Die Gläubiger des Staates – Italien
TOBIAS ARBOGAST
Ein Doom Loop in the Making? Während vor der Finanzkrise der Besitz von italienischen Staatsanleihen im Ausland anstieg, kehrte sich dieser Trend in der Krise um. Besonders die italienischen Großbanken und Lebensversicherungen halten einen sehr großen Anteil der italienischen Staatsanleihen. Durch QE wurde auch die EZB zu einem signifikanten Gläubiger.
Der folgende Artikel basiert auf einem noch unveröffentlichten Aufsatz von Tobias Arbogast. Kontakt für Fragen, Quellen und Zitierung: arbogast@mpifg.de.
Im ersten Teil unserer Serie zu Staatsschulden wurde deutlich, dass Gläubiger des Staates potentiell viel Macht haben, man aber oft nicht genau weiß, wer jene sind. Die Identität der Gläubiger des Staates beschäftigte Ökonomen schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei ging es unter anderem um die Verteilungseffekte von Zinszahlungen. Diese beliefen sich zum Beispiel in der EU 2017 auf 1,8 Prozent des BIP. Das war zwar der niedrigste Wert seit 1980, ist aber immer noch z.B. deutlich mehr als das gesamte Budget der EU.
Erst in den letzten Jahren wurde die Forschung zu den Verteilungswirkungen von Staatsschulden wiederbelebt. Die Arbeit wird allerdings durch eine schwierige Datenlage zur Halterstruktur von Staatsschulden verkompliziert, sodass verschiedene Statistiken mit unterschiedlichen Definitionen von Staatsverschuldung kombiniert werden müssen. Da sich deswegen kein exaktes Bild zeichnen lässt, sollten auch die hier präsentierten Zahlen mit Vorsicht interpretiert und eher als grobe Richtwerte verstanden werden. Nichtsdestotrotz hofft diese Arbeit einen konstruktiven Diskussionsbeitrag zu leisten, indem sie deskriptiv beschreibt, wer konkret Staatsschuldtitel besitzt. Neben Verteilungseffekten sind Informationen zu Gläubigern auch wichtig, wenn man wissen möchte wie „geduldig“ Kapital ist oder wenn sich die Frage eines Schuldenschnitts stellt (wen trifft es?).
Halterstruktur italienischer Staatsanleihen
Die italienischen Bruttostaatsschulden betrugen im April 2018 circa 2,3 Billionen Euro. Von dieser Summe entfallen rund 1,9 Billionen Euro auf Staatsschuldtitel, wovon wiederum beinahe 1,4 Billionen Euro – und somit der Großteil (70 Prozent) – in der Form langfristiger Staatsanleihen ausgegeben wurden. Im Folgenden wird insbesondere die Halterstruktur langfristiger Staatschuldtitel (d.h. Staatsanleihen), der sogenannten Buono del tesoro poliennale (BTP) untersucht. Zu allererst wird nach den im Ausland gehaltenen und den im Inland gehaltenen Staatsanleihen unterschieden:
Im Falle Italiens können zwei Trends konstatiert werden: Einerseits stieg seit der Einführung des Euros der von ausländischen Investoren gehaltene Anteil an BTPs kontinuierlich und stark an. Vor allem für die Euroraum-Peripherie kehrte sich mit der Finanzkrise ab 2008 dieser Trend aber ins Gegenteil, was durch die Eurokrise noch zusätzlich verstärkt wurde. Erst mit Mario Draghi’s „whatever-it-takes” Rede beziehungsweise mit Quantitative Easing wurde die Kapitalflucht aufgehalten. Trotzdem ist der vom Inland gehaltene Anteil an Staatsanleihen in Italien der höchste in der Eurozone. Die offiziell zugänglichen Daten erlauben keine genauere Identifikation der ausländischen Halter italienischer BTPs. Die italienische Zentralbank vermutet aber, dass über die Hälfte aus der Eurozone kommen und zu einem Großteil Finanzinstitutionen sind. Die italienische Zentralbank schätzt außerdem, dass 10 bis 15 Prozent des vom Ausland gehaltenen Anteils letztlich doch auf italienische Investoren zurückzuführen sind, die indirekt italienische Staatsanleihen halten (z.B. über Investment Vehikel oder treuhänderische Verwaltung durch Finanzintermediäre).
Als nächstes erfolgt die genauere Aufteilung nach inländischen Halter-Sektoren. Der im Inland gehaltene Anteil an BTPs kann in die folgenden Sektoren unterteilt werden: Zentralbank, Bankensektor, andere Finanzinstitutionen (z. B. Versicherungen, Investmentfonds), sowie andere Inländer (z. B. Haushalte, nicht-finanzielle Unternehmen).
Zentralbank und Banken
Nicht zu übersehen ist der durch QE bedingte Anstieg der von der italienischen Zentralbank gehaltenen Staatsanleihen. Italien bildet hierbei allerdings keine Ausnahme: In Deutschland und Portugal beispielsweise stieg zwischen 2015 und 2018 der Zentralbank-Anteil ebenfalls von unter 2 Prozent der ausstehenden Staatsanleihen auf über 15 Prozent im letzten Jahr. Geschäftsbanken wiederum hielten schon vor der Eurokrise einen beträchtlichen Teil der italienischen Staatsschulden, gemessen am inländisch gehaltenen Anteil der gesamten Staatsschulden machen sie circa ein Fünftel aus.[1] Zudem fällt auf, dass italienische Banken insbesondere während der Eurokrise ab 2011 ihren Anteil vergrößerten. Somit verwundert es nicht, dass mittlerweile der durchschnittliche Anteil heimischer Staatsschuldtitel gemessen an den gesamten Aktiva der Banken in Italien wieder deutlich über dem Durchschnitt der Euroländer liegt.
Diese enge Verflechtung (und das damit einhergehende Krisenpotenzial) zwischen Staatsfinanzen und dem inländischen Bankensektor bekam den treffenden Namen “doom loop” und wird insbesondere mit Hinblick auf Italien als eine der größten Schwachstellen der Eurozone benannt.[2] UniCredit und Intesa Sanpaolo – die zwei größten italienischen Banken – sind die mit Abstand wichtigsten Staatsgläubiger in diesem Sektor. Kombiniert halten sie mehr Staatsschuldtitel als die nächsten Banken zusammen. Allerdings haben italienischen Großbanken jüngst begonnen, ihre Investments in italienische Staatsschuldtitel zu reduzieren.
Andere Finanzinstitutionen
Andere Finanzinstitutionen sind neben der Zentralbank und den Banken der dritte gewichtige Sektor im Inland. Sie beinhalten in der offiziellen Statistik der Banca d’Italia institutionelle Anleger wie Versicherungen oder Investmentfonds. Die OWZE bietet Daten, die die genauere Aufgliederung dieses Sektors erlauben, jedoch wird eine andere Definition von Staatsschulden verwendet als für die zuvor verwendeten Daten der Banca d’Italia, was die Vergleichbarkeit etwas erschwert.
Die Lebensversicherungen stechen hier klar heraus als gewichtigste Halter von italienischen Staatsschuldtiteln. Ein Blick in die Jahresberichte der drei größten italienischen Lebensversicherungen zeigt eine starke Konzentration der im Sektor gehaltener Staatsanleihen: Ende 2017 hielt Poste Italiane knapp 130 Milliarden Euro, die Generali Gruppe 65 Milliarden Euro und Unipol 25 Milliarden Euro an italienischen Staatsanleihen[3]. Dieses Bild ist insofern nicht allzu verwunderlich, als institutionelle Investoren wie Versicherungen oft Vorgaben bezüglich sicherer Anlagestrategien (z.B. Staatsanleihen) einhalten müssen und durch lange Vertragsbindungen ihrer angebotenen Produkte Interesse an festverzinslichen Anlagen haben.
Restlicher Inländischer Sektor
Abschließend verbleibt nur noch der Sektor der „anderen Inländer“. Er besteht aus Haushalten, non-profit Institutionen und nicht-finanziellen Unternehmen. Obwohl geschichtlich relevant, macht dieser Halter-Sektor heute nur noch einen verschwindend geringen Anteil aus und belief sich Anfang 2018 auf knapp 100 Milliarden Euro (circa 5 Prozent des inländisch gehaltenen Anteils). Dies hat unter anderem mit der zunehmenden Institutionalisierung und Professionalisierung von Sparen zu tun, wobei die Sparer nicht direkt, sondern beispielsweise über Investmentfonds oder Asset Manager mediiert investieren. Daten der Banca d’Italia erlauben zudem Schätzungen zur Verteilung der Staatsschuldtitel nach Einkommens- und Vermögensdezilen der Haushalte. Hiernach zeigt sich eine starke Konzentration der Staatsschuldtitel in den Händen der sehr vermögenden italienischen Haushalte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Italien der vom Ausland gehaltene Anteil der Staatsanleihen seit der Eurokrise stark gefallen ist, was teils durch inländische Banken kompensiert wurde. Vor allem aber sprang die EZB (via Banca d’Italia) im Zuge des Public Sector Purchase Programme (PSPP) ein. Welche Gläubigergruppe aus politökonomischer Sicht zu präferieren wäre, ist schwierig zu sagen. Während eine Verstrickung zwischen Banken und Staatsschuld zu einer gefährlichen Abwärtsspirale bzw. Risikoamplifikation führen kann, werden Offenmarktprogramme wie das der EZB teilweise als monetäre Staatsfinanzierung kritisiert[4]. Die aktuell zweitwichtigsten Finanzierer der italienischen Staatsschulden sind Lebensversicherer. Diese sollten zwar vermutlich geduldigeres Kapital als Banken darstellen, können allerdings ebenso volatile Geldgeber sein. Zu guter Letzt sind die privaten Anleger vor allem durch Institutionelle weitgehend verdrängt worden. Die Gläubigerstruktur der italienischen Staatsverschuldung hat sich also in den letzten Jahrzehnten stark verändert und ist vor allem durch Finanzinstitutionen geprägt, wobei auch große Veränderungen innerhalb dieses Gläubiger-Sektors stattgefunden haben. Dieses Bild zeugt von einem größeren Trend der Finanzialisierung, d.h. der zunehmenden Rolle von Finanzunternehmen. Teil 3 dieser Serie wird sich mit der noch ausstehenden und schwierigsten Frage nach den Verteilungswirkungen der Staatsschulden befassen im Lichte der heutigen finanzialisierten Staatsverschuldung.
[1] Die in der Statistik von Bruegel und Banca d’Italia ausgewiesene Kategorie Monetäre Finanzinstitute umfasst genauer genommen neben Banken auch Geldmarktfonds.
[2] Von dieser Abwärtsspirale spricht man, wenn z.B. durch eine Staatsschuldenkrise die Bilanzen der Banken in die Misere kommen, was wiederum die Staatsfinanzierung gefährdet, wenn Banken eine wichtige Gläubigergruppe darstellen.
[3] Poste Italiane und Unipol führen in ihren Jahresberichten jeweils das „total sovereign exposure“ auf, d.h. die Summe der Staatsanleihen könnte kleiner sein als die genannte Gesamtexposure.
[4] Wie der Europäische Gerichtshof jedoch bestätigt hat, liegt im Fall der Staatsanleihenkäufe der EZB keine verbotene Staatsfinanzierung vor, da die Anleihen nicht direkt vom Staat erworben werden.
Bild: Wikimedia.
Hat dir der Artikel gefallen?
Teile unsere Inhalte