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8. February 2019
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Derivateeinsatz deutscher Bundesländer – Sinnvolle Zinsrisikosteuerung oder Spekulation?

6 min Lesezeit
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DEZERNAT ZUKUNFT

Kurz vor der hessischen Landtagswahl titelte „Die Welt“ das Land Hessen habe mit riskanten Derivategeschäften Steuergelder verzockt. Nun hat sich auch der ehemalige Banker Rainer Voss zu Wort gemeldet und ebenfalls den Einsatz langlaufender Zinsswaps durch das Land Hessen kritisiert. Anlässlich der Debatte widmet sich dieser Beitrag den folgenden Fragen: 1) Was sind eigentlich Zinsswaps und warum nutzen Bundesländer sie?, 2) Wann handelt es sich bei dem Einsatz von Swaps um Spekulation und haben hessische Finanzbeamte tatsächlich mit Steuergeldern spekuliert?, sowie abschließend 3) War es aus heutiger Sicht eine gute Idee, zum damaligen Zeitpunkt diese Zinsswaps abzuschließen?

1) Was sind Zinsderivate und weshalb nutzen Bundesländer sie?

Ein Zinsswap ist ein Vertrag, bei dem zwei Parteien variable gegen feste Zinsen tauschen. Die Konditionen, zu denen getauscht wird, ergeben sich durch die sogenannte Swapkurve, also eine Zinsstrukturkurve, die für jeden täglich einsehbar ist. Zinsderivate werden somit genutzt, um die Zinskosten bei einem zukünftigen Wiederabschluss von Krediten bereits heute festzulegen. Mit Zinsswaps können zudem Zinsänderungsrisiken so gehandelt werden, dass damit Bedürfnisse einzelner Akteure befriedigt werden können. Sparer legen Tagesgeld gerne zu variablen Zinsen an, während etwa Häuslebauer in Deutschland eher einen langfristig planbaren Zins bevorzugen. Dadurch entstehen Zinsänderungsrisiken für Banken. Wenn Zinsen steigen, müssten Banken den Tagesgeldgläubigern mehr Zinsen zahlen, würden aber von den Häuslebauern weiterhin niedrigere, nun nicht mehr marktadäquate Zinsen erhalten, die diese sich für die Hausfinanzierung langfristig gesichert haben. Da beispielsweise Lebensversicherer das umgekehrte Problem haben (sie erhalten für viele Jahrzehnte Geld und können es nur kurzfristiger anlegen), sind etwa Lebensversicherer und Banken natürliche Partner für einen Zinsswap. Beide können mit einem Zinsswap jeweils Zinsänderungsrisiken reduzieren und verlässlicher planen.

Bundesländer haben teilweise Schulden, die sie nicht in den nächsten Jahren abtragen werden. Es bedarf somit einer Anschlussfinanzierung. Durch die Nutzung von Zinsswaps können sich Bundesländer (und andere Finanzmarktakteure) bereits heute langfristig die Konditionen sichern, die sich aus der Zinsstrukturkurve ergeben. Da der Derivatemarkt sehr liquide ist, können sie sich dort auch schon Konditionen für die nächsten 50 Jahre sichern. Auf den weniger liquiden Anleihemärkten wäre eine derart langfristige Finanzierung nur zu schlechteren Konditionen möglich und nur in Verbindung mit tatsächlicher, sofortiger Kreditaufnahme. Derivate ermöglichen es hingegen sich heute schon die Konditionen für eine zukünftige Kreditaufnahme zu sichern.

2) Wann handelt es sich bei dem Einsatz von Zinsswaps um Spekulation und haben hessische Finanzbeamte tatsächlich spekuliert?

Wikipedia schreibt zu Spekulation: „Spekulation ist in der Wirtschaft die mit einem Risiko behaftete Ausnutzung von Kurs-, Zins- oder Preisunterschieden innerhalb eines bestimmten Zeitraums zum Zwecke der Gewinnmitnahme.“ Das Gegenteil von Spekulation wäre nach dieser Definition also eine Absicherung, bei der Wirtschaftsakteure Risiken reduzieren und Zahlungsströme erwartbarer machen. Mathematisch gesprochen erhöht Spekulation die Varianz um einen Mittelwert, Absicherung verringert sie. Bildlich gesprochen ist die Versicherung des eigenen Hauses eine Absicherung und die des Nachbarhauses eine Spekulation (die sich dann lohnt, wenn das Nachbarhaus abbrennt).

Um für das Land Hessen festzustellen, ob es spekuliert hat, ist also die Frage zu beantworten, ob Hessen die Varianz um den Mittelwert reduziert und sein eigenes Haus versichert hat, oder ob es die Varianz erhöht und spekuliert hat. Das Haushaltsgesetz des Landes Hessens aus dem Jahr 2016 legt in §13 Abs. 4 klar fest, das nur existierende Kreditmarktschulden, die in den nächsten 10 Jahren fällig werden, durch Derivate abgesichert werden dürfen. Hessen hat in diesem Rahmen eine Absicherung für 15% seiner Schulden getroffen. Wenn man also nicht davon ausgeht, dass das Land Hessen in den nächsten 10 Jahren seine Schulden um mehr als 85% reduziert (was weder die Welt, noch Rainer Voss tun), ist die Antwort auf die obige Frage eindeutig: Das Land Hessen hat nicht spekuliert, sondern sich gegen zukünftig potenziell höhere Zinskosten für bestehende Schulden versichert.

3) War es aus heutiger Sicht eine gute Idee, zum damaligen Zeitpunkt langlaufende Zinsswaps abzuschließen und sollte man die Ministerien dafür kritisieren?

Die Antwort auf diese Frage ist etwas komplexer. Bisher wurde nur erklärt, dass das hessische Finanzministerium nicht spekuliert hat, sondern eine Absicherung vornahm. Hier stellt sich nun allerdings die Frage, ob das hessische Finanzministerium seine Zinsposition hätte länger offen halten müssen, da man hätte antizipieren können, dass die Zinsen noch weiter sinken würden. Dazu muss man zunächst festhalten, dass die aktuellen Konditionen am Markt aus Angebot und Nachfrage entstehen; die Konditionen zu einem beliebigen Tag ergeben sich, da die Gesamtheit aller Marktakteure sich auf diese geeinigt haben. Wer weiß, dass aktuelle Marktpreise falsch sind (oder meint das zu wissen) kann damit sehr viel Geld verdienen (solange er richtig liegt). Global Macro Strategien von Hedgefonds versuchen genau solche Szenarien zu identifizieren und spekulieren daher mit z.B. Zinsswaps. Wer nun aber Finanzministerien vorwirft, dass sie die zukünftigen Zinsen nicht besser kennen als der Markt, der verkennt, dass sie eben keine Hedgefonds mit Global Macro Strategien sind. Sie versuchen lediglich Zinsen – und somit langfristige Kosten für den Haushalt – planbarer zu gestalten. Die Beamten in Hessen haben vermutlich festgestellt, dass die Zinsen einen bisherigen Tiefstand erreicht hatten und wollten diese Konditionen für ihren Haushalt sichern. Bildlich gesprochen haben sie ihr eigenes Haus versichert, weshalb es unfair ist, heute festzustellen, dass es ja gar nicht gebrannt hat und deshalb der Abschluss der Versicherung eine schlechte Idee gewesen sei.

Damit ist jedoch noch nicht geklärt, ob es wirklich eine gute Idee war, sich durch Zinsswaps langlaufende Zinsen in den Jahren 2011 und 2014 zu den damaligen Konditionen zu sichern. Zumindest für das Jahr 2014 kann man das anzweifeln. Im Oktober 2014 fing die EZB an erneut Covered Bonds und erstmals auch Asset Backed Securities (ABS) zu kaufen. Zudem war spätestens im Januar 2015 der Kurs hin zu mehr quantitativer Lockerung (Quantitative Easing) vorgezeichnet, als der Ankauf von Staatsanleihen beschlossen wurde. Die akademische Literatur hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Indizien gesammelt, dass Quantitative Easing die Laufzeitprämien senkt, also die Prämie, die man bei langlaufenden Zinsswaps zusätzlich zum Erwartungswert der kurzfristigen Zinsen zahlt (oder bekommt, wenn die Prämie negativ ist).[1] Ein Global Macro Hedgefonds, der die damaligen wissenschaftlichen Erkenntnisse gekannt hat, hätte also eventuell eine entsprechende Strategie nutzen können. Ein solcher Fonds hätte dann mit dem Abschluss langlaufender Zinsswaps so lange gewartet, bis die Quantitative Easing Programme weltweit ihren Höhepunkt erreichen.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Debatte zumindest unfair verlief. Die Finanzministerien haben sicher nicht gezockt oder spekuliert, sondern wollten (damals historisch unvergleichlich günstige) Konditionen sichern. Dass die Zinsen danach noch günstiger wurden, wusste bzw. erwartete damals weder der Markt (sonst wären die Zinsen ja schon günstiger gewesen), noch die Beamten. Wer nun auf die Ministerien der Länder einprügelt, muss sich schon fragen lassen, ob er sich in der Tonwahl und im Vokabular vergreift, und wo genau er seine Zinsprognose aus dem Jahr 2014 versteckt hat, mit der er im Rückblick richtig lag.


[1] Krishnamurthy, A., & Vissing-Jorgensen, A. (2011). The effects of quantitative easing on interest rates: channels and implications for policy (No. w17555). National Bureau of Economic Research.

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