Großtrend Finanzialisierung: Kommunen und die Finanzwelt – Begegnung auf Augenhöhe? Teil 3: Kontext, Konsequenzen, und größere Zusammenhänge
FLORIAN FASTENRATH, ARMIN MERTENS, SEBASTIAN MÖLLER, REBECA WANGEMANN
Die ersten zwei Teile der Serie „Kommunen und Finanzwelt“ finden sie hier (Teil 1) und hier (Teil 2).
Ist die Finanzialisierung des staatlichen Schuldenmanagements eine besorgniserregende Entwicklung?
Die Beantwortung dieser Frage bedarf der Differenzierung u.a. nach Regierungsebene. In vielen Ländern haben die nationalen Regierungen (auch durch ihre teilweise ausgelagerten Schuldenmanagement-Agenturen) einen hohen Grad an Professionalisierung erreicht; daher sind auf dieser Ebene keine größeren negativen fiskalischen Auswirkungen (z.B. höhere Zinslast durch realisierte Verluste aus Derivatgeschäften) zu erwarten. Obwohl man solche Effekte nicht ausschließen und aufgrund mangelnder Transparenz auch nur schwerlich kontrollieren kann, sind die Schuldenagenturen mit ehemaligen Investmentbankern und Mathematikern gespickt, die das Spiel der Finanzmärkte in all seinen opaken Nuancen verstehen und es daher zum fiskalischen Vorteil (Zinskostenminimierung) des Staates zu nutzen wissen. Daher ergeben sich aus der Finanzialisierung der nationalen Schuldenmanagements vermutlich eher geringe fiskalische Risiken.
Dennoch verändert sich quasi beiläufig durch das kontinuierliche Einsickern von Finanzmarktlogiken und –praktiken schrittweise der Charakter des Staates. Er wird nicht nur selbst finanzialisiert (und es ist nicht davon auszugehen, dass die Finanzialisierung des Staates auf dessen Schuldenmanagement begrenzt bleiben wird), sondern treibt auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit die Finanzialisierung anderer Bereiche weiter voran. Aus der Forschungsliteratur wissen wir bei aller Uneindeutigkeit der sonstigen Befunde relativ gesichert, dass Finanzialisierung sowohl mit wachsender Ungleichheit als auch mit stärkerer Krisenanfälligkeit einhergeht.
Auf lokaler Ebene stellt sich die Situation des fiskalischen Risikos eines finanzialisierten Schuldenmanagements deutlich anders dar. Das vorhandene Fachwissen und die Finanzkompetenz der kommunalen Finanzverwaltungen (Kämmereien) schwankt stark von Kommune zu Kommune. Die Informationsasymmetrie zwischen Staat und Markt ist hier noch deutlich größer als auf der regionalen oder nationalen Ebene. Dies hat aber weder Banken noch Beratungsfirmen davon abgehalten, kommunalen Entscheidungsträgern die Abkehr von dem konventionellen, auf Planungssicherheit basierten Ansatz der Schuldenverwaltung zu empfehlen und den Einsatz teilweise hoch riskanter Finanzinstrumente im Rahmen eines sogenannten aktiven Schuldenmanagements nahezulegen. Nicht nur in Deutschland, auch in Großbritannien und den USA haben Kommunen nach Millionen-Verlusten Banken und Berater auf Falschberatung verklagt und auch zum Teil Recht bekommen.
Abgesehen von solchen juristischen und moralischen Fragen, hat sich mittlerweile aber sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland eine gewisse Standardisierung des kommunalen Schuldenmanagements eingestellt, an der nicht zuletzt die Kommunalverbände und indirekt auch die zunehmende Politisierung und Skandalisierung einzelner Fälle einen hohen Anteil hatten. In diesem Zuge wurden besonders riskante Praktiken delegitimiert, Abläufe standardisiert und Finanzmarktexpertise in vielen Kommunalverwaltungen aufgebaut.
Für alle, die der zunehmenden Finanzialisierung des Staates kritisch gegenüberstehen ist dies allerdings keine rein gute Nachricht, ermöglichen diese Dynamiken doch deren reibungslosere Fortsetzung. Finanzmarktlogiken können sich so weitestgehend unbeschadet von ihrem kurzzeitigen öffentlichen Reputationsverlust weiter in der öffentlichen Verwaltung etablieren und ausbreiten. Nach dem Ende von LOBO loans und Zinsswaps stehen mit großer Sicherheit schon die nächsten Finanzinnovationen in den Startlöchern. Der Eintritt von Fintech-Unternehmen in das Geschäft mit Kommunalfinanzen und die Renaissance der Kommunalanleihen sind zwei gute Indikatoren dafür.
Wie erreichte die Finanzialisierung die Rathäuser?
„Kämmerer verzocken Steuergelder in Millionenhöhe.“ Diese Art Schlagzeile las man im Zuge der Finanzkrise 2008 zuhauf. Doch derlei Schuldzuweisungen reichen häufig viel zu kurz: Auch wenn zahlreiche Instrumente durchaus den Charakter einer Wette auf die zukünftige Zins- oder Währungsentwicklung besitzen, so ist nicht davon auszugehen, dass den Entscheidungsträgern dies immer eindeutig bewusst war. Viele Kommunen orientierten sich an anderen Kommunen oder Empfehlungen ihrer Netzwerke. Außerdem hoben Banken mögliche Einsparungen hervor, spielten hingegen die den Instrumenten inhärenten Risiken herunter, denn Kommunen stellten wegen ihrer hohen Bonität und geringeren Expertise beliebte Kunden dar. Auch Aufsichtsbehörden auf der regionalen und nationalen Ebene haben klammen Kommunen oft zum Einsatz neuartiger Finanzprodukte geraten. Außerdem wurden in England LOBOs nicht von der Finanzaufsicht FSA geprüft, da Städte als kommerzielle Kunden eingestuft wurden.
Wichtig ist außerdem, den Kontext und die Motivation hervorzuheben, mittels der Finanzialisierungspraktiken und -kulturen der Finanzindustrie den Weg in die kommunalen Finanzverwaltungen finden: Der Übergang vom Schulden- zum Konsolidierungsstaat[1] betrifft auch die lokale Ebene auf fundamentale Weise. Viele Kommunen in der OECD-Welt erleiden das gleiche Schicksal: Das Wegbrechen von Steuereinnahmen bei gleichzeitigem Anstieg der kommunal zu bewältigenden Aufgaben führt zu Fiskalkrisen. In vielen Fällen führt die Überschuldung zu lokalen Austeritätsregimen, in denen die politisch Verantwortlichen immer weniger Autonomie besitzen, zu entscheiden, wie und wofür knapp gewordene Ressourcen verwendet werden dürfen. In diesem Kontext anhaltender Austerität werden Finanzinnovationen zu begehrten Instrumenten, die zumindest kurz- und mittelfristig finanziellen und politischen Spielraum ohne große politische Kosten (in Form von Kürzungen) zu schaffen versprechen. Kurz gesagt, Finanzinnovationen sind selten die Wurzel kommunaler Finanzprobleme, sondern öfter ein Symptom ihrer grundlegenden chronischen Unterfinanzierung.
[1] Streeck, W., 2016. The rise of the European consolidation state. In: Magara, H. (ed.) Policy change under new democratic capitalism. London and New York: Routledge, pp. 27–46.
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