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9. November 2020
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Max Krahé

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Planungssicherheit für Finanzpolitik: eine Einführung zur fiskal-geldpolitischen Koordination

9 min Lesezeit
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MATHIS RICHTMANN, MAX KRAHÉ

Zinsen können sich sprunghaft ändern, so heißt es oft, mit niedrigen Zinsen könne der Staat also nicht planen. Aber stimmt das? Historisch gesehen nicht unbedingt. Dieser Artikel erklärt, wie Zentralbanken öffentliche Zinsniveaus beeinflussen können – und in der Vergangenheit beeinflusst haben – und damit Planungssicherheit für Finanzpolitik schaffen. Ob durch Anleihekäufe, Regulierung, oder Garantien, ob mit Mengenvorgaben wie bei Quantitative Easing oder einer Preisvorgabe wie bei Yield Curve Control: fiskal-geldpolitische Kooperation kann das Risiko plötzlicher Zinssprünge absenken, und damit die Finanzierungsstrukturen öffentlicher Haushalte langfristig planbarer machen.

Einleitung

450 Milliarden Euro müsste die Bundesregierung über das nächste Jahrzehnt investieren, um grundlegende Infrastrukturen zu erneuern und die deutsche Wirtschaft zukunftsfest zu machen, so die Wirtschaftsforschungsinstitute IMK und IW noch kurz vor der Corona-Krise. Dazu kommen die jetzt notwendigen Ausgaben, um die Corona-Pandemie zu bekämpfen, deren wirtschaftliche Nebeneffekte abzufedern, und den post-Corona Neustart zu schaffen.

Diese Ausgaben, so argumentieren viele (inkl. uns), sollte der deutsche Staat über Staatsanleihen finanzieren. Zinsen sind historisch niedrig, und da durch Anleihenfinanzierung zusätzliche Nachfrage geschaffen wird — und nicht, wie bei Steuerfinanzierung, Nachfrage überwiegend nur umlenkt — ist sie gerade in Krisenzeiten das richtige Mittel. Und auch in normalen Zeiten kann die Anleihenfinanzierung von Staatsausgaben nützlich sein, um die Wirtschaft näher an die Vollbeschäftigung zu steuern.

Problematisch an dieser Argumentation ist jedoch, dass ungeklärt bleibt, ob Zinsen längerfristig so niedrig bleiben. Zinsen können und haben sich oft geändert. Sollten diese maßgeblich steigen, so würden Ausgaben für Schuldendienst und Tilgung wachsen, wodurch Druck auf andere Staatsausgaben und Umverteilung von unten nach oben entstehen würde.[1]

Das Zinsniveau ist kein Naturgesetz

Das Risiko von steigenden Zinsen ist real — doch das Zinsniveau ist kein Naturgesetz: Ob und wie lange Zinsen niedrig bleiben, wird auch von Zentralbanken bestimmt. Diese können mit unterschiedlichen Mitteln die Zinsen auf Staatsanleihen beeinflussen bzw. sie längerfristig auf ein bestimmtes Niveau festlegen. Da Geldpolitik durch eine solche Zinsfestlegung bzw. Zinsbeeinflussung mehr Planungssicherheit für Finanzpolitik schafft, spricht man hier im Allgemeinen von fiskal-geldpolitischer Koordination.

Doch wie sieht diese konkret aus? Wo, wann, und unter welchen Umständen wurde davon Gebrauch gemacht? Im Folgenden diskutieren wir eine Reihe von historischen Beispielen; wir kategorisieren dabei danach, ob Zentralbanken direkt oder indirekt intervenieren, und ob auf die Menge oder den Preis von Staatsschulden abgezielt wird (siehe Abbildung).

Fiskal-geldpolitische Koordination kann direkt oder indirekt, mengen- oder preisbasiert umgesetzt werden

Direkte Mengenkontrolle

Seit der Globalen Finanzkrise gehört das Quantitative Easing zum gängigen Repertoire von Zentralbanken. Dabei kaufen Notenbanken Anleihen in festgelegten Mengen über einen bestimmten Zeitraum. Durch Erhöhung der Nachfrage steigert dies den Kurspreis dieser Anleihen und senkt so ihren Zinssatz. Um Vorwürfen der direkten Staatsfinanzierung zu entgehen, werden die Anleihen in der Eurozone am sogenannten Sekundärmarkt gekauft. Emittenten verkaufen also an Finanzinvestoren, die dann an die Notenbanken weiterverkaufen.

Doch Open Market Operations – also geldpolitische Anleihean- und verkäufe – gehören seit langem zum Werkzeugkasten von Zentralbanken. So kauften zum Beispiel die US Federal Reserve in den 1930er Jahren größere Mengen an US Staatsanleihen (Treasuries) um die New Deal Reformen der Roosevelt Regierung zu unterstützen.

Die Bank of Japan ging unter der Regierung Korekiyo Takahasi 1932 noch einen Schritt weiter. Die Zentralbank kaufte komplette Emissionen neuer Staatsanleihen direkt auf und kontrollierte Inflation und Überschussliquidität, indem sie selbst Staatsanleihen an den Markt weiterverkaufte. Preisniveaus blieben hierbei stabil, da die 20 prozentige Fiskalexpansion Arbeit schuf und ungenutzte Ressourcen mobilisierte. Erst nach Takahasis Ermordung und der folgenden Monetisierung von massiven Militärausgaben trieb die Inflation ab 1937 davon.

Seit 2014 kauft die Europäische Zentralbank in ihren Quantitative Easing Programmen Staats- und andere Schuldtitel an. Bis Ende 2019 belief sich die Summe der Ankäufe auf etwa 2,8 Trillionen Euro im gesamten Anleiheuniversum, wovon ca. 80% auf Staatsanleihen entfielen (PSPP), 20% auf die Anleihen großer Banken (CBPP3) und Unternehmen (CSPP). Der gesamte Nachfrageeffekt hat nach Analysen der EZB Zinsen auf Staatsanleihen in der Eurozone um bis zu 100 Basispunkte, sprich ein Prozentpunkt, reduziert (siehe Abbildung, Quelle).

Einfluss des Anleihekaufprogramms (APP) der EZB auf die Zinsstruktur europäischer Staatsanleihen

Direkte Preiskontrolle

Anders als bei Programmen mit Mengenzielsetzung können Notenbanken auch einen bestimmten Zinssatz für Staatsanleihen festlegen. Auch dabei kauft die Zentralbank Anleihen im Markt, jedoch immer nur so viel, dass das gewünschte Zinsniveau eingehalten wird.

Die Bank of Japan betreibt diese so genannte Yield Curve Control (YCC) seit 2016. Seit Mai dieses Jahres nutzt auch die Australische Zentralbank (RBA) diese Politik. Die Reserve Bank of Australia kauft (und verkauft) täglich so viele Anleihen im Markt wie nötig sind, um Yields dreijähriger australischer Staatsanleihen bei 0,25 Prozent festzuschreiben. Diese Strategie kommt dabei häufig mit mengenmäßig viel geringeren Ankäufen als Quantitative Easing Programme aus, wenn die Glaubwürdigkeit am Markt nicht in Frage gestellt wird.

Zinsentwicklung der 10 jährigen Australischen Staatsanleihe, nicht die von der BofA anvisierte 3 jährige Anleihe.

Schon zwischen 1942 und 1951 gehörte Yield Curve Control zum geldpolitischen Instrumentarium der US Federal Reserve. Die Fed deckelte damals langfristige Zinsen, um die Kriegsausgaben der US Regierung zu unterstützen.

Über die Vor- und Nachteile von Yield Curve Control wird in Expertenkreisen gestritten. Da die Wirkungsmechanismen und Konsequenzen verschiedener Arten von Yield Curve Control kompliziert sind, werden wir dieses Werkzeug in einem zukünftigen Beitrag näher betrachten.

Indirekte Mengenkontrolle

Neben direkten Eingriffen am Markt können Zentralbanken auch durch indirekte Maßnahmen Zinsen und damit staatliche Finanzierungskosten beeinflussen. Hierbei sind die Grenzen zwischen Mengen- und Preisinstrumenten fließender.

So wurde zum Beispiel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Finanzmarktregulierung benutzt, um die private Nachfrage nach öffentlichen Schuldtiteln zu sichern bzw. zu steigern. Die Vereinigten Staaten, Canada und das Vereinigte Königreich verpflichteten zum Beispiel die bei ihnen ansässigen Banken dazu, Mindestmengen an Staatsanleihen zu halten.

Großbritannien folgte 1940 den Empfehlungen von John Maynard Keynes und gebot es inländischen Banken dem Britischen Finanzministerium (HM Treasury) Treasury Deposit Receipts (TDRs) zu einem festgelegten Zinssatz abzukaufen. TDRs waren als unverkäufliche Verträge strukturiert und konnten somit Geldschöpfung nicht weitertreiben. Da Finanzinstitute regulatorisch verpflichtet wurden bestimmte Finanzinstrumente zu halten, wurde nicht nur eine Zinsfestlegung der Titel möglich gemacht, sondern auch ein bestimmtes Nachfrageniveau garantiert.

Indirekte Preiskontrolle

In der Eurozone hat die Europäische Zentralbank über ihr Collateral-Framework einen indirekten aber starken Einfluss auf die Zinsen von Staatsanleihen. Denn sie legt fest, welche Anleihen für geldpolitische Operationen, insb. Refinanzierungsgeschäfte, als Sicherheiten hinterlegt werden dürfen. Jenen Anleihen, die „notenbankfähig“ sind, wird dadurch ein effektiver Mindestpreis (= Zinsdeckel) garantiert, da sie jederzeit bei der Zentralbank für Refinanzierungsgeschäfte hinterlegt werden können, sie also in Bargeld bzw. Zentralbankreserven umtauschbar sind.

Vor der Eurokrise waren die Staatsanleihen aller Euroländern gleich notenbankfähig, was zu einer fast vollständigen Annährung der Zinsniveaus beitrug. Aber 2005 entschied die EZB, die Notenbankfähigkeit von Eurozonenstaatsanleihen an die Ratings privater Ratingagenturen zu koppeln: sollte das Rating einer Anleihe unter „single A“ fallen, so verlor diese von nun an sofort ihre Notenbankfähigkeit. Indem sie den indirekten Zinsdeckel bzw. Mindestpreis zerbrechlich machte, ermöglichte diese Entscheidung den berühmten „Bank-Sovereign Doom Loop“.[2]

Unterstützung staatlicher Investitionsbanken

Schließlich können Zentralbanken gezielt öffentliche Investitionsbanken mit Garantien oder direkter Finanzierung unterstützen, um deren Refinanzierungskosten zu senken und damit mehr langfristige Investitionen möglich zu machen. Solche Modelle werden für die Europäische Investitionsbank (EIB) schon seit einigen Jahren vorgeschlagen: Die Europäische Zentralbank könnte die EIB mit Garantien ausstatten, um so strategische Industriepolitik zu finanzieren.

Ein historisches Beispiel direkter Finanzierung öffentlicher Investitionsbanken ist die von der Bank of Canada 1944 gegründete Industrial Development Bank (IDB). Ihr Ziel war es den kanadischen Mittelstand mit gezielter Kreditvergabe zu unterstützen. Die IDB erhielt ihr Eigenkapital aus Geldschöpfung der Bank of Canada. Schätzungen gehen davon aus, dass die IDB zeitweise bis zu 25 Prozent der inländischen Kreditvergabe an den Privatsektor ausmachte. In den 1970er Jahren wurde die Verbindung zwischen kanadischer Zentralbank und IDB jedoch aufgehoben.

Nichts ist umsonst, aber manches ist besser als anderes

Um die historische Aufgabe zukünftiger Investitionen zu meistern — ohne durch Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen anderswo die Wirtschaft abzuwürgen — kann und sollte der Staat auf Anleihenfinanzierung zurückgreifen. Mittels fiskal-geldpolitischer Koordinierung wiederum kann die Zentralbank das damit verbundene Zinsrisiko kontrollieren, und damit Finanzpolitik besser planbar machen. Dies ist historisch auf verschiedene Arten und Weise öfters geschehen, wie in diesem Artikel beschrieben. Geldpolitisch-volkswirtschaftlich ginge dies trotz des Verbots direkter Staatsfinanzierung wahrscheinlich auch heute, zum Beispiel über das EZB Collateral-Framework oder Yield Curve Control.

Doch oft heißt es in der VWL, dass es nichts umsonst gibt: “there is no free lunch”. Bei dauerhaft niedrigen Zinsen, so die Sorge, besteht die Gefahr von schnell ansteigender Inflation.

Diese Gefahr ist real, hängt aber von einer Vielzahl sehr beweglicher Faktoren ab. Grob kann man sagen, dass eine Niedrigzinsfestlegung unproblematisch ist, solange es brachliegende Ressourcen gibt — z.B. Arbeitslosigkeit und ungenutzte Büroräume und Fabrikhallen — die durch weitere Ausgaben mobilisiert werden. Sobald eine Wirtschaft jedoch an der Kapazitätsgrenze ist, kann eine Niedrigzinsfestlegung inflationstreibend wirken: durch öffentliche, anleihenfinanzierte Ausgaben oder private Kreditschöpfung neu erschaffene Nachfrage mobilisiert dann keine brachliegenden Ressourcen mehr, sondern treibt die Preise existierender Güter und Dienstleistungen in die Höhe.

Wo genau dabei die Kapazitätsgrenze liegt, das ist die eine-Millionen-Euro Frage. Für heute kann man wohl sagen: In einem Umfeld strukturell niedriger Inflation könnten Zentralbanken ohne weiteres dafür sorgen, dass Zinsen auch weiterhin niedrig bleiben. So dies gewollt ist, könnten Zentralbanken also direkt oder indirekt fiskalischen Spielraum und Planbarkeit schaffen, um damit das Angehen großer Aufgaben – wie der Nachhaltigkeitswende oder Corona – mit ambitionierter Finanzpolitik zu ermöglichen. Wie und wann eine solche Niedrigzinsfestlegung dann aufgelöst werden sollte, darüber streiten sich Expert:innen — zu recht.


Titelbild: Montage des Chart 8, Eser et al. 2019

[1] Staatsanleihen gehören überwiegend wohlhabenden Haushalten sowie Banken und Finanzfirmen (die wiederum überwiegend reicheren Haushalten gehören), während Steuern von der breiten Mitte der Gesellschaft gezahlt werden. Durch diese Besitz- und Steuerstruktur entsprechen Schuldendienst und Tilgung im Allgemeinen einer Umverteilung von unten nach oben, die umso größer ist, je höher die Zinsen stehen.

[2] Wenn Zweifel an der Solvenz einer Regierung entstehen, steigen die Zinsen auf ihre Anleihen. Solange die Anleihen notenbankfähig sind, bleibt der Anstieg begrenzt. Doch sobald Ratingagenturen die Anleihen so abstufen, dass sie ihre Notenbankfähigkeit verlieren, schießt der Zins in die Höhe, der Kurs fällt. Weil die größten Besitzer von Staatsanleihen üblicherweise heimische Banken sind, geraten diese nun in Schieflage. Um schlimmeres zu verhindern, muss der Staat diese Banken retten, was allerdings die Ausgabe weiterer Anleihen erfordert, was deren Preis weiter absenkt, ihre Zinsen weiter in die Höhe treibt, und so sowohl Banken als auch Staatshaushalt in noch größere Schieflage bringt. Diese Abwärtsspirale kann von der Zentralbank gestoppt werden, indem sie die Anleihen weiterhin als Sicherheiten annimmt und so einen Mindestpreis/Zinsdeckel garantiert.

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