Ambitioniert, aber vertretbar – Einordnung eines 16-Euro-Mindestlohns
Anne Steuernagel, Max Krahé
Download PDFIm Kontext des Inflationsschubs der Jahre 2022/23, der damit einhergehenden Reallohnverluste und des nach wie vor großen Niedriglohnsektors in Deutschland gibt es anhaltende Diskussionen über eine weitere deutliche Anhebung des Mindestlohns. Angesichts des bisherigen Erfolgs dieses Politikinstruments und um den Möglichkeitenraum auch jenseits der 14 und 15 Euro, die zuletzt gefordert wurden, zu erkunden, bietet dieses Papier eine erste Einordnung eines möglichen Mindestlohns in Höhe von 16 Euro. Drei Aspekte werden untersucht: Wer würde von einer solchen Anhebung berührt, welche Arbeitsmarkteffekte wären zu erwarten und was wären die fiskalischen Konsequenzen?
Unsere Schlussfolgerung ist: eine schrittweise Anhebung auf diese Höhe ist ambitioniert, aber vertretbar. Jedoch müssten, wie bereits bei der Erhöhung auf 12 Euro, Verstöße gegen das Mindestlohngesetz genau im Auge behalten werden. Gerade eine Besetzung der noch offenen Planstellen in den Hauptzollämtern hätte hohe Priorität. Auch die weitere Entwicklung der geringfügigen Beschäftigung müsste genau beobachtet werden.
Warum haben wir das Papier geschrieben?
Die Einführung des Mindestlohns 2015 und seine politische Anhebung auf 12 Euro 2022 waren zwei der erfolgreichsten wirtschafts-, verteilungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der letzten zwei Jahrzehnte. Sie haben für knapp sechs Millionen Menschen die Löhne gesteigert, über Reallokationseffekte die Produktivität am unteren Ende des Arbeitsmarkts gestärkt, eine neue Dynamik in Tarifverhandlungen gebracht und ohne neue Steuern oder Transfers die Ungleichheit reduziert. Neben diesen wirtschaftlichen Effekten zollten diese Reformen außerdem der harten Arbeit Respekt, die von Menschen mit niedrigen Löhnen geleistet wird, und trugen dazu bei, dass mehr Menschen ein Leben in Würde leben können. All dies gelang — entgegen den damaligen Bedenken — ohne eine Gefährdung der Beschäftigung.
Aufgrund dieser Erfolgsgeschichte und aufgrund des Energie- und Lebensmittelinflationsschubs der letzten zwei Jahre, der zu signifikanten Reallohnverlusten geführt hat, steht jetzt eine weitere politische Anhebung des Mindestlohns im Raum. In diesem Kontext wollten wir wissen, ob auch jenseits der bereits andiskutierten 14 und 15 Euro noch Spielräume bestehen. Konkret: Wie wäre ein 16-Euro-Mindestlohn einzuordnen?
Was haben wir gelernt?
Zunächst haben wir eine Reihe deskriptiver Erkenntnisse gewonnen, von denen drei hervorzuheben sind.
Erstens hat unsere Analyse auf Grundlage des Sozio-Ökonomischen Panels gezeigt, dass die Eingriffstiefe eines 16-Euro-Mindestlohns sehr heterogen wäre: Menschen in Minijobs, 18- bis 25-Jährige, Frauen sowie bestimmte Teile der Landwirtschaft und der Dienstleistungsbranchen wären stark berührt. Vollzeitbeschäftigte und das verarbeitende Gewerbe hingegen deutlich weniger, Informatik und naturwissenschaftliche Berufsbereiche fast gar nicht.
Zweitens weist die Sichtung nationaler und internationaler Studien darauf hin, dass die Beschäftigungseffekte eines 16-Euro-Mindestlohns offen sind. Gerade amerikanische Studien zeigen, dass selbst Erhöhungen auf mehr als 80 Prozent des Medianlohns keine signifikanten negativen Beschäftigungseffekte auslösen müssen. Andere Studien finden hingegen schon bei niedrigeren Mindestlöhnen signifikante negative Effekte. Die Evidenz ist also gemischt.
Drittens: Um mögliche Fiskaleffekte, zum Beispiel durch höhere Lohn- oder Beschaffungskosten für die öffentliche Hand oder höhere Steuereinnahmen, abschätzen zu können, ist weitere Forschung notwendig. Diese Effekte sind komplex.
Aus diesen Erkenntnissen, sowie der weiteren Evidenz, die das Papier versammelt, ziehen wir drei normative Schlüsse.
Erstens erscheint eine Anhebung des Mindestlohns auf 16 Euro ambitioniert, solange sie aber in Schritten erfolgt, wie zum Beispiel die zurzeit diskutierte Anhebung auf 15 Euro, wäre sie vertretbar.
Zweitens müssten, wie bereits bei der Erhöhung auf 12 Euro, Verstöße gegen das Mindestlohngesetz genau im Auge behalten werden. Gerade eine Besetzung der noch offenen Planstellen in den Hauptzollämtern hätte hohe Priorität.
Drittens müsste die geringfügige Beschäftigung genau beobachtet werden. Dadurch, dass in Zukunft die Geringfügigkeitsgrenze zusammen mit dem Mindestlohn steigen soll, bestünde die Gefahr, dass nichtsozialversicherungspflichtige Beschäftigung attraktiver wird, mit möglicherweise negativen Konsequenzen für die Sozialversicherungssysteme sowie für das Arbeitsangebot von Frauen in Partnerschaften. Dementgegen stünde jedoch eine höhere Attraktivität von Arbeit insgesamt, aufgrund des höheren Mindestlohns und dessen indirekte Effekte auf Löhne weiter oben in der Verteilung.
Insgesamt scheinen uns die Grenzen des Instruments Mindestlohns noch nicht ausgereizt zu sein. Ob diese bei 14, 15, oder 16 Euro (in 2024er Preisen) liegen, kann heute nicht abschließend gesagt werden. Dass sich ein schrittweises Herantasten in diese Richtung lohnt, schon.
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