Wenn unkonventionell plötzlich ganz konventionell wird – Ein Kommentar zu den geldpolitischen Entscheidungen des Eurosystems vom 7. März 2019
Vorab: Inflation und Inflationsaussichten
Die EZB hat ihre Inflationsprognose gesenkt: Für 2021 werden aktuell nur noch 1,6% anstatt 1,8% Inflation erwartet. Parallel wurde die Wachstumsprognose der Eurozone für 2019 von 1,7% auf 1,1% gesenkt. Auch die derzeitige Inflation zeigt sich immer noch recht unbeeindruckt von all den unkonventionellen Operationen der EZB: Sie fiel im Dezember auf 1,6% und ist damit wieder ein Stück von der Zielmarke (knapp unter 2%) entfernt. Wie auch in der Vergangenheit ist der Haupttreiber für die Veränderung der Ölpreis, der in den letzten Monaten fiel. Rückläufige Lebensmittelpreise spielten ebenfalls eine Rolle.
Zinsen
„The interest rate on the main refinancing operations and the interest rates on the marginal lending facility and the deposit facility will remain unchanged at 0.00%, 0.25% and -0.40% respectively.”
Im Westen nichts Neues. Über die Hauptrefinanzierungsgeschäfte (main refinancing operations) können sich Banken für sieben Tage mit Reserven zum Nullzins eindecken. Brauchen sie kurzfristig über Nacht Liquidität, bekommen sie diese über die Spitzenfinanzierungsfazilität (Marginal Lending Facility) zu einem Zins von 0,25%. Parken Banken auf ihrem Zentralbankkonto mehr Reserven als vorgeschrieben, müssen sie darauf momentan 0,4% Zinsen an die EZB zahlen. Wie allerdings in den folgenden Grafiken ersichtlich wird, spielen Hauptfinanzierungsgeschäfte und die Spitzenfinanzierungsfazilität heute nur noch eine geringe Rolle, da sehr viel mehr Reserven durch die Maßnahmen der unkonventionellen Geldpolitik bereitgestellt werden, als nötig sind.
Ankaufprogramm
“The Governing Council intends to continue reinvesting, in full, the principal payments from maturing securities purchased under the asset purchase programme for an extended period of time past the date when it starts raising the key ECB interest rates, and in any case for as long as necessary to maintain favourable liquidity conditions and an ample degree of monetary accommodation.”
Die EZB hat zwar aufgehört, ihre Anleihenbestände aufzustocken, kauft aber sobald Anleihen fällig werden neue nach. Wie erwartet, wurde nun angekündigt dies auch auf längere Zeit beizubehalten, also dauerhaft eine größere Bilanz zu halten und Überschussreserven bereitzustellen. Damit verändert sich auch (im Vergleich zur Zeit vor der Finanzkrise) fundamental die Steuerung des Interbankenzinses durch die EZB: Geschah dies früher noch durch die Ausweitung oder Verknappung der angebotenen Reserven, gibt es heute einen permanenten Überschuss jener. Der von der EZB angebotene Einlagenzinssatz markiert nun den Mindestzinssatz, zu dem Banken untereinander Geld leihen (da man das Geld sonst immer bei der EZB parken kann).
Mit ihrer ausgeweiteten Bilanz steht die EZB dabei nicht alleine da. Fed Chairman Jerome Powell stellte gerade bei einer Konferenz in Stanford klar, dass „in allen plausiblen Szenarien die Bilanz [der Fed] bedeutend grösser sein wird als vor der Krise“. Normalisierung bedeute nicht zurück zu dem Vorkrisenvolumen der Bilanz. Betrachtet man die Geschichte von Zentralbankbilanzen stellt sich überhaupt die Frage, was eigentlich als ‚normal‘ gelten sollte. Andy Haldane von der Bank of England zeigt dies anhand der historischen Variabilität deren Bilanz auf:
Unterstützung langfristiger Kredite an Unternehmen
“A new series of quarterly targeted longer-term refinancing operations (TLTRO-III) will be launched, starting in September 2019 and ending in March 2021, each with a maturity of two years. These new operations will help to preserve favourable bank lending conditions and the smooth transmission of monetary policy. Under TLTRO-III, counterparties will be entitled to borrow up to 30% of the stock of eligible loans as at 28 February 2019 at a rate indexed to the interest rate on the main refinancing operations over the life of each operation. Like the outstanding TLTRO programme, TLTRO-III will feature built-in incentives for credit conditions to remain favourable. Further details on the precise terms of TLTRO-III will be communicated in due course.”
Mittels TLTROs bekommen Banken, die langfristig Geld an Unternehmen verleihen (Kredite an Haushalte für Hauskäufe sind ausgeschlossen) Reserven mit einer langen Laufzeit. TLTRO II wurden für jeweils vier Jahre vergeben, dieses Mal sind es immerhin noch zwei Jahre. Damit betreibt die EZB Kreditsteuerung, da sie die Ausgabe bestimmter Kredite bewusst fördert. Jedoch haben sich trotz dieser besonderen Förderung Kredite an Unternehmen seit der Krise wesentlich schwächer entwickelt als die an Haushalte:
Zuteilung von Reserven
“The Eurosystem’s lending operations will continue to be conducted as fixed rate tender procedures with full allotment for as long as necessary, and at least until the end of the reserve maintenance period starting in March 2021.”
Die EZB wird Banken weiterhin alle nachgefragte Liquidität zur Verfügung stellen. Solange eine Bank zentralbankfähige Sicherheiten hat, wird sie also immer an Zentralbankreserven kommen, um Einlagen von Kunden auszuzahlen. Man könnte die Bereitstellung aller nachgefragter Liquidität als Paradigmenwechsel sehen: Vor der Krise wurde der kurzfristige Zins durch Knappheit von angebotener Liquidität gesteuert. Da damals kurzfristige Interbankenkredite als risikolos galten, floss Überschussliquidität problemlos durch das Bankensystem hin zu den Banken, die noch Liquidität benötigten. Mit der Finanzkrise kam allerdings das Bewusstsein auf, dass auch kurzfristige Interbankenkredite riskant sein können. Die Eurokrise hat dieses Bewusstsein verschärft, da Bankvorstände nun regelmäßig gefragt werden, wie denn ihr Exposure gegenüber Banken in bestimmten Ländern der Eurozone aussieht. Darüber hinaus verpflichten heute Liquiditätskennziffern wie die „Liquidity Coverage Ratio“ Banken dazu, liquide Aktiva vorzuhalten. Aus diesen Gründen fließt Liquidität nicht mehr problemlos durch das Bankensystem und das Eurosystem steuert die Geldmarktsätze auch nicht mehr über die angebotene Geldmenge, sondern über den Zinssatz der Einlagenfazilität.
Mit der Fortsetzung von Anleihekäufen, TLTROs, Vollzuteilung und Steuerung der Interbankzinsen durch die Einlagen und Spitzenfinanzierungsfazilität sind wohl spätestens jetzt die ehemals unkonventionellen Maßnahmen in das Standardrepertoire des europäischen Zentralbankenwesens übergegangen. „Geldpolitische Normalisierung“ wird daher nicht bedeuten, dass Zentralbankbilanz und Liquiditätsbereitstellung wieder so funktionieren wie vor der Finanzkrise. Es ist davon auszugehen, dass das Eurosystem bei der nächsten Aktualisierung seines geldpolitischen Rahmenwerks diese neue Realität berücksichtigt. Ob sich die Inflation in absehbarer Zeit davon mehr beeindrucken lässt, als vom Ölpreis, wird sich zeigen.
Bild: Pixabay.
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