LNG, Energiesicherheit und Klimaschutz: Wege aus dem Spannungsfeld
Felix Heilmann, Janek Steitz, Simon Müller, Philippa Sigl-Glöckner
Download PDFImporte von Flüssigerdgas (LNG) haben es Europa ermöglicht, den weitgehenden Ausfall russischer Gaslieferungen teilweise zu kompensieren. Dies war für die Sicherung der Energieversorgung zentral. Es besteht hierbei jedoch auch ein Risiko neuer Pfadabhängigkeiten, die der notwendigen Transformation zur Klimaneutralität entgegenstehen. Dieses Hintergrundpapier, das in Kooperation mit Agora Energiewende entstanden ist, zeigt Wege auf, wie das Spannungsfeld zwischen Energiesicherheit und Klimaschutz aufgelöst und beide Ziele im Kontext von LNG-Entscheidungen zusammengebracht werden können. Hierfür betrachten wir relevante Aspekte entlang der gesamten LNG-Versorgungskette, unter der Prämisse, dass die Einhaltung der Klimaziele und Energiesicherheit jederzeit gewährleistet sein müssen. Das Papier basiert auf Gesprächen mit Stakeholder:innen aus dem gesamten Spektrum der Debatte, einschließlich eines vertraulichen Workshops.
Warum haben wir das Papier geschrieben?
Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Sicherung der Gasversorgung Deutschlands und Europas zu einem zentralen politischen und wirtschaftlichen Thema gemacht. Im Herbst 2022 haben wir uns erstmals ausführlich mit dem Thema beschäftigt und in einem Geldbrief gefragt: Wie kann es gelingen, stabile Erdgaslieferungen zu sichern? Braucht es langfristige Verträge für Flüssigerdgas (LNG)-Lieferungen, auch wenn sie auf den ersten Blick den Klimazielen zuwiderlaufen?
Aufgrund der vielen, auch kontroversen Rückmeldungen haben wir uns entschlossen, dem Thema weiter auf den Grund zu gehen – schließlich stehen mit der Energiesicherheit und der Erreichung der Klimaziele zwei für die Zukunft Deutschlands und Europas absolut entscheidende Themen auf dem Spiel. Um herauszufinden, wo genau die Debatte steht und ob es weniger diskutierte Argumente, Fakten und Ideen gibt, die die verschiedenen Akteur:innen zusammenbringen könnten, haben wir dafür im Februar Stakeholder:innen aus dem gesamten Spektrum der Debatte zu einem virtuellen Workshop nach Chatham House Regeln eingeladen. Gemeinsam haben wir diskutiert: Welche LNG-Entscheidungen führen zu den größten Klimarisiken und warum? Wie können LNG-Strategien aussehen, die die gleichermaßen wichtigen Ziele Energiesicherheit und Klimaschutz erreichen?
Am Ende stand eine ganze Reihe von Erkenntnissen, die in der aktuellen LNG-Debatte wenig Beachtung finden, aber für das Erreichen von Energiesicherheit und Klimaschutz von großer Bedeutung sein können. Gemeinsam mit Agora Energiewende haben wir uns daher entschlossen, diese Erkenntnisse in Form von zehn Thesen aufzuschreiben und zu veröffentlichen, um so eine Grundlage für neue Nuancen und Differenzierungen in der LNG-Debatte zu schaffen.
Was haben wir gelernt?
Das Papier zeigt, dass der Bau neuer LNG-Export-Terminals das größte Risiko für eine Verfehlung der Klimaziele birgt. Denn: Exportterminals sind das mit Abstand teuerste Element in der LNG-Lieferkette. Einmal gebaut, haben die Betreiberunternehmen ein starkes Interesse daran, sie zu nutzen. So entsteht ein höheres LNG-Angebot, welches die Preise sinken und die Nachfrage steigen lässt. Das Ergebnis ist ein global höherer Gasverbrauch und zusätzliche Emissionen. Im Gegensatz dazu könnten Import-Terminals als Reservekapazitäten für Krisenzeiten dienen, wenn ihre Nutzung in Nichtkrisenzeiten eingeschränkt wird. Das ist bisher jedoch in Deutschland nicht regulatorisch vorgesehen, ließe sich aber schnell ändern.
Zudem stellen wir fest, dass sich die globale LNG-Versorgungssituation in den kommenden Jahren auch ohne den Bau weiterer neuer Exportterminals, die heute noch keine finale Investitionszusage haben, strukturell stark entspannen wird. Durch sich bereits jetzt im Bau befindliche Exportprojekte wird sich das globale LNG-Angebot bis 2027 um rund ein Drittel erhöhen. Zusätzliche Exportkapazitäten können angesichts langer Entwicklungszeiten keinen relevanten Beitrag zur Entschärfung der aktuellen Versorgungskrise leisten und laufen Gefahr, als stranded assets zu enden.
Europäische Entscheidungen sollten daher keine neuen Exportprojekte unterstützen. Dies gilt auch für langfristige Lieferverträge, die solche Projekte üblicherweise ermöglichen. Stattdessen sollten sich europäische Akteur:innen bei Vertragsabschlüssen auf die wachsende Menge nicht vertraglich gebundener Kapazitäten konzentrieren, die aus auslaufenden Altverträgen, von Portfoliounternehmen und aus bereits im Bau befindlichen neuen Exportprojekten zur Verfügung stehen. Insbesondere kurz- und mittelfristige Verträge können Unsicherheiten, die sich aus einer zu starken Exposition gegenüber dem Spotmarkt ergeben, reduzieren und gleichzeitig die Risiken für das Klima begrenzen. Regierungen können zur Umsetzung solcher Verträge beitragen.
Hinsichtlich des Imports von LNG nach Deutschland und Europa empfehlen wir, die Nutzung von Importkapazitäten in Nichtkrisenzeiten regulatorisch zu begrenzen. In Deutschland ist dies bis dato nicht der Fall: Gemäß der aktuellen LNG-Verordnung dürfen Terminalbetreiber in Deutschland 90 Prozent ihrer Importkapazitäten langfristig vermarkten, und hiervon 80 Prozent für mehr als 15 Jahre. Damit diese Reservekapazitäten nur in möglichen Krisenzeiten zum Einsatz kommen und damit die Erreichung der Klimaziele nicht gefährden, sollte ihre Nutzung in Nichtkrisenzeiten eingeschränkt werden.
Schließlich gibt es zwei No-Regret-Strategien: Kurzfristig bringt die Reduktion von Methanemissionen erhebliche Vorteile für Klima und Energiesicherheit. Langfristig können Klimaschutz und Energiesicherheit nur durch den Ausstieg aus der Erdgasnutzung und den Umstieg auf effiziente erneuerbare Energiesysteme erreicht werden.
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