Was wir lesen – November 2018
Dieses Mal in unserem Blickfeld: Das Ende der Quantitative Lockerung; Italiens Haushalt; die amerikanischen Midterm-Wahlen; sowie das Jahresgutachten des Sachverständigenrates.
Quantiative Lockerung. Das Ende naht. Die EZB stellt zum Ende des Jahres die Neuankäufe im Rahmen ihres Quantitative Lockerungsprogramms ein.
- Werden die Zinsen auf Bundesanleihen steigen, wenn durch das Beenden der Neuankäufe die Nachfrage fällt? Dies geschah im Fall amerikanischer Staatsanleihen (bekannt als Treasuries), als die Federal Reserve im Oktober letzten Jahres ankündigte, auslaufende Treasuries in ihrem Besitz nicht mehr durch Neuankäufe zu ersetzen. Die FT fasst die Einschätzungen diverser Marktteilnehmer zusammen, und kommt zu dem Schluss das dies jedoch unwahrscheinlich ist für Bundesanleihen.
- Die Schritte, klein und viele an der Zahl, in Richtung Programmende können Sie im Tapering Monitor von Makronom nachverfolgen: Oktober 2017, März 2018, April 2018, Juni 2018, und September 2018.
- Ende des Programms, Anfang des Post-Mortems: Mario Draghi gab Ende Oktober eine Rede in der er die Notwendigkeit und verteilungspolitische Neutralität des Quantitative Lockerungsprogramms verteidigte. Doch diese Position ist umstritten: bei der Analyse ihres eigenen Quantitative Lockerungsprogramms fand die Bank of England erheblich Umverteilungseffekte, vor allem entlang Alters- und Einkommenslinien (siehe Charts 14, 17, und 20).
Italien. Das Quantitative Lockerungsprogramm der EZB war nicht nur ein wirtschaftliches Mittel, um Europa vor den schlimmsten Folgen der Finanz- und Eurokrise zu schützen, sondern gleichzeitig ein Testfall, in dem ausgelotet wurde, wie eng bestehende Regeln und Verträge die Handlungsfähigkeit der europäischen Institutionen einschränken, wenn aus unerwarteten Umständen und der Summe nationaler Einzelentscheidungen wirtschaftliche Handlungszwänge für diese Institutionen entstehen (siehe die Fälle am Bundesverfassungsgericht dazu). Eine ähnliche Kombination aus wirtschaftlichem Mittel und politischem Testfall ist der Haushaltsentwurf der italienischen Regierung, der zur Zeit rege Debatten in der deutschen und internationalen Presse auslöst.
- Der Haushaltsvorschlag (auf Italienisch), der den vielen Trubel auslöst, ist von Loredana Federico, der Chefvolkswirtin von UniCredit Italia detailliert beschrieben worden. Erik Nielsen, der Chefvolkswirt von UniCredit weltweit, ordnet den Haushalt in seinen italienischen und europäischen Kontext ein (beide Artikel auf Englisch). Kernpunkte: die Höhe der Neuverschuldung ist moderat, die Zusammensetzung der Mehrausgaben und Mindereinnahmen jedoch nicht maximal wachstumsfördernd, vor allem aufgrund der Rentenreform und Steuersenkungen. Die Fixierung vieler Analysten auf die Schulden-zu-BIP Quote ist jedoch fehl am Platz: Nielsen argumentiert, dass das Verhältnis von Schuldendienst zu Steuereinnahmen die aussagekräftigere Metrik ist. Zur Zeit gibt Italien ca. 8% seiner Staatseinnahmen für den Schuldendienst aus – kaum mehr als Spanien oder das Vereinigte Königreich, die beide ca. 7% ihrer Einnahmen für den Schuldendienst ausgeben.
- Ist die Aufregung um den Haushaltsentwurf also übertrieben? Aus wirtschaftlicher Perspektive ist die Antwort: höchstwahrscheinlich ja. Auch der neue Haushalt kommt mit weniger als 3% des BIPs an Neuverschuldung aus (anvisiert ist 2.4%), weniger sowohl als das französische (7%) als auch das spanische (3.1%) Haushaltsdefizit letzten Jahres. Die Situation am italienischen Arbeitsmarkt macht es außerdem wahrscheinlich, dass ein Konjunkturpaket effektiv sein wird und durch Ankurbeln des Wachstums die effektive Schuldenlast senken könnte, wie 2016-2017 in Portugal geschehen.[1]
- Aus europapolitischer Perspektive ist die Antwort jedoch: die Aufregung ist nicht übertrieben. Denn die italienische Regierung stellt mit diesem Haushalt die Gretchenfrage: wer entscheidet innerhalb der Eurozone, ob die wirtschaftliche Lage ein Abweichen von vorher beschlossenen Regeln erfordert oder erlaubt? Die Europäische Kommission, der Europäische Rat, einzelne nationale Regierungen, die EZB, oder noch jemand anderes? Es wird also nichts geringeres als die wirtschaftspolitische Machtfrage gestellt.
- In der deutschen Presse gibt es mehrere Vorschläge, den Dschinni der Finanzmarktverknüpfungen zwischen Italien und dem Rest der Eurozone wieder in die Flasche zu bekommen. Gustav Horn schlägt in der ZEIT vor, dass die EZB ermächtigt werden sollte, gezielt die Staatsanleihen einzelner Eurostaaten zu kaufen, um so zu verhindern, dass italienische Haushaltsentscheidungen die Haushalte anderer Eurozonenstaaten (durch steigende Zinsen) unter Druck setzen. Kasten Wendorff hält die italienische Regierung in der FAZ an, sich Handlungsspielraum zu verschaffen, indem sie sich von der eigenen Bevölkerung per Zwangsanleihe Gelder leiht. Inwiefern diese Lösungen politisch wie wirtschaftlich effektiv und durchsetzbar sind ist nicht klar zu erkennen.
- Bleibt festzuhalten: die Lage ist unklar. Die Europäische Kommission hat Italien am 23. Oktober gebeten, binnen drei Wochen einen neuen Haushaltsentwurf vorzulegen. Dies hat die italienische Regierung abgelehnt. Der nächste Schritt, wie in Artikel 126 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgelegt, wäre, dass der Rat „unverzüglich Empfehlungen“ an Italien richtet den Haushalt innerhalb einer bestimmten Frist (zum Beispiel 3-6 Monate) zu korrigieren. Sollte dies nicht geschehen, kann der Rat feststellen, dass Italien in Verzug ist und weitere Forderungen stellen. Werden diese wiederum innerhalb einer gewissen Frist nicht erfüllt, kann der Rat per qualifizierter Mehrheit Strafmaßnahmen, inklusive Geldbußen, anordnen. Wer und wie diese Strafen durchzusetzen wären ist jedoch im Moment unklar.
- Es bleibt also festzuhalten: während Italien die wirtschaftspolitische Gretchenfrage in Europa stellt, wird die Antwort noch Monate, vielleicht sogar Jahre auf sich warten lassen.
Midterm Wahlen in den USA: Am Dienstag, dem 6. November, gab es in den USA die ersten nationalen Wahlen seit Trumps Präsidentenwahl im November 2016. Rüdiger Bachmann schrieb eine umfassen Einschätzung der Ergebnisse für Makronom: Der Trumpismus ist gekommen, um (vorerst) zu bleiben. Diese Einschätzung teilen wir, jedoch mit einer entscheidenden Differenz: Bachmann sagt, dass aufgrund des republikanischen Doppelsieges in Florida (Senatssitz und Gouverneurs-, also Ministerpräsidentenwahlen) „Florida inzwischen als trumpistischer Staat gelten [muss]”. Dies sehen wir anders:
- die Siege sind in beiden Fällen knapp ausgefallen: bei ca. acht Millionen abgegebenen Stimmen schlug der Republikaner Rick Scott den Demokraten Bill Nelson im Rennen um den Senatssitz um nur 15,000 Stimmen. Ron DeSantis (R) schlug Andrew Gillum (D) im Rennen um die Ministerpräsidentschaft bei ähnlicher Gesamtstimmenzahl um gut 30,000 Stimmen.
- Gleichzeitig stimmten die Wähler Floridas dafür, Straftätern, die ihre Strafe verbüßt haben, ihr Stimmrecht zurückzugeben (Amendment 4). Dies betrifft laut Schätzungen mehr als eine Millionen Bürger (manche Schätzungen sprechen sogar von mehr als 1,6 Millionen), die bisher vom Wahlrecht ausgeschlossen waren.
- Jeder Prozentpunkt, um den diese Bürger die Demokraten bevorzugen, ist ca 10,000 Stimmen wert. Wenn diese neu-Wähler also nur um 3% bis 4% die Demokraten bevorzugen, wären beide Rennen mit einem Sieg für die Demokraten ausgegangen. Zum Kontext: ca. 50% der verurteilten Straftäter in Florida sind schwarz, die historisch eher Demokraten unterstützen (Hillary Clinton konnte zum Beispiel 2016 89% aller Schwarzen für sich gewinnen).
- Während Trump und die Republikaner also sowohl 2016 als auch 2018 Siege in Florida davontragen konnten, ist aufgrund von Amendment 4 zu erwarten, dass Florida 2020 höchst umkämpft sein wird.
Zum Abschluss das Jahresgutachten des Sachverständigenrates 2018-19. Diese Woche erschien das neue Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung—umgangssprachlich bekannt als „Die Wirtschaftsweisen“. Insbesondere die Kurzfassung zu Beginn des Gutachten, sechs Seiten kurz, lohnt sich zu lesen. Wer tiefer einsteigen will, sei auf zwei Textstellen hingewiesen:
- Vor dem Hintergrund sowohl amerikanischer als auch chinesischer Industriepolitik und protektionistischer Handelspolitik, lohnt es sich, die Sondermeinung Peter Bofingers zum Thema Industriepolitik zu lesen (S. 76-80).
- Ebenso lohnenswert ist Isabel Schnabels Sondermeinung zum Thema Europabudget, bzw. Europäische Fiskalkapazität (S. 218-221). Erfrischend ist, dass Professorin Schnabel klar sagt, dass es „in der Realität keine Vorbilder für eine solche Fiskalkapazität gibt, die eine empirische Evaluation erlauben würden“, so dass die Diskussion um ein Eurozonenbudget unvermeidlich eine Frage von (mitunter abweichenden) Einschätzungen und Beurteilung ist. Hervorzuheben ist ebenfalls der Fokus auf den Zusammenbruch des Interbankenmarktes (§459.), und der damit einhergehende Einbruch der Risikoteilung auf europäischer Ebene.
Picture credit: Sachverständigenrat; italienisches Finanzministerium; EZB.
[1] Portugal steigerte seinen Defizit von 2% des BIPs 2016 auf 3% 2017 (Eurostat). Da dies jedoch das Wachstum ankurbelte, sank die Verschuldungsquote von 130% 2016 auf 126% 2017 (Statista), weil der Nenner (das BIP) stärker stieg als der Zähler (die ausstehenden Schulden).
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