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27. August 2018
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Wer wird Nachfolger von Mario Draghi als EZB-Präsident? Und warum ist das überhaupt wichtig?

5 min Lesezeit
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DEZERNAT ZUKUNFT

Nächstes Jahr endet die Amtszeit von Mario Draghi als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Eine Wiederwahl ist nicht möglich, also muss eine Nachfolge gefunden werden. Obwohl dieser Stafettenwechsel erst im Oktober 2019 ansteht, wurde über kaum ein anderes geld- und wirtschaftspolitisches Thema in den letzten Monaten mehr spekuliert. Warum? Was hat der EZB-Präsident eigentlich zu sagen, und warum machte es solche Wellen, als Frau Merkel anklingen ließ, Jens Weidmann doch nicht ins Rennen um diesen Posten zu schicken?

Aufgaben

Der Präsident leitet das Direktorium—die hauptamtliche Geschäftsführung—der EZB. Dieses bereitet die Sitzungen des Rates der EZB vor, der alle wesentlichen geldpolitischen Entscheidungen trifft, und sorgt dafür, dass dessen Beschlüsse umgesetzt werden. Außerdem vertritt der Präsident die Bank nach außen, zum Beispiel auf internationalen Konferenzen.

Aber was hat er zu sagen? Streng genommen ist der Präsident nur eines von 25 Mitgliedern des Rats der EZB. Dieser besteht aus sechs Mitgliedern des EZB-Direktoriums und den 19 Präsidenten der Zentralbanken der Eurozone. Der Rat fällt die meisten wesentlichen geldpolitischen Entscheidungen, wie zum Beispiel über den Leitzins, nach dem Mehrheitsprinzip – in diesem Gremium ist der Präsident also nur ein „primus inter pares“, der eine von 21 Stimmen im Raum hat.

Warum 21? Weil nicht alle 19 Euroländer ein ständiges Wahlrecht haben, sondern dieses zwischen zwei Gruppen von Mitgliedern, den „großen“ und den „kleinen“, rotiert (siehe Grafik).

Quelle: Deutsche Bundesbank

Ist der Präsident damit nur ein Grüßaugust, der die Entscheidungen des Rates nach außen verkauft? Nein. Denn: seine Rolle ist (1) in der öffentlichen Kommunikation, (2) in der bilateralen Kommunikation und (3) in seinen institutionellen Entscheidungen wesentlich größer.

Öffentliche Kommunikation

In der öffentlichen Kommunikation zeigte sich dies beispielsweise an Mario Draghis wohl bedeutendster Handlung, dem „whatever it takes“. Im Juli 2012 verkündete der damals noch recht neue EZB-Präsident, dass die EZB „innerhalb ihres Mandats alles Notwendige tun würde, um den Euro zu retten – und glauben Sie mir, es wird genug sein“. Zum Zeitpunkt der Ankündigung wurde diese durch keinerlei konkrete Aktionen begleitet. Trotzdem endete die Spekulation auf ein Auseinanderbrechen der Eurozone quasi sofort, die Zinsen auf südeuropäische Staatsanleihen fielen wieder, der Euro war gerettet.

Was also war passiert? Die Marktteilnehmer hielten Draghis Ankündigung für glaubhaft und rechneten damit, dass er den Rat der EZB tatsächlich davon überzeugen können würde, „alles Notwendige zu tun“ (ob das „Notwendige“ innerhalb des Mandats war soll an anderer Stelle geklärt werden). Anders gesagt glaubten die Marktteilnehmer, dass Draghi über genügend Macht, Überzeugungskraft, und Entscheidungsfreiheit verfügt, um seinem Satz Taten folgen zu lassen.

Dies ist übrigens ein sehr wesentlicher Wirkmechanismus von Geldpolitik: indem die Zentralbank die Erwartungen von Marktteilnehmern beeinflusst, kann sie die Märkte beeinflussen, ohne tatsächliche Maßnahmen zu ergreifen. Bis 2015 kam hinzu, dass die EZB – anders als die amerikanische Fed – keine Protokolle ihrer Sitzungen veröffentlichte, sodass der Präsidenten eine noch wichtigere Rolle in der Kommunikation des Diskutierten spielte.

Bilaterale Kommunikation

So hat also der EZB-Präsident durch seine öffentliche Rolle sehr wohl erheblichen Einfluss. Ein weiterer Aspekt der Macht des Präsidenten zeigt sich in der bilateralen Kommunikation. Die klarsten Beispiele dieser Macht sind die damals geheimen Briefe, die Draghi und sein Vorgänger, Jean-Claude Trichet, an die damaligen irischen, italienischen, und spanischen Regierungschefs schrieb.

Im italienischen Brief, der damals zeitnah aus Regierungskreisen dem Corriere della Sera zugespielt wurde, hieß es, Berlusconi möge ein überzeugendes und weitreichendes Spar- und Reformprogramm vorlegen. Nur dann würde die EZB die italienische Regierung mit geldpolitischen Maßnahmen unterstützen, so die nur kaum versteckte Drohung.

Die Forderungen beschränkten sich nicht nur auf reine Defizitreduktion—binnen zwei Jahren sollte Italien über Ausgabenkürzungen einen ausgeglichenen Haushalt erreichen—sondern umfassten auch weitreichende strukturelle Veränderungen, wie die Privatisierung und Liberalisierung des lokalen Dienstleistungssektors, die wenige Monate zuvor per Referendum vom italienischen Volk abgelehnt wurde.

Der Brief schließt mit den Worten: „Wir vertrauen darauf, dass die Regierung alle geeigneten Maßnahmen ergreifen wird.“ Ob derlei Interventionen durch das Mandat des EZB-Präsidenten abgedeckt sind, ist äußerst fraglich; dennoch hatte der Brief für Trichet und Draghi keine Konsequenzen.

Institutionelle Entscheidungen

Aber auch durch institutionelle Entscheidungen hat der Präsident erhebliche Macht: Die EZB wurde nach dem Beispiel der Deutschen Bundesbank strukturiert, mit großer institutioneller Unabhängigkeit. Im Zuge der Eurokrise hat die EZB aber eine Vielzahl weiterer Verantwortlichkeiten übernommen, darunter die des „Kreditgebers der letzten Instanz“ für Euroländer, die an den Finanzmärkten nicht mehr zu tragbaren Konditionen Anleihen platzieren können, sowie in der Überwachung systemisch wichtiger Finanzinstitutionen in der Eurozone.

Als de facto Geschäftsführer der EZB hat der Präsident formell und informell großen Einfluss auf die Ausübung dieser neu gewonnen Kompetenzen, die nur teilweise durch den Rat und externe Institutionen wie das Europäische Parlament kontrolliert wird. Zwei Papiere, die die institutionellen Veraenderungen im Detail beschreiben sind: The Evolving Accountability of the ECB von Michele Chang, und Two Sides of the Same Coin – Independence and Accountability of the ECB von Benjamin Braun.

Kein Wunder also, dass Mario Draghi auch in der Öffentlichkeit ein wesentlich größeres Interesse zukommt als seinem deutschen Kollegen:

Quelle: Google

Somit erklärte sich auch Frau Merkels Interesse, den Posten mit Jens Weidmann zu besetzen.

Gleichzeitig wird so auch verständlicher weshalb die Kanzlerin sich letztendlich dagegen entschied, Weidmann als Kandidaten durchzusetzen: als EZB-Präsident wäre Weidmann allen Euroländern verpflichtet. Er könnte deutsche, oft wenig konsensfähige Positionen weniger lautstark vertreten als er es derzeit tut—oder er würde riskieren, im EZB-Rat überstimmt zu werden. Welchen Einfluss ein EZB-Präsident hätte, der eine Mehrheit des Rats in grundlegenden Fragen gegen sich hat, bleibt also eine ungeklärte Frage.

Picture Credit: World Economic Forum and Chatham House

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