Image
2. Mai 2022
 / 

Florian Kern

 / 
 / 
Geldbrief

Hufflepuff und Slytherin in der Politik

Lesedauer: 8 min
[wp_dark_mode_switch style="3"]

Florian Kern

„Viel mehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.“
– Albus Dumbledore

Zum internationalen Harry-Potter-Tag widmen wir uns der Frage, wie man reale Sicherheits- und Fiskalpolitik in Deutschland entlang der Häuser in Hogwarts charakterisieren kann. Mit Blick auf die wichtigsten Herausforderungen für unseren Wohlstand und unsere Freiheit wünschen wir uns mehr slytherinsches Denken in der Sicherheits- und weniger in der Fiskalpolitik.

Deutschland ist Hufflepuff-Land: Zumindest wenn es nach einer YouGov-Umfrage geht, über die die Süddeutsche berichtet hat. Die Autorin und Radiomoderatorin Sophie Passmann ist sogar der Ansicht, dass man nur Menschen daten sollte, die wissen, in welches Haus sie gehören. Doch was hat es mit den Hogwartshäusern auf sich?

Zunächst für den vermutlich kleinen Anteil unserer Leser, die J.K. Rowlings Zauberwelt noch nicht kennen: Harry Potter ist ein Zauberer, der wie viele junge Zauberer auf der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei eingeschult wird. Das große Internat Hogwarts besteht wiederum aus vier Häusern, denen die Schüler aber nicht zufällig zugeordnet werden, sondern basierend auf ihren Charaktereigenschaften. Am Tag der Einschulung wird jedem neuen Schüler und jeder neuen Schülerin der “Sprechende Hut” aufgesetzt, der das Wesen des Kindes einschätzt und es dem Haus zuordnet, das am ehesten dem Charakter des Kindes entspricht und in dem dieses sein Potenzial am besten entfalten kann.

Jedes der vier Häuser ist nach einer Gründerin oder einem Gründer des Internats benannt und steht dabei für unterschiedliche  Eigenschaften. Hier die wichtigsten im Überblick:

Um das kurz an einem sicher unperfektem Beispiel durchzuskizzieren: Würde der “Sprechende Hut” Hunderassen den Häusern zuordnen (Hundefans mögen uns die sicher unterkomplexe Zuordnung ihres Lieblingshunds verzeihen und nein, wir sind nicht die ersten, die auf die Idee kamen), wäre ein Labradoodle am ehesten in Hufflepuff, ein Dobermann in Slytherin, ein Pudel in Ravenclaw und ein Schäferhund in Gryffindor.

Um unsere völlig unqualifizierte und subjektive Bewertung auch noch auf Menschen auszudehnen, könnte man auch Serena Williams und Manuel Neuer in Gryffindor sowie Gary Kasparow und Ruth Bader Ginsburg in Ravenclaw einordnen. Aber auch politische Doktrinen lassen sich entlang der Häuser in Hogwards klassifizieren.

Hufflepuff in der Außenpolitik und Slytherin in der Wirtschaftspolitik war suboptimal

Bis 1989 befand sich Deutschland an der vordersten Front des Kalten Kriegs. Wäre dieser heiß geworden, wäre Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit im Zentrum des Kriegsgeschehens gelegen. Während der Anteil der Militärausgaben am deutschen Bruttoinlandsprodukt in den letzten 15 Jahren bei ca. 1,2-1,3% lag, lag er Anfang der 80er Jahre nach bei knapp 3%. Während die deutschen Bunker aktuell nicht mehr einsatzfähig sind, war der 1972 für 5 Milliarden DM gebaute Regierungsbunker die größte damals in der NATO existierende Bunkeranlage. Die Bundesbank verfügte gar über einen eigenen Bunker, in welchem man eine geheime Notwährung für den Fall lagerte, dass die Sowjetunion die D-Mark perfekt fälschen und unsere Wirtschaft mit Falschgeld überschwemmen würde – in diesem Fall hätte man das ausgegebene Bargeld sofort einziehen und die Zweitwährung in Umlauf bringen können. Anders gesagt: Ein ausgeprägter Selbsterhaltungstrieb und Drang zu Unabhängigkeit dominierten die deutsche Sicherheitspolitik.

Der Gipfel eiskalt kalkulierender Selbsterhaltungspolitik war der NATO-Doppelbeschluss: Um nicht mehr erpressbar von sowjetischen, mit Atomsprengköpfen bestückten Mittelstreckenraketen zu sein, stimmte die Bundesregierung der Aufstellung entsprechender Mittelstreckenraketen der NATO in Deutschland zu. Gleichzeitig wurden die Supermächte USA und die Sowjetunion zu Verhandlungen über den Abbau entsprechender Raketensysteme aufgefordert. Man setzte auf Abschreckung statt Umarmung, trotz hoher innenpolitischer Kosten.  Deutsche Sicherheitspolitik war Slytherin. 

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs versprachen sich viele ein „Ende der Geschichte“. Man dachte, es würden praktisch keine Feinde mehr existieren. Eine auf Selbsterhaltung in worst-case-Szenarien ausgerichtete Politik wurde ersetzt durch eine kommerziell bequeme Hoffnung auf best-case Szenarien. Wir wurden abhängig von russischem Gas[1], Halbleitern aus Taiwan und strichen die „Friedensdividende“ ein, indem wir den Etat der Bundeswehr kürzten und ihr auch nicht mehr die gesellschaftliche Bedeutung einer Armee einräumten, deren Soldaten unser Leben schützen. Obwohl russische Truppen Teile Georgiens bombardierten, syrische Städte in Trümmer legten und die Krim annektierten, unterstützte eine Mehrheit der führenden Politiker in Deutschland eine weitere Gaspipeline nach Russland, die nur dann überhaupt notwendig geworden wäre, wenn der Gasfluss über Polen und Ukraine zum Erliegen käme – ein Fall, der etwa bei einem russischen Einmarsch eintreten würde, weshalb Osteuropa uns auch jahrelang in aller Deutlichkeit anflehte, das Projekt zu stoppen. Wir nahmen die Bedenken nicht ernst und versuchten die Warner damit zu vertrösten, dass die Pipeline ein reines Wirtschaftsprojekt sei. Deutsche Sicherheitspolitik wurde Hufflepuff.

Gerissenheit, kaltes Kalkül und der besonders ausgeprägte Drang zur Selbsterhaltung – die Kernwerte Slytherins – waren nicht vollständig aus Deutschland verschwunden. Allerdings wanderten sie vom Wirtschafts-, Verteidigungs- und Außenministerium weiter zum Bundesministerium der Finanzen. Wer sich noch an den politischen Diskurs zu den Hochzeiten der Eurokrise erinnern kann, der weiß, wie sich Kommentatoren gegenseitig darin überboten, Härte auszustrahlen und auf Disziplinierung zu setzen. 21 Jahre nachdem Europa trotz dunkelster Vergangenheit den Deutschen vertraute und der Vereinigung zum wirtschaftlich stärksten Akteur auf dem Kontinent zustimmte, erklärte der Fraktionsvorsitzende der Union auf einem Parteitag laut und stolz: „Jetzt wird in Europa Deutsch gesprochen“. Die fiskalpolitischen Konzepte der damaligen Zeit, die den heute noch geltenden institutionellen Rahmen bestimmen, waren vom Gedanken der Selbsterhaltung getrieben: Man müsse sich schützen – vor nur an einer Maximierung ihrer Wahlchancen interessierten Politikern (durch eine Schuldenbremse) sowie vor nur sich selbst bereichernden und potenziell faulen Südeuropäern. Statt unsere geopolitischen Interessen im Blick zu haben und in gute Beziehungen zu den Staaten zu investieren, die unsere demokratischen Werte teilen und unsere Außengrenzen schützen, rieten viele den „Pleite Griechen“, doch lieber ihre Inseln zu verkaufen. Zwar wurden keine Inseln verkauft, dafür aber der Hafen von Piräus an China, wodurch eine Abhängigkeit geschaffen wurde, die mittlerweile auch Günther Oettinger kritisiert.[2] Während slytherinsches Denken in der Außen- und Sicherheitspolitik auf ein Minimum schrumpfte, erreichte es in der Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU eine geradezu erschreckende Dominanz. Der Verkauf des Hafens von Piräus an ein autoritäres Regime, das Europa schleichend und stetig in eine immer stärker werdende Abhängigkeit treibt, ist wohl das eindrucksvollste Symbol für eine Slytherin-Finanz- bei gleichzeitiger Hufflepuff-Sicherheitspolitik.

Wir brauchen mehr Slytherin in der Sicherheits- und weniger in der Fiskalpolitik

Im November 2021 veröffentlichte die Publizistin Anne Applebaum einen Aufsatz mit dem Titel „The bad guys are winning“. Darin führt sie aus, wie die Autokratien dieser Welt sich verbünden und dadurch Stärke gewinnen. Obwohl die korrupten Regimes von Belarus, Venezuela oder dem Iran von Sanktionen des Westens betroffen sind, helfen sie sich und handeln sie untereinander in einer Autokratenvereinigung („autocracy inc.”), sodass die Wirkung der Sanktionen teilweise verpufft. Sogar ihre Propagandanetzwerke, die den Westen und insbesondere die USA für alles Leid im Inland verantwortlich machen, stimmen ihre manipulativen Strategien aufeinander ab. Dass russische Trolle versuchen, den Diskurs in demokratischen Staaten zu vergiften und Wahlen zu manipulieren, ist nur die Spitze des Eisbergs einer Propagandastrategie, die versucht, Europa und den Westen auseinanderzudividieren, um die geopolitische Macht eines vereinten Westens zu brechen.

Es ist Zeit, Risiken angemessen zu bewerten

Wenn wir die Bedrohungen für unseren Wohlstand und unsere Freiheit durch Autokraten und ihr Handeln einerseits und durch fiskalische Defizite in Europa andererseits in ihrer Größe bewerten, dann kann rückblickend niemand vernünftigerweise sagen, dass unser Ton und unsere politische Energie in den letzten Jahren der Größe dieser Gefahren angemessen eingesetzt wurden. Die Feinde von Demokratie und Freiheit sitzen nicht in Rom, Paris oder Athen, sondern in Moskau, Minsk und Teheran. Es wird Zeit, dass sich diese Risikoeinschätzung auch dann zeigt, wenn unsere Partner uns gute Gründe präsentieren, warum sie eine bestimmte fiskalpolitische Ausrichtung als sinnvoll erachten. Slytherinsches Denken wird weiterhin gebraucht, aber mehr in der Sicherheits- als in der Fiskalpolitik.


Fußnoten

[1] Der ehemalige Vorsitzende der deutschen Monopolkommission, Martin Hellwig, erklärte jüngst in einem Gastbeitrag in der FAZ, wie Bedenken der Monopolkommission im Jahr 2002, eine Konzentrierung der Gasbeschaffung bei Gazprom wäre nachträglich für die Versorgungssicherheit, vom Wirtschaftsministerium mit dem Argument verworfen wurden, Russland sei doch als Lieferant bislang immer verlässlich gewesen. Überspitzt formuliert argumentierte man also im Wirtschaftsministerium, Russland habe bislang eine noch nicht existente Abhängigkeit nicht ausgenutzt, sodass man sich auch abhängig von Russland machen könne. Es wurde im Ministerium also nicht nur nicht an das worst-case Szenario gedacht, sondern schlicht ausgeschlossen, dass eine stärkere Machtposition Russlands über uns überhaupt ein Problem werden könne.

[2] Eine Auswertung des IWF zu den „Rettungsprogrammen“ kam dann auch zum Ergebnis, dass die makroökonomischen Projektionen für Griechenland und Portugal zu optimistisch waren – sie rechneten also nicht damit, dass die Wirtschaft in Griechenland einbrechen würde, wenn man die Staatsausgaben plötzlich und drastisch kürzt. Genau das ist aber passiert und hatte entsprechend Insolvenzen und Arbeitslosigkeit zur Folge. Die Programme waren also weniger erfolgreich, als sie hätten sein können, wenn Austerität im Sinne von harten und sofortigen Budgetkürzungen nicht im gleichen Maße durchgesetzt worden wäre.

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Geldpolitik und der Finanzmärkte. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns und erbitten deren Zusendung an florian.kern[at]dezernatzukunft.org


Hat dir der Artikel gefallen?

Show some love mit einer Spende
oder folge uns auf Twitter

Teile unsere Inhalte

Ähnliche Artikel aus unserem Archiv