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10. März 2022
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Florian Kern

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Geldbrief

Investitionen: Besser spät als nie, aber auch besser günstig als teuer

6 min
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Florian Kern

Politik ist die Priorisierung von Interessen. Der Erhalt unserer Souveränität und die Gewährleistung nationaler Sicherheit sind Kernaufgaben des Staates, die prioritär gegenüber Fiskalregeln sein sollten. Das Risiko, dass die öffentliche Hand für diese Kernaufgaben zu hohe Defizite und damit eine Überauslastung der Wirtschaft befeuert, ist real, jedoch weniger problematisch als das Risiko, dass diese Aufgaben nicht ausreichend finanziert werden.

In seiner Rede zur Lage der Nation erklärte der damalige US-Präsident John F. Kennedy im Januar 1962: “The best time to repair the roof is when the sun is shining” („die beste Zeit, um das Dach zu reparieren, ist wenn die Sonne scheint“)[1]. Kaum jemand wird Kennedy an dieser Stelle widersprechen und bevorzugt bei Regen das Dach reparieren wollen. Aber obwohl Kennedys Plädoyer für eine vorausschauende Politik, die günstige Gelegenheiten am Schopf ergreift, grundsätzlich von fast allen geteilt werden dürfte, kann es doch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon geben, was vorausschauende Politik konkret in der Umsetzung bedeutet.

Der Ökonom Matt Klein argumentiert in einem hervorragenden Podcast vom 8. März 2022, Deutschland habe in den letzten Jahren bei guter Konjunktur und niedrigen Rohstoffpreisen schlicht eine andere Definition davon gehabt, was es heißt, das Dach zu reparieren. Statt die niedrigen Kosten für Rohstoffe und das vorhandene Arbeitskräfteangebot zu nutzen, um funktionierende Infrastruktur, Stromnetze oder LNG-Terminals zu errichten, habe man auf eine Reduktion der Schuldenquote gesetzt. Die Hoffnung, die damit einherging, war, dass man mit einer niedrigen Schuldenquote für schlechte Zeiten vorsorgen könne.

Im Nachhinein ist man natürlich immer schlauer und rückblickend ist klar, dass wir an dieser Stelle die falsche Entscheidung getroffen haben. Mit einem Blick auf aktuelle Rohstoffpreise (Abbildung 1), Inflationserwartungen (Abbildung 2) und den Arbeitsmarkt (Abbildung 3) erscheint offensichtlich, dass wir 2016 nicht nur erheblich günstiger Infrastruktur hätten errichten können als heute, sondern dass diese uns aktuell auch mehr nutzen würde als eine kleinere Schuldenquote.

Abbildung 1

Abbildung 2

Abbildung 3

Für Unternehmen sind das keine Neuigkeiten: Kein Unternehmer macht seine Investitionsentscheidung davon abhängig, wie viele Verbindlichkeiten er schon hat, sondern davon, was die Investition kostet und was er sich aus ihr verspricht.

Staatliche Investitionspfade sollten verlässlich und planbar sein

Die Befürworter von Schuldenregeln argumentieren hingegen wie folgt: „Wir hätten ja auch investieren können, wenn wir an anderer Stelle Ausgaben reduziert hätten“. Diese Argumentation übersieht wichtige Details in der Haushaltsplanung. Wer prioritär eine Schuldenregel einhalten möchte, plant zunächst konservativ. Investitionspakete werden dann so klein geschnürt wie möglich, um diskretionären Spielraum im Haushalt zu erhalten. Unter Schuldenregeln gilt nicht der als vorsichtig und vorausschauend, der mit wichtigen Investitionen energiepolitische Souveränität herstellt, sondern derjenige, der nur wenig investiert, sodass die Schuldenregel auch dann eingehalten wird, wenn Einnahmen und Ausgaben etwas schlechter ausfallen als gedacht. Unter Schuldenregeln leiden daher vor allem die langfristig geplanten Investitionen, die wiederum besonders wichtig sind, damit die Industrie die notwendigen Kapazitäten aufbaut, um diese überhaupt umsetzen zu können.

Wir brauchen eine Umkehr der Prioritätensetzung

Wenn wir feststellen, dass wir heute lieber besser Stromnetze, eine höhere Produktion an Freiheitsenergien und LNG-Terminals hätten als eine niedrige Schuldenquote, dann sollte sich diese Prioritätensetzung auch in unserem institutionellen Rahmen wieder finden. Bislang sagen uns unsere Fiskalregeln: „Spart doch woanders Ausgaben ein, wenn ihr investieren wollt“. Stattdessen müsste es heißen „Investitionen in unsere energiepolitische Souveränität müssen prioritär und auf jeden Fall umgesetzt werden“. Wenn durch solche Investitionen so viel staatliche Nachfrage ausgelöst wird, dass die Wirtschaft überhitzt und Inflation droht, dann sollten fiskal- und geldpolitische Maßnahmen getroffen werden, um dieser Gefahr zu begegnen. Rückblickend kann man feststellen: 2015 bis 2020 waren Jahre, in denen wir extrem günstig hätten investieren können, ohne dass diese Gefahr bestanden hätte.

Wenn wir heute ad hoc erheblich in Infrastruktur investieren, wird das angesichts knapper Rohstoffe und relativ knapper Kapazitäten am Arbeitsmarkt nicht nur erheblich teurer, als es etwa vor der Pandemie gewesen wäre, sondern es wird schon bestehende Knappheiten verstärken und Preise weiter treiben. Unternehmen werden dann entweder auf private Investitionen verzichten (crowding out), oder sie nur dann in Erwägung ziehen, wenn sie sicher sind, dass sie die Preise im Anschluss entsprechend erhöhen können, was wiederum zu höherer Inflation beiträgt. Das bedeutet nicht, dass wir angesichts der russischen Bedrohung untätig bleiben sollen oder dass es in unserer Situation falsch wäre, zu investieren – im Gegenteil gilt auch hier das Motto „besser spät als nie“.

Dem Schriftsteller George Bernhard Shaw wird ein bekanntes Zitat zugeschrieben: „Erfolg besteht nicht darin, keine Fehler zu machen, sondern darin, den gleichen Fehler kein zweites Mal zu machen.“ Getreu diesem Motto sollten wir alles daran setzen, unsere Energieabhängigkeit von Russland zu reduzieren. Um einer Überhitzung des Arbeitsmarkts entgegenzuwirken sollten wir Maßnahmen umsetzen, die die Kapazitäten ausweiten (z. B. bessere Betreuungsmöglichkeiten), weitere Investitionen über einige Perioden verteilen und dies entsprechend kommunizieren, sodass auch die Unternehmen die Fachkräfte ausbilden und Kapazitäten aufbauen können, die notwendig sind, um staatliche Investitionen möglichst so umzusetzen, dass private Investitionen nicht verdrängt werden. Anstatt uns auf eine aussagelose Schuldenquote zu verlassen, sollten wir sicherstellen, dass wir über das notwendige Know-How in der deutschen Exekutive verfügen (und dieses nutzen!), um zu bewerten, in welchem Zustand unsere Volkswirtschaft sich gerade befindet und mit welchen Konsequenzen auf ihre Auslastung zu rechnen wäre, wenn der Staat mit zusätzlichen Ausgaben für höhere Nachfrage sorgt. Heute steht in der Begründung jedes Haushaltsgesetzes folgender Satz[2]:

„Mit seinen Ausgaben und Einnahmen wirkt der Bundeshaushalt direkt und indirekt auf eine Vielzahl von Einzelpreisen ein. Die vom Bundeshaushalt ausgehenden Auswirkungen auf das allgemeine Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, lassen sich nicht zuverlässig quantifizieren. Ob und inwieweit sich das Preisniveau verändert, hängt von den  innen- und außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und vom Verhalten der am Wirtschaftsprozess Beteiligten ab.“

Diese analytische Genügsamkeit sollten wir uns zukünftig nicht mehr leisten.   


Fußnoten

[1] Dass sich Dächer noch besser bei bewölktem Himmel decken lassen als in der Hitze strahlenden Sonnenscheins, sei Kennedy an dieser Stelle verziehen.

[2] Auf Seiten 14 findet sich das Zitat innerhalb des Dokuments.


Medien- und Veranstaltungsbericht 10.03.2022

  • Die Frankfurter Rundschau berichtet über das von uns mitgegründete European Macro Policy Network.
  • Philippa erklärt im Hauptstadtbrief, weshalb Zinserhöhungen nicht gegen hohe Energiepreise helfen und weshalb Investitionen notwendig sind, um unsere Abhängigkeit gegenüber steigenden Energiepreisen zu verringern.
  • Bloombergs „Money Stuff“ Newsletter und Adam Tooze in seinem Chartbook beziehen sich jeweils auf einen Thread von Florian Kern zur Frage, weshalb Staatsanleihen großer Volkswirtschaften mit guten Institutionen sich besser als Gold als Währungsreserve eignen.
  • Philippa wird in der Welt zur Frage zitiert, was das 100 Mrd EUR Sondervermögen zur Wiederherstellung der Wehrfähigkeit der Bundeswehr für die Schuldenbremse bedeutet.
  • Zur gleichen Frage diskutiert Philippa am 15.03 mit Sebastian Dullien, Jens Südekum und Hubertus Barth beim Forum New Economy. Zum Video der Veranstaltung geht es hier
  • Bloomberg zitiert Philippa in einem Artikel zu den Auswirkungen des Kriegs in die Ukraine auf die fiskalpolitische Ausrichtung der Eurozone.

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