Ein kommunales Investitionsprogramm für das nächste Jahrzehnt
Die Verfahren sind entscheidend
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könnte die Investitionslücke vergrößern. Um dem beizukommen, braucht es mehr als einen
öffentlichen Investitionsfonds; auch das Verfahren zur Zuteilung der Investitionen muss reformiert
werden. Im vorliegenden Paper schlägt René Geissler einen Drei-Säulen-Ansatz für die Governance
eines solchen Programms vor.
Die kommunalen Investitionen haben im vergangenen Jahrzehnt hohe Relevanz in Öffentlichkeit und Politik gewonnen. Die Investitionen gelten seit Jahrzehnten als zu gering, sind anfällig für konjunkturelle Schwankungen und weisen große regionale Disparitäten entsprechend der Wirtschaftskraft auf.[2] In Summe sind die Kommunen seit Langem nicht mehr in der Lage, die notwendige Infrastruktur zu erhalten, geschweige denn auf aktuelle und zukünftige Bedarfe, wie Klimawandel, Digitalisierung oder Bildung, auszurichten.[3] Die 2020 ausgebrochene Corona-Krise wird mittelfristig die Investitionslücke weiter vergrößern, da sich Haushaltsnöte ausbreiten und Investitionen in Folge wieder sinken werden.[4]
Aus diesen Gründen häufen sich Forderungen, die kommunalen Investitionen durch einen Investitionsfonds des Bundes zu stärken.[5] Entsprechend ausgestaltet, würde ein solcher Fonds nicht unter die Schuldenbremse fallen.[6] Damit ist es jedoch nicht getan: wir haben aus den vergangenen Jahren gelernt, dass es nicht ausreicht, einen solchen Fonds zu gründen und mit Kapital auszustatten.
Um sicherzustellen, dass Investitionen zügig umgesetzt werden und Wirkung entfalten, ist ein Paradigmenwechsel der Verfahren unabdingbar. Die Governance eines solchen Programmes sollte auf drei Säulen beruhen: Stärkung der lokalen Autonomie in der Verwendung, Bürokratievermeidung der Transfers und Einbindung der Öffentlichkeit. Dieser Wandel im Staatsverständnis ist ein politischer Kraftakt, aber machbar und angesichts der Herausforderungen lohnend.
Probleme bestehender Investitionsprogramme
Förderprogramme zur Kofinanzierung und Lenkung der kommunalen Investitionen sind seit jeher ein wichtiger Bestandteil kommunaler Finanzierung.[7] Trotz kaum überschaubarerer Vielfalt an Programmen sind die Verfahrensweisen ähnlich, ebenso die daran anknüpfende Kritik der Kommunen. Im vergangenen Jahrzehnt erreichte diese Debatte eine bundesweite Öffentlichkeit, da der Bund sich mehr und mehr in die kommunalen Investitionen einbrachte. Dieser strukturelle Wandel begann mit dem Kita-Ausbau ab 2008. Es folgten das Konjunkturpaket im Zuge der globalen Finanzkrise 2010, die Kommunalinvestitionsförderungsgesetze 2015 und 2017, der Digitalpakt 2019 sowie Teile des Konjunkturprogramms 2020.[8]
Diese Programme waren willkommen und hatten sichtbare Effekte auf das Investitionsniveau und den Zustand kommunaler Infrastruktur. Unabhängig von der durchaus variierenden Ausgestaltung gingen mit den bestehenden Förderprogrammen aus Sicht der Kommunen sechs typische Nachteile einher:
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Sie werden oft ad hoc, nach Aufgabenfeldern oder Kassenlage, durch den Bund beschlossen. Für die Kommunen sind die Programme inhaltlich nicht antizierbar und nicht planbar. In konjunkturell guten Zeiten überlagern sich verschiedene Programme. Die Programme begünstigen somit ein prozyklisches Investitionsverhalten und führen zu steigenden Preisen, die wieder um die Effektivität der Fördermaßnahmen mindern.
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Die Laufzeiten sind begrenzt, woraus Zeitdruck für Antragstellung und Abwicklung resultiert. Denn bei Bund und Länder liegen oft unrealistische Vorstellungen dahingehend vor, welche Beträge Kommunen in welchen Zeiträumen bewegen können. Es entstehen angesichts begrenzter Verwaltungs- und Baukapazitäten „Bugwellen“ an Förderprogrammen. Der Abfluss der Mittel und damit die intendierten Effekte verzögern sich. Die notwendigen Verwaltungskapazitäten aufzustocken ist jedoch oft nicht rational, da die mittelfristige Auslastung des Personals aufgrund befristeter Förderprogramme nicht sicher ist.
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Im Regelfall zielen die Förderprogramme auf bestimmte Politikfelder, in denen der Bund Prioritäten sieht. Diese Steuerung ist aus Sicht des Finanziers nachvollziehbar. Für die Kommunen entsteht jedoch der fiskalische und politische Druck, eigene Entscheidungen an Förderprogrammen, statt an tatsächlichen Bedarfen auszurichten. Kommunale Autonomie geht verloren, bestimmte, politisch aktuell nicht attraktive Investitionsfelder, geraten aus dem Blick. Des Weiteren konzentrieren Förderprogramme Mittel in bestimmten Branchen, was zur Überauslastung der Dienstleister und steigenden Preisen führt.
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Infolge des föderalen Staatsaufbaus fließen Förderprogramme des Bundes über die Länder. Nicht nur werden Staatsverträge zwischen Bund und Ländern notwendig, die Länder ergänzen das Bundesrecht über eigenständiges Landesrecht. Das Normendickicht wächst, was bei allen Beteiligten Rechtsunsicherheit, Abstimmungsbedarfe und Transaktionskosten erhöht. Auch der Mittelabruf erfolgt über die Länder, bei jeweils unterschiedlichen Behörden unter unterschiedlichen Bedingungen.[9]
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Spiegelbildlich zum Mittelabruf müssen die Kommunen Verwendungsnachweise vorlegen, die teils durch Bundes- und Landesbehörden geprüft werden. Je komplizierter die Förderprogramme gestaltet sind, desto aufwendiger ist der Nachweis zweckentsprechender Verwendung. Die Folgen sind umfassende Bürokratie in der Abwicklung und Dokumentation der Vorhaben. Die Prüfungen dieser Dokumente holen die Kommunen oft erst etliche Jahre nach Abschluss der Investitionen ein.
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Zumeist stellen Förderprogramme eine anteilige Kofinanzierung dar. Die Kommunen müssen somit Eigenmittel beibringen, auch wenn diese ggf. nur 10% betragen. Kommunen mit Haushaltsproblemen können diese Eigenmittel nicht erwirtschaften und die Förderprogramme somit nicht nutzen. Über diesen Mechanismus wurden oft gerade die Kommunen mit hohen Bedarfen ausgeschlossen.
Diese nachteiligen Effekte treten gewissermaßen systemisch in den üblichen Förderverfahren auf. Sie behindern deren Wirksamkeit, verursachen hohe Transaktionskosten für alle Beteiligten und hemmen lokale Flexibilität. Das politisch im Raum stehende neue Investitionsprogramm wäre bereits angesichts des Volumens in den tradierten Verfahren kaum sinnvoll umsetzbar. Es müssen Verfahren gefunden werden, welche die Effekte vermeiden und dennoch den politischen Zielen des Bundes Genüge tun. Die folgenden fünf Punkte adressieren die skizzierten Problemlagen.
Fünf Regeln für eine bessere Governance
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Der Investitionsfonds des Bundes schüttet die Mittel über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren in gleichen Jahresraten aus. Die Zuweisungen sind somit mittelfristig planbar. Zeitdruck in Planung und Umsetzung wird reduziert. Dies mindert den „Bugwelleneffekt“, verteilt die Administration über die Zeit und ermöglicht die Aufstockung des kommunalen Personals. Dem Förderzeitraum ist eine Planungsperiode vorgeschaltet, um sicherzustellen, dass die Kommunen über Konzepte und entsprechende umsetzungsreife Projekte verfügen. Zielsetzung des Programms ist eine dauerhafte
und flächendeckende Niveauverschiebung der kommunalen Investitionen, nicht die kurzfristige Steuerung der Konjunktur.[10] -
Die jährlichen Mittel werden indikatorbasiert auf die Länder und von diesen auf die Kommunen verteilt. Anträge und Genehmigungen entfallen. Geeignete Indikatoren sind z.B. Einwohnerzahl, Steuerkraft oder SGB-II-Quote. Die formelbasierte Verteilung ist angebracht, da sich ein objektiver Investitionsbedarf der Kommunen nicht valide ableiten lässt. Die Einwohnerzahl als Indikator berücksichtigt einen Grundbedarf aller Kommunen. Die Steuerkraft spiegelt unterschiedliche Ausgangsbedingungen in der Eigenfinanzierung wider, die SGB-II-Quote soziale Herausforderungen.
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Die jährlichen Transfers fließen als investive Schlüsselzuweisungen ohne Zweckbindung. Sie werden zusätzlich zum und unabhängig vom bestehenden kommunalen Finanzausgleich gewährt.[11] Investive Schlüsselzuweisungen stehen ausschließlich für investive Verwendungen zur Verfügung und besitzen den Charakter von Eigenmitteln. Anstatt finanzschwache Kommunen indirekt von Fördermitteln auszuschließen, profitieren diese automatisch in höherer Weise.
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Bund und Länder verzichten auf detaillierte Verwendungsvorgaben und die angesichts lokaler Wirklichkeiten zwangsläufig unvollständige und streitanfällige Auflistung förderfähiger Maßnahmen. Stattdessen werden politische Handlungsfelder definiert, denen die zusätzlichen Mittel dienen sollen: z.B. Klimawandel, Bildung, Digitalisierung. Innerhalb dessen setzen die Kommunen eigene lokale Prioritäten. Diese lokale Autonomie stärkt die Verantwortung im Umgang mit Geldern und ermöglicht Innovationen. Letztlich können nur die Akteure vor Ort beurteilen, welche Themen welche Relevanz besitzen und wie ihnen effektiv zu begegnen ist.
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Die Kommunen weisen die zweckentsprechende Verwendung der Zuweisungen im mehrjährigen Rhythmus über ein öffentliches Reporting nach.[12] Verwendungsnachweise im eigentlichen Sinne an Bund und Länder entfallen. Der adäquate Umgang in Hinblick auf die drei genannten Politikfelder wird durch die lokale Öffentlichkeit überwacht. Open-Data-Lösungen eröffnen Möglichkeiten für ein begleitendes Monitoring. Für die Kommunen entsteht daraus kaum Mehraufwand, da ein Investitionscontrolling intern und für die Räte ohnehin durchgeführt wird. Die Einhaltung des Vergaberechts und das Reporting selbst wird über die örtlichen Prüfungsämter überwacht.
Ohne Frage ist eine solche Governance für Bund und Länder eine Herausforderung und rückt fundamental ab von tradierten Formen der (Mikro)Kontrolle und Steuerung. Zur Umsetzung dieser fünf Punkte bedarf es einer erneuten Ergänzung des Grundgesetzes und entsprechender Bund-Länder-Staatsverträge (wie schon in den vergangenen Jahren wiederholt geschehen, siehe Infobox). Dieser gesetzgeberische Aufwand ist jedoch angesichts von Ziel und Volumen des Programms angemessen. Zweifellos bedarf es Mut auf Seiten von Bund und Ländern, den Kommunen diese Freiheiten einzuräumen. Ebenso zweifellos wird die Abwicklung eines Investitionsfonds entlang dieser fünf Punkte dessen Wirksamkeit jedoch deutlich erhöhen.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass auch bei dieser Governance Risiken bestehen bleiben: z.B. die Sinnhaftigkeit einiger lokaler Maßnahmen, die Finanzierung der Folgekosten, geringere Kostendisziplin oder die Überforderung der Verwaltungen. Diese Risiken sind jedoch letztlich unvermeidbare Transaktionskosten kommunaler Selbstverwaltung, die auch durch intensivste Bürokratie nicht auszuschließen sind.
Änderung Grundgesetz
Das hier skizzierte Verfahren bedarf einer Änderung des Grundgesetzes.Entgegen weitläufiger Bedenken ist dies jedoch eine juristisch und politisch überwindbare Hürde. Tatsächlich wurden Regelungen des Grundgesetzes über die Finanzströme im Bundesstaat in den vergangenen Jahren vier Mal geändert oder erweitert, um Transfers des Bundes an die Kommunen zu ermöglichen.
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2017 wurde der Artikel 104c GG neu eingefügt, um dem Bund Investitionshilfen für Bildungsinfrastruktur im Rahmen des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes II umzusetzen.
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Im Jahr 2019 folgte Artikel 104d GG, Finanzhilfen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus.
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Im vergangenen Jahr erfuhr Artikel 104a GG eine entscheidende Anpassung, über welche die Kostenbeteiligung des Bundes an den kommunalen Ausgaben der Unterkunft aus SGB II auf bis zu 75% angehoben wurde.
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Mit dem Ziel, die finanziellen Schäden der Kommunen aus der Corona-Krise zu mindern, gewährte der Bund für das Jahr 2020 einmalig einen anteiligen Ausgleich der Gewerbesteuer. Auch dieser Transfer machte eine Grundgesetzänderung nötig (befristete Einfügung des Artikels 143h GG).
Fußnoten
[1] Professor für öffentliche Wirtschaft und Verwaltung, Technische Hochschule Wildau, rene.geissler@th-wildau.de, @geissler_rene.
[2] Arnold et al (2015): Große regionale Disparitäten bei den kommunalen Investitionen. DIW Wochenbericht Nr. 43/2015 Die Sachinvestitionen je Einwohner lagen in Summe der Jahre 2014 bis 2016 in den zehn sozial stärkten kreisfreien Städten 4,5-mal höher als in den zehn sozial-schwächsten. Vgl. Boettcher et al (2019): Kommunaler Finanzreport 2019. Teil E, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, S. 14.
[3] Der durch die Kommunen wahrgenommene Investitionsrückstand belief sich 2019 auf 147 Mrd. Euro. Trotz steigender Investitionsausgaben bedeutet dies ein Wachstum gegenüber dem Wert von 2015 (132 Mrd. Euro). Vgl. KfW und DIfU (2019): KfW-Kommunalpanel 2020. Frankfurt am Main.
[4] Der positive Finanzierungssaldo des Jahres 2020 (2 Mrd. Euro) basiert auf der einmaligen
Gewerbesteuerkompensation von Bund und Ländern (11 Mrd. Euro). Der seit 2013 bestehende positive Trend
und das Investitionsniveau von 2020 ist ohne zusätzliche Unterstützungen nicht haltbar.
[5] IW Köln und IMK schätzen in einer gemeinsamen Studie den zusätzlichen öffentlichen Investitionsbedarf auf 450 Mrd. Euro für eine Dekade, daraus 140 Mrd. Euro für die Kommunen. Vgl. Bardt et al (2019): Für eine solide Finanzpolitik. Investitionen ermöglichen! IW Policy Paper 10/2019.
Das DIW empfiehlt, u.a. in Reaktion auf die Corona-Krise, ein zusätzliches Investitionsprogramm über rund 190
Mrd. Euro. Vgl. Wochenbericht Nr. 24/2020, S. 442-451.
In diese Richtung zielen auch die Entwürfe der Wahlprogramme von SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
[6] So müsste die Bundesgesellschaft, dem der Fonds zugerechnet wird, rechtlich eigenständig sein und über eine eigene Sachaufgabe verfügen (wie zum Beispiel die PD – Berater der öffentlichen Hand). Vgl. Hermes et al (2020): Die Schuldenbremse des Bundes und die Möglichkeit der Kreditfinanzierung von Investitionen – Rechtslage, ökonomische Beurteilung und Handlungsempfehlungen Study Nr. 70 der Hans-Böckler-Stiftung.
[7] Sie decken ca. ein Drittel der investiven Ausgaben. Brand und Steinbrecher (2020): Kommunalfinanzierung in der Corona-Krise. Einschnitte, aber keine Zeitenwende. Wirtschaftsdienst Nr. 1/2021, S. 47.
[8] Besagte Programme beliefen sich in Summe auf ca. 25 Mrd. Euro.
[9] Im Zuge des KInvFG 1 und 2 traten bei den Ländern sechs verschiedene Konstellationen der Mittelverteilung auf. Vgl. Geißler (2018): Investitionsförderung im Finanzföderalismus. Wirtschaftsdienst Nr. 6/2019.
[10] Zweifellos entstehen dennoch positive Effekte auf das Wirtschaftswachstum.
[11] Investive Schlüsselzuweisungen existieren bis dato in den Finanzausgleichssystemen Brandenburgs (§ 13 FAG) und Sachsens (§ 15 FAG). Sie werden zum Ausgleich mangelnder Steuer- und Umlagekraft gezahlt und dienen der Deckung des Investitionsbedarfs.
[12] In der Privatwirtschaft existieren vergleichbare Regulierungsform z.B. in Bezug auf CSR.
Im Rahmen unseres Fiskalprojekts werden wir ein Konzept für eine zielorientierten Fiskalpolitik entwickeln, die allen dient. Konkret geht es um eine einfachgesetzliche Reform der Schuldenbremse, die nachhaltige Investitionen ermöglicht. Unser fiskalpolitisches Ziel heißt Vollbeschäftigung. Im Laufe der kommenden Monate werden an dieser Stelle Paper mit konkreten Reformvorschlägen zu finden sein. Um über unsere Veröffentlichungen auf dem Laufenden zu bleiben, abonniert gerne unseren Newsletter.
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