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8. November 2021
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Florian Schuster-Johnson

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FAQ zu unserem Reformvorschlag für die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse

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Florian Schuster, Philippa Sigl-Glöckner

Aufbauend auf unserem Papier zu einer neuen deutschen Finanzpolitik haben wir einen Vorschlag zur Weiterentwicklung der Konjunkturkomponente entwickelt. Professor Stefan Korioth und Dr. Michael Müller haben diesen Vorschlag im Auftrag des Dezernat Zukunft juristisch begutachtet. Eine Zusammenfassung des Gutachtens findet sich hier.

Was ist die Konjunkturkomponente? Die Konjunkturkomponente ist der Teil der Schuldenbremse, der die maximal zulässige Nettokreditaufnahme (NKA) bei einer von der Normallage abweichenden wirtschaftlichen Entwicklung erhöht oder verringert. Berechnet wird die Konjunkturkomponente, indem man die Differenz zwischen gegenwärtiger wirtschaftlicher Leistung (dem BIP) und dem geschätzten wirtschaftlichen Produktionspotenzial (der ökonomischen Übersetzung des Begriffs „Normallage“) mit der Budgetsemielastizität multipliziert. Die Budgetsemielastizität bestimmt wie viel mehr (weniger) Defizit für jeden Euro Unterauslastung (Überauslastung) gemacht werden darf. Eine grafische Darstellung und weiterer Hintergrund dazu findet sich hier und im Kompendium zur Schuldenregel des Bundes des BMFs.

Wieso ist sie problematisch? Die derzeitige Ausgestaltung der Konjunkturkomponente weist mehrere Probleme auf. Gesetzlich bleiben die Inputs für die Schätzung des Produktionspotenzials undefiniert. Korioth und Müller kritisieren das in ihrem Gutachten. Der Gesetzgeber hätte die Definition der Inputs nicht der technischen Ebene überlassen sollen. Aus ökonomischer Sicht lässt sich nicht eindeutig definieren, wann eine Wirtschaft ihr Potenzial erreicht hat, also wann zum Beispiel das Arbeitspotenzial ausgeschöpft ist (der erhebliche durch diese Unbestimmtheit entstehende Spielraum ist ein Grund, weshalb die Delegation der Definition an die technische Ebene laut Gutachten problematisch ist). Man nimmt daher an, dass das Produktionspotenzial die in etwa der um konjunkturelle Einflüsse bereinigten wirtschaftlichen Leistung der Vergangenheit entspricht. Auch die konjunkturellen Einflüsse lassen sich jedoch nicht eindeutig bestimmen. Daher trifft man statistische Annahmen und bestimmt weitgehend per Annahme, welche Entwicklung unter konjunkturell verbucht wird und welche das Potenzial beeinflusst (mehr Detail dazu findet sich hier). Die amerikanische Notenbank sah einen der zentralen Inputs für die Potenzialrechnung, das Konzept der niedrigst möglichen Arbeitslosenquote NAWRU als so problematisch an, dass sie diesen Indikator 2020 gegen ein ‚maximum employment‘ Ziel ausgetauscht hat. Darüber hinaus müssen bei der Berechnung des Potenzials weitere politische Wertungen getroffen werden. “Wie viele Frauen werden in der Zukunft wie viel arbeiten?” ist etwa eine Frage, deren Antwort auch davon abhängt, welche Gesellschaftspolitik verfolgt wird. Die Antwort darauf hat maßgeblichen Einfluss auf die Höhe des geschätzten Produktionspotenzials und damit auch auf die zulässige Nettokreditaufnahme. Korioth et al. schließen daraus: „Es ist deshalb Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers, die Faktoren und die hinsichtlich dieser zu treffenden Annahmen festzulegen. § 5 G-115 kommt dieser Aufgabe nur unzureichend nach.“

Wie sieht der Reformvorschlag aus? Es werden drei kurzfristige Modifikationen vorgeschlagen, um einige der genannten Probleme abzuschwächen. Anstelle NAWRU, potenzielle Partizipationsrate (die definiert, welcher Anteil an der Bevölkerung am Arbeitsmarkt teilnimmt) und Arbeitsstunden über eine Fortschreibung ihrer vergangenen Trends zu definieren, gilt das Arbeitspotenzial als ausgeschöpft, wenn: (1) keine Langzeitarbeitslosigkeit mehr vorherrscht, (2) der Rückstand der Frauen bei der Arbeitsmarktpartizipation gegenüber Männern halbiert ist (entspricht dem Niveau in Skandinavien) und (3) unfreiwillige und nicht-notwendige Teilzeit halbiert wurde. Der Gesetzgeber sollte aktiv über die Anpassung dieser Inputs entscheiden, um das bisherige Legitimationsdefizit zu beheben. Eine solche Reform würde die Kohärenz der Finanzpolitik erhöhen, da der Gesetzgeber in der Verantwortung stünde, das von ihm gesetzte wirtschaftliche Potenzial auch tatsächlich zu ermöglichen.  Auf Basis der öffentlich verfügbaren Berechnungsmethodik der EU-Kommission und ihrer Prognose vom Frühjahr 2021 würde die Reform eine Erhöhung der zulässigen NKA für 2023 um knapp 20 Mrd. EUR bedeuten. Diese Schätzungen unterliegen aber signifikanten Schwankungen. Belastbare Zahlen bedürften einer Berechnung auf Basis der aktuellen Prognose der Bundesregierung mit dem Berechnungsverfahren der Bundesregierung (anstatt dem Code der EU-Kommission).  

Wieso ist diese Reform finanzpolitisch nachhaltig? Die größte finanzpolitische Herausforderung ist heute die demografische Entwicklung. Eine zurückgehende Erwerbsbevölkerung steht mehr und mehr Rentnerinnen und Rentnern gegenüber, die demographische Abhängigkeitsquote soll von 36% in 2019 auf 52% in 2040 steigen. Knapp ein Drittel des Bundeshaushalts fließt (in nicht Corona Jahren) bereits in Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung. Gleichzeitig leisten wir uns eine ökonomische Abhängigkeitsquote (das Verhältnis von Transferabhängigen zu Erwerbstätigen) von 62%. Zu viele Menschen können trotz Arbeit ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen, über 10% der Erwerbstätigen sind ausschließlich geringfügig beschäftigt. Angesichts dessen scheint es widersinnig im Namen einer nachhaltigen Finanzpolitik das Arbeitspotenzial an der Vergangenheit auszurichten, anstatt sich darum zu bemühen, dass jede Erwerbsperson die Chance hat den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Denn wer ein gutes Einkommen hat zahlt Steuern, kann für das Alter vorsorgen und ist nicht auf Sozialleistungen angewiesen. Mehr zu einer auf die heutigen Herausforderungen angepassten Finanzpolitik findet sich hier. Zuletzt behält die Fiskalpolitik mit diesem Reformvorschlag weiterhin die Inflation im Blick, da das zulässige Defizit mit Bezug auf das wirtschaftliche Potenzial definiert wird. 

Ist die Reform rechtlich möglich? Ja. Korioth et al. stellen in ihrem Gutachten fest, dass die Umsetzung ohne rechtliche Anpassung umsetzbar wäre. Die momentane einfachgesetzliche Ausgestaltung der Schuldenbremse halten die Gutachter jedoch, wie bereits erwähnt, für problematisch und empfehlen außerdem, Abweichungen von der Europäischen Methode zur Konjunkturbereinigung klarzustellen. Daher wäre ihrer Ansicht nach eine rechtliche Umsetzung des Vorschlags auf einfachgesetzlicher Ebene vorzuziehen. Der Bestimmung der grundlegenden Annahmen zur Berechnung des Produktionspotenzials durch das Parlament seien jedoch Grenzen gesetzt. So dürfe das Parlament nicht die Ideallage zur Normallage erklären, letztere müsse tatsächlich erreichbar sein. Die Politik stünde also in der Verantwortung, das von ihr selbst veranschlagte Potenzial -ggf. durch Reformen- auch zu ermöglichen. Es würde nun also ein Anreiz bestehen, Reformen auch umzusetzen. Zudem seien laut Korioth et al. auch Verschuldungsspielräume limitiert. Überschreitet das Defizit 1,5% des BIPs müsse es Konjunktur gerecht zurückgeführt werden. 

Sollte eine Anpassung der Potenzialschätzung nicht im Europäischen Kontext geschehen? Die Potenzialschätzung wird auch für die Europäischen Fiskalregeln genutzt (im Kontext dieser fließen so aber nur in eine qualitative Beurteilung mit ein). Die Antwort auf die Frage hängt vor allem von politischen und ggf. ökonomischen Überlegungen ab. Es wäre auch möglich die Inputs zur Berechnung nur in Deutschland anzupassen. Wie erwähnt wäre in diesem Fall eine einfach gesetzliche Anpassung wünschenswert. Zudem können geringfügige Anpassungen der Berechnungen im Rahmen des europäischen Verfahrens genehmigt werden. Auf der anderen Seite sind alle Mitgliedsstaaten im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts von der gleichen Problematik betroffen, da für jeden Mitgliedsstaat ein Produktionspotenzial geschätzt wird. Zudem stellt sich auch auf europäischer Ebene die Frage, wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt weiterentwickelt werden sollte, um den heutigen Herausforderungen gerecht zu werden.

Löst dieser Vorschlag alle Probleme der heutigen Finanzpolitik? Nein. Er kann mit seinem Fokus auf Vollauslastung dazu beitragen, die Schuldenbremse wieder, wie in der ursprünglichen Gesetzesbegründung angedacht, auf finanzielle Nachhaltigkeit auszurichten und das Legitimationsdefizit reduzieren. Darüber hinaus bedarf es langfristiger Investitionen, insbesondere auf kommunaler Ebene und zur Dekarbonisierung. Zu diesem Zweck eignet sich ein klar abgegrenzter Investitionsfonds, der über einen mittelfristigen Zeitraum Mittel bereitstellt.

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