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5. Dezember 2024
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Axel Kölschbach Ortego

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Geldbrief

Mehr Staat wagen – und 100 Mrd. € beim Ausbau des Stromnetzes sparen

Lesedauer: 7 min
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Axel Kölschbach Ortego, Janek Steitz

Damit die Energiewende bis 2045 gelingen kann, müssen sich die Investitionen ins Stromübertragungsnetz verdreifachen. Die hohen Netzentgelte werden deshalb weiter steigen. Gleichzeitig bekommen die Übertragungsnetzbetreiber das notwendige Eigenkapital am Markt nicht in der nötigen Höhe. Um diese Engpässe zu reduzieren, schlagen wir vor, dass sich der Staat stärker am Übertragungsnetz beteiligt: Über Staatsbeteiligungen an den Übertragungsnetzbetreibern könnten Kapitalengpässe gemildert und Finanzierungskosten reduziert werden. Der Einstieg für privates Kapital würde attraktiver, Netzentgelte würden sinken. Dieser Geldbrief fasst die Ergebnisse unserer am 3.12.24 erschienen Studie zusammen.

Energiepreise sind volkswirtschaftlich wichtig. Unsicherheit, starke Schwankungen und ein hohes Preisniveau sorgen für Verwerfungen. Gerade Industrieunternehmen schauen bei Investitionsentscheidungen genau auf Energiekosten – und in Zukunft vor allem auf den Strompreis, da fossile Prozesse in den nächsten Jahrzehnten elektrifiziert werden müssen. Unsere Studie zur Zukunft energieintensiver Industrien (2023) hat herausgearbeitet, dass Deutschland bei den Stromgestehungskosten im internationalen Vergleich auch langfristig keine günstigen Bedingungen haben wird. Hinzu kommt, dass auch das Stromnetz transformiert werden muss – und das zu erheblichen Kosten, die über die Netzentgelte auf die Nutzer:innen umgelegt werden.

Etwa die Hälfte der Netzinvestitionen bis 2045 fallen auf das Übertragungsnetz. Dieses umfasst in Deutschland den Teil des Stromnetzes, der mit 220 und 380 kV arbeitet und entscheidend für den Transport großer Strommengen über weite Strecken ist. Besonders wichtig: der Anschluss der riesigen Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee. Diese Aufgaben liegen bei den vier Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) TenneT, TransnetBW, Amprion und 50Hertz. Sie teilen die deutsche Landkarte in vier sogenannte Regelzonen auf und betreiben in ihrer Zone jeweils das Übertragungsnetz. Die ÜNB sind private Unternehmen, ihre Eigentümerstruktur ist jedoch komplex: Neben privaten Beteiligungsgesellschaften und ausländischen Staatsunternehmen ist auch der Bund über die KfW bei TransnetBW und 50Hertz beteiligt. Eine geplante Beteiligung an TenneT schlug kürzlich fehl.

Abbildung 1

Kosten im Blick behalten und Kapitalengpässe lösen

Beim Ausbau des Übertragungsnetzes stehen wir vor zwei großen Herausforderungen: Erstens sollen die Kosten niedrig gehalten werden, da sie über die Netzentgelte und Offshore-Umlage an die Verbraucher:innen weitergegeben werden. Steigen die Entgelte zu stark, bremst das die Elektrifizierung und erhöht die Energiekosten von Haushalten, deren Kosten sich durch die CO2-Bepreisung ohnehin bereits erhöhen. Zweitens erfordern die Netzinvestitionen erhebliche Eigenkapitalzuführungen, die die ÜNB im aktuellen Regulierungsumfeld kaum über den Markt organisieren können. In unserem jüngsten Projekt haben wir uns diese Herausforderungen genauer angesehen und schlagen Lösungen vor.

Zuerst zur Kostenentwicklung: Der Übertragungsnetzausbau erfordert eine Verdreifachung der Investitionen und wird auch die jährlichen Netzkosten bis 2045 von heute 10 Milliarden auf etwa 30 Milliarden Euro (real) ansteigen lassen. Zwar wird der Stromverbrauch ebenfalls steigen, was den Anstieg der Netzentgelte abmildern wird, doch der Zuwachs der Übertragungsnetzentgelte (inkl. Offshore) dürfte im aktuellen Regulierungsrahmen gemäß unserer Analyse dennoch in der Spanne von 30 bis 130 Prozent liegen.

Zum Eigenkapitalbedarf: Übertragungsnetzbetreiber benötigen bis 2045 zusätzlich etwa 70 Milliarden Euro an Eigenkapital. Dieser Bedarf übersteigt im aktuellen Regulierungsumfeld ihre Möglichkeiten privates Eigenkapital zu mobilisieren, was in den letzten Jahren bereits zu zunehmender Unternehmensverschuldung sowie zu Rating-Herabstufungen geführt hat. Besonders dringlich ist das Problem bei TenneT, wo der Eigentümer, der niederländische Staat, keine Eigenkapitalerhöhungen vornehmen möchte. Auch die anderen Übertragungsnetzbetreiber werden nach eigenen Aussagen zeitnah an Grenzen stoßen – lange bevor die im Netzentwicklungsplan festgehaltenen Ausbauziele erreicht sind.

Oft wird vorgeschlagen private und institutionelle Investoren stärker zu beteiligen, vor allem über Infrastrukturfonds. Diese verfügen zwar theoretisch über ausreichend freies Kapital, doch ist der Netzinvestitionsbedarf so hoch, dass es aus Investorensicht zu Klumpenrisiken in Strominfrastrukturen kommen würde. Infrastrukturfonds erwarten auch deshalb ein besseres Rendite-Risiko-Profil und höhere Renditen als regulativ vorgesehen. Als natürliche Monopolisten werden die Übertragungsnetzbetreiber nämlich regulatorisch vergütet. Die Bundesnetzagentur legt im Rahmen der sogenannten Anreizregulierungsverordnung (AREgV) die Erlöse der Übertragungsnetzbetreiber und damit auch die Rendite für private Eigenkapitalgeber fest. Wir haben in einem eigens entwickelten Kapitalmarktmodell nachgerechnet: Um ausreichend Eigenkapital über den Markt zu mobilisieren, müsste die Eigenkapitalverzinsung in der ARegV um 2 bis 2,5 Prozentpunkte steigen. Das würde die Netzkosten bis 2080 um weitere 75 Milliarden reale Euro erhöhen, jährlich um bis zu 1,6 Milliarden Euro.

Staatliche Beteiligungen erhöhen und Kosten senken

Statt die regulatorische Rendite stark zu erhöhen, bietet sich eine Ausweitung der staatlichen Beteiligung an den Übertragungsnetzbetreibern an – etwa, wie bis jetzt, über die KfW oder über eine neu zu gründende staatliche Energieinfrastrukturgesellschaft (EIG). Dieses Modell sieht vor, dass der Bund über die EIG frisches Eigenkapital (kreditfinanziert, als finanzielle Transaktion) für die ÜNB bereitstellt und seine Anteile in der EIG bündelt. Die erzielten Gewinne aus den Beteiligungen führt die EIG an den Bund ab. Diese Gewinne – abzüglich der Zinskosten für die Bundeskredite zur Eigenkapitalbereitstellung – nutzt der Bund, um Netzentgelte zu senken.

Abbildung 2

Der Bund würde damit seine niedrigeren Finanzierungskosten effektiv an die Übertragungsnetzbetreiber weitergeben. Zudem könnte die notwendige Erhöhung der regulatorischen Rendite geringer ausfallen, da ein geringeres EK-Volumen über den Markt bereitgestellt werden müsste. Ratingagenturen würden die zusätzliche Sicherheit durch den Staatseinstieg nach eigenen Aussagen positiv bewerten, was zu sinkenden Fremdkapitalkosten der ÜNB führen würde. Bei einer 50-prozentigen Beteiligung des Bundes an allen Übertragungsnetzbetreibern könnten die Kosten bis 2080 um rund 100 Milliarden Euro (real) gegenüber einem Szenario ohne weitere Staatsbeteiligung sinken. Die Netzentgelte und die Offshore-Umlage könnten dadurch etwa 10 Prozent niedriger ausfallen. Auch höhere Beteiligungen sind denkbar. Unserer Einschätzung nach sollten private Investoren jedoch mindestens in Höhe einer Sperrminorität (25%) beteiligt sein, um Effizienzen durch privates Beteiligungsmanagement zu realisieren.

Unser Vorschlag senkt Netzentgelte strukturell und belastet den Haushalt nicht

Der Staatseinstieg bei den ÜNB hat das Potenzial, Kapitalengpässe zu verringern und die Finanzierungskosten substanziell zu reduzieren, und damit auch die Netzkosten und Netzentgelte. Durch die staatliche Finanzierung würde die Schuldenquote um weniger als einen Prozentpunkt steigen, ohne dass die Schuldenbremse tangiert würde. Denn die notwendigen Kredite können als finanzielle Transkation verbucht werden, ihnen stehen renditeerbringende Eigenkapitalbeteiligungen entgegen. Sobald sich das Investitionsvolumen nach 2045 auf einem neuen Niveau eingependelt hat, wäre es denkbar, die Beteiligungen wieder zu veräußern.

Der große Vorteil dieser Lösung ist es, dass die Netzentgelte langfristig strukturell reduziert werden, ohne das Haushaltsmittel dafür nötig sind. Diese Lösung könnte damit einen wesentlichen Beitrag zur Ambition der Rot-Grünen Bundesregierung sowie der Union leisten, die Netzentgelte langfristig zu reduzieren. Um die Netzentgelte jedoch kurzfristig zu halbieren – wie es die CDU jüngst angekündigt hat – wären weitere Zuschüsse aus dem Haushalt notwendig. Beide Ansätze lassen sich aber sinnvoll kombinieren.

Unsere Leseempfehlungen:

  • Mehr Details zu unserer Studie zum Übertragungsnetzausbau finden sich hier. Auch sehr empfehlenswert ist dieser Artikel im Handelsblatt über unsere Studie.
  • Der regulatorische Rahmen für die Bestimmung der Netzentgelte hat noch weitere Schwächen. Das kann man zum Beispiel in dieser Kurzstudie des energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln nachlesen.
  • Anstatt die Netzkosten nur an die Verbraucher:innen weiterzugeben, könnte man auch die Erzeuger an den Kosten zu beteiligen. Warum dies nach hinten losgehen könnte, erklärt Andreas Jahn in seinem Standpunkt im Tagesspiegel Background.

Medienrück- und Veranstaltungsausblick 05.12.24

  • Rückblick
    • Am 14.11.24 wurde im Podcast Das Neue Berlin ein Gespräch mit Philippa Sigl-Glöckner über die Schuldenbremse veröffentlicht.
    • Am 20.11.24 erwähnte Al Jazeera die Studie des Dezernats zu öffentlichen Finanzierungsbedarfen bis 2030 und zitierte Max Krahé zum Thema der Schuldenfinanzierung öffentlicher Ausgaben.
    • Am 20.11.24 zitierte The Economist [Paywall] Max Krahé zur Schuldenbremse und dem deutschen Wirtschaftsmodell.
    • Am 22.11.24 wurde unsere Studie zu öffentlichen Finanzierungsbedarfen bis 2030 im Tagesspiegel Background erwähnt.
    • Am 24.11.24 zitierte Le Monde [Paywall] Max Krahé.
    • Am 27.11.24 war Philippa Sigl-Glöckner zu Gast im APOKALYPSE & FILTERKAFFE – Podcast und besprach mit Gastgeber Micky Beisenherz Schuldenbremse & co.
    • Am 27.11.24 erschien ein Gespräch mit Philippa Sigl-Glöckner bei radio 3 zu den Alternativen zu einer Sparpolitik in Berlin.
    • Am 27.11.24 erschien ein Gastkommentar von Philippa Sigl-Glöckner im Handelsblatt zu einer modernisierten Schuldenregel und darüberhinausgehenden Reformen in der Haushaltspolitik.
    • Am 2.12.24 zitierte Tagesspiegel Background [Paywall] Janek Steitz zu Finanzierungsmöglichkeiten des Clean Industrial Deals der neuen EU-Kommission.
    • Am 3.12.24 wurde der neue Sammelband „Seeds for Democratic Futures“ von The New Institute in Hamburg vorgestellt. Bei der Veranstaltung diskutierten die Herausgeber:innen, Frederic Hanusch und Anna Katsman, mit zwei zum Band beitragenden Autor:innen, Max Krahé und Judith Simon. Der Sammelband kann zeitnah über die Website des transcript Verlages als Printversion gekauft bzw. als digitale Version kostenlos heruntergeladen werden.
    • Am 4.12.24 widmeten das Handelsblatt, TableMedia [Paywall], energate [Paywall] und EFahrer.com je einen Artikel dem am 2.12.24 erschienen Dezernats-Fachtext „Effekte staatlicher Beteiligungen auf den Stromnetzausbau“.
    • Am 4.12.24 zitierte der Tagesspiegel [Paywall] Florian Schuster-Johnson zur Reform der Schuldenbremse.
    • Am 4.12.24 zitierte Tagesspiegel Background [Paywall] Felix Heilmann zu den potenziellen Auswirkungen des CDU-Energieprogramms auf die Klimaschutzfinanzierung.
    • Am 4.12.24 zitierte Mission Wertvoll Max Krahé und aus Philippa Sigl-Glöckners Buch „Gutes Geld“ zu den Schwächen und der Reform der Schuldenbremse.
  • Ausblick 
    • Am 12. Dezember findet von 19:30 bis 21 Uhr die nächste Veranstaltung der englischsprachigen Gesprächsreihe „Ideas of Energy“ statt, die das Dezernat Zukunft mit der Freigeist-Forschungsgruppe ‘Geopolitics in the Age of Offshore Finance‘ an der Freien Universität Berlin und dem Global Public Policy Institute (GPPi) organisiert. Dieses Mal wird Andreas Goldthau, Politikwissenschaftler und Professor für Public Policy an der Willy Brandt School der Universität Erfurt, über die globalen Verteilungsfragen der Energiewende sprechen. Die Veranstaltung findet in Präsenz in Berlin statt. Hier geht es zur Anmeldung.
    • Weitere Veranstaltungstermine der Gesprächsreihe „Ideas of Energy“ finden sich hier.
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Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an axel.koelschbach[at]dezernatzukunft.org


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