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11. April 2025
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Florian Schuster-Johnson

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Geldbrief

Sondergeldbrief: Was der Koa-Vertrag für Potenzialwachstum und Haushalt bedeutet

Lesedauer: 7 min
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Saskia Gottschalk, Sven von Wangenheim, Dr. Florian Schuster-Johnson

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist da. Er steht unter dem Motto Wachstum. In der ersten Studie unseres neu gegründeten Growth & Budget Lab schätzen wir, wie viel Potenzialwachstum im Koalitionsvertrag steckt und was das für den Bundeshaushalt bedeutet. Dieser Geldbrief fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen.

Während Donald Trump das globale Handelssystem zerlegt, schreiben die schwarz-roten Koalitionäre die letzten Passagen ihres Koalitionsvertrags. Der Elefant im Raum: Wie soll Deutschland nur künftig wieder wachsen, wenn auf die Exporte kein Verlass mehr ist? Darauf soll der Koalitionsvertrag eine Antwort geben.

Tut er das? Wir haben den Koalitionsvertrag genau unter die Lupe genommen: Was steht drin? Welche geplanten Maßnahmen könnten das Potenzialwachstum ankurbeln? Und wie wirkt sich das auf den Bundeshaushalt aus? Unser Fokus liegt nicht auf kurzfristigen Konjunktureffekten, sondern auf dem Potenzialwachstum. Damit schätzt man, wie viel eine Wirtschaft wachsen kann – falls die aktuelle Nachfrage das hergibt.

Für unsere Analyse schätzen wir in einem ersten Schritt den Einfluss ausgewählter Maßnahmen auf die einzelnen Produktionsfaktoren: Arbeitseinsatz, Kapital und Produktivität. Anschließend berechnen wir mit dem Produktionsfunktionsansatz, wie sich die geplanten Maßnahmen auf die Wirtschaftsleistung auswirken. Details zu Methodik und Annahmen finden sich in unserer Studie.

Wichtig zu beachten ist: Unsere Analyse ist indikativ, mit Unsicherheiten behaftet und erfordert Annahmen, weil viele Projekte im Koalitionsvertrag erst im weiteren Regierungshandeln konkretisiert werden. Aber wir können abschätzen, wie sehr das Potenzialwachstum steigen kann, sofern gleichzeitig die Nachfrage so stimuliert wird, dass sie das Potenzial ausschöpft.

Stehen die Weichen auf Wachstum?

Unsere Analyse konzentriert sich auf solche Maßnahmen, die einerseits im Koalitionsvertrag hinreichend konkret sind und andererseits erwartbar Wachstumseffekte haben, indem sie potenziell das Arbeitsangebot, Investitionen oder die Produktivität steigern.

Im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen hatten sich Union, SPD und Grüne bereits auf ein umfassendes Fiskalpaket geeinigt. Dieses beinhaltet ein Sondervermögen von 500 Mrd. Euro für Investitionen in Infrastruktur und für Klimaneutralität. Zudem werden Verteidigungsausgaben jenseits von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts von der Schuldenbremse ausgenommen. Auch die Wachstumseffekte dieses Pakets haben wir in unsere Analyse miteinbezogen.

Doch Geld allein wird nicht reichen; es muss auch sinnvoll eingesetzt werden. Um dem zunehmenden Arbeitskräftemangel zu begegnen, plant die kommende Bundesregierung zwei zentrale Schritte: Zum einen soll eine steuerfreie Aktivrente von bis zu 2.000 Euro monatlich längeres Arbeiten im Alter finanziell attraktiver machen. Zum anderen soll die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte mit einer „Work and stay“-Agentur erhöht werden. Wir gehen davon aus, dass diese Maßnahmen das Arbeitsangebot spürbar erhöhen könnten.

Die kommende Bundesregierung will zudem stärkere Anreize für private Investitionen setzen. Konkret sollen durch einen massiven Bürokratierückbau die Verwaltungskosten für Unternehmen um rund 16 Milliarden Euro gesenkt werden. Des Weiteren sollen vorrübergehend stark degressive Abschreibungsregelungen eingeführt werden: Unternehmen können ihre Investitionskosten in den ersten Jahren so stärker von ihrem zu versteuernden Gewinn abschreiben. Dies würde Steuern sparen und die kurzfristige Liquidität von Unternehmen verbessern. Darüber hinaus soll der sogenannte Deutschlandfonds zehn Milliarden Euro an Eigenmitteln bereitstellen – beispielsweise in Form von Garantien – und damit rund 90 Milliarden Euro an privatem Kapital mobilisieren.

Der Koalitionsvertrag sieht des Weiteren vor, die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben in Forschung und Entwicklung (F&E) von 3,1 Prozent in 2023 auf 3,5 Prozent des BIP bis 2029 zu steigern. Nun sind Ziele noch keine Maßnahmen und Maßnahmen müssen erst umgesetzt werden. Deshalb skalieren wir die Vorhaben der Regierung so herunter, dass sie plausibel erreichbaren Reformen entsprechen.

Neben den genannten Maßnahmen enthält der Koalitionsvertrag weitere wachstumsförderliche Elemente, die allerdings noch nicht hinreichend konkret sind, um ihre Effekte zu schätzen. Hierzu zählen zum Beispiel die Stärkung der Erwerbsbeteiligung von Frauen, eine Reform der Hinzuverdienstregeln beim Bürgergeld und Steuerentlastungen für Erwerbstätige.

Wie viel Wachstum ist drin?

Unsere Analyse zeigt, dass die im Koalitionsvertrag genannten Maßnahmen und Ziele das Potenzialwachstum bis 2029 um 0,4 Punkte auf 1,2 Prozent steigern könnten. Die ausgegebene Zielmarke der schwarz-roten Koalition, das Potenzialwachstum auf über ein Prozent zu erhöhen, wäre damit erreicht. Die größten Beiträge hierzu leisten das staatliche Investitionspaket und eine potenziell erhöhte Erwerbsmigration.

Tabelle 1

Wir schätzen, dass sich daraus in der kommenden Legislaturperiode im Bundeshaushalt wachstumsbedingte Mehreinnahmepotenziale von 24 Milliarden Euro ergeben könnten. Das ist substanziell, aber: Gleichzeitig überschlagen wir, dass der Koalitionsvertrag eine neue Finanzierungslücke von mindestens 50 Milliarden Euro aufreißt. Dazu tragen einige teure Wahlversprechen wie die Mütterrente, die Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie oder eine höhere Pendlerpauschale bei. Die im Vertrag genannten Einsparpotenziale sind dagegen eher unklar.

Abbildung 1

EU-Fiskalregeln: Potenzialwachstum matters!

Ob der Koalitionsvertrag das Potenzialwachstum spürbar erhöht, ist vor allem im Kontext der EU-Fiskalregeln wichtig. Denn nach dem Fiskalpaket sind diese – und nicht mehr die Schuldenbremse – die bindende Restriktion der deutschen Finanzpolitik. Und die EU-Regeln funktionieren an einer Stelle deutlich smarter als die Schuldenbremse: Höheres Potenzialwachstum führt zu mehr Spielraum.

Das funktioniert so: Durch eine erwartbare Ausnahmeregelung wird für Deutschland das zentrale Kriterium sein, ob die Schuldenquote nach den Berechnungen der EU-Kommission langfristig fällt. Um die Schuldenquote zu projizieren, müssen Annahmen über zukünftiges Wachstum, Zinsen und Inflation getroffen werden. Dabei führt ein höheres Potenzialwachstum auch zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, dass die Schuldenquote fällt. Der Spielraum unter den EU-Regeln wird größer.

Abbildung 2

Wir haben uns angeschaut, welchen Effekt die von uns aus dem Koalitionsvertrag abgeleiteten Potenzialwachstumsraten auf die Schuldenquotenprojektion der EU-Kommission haben. Abbildung 2 zeigt das Ergebnis: Ein höheres Potenzialwachstum macht es einfacher, die EU-Regeln einzuhalten. Die Schuldenquote fällt unter diesen Annahmen früher und schneller als ohne Berücksichtigung der Maßnahmen.

Das Problem ist nur: Der Schätzung des Potenzialwachstums durch die EU-Kommission liegt die unplausible Annahme zugrunde, dass heutige Politikmaßnahmen wenig Einfluss auf das Wachstum von morgen haben. Mit anderen Worten: Selbst, wenn ein Land große Investitionen tätigt, geht die EU-Kommission davon aus, dass das Wirtschaftswachstum dadurch kaum beeinflusst wird. Das ist nicht plausibel, denn der Realitätscheck und unsere Analyse zeigen, dass Reformen die Wachstumsraten durchaus (positiv) verändern können. Daher unser Vorschlag: Die neue Bundesregierung sollte die Effekte des Koalitionsvertrags in die Berechnung der Potenzialwachstumsraten miteinbeziehen.

Wachstum mitdenken und mitrechnen

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD steht unter dem Motto Wachstum. Er ist nicht der eine große Reformwurf, aber viele Einzelmaßnahmen könnten durchaus signifikante Wachstumsimpulse entfalten. Das dürfte die Haushaltssituation des Bundes mittelfristig etwas entspannen und es erleichtern, die EU-Fiskalregeln einzuhalten.

In eigener Sache: Diese Analyse ist die erste Studie unseres neugegründeten Growth & Budget Lab. Sein Ziel ist, Wachstum und Finanzpolitik zusammenzudenken, plausible Analysemodelle zu entwickeln und die Grundlage für eine Wirtschafts- und Finanzpolitik zu schaffen, die wissenschaftlich fundierter ist als heute. Unsere Analyse des Koalitionsvertrags zeigt, wie das gelingen kann: Wachstum sollte in der Haushaltspolitik mitgedacht und miteinberechnet werden.

Unsere Leseempfehlungen:

  • Hier finden sie unsere ausführliche Analyse der Potenzialwachstums- und fiskalischen Effekte des Koalitionsvertrags.
  • Hier geht es zum Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD.
  • Hier geht’s zur Kurzanalyse des IW zum Koalitionsvertrag

Medienrück- und Veranstaltungsausblick 11.04.25

  • Rückblick
    • Am Am 26.03.2025 erschienen Interviewausschnitte mit Florian Schuster-Johnson in einem Beitrag von Al-Jazeera zu den aktuellen Koalitionsverhandlungen und dem Fiskalpaket.
    • Am 01.04.2025 zitierte Tagesspiegel Background [kostenfreies Abo notwendig] Niklas Illenseer zum Klima- und Transformationsfonds (KTF).
    • Am 02.04.2025 war Philippa Sigl-Glöckner zu Gast für ein Live-Interview bei Ö1 zum Thema Staatsverschuldung. Unter der Moderation von Philipp Blom sprach sie diesbezüglich mit Peter Rosner (em. Professor für Volkswirtschaft an der Universität Wien).
    • Am 06.04.2025 zitierte die taz Levi Henze zur Studie des IfW namens „Die sicherheitspolitische Dividende der Klimapolitik“.
    • Am 07.04.2025 erschien ein Gastbeitrag von Max Krahé und Aurora Li zum Thema Schuldenpaket und Kapazitätenauslastung in der Zeit.
    • Am 08.04.2025 erschien ein Gastbeitrag von Philippa Sigl-Glöckner in The Pioneer [kostenfreies Abo notwendig] zum Entstehungskontext der Kennzahlen der Schuldenbremse.
    • Am 09.04.2025 wurde im heute journal die neue Studie „Wie viel Potenzialwachstum steckt im Koalitionsvertrag?“ von Sven von Wangenheim, Saskia Gottschalk und Dr. Florian Schuster-Johnson
    • Am 10.04.2025 berichtete das Handelsblatt [Paywall] über die neue Studie „Wie viel Potenzialwachstum steckt im Koalitionsvertrag?“ von Sven von Wangenheim, Saskia Gottschalk und Dr. Florian Schuster-Johnson.
  • Ausblick
    • Am 28.05.2025 findet das nächste Event der englischsprachigen Veranstaltungsreihe „Ideas of Energy“ statt, organisiert von der Freigeist-Forschungsgruppe ‘Geopolitics in the Age of Offshore Finance‘ an der FU Berlin, dem Global Public Policy Institute (GPPi) und dem DZ. Zum Thema „Energy and Prices“ wird Brett Christophers sprechen, Professor für Humangeografie (Uppsala Universitet) und Autor von “The Price is wrong – Why Capitalism won’t save the Planet”. Das Formular zur Anmeldung wird bald verfügbar sein.

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an saskia.gottschalk[at]dezernatzukunft.org


 

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