Das liegt vor allem daran, dass die Kosten grüner Technologien erheblich sinken. Doch wie sehr? Ist Klimaschutz damit ein Selbstläufer? Und welche Rolle spielt technischer Wandel? Im Geldbrief dieser Woche wagen wir einen Blick in die Kristallkugel, in das Innenleben mathematischer Modelle und den dunklen Abgrund des verbleibenden Emissionsbudgets. Dieser Geldbrief basiert auf einer Abschlussarbeit, die unten verlinkt ist.

Alle Wege führen nach Rom

Am 30. und 31. März fand das erste Treffen des European Macro Policy Networks (EMPN) statt. Was den Gründern der Europäischen Union recht war, konnte uns nur billig sein: Treffpunkt Rom. In diesem Geldbrief berichten wir über die Tagung, erklären, was es mit dem EMPN auf sich hat, und stellen unsere drei jüngsten Kooperationen im Rahmen des Netzwerks vor.