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13. January 2022
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Pola Schneemelcher

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Ein guter Ausblick für 2022? Der Arbeitsmarkt zieht auf seinem Erholungskurs an der Jugend vorbei

9 min Lesezeit
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Pola Schneemelcher

Gerechtigkeit für die „Generation Corona“?

Seit Beginn der Corona-Krise verlaufen deren Effekte auf die Arbeitswelt, wie die Pandemie selbst, in Wellen.  Insgesamt haben schuldenfinanzierte Brecher wie das Kurzarbeitergeld aber dazu beigetragen, dass diese mit weniger Wucht auf den Arbeitsmarkt getroffen sind, als anfangs befürchtet.

Die gestiegene Arbeitslosigkeit und die umfangreichen staatlichen Hilfspakete haben allerdings weitreichende fiskalische Implikationen: während allein das konjunkturelle Kurzarbeitergeld 2020 mit 22,1 Milliarden Euro zu Buche schlug, ermittelte das IAB, dass die Kosten der Arbeitslosigkeit sich 2020 insgesamt auf 62,8 Milliarden Euro beliefen. Dennoch: Die Investitionen in konjunkturstabilisierende Arbeitsmarktpolitik zahlen sich bereits aus und so konnte die Bundesagentur für Arbeit (BA) das Jahr 2021 positiv abschließen: „Der Arbeitsmarkt blieb bis in den Dezember auf seinem Erholungskurs.

Ob diese positive Entwicklung, insbesondere im Hinblick auf die Staatsfinanzen, nachhaltig ist, hängt dabei nicht nur vom weiteren Verlauf der Pandemie ab; denn schaut man genauer hin, wird deutlich, dass besonders eine Bevölkerungsgruppe von negativen Effekten auf den Arbeitsmarkt betroffen ist: die „Generation Corona“ (Enzo Weber). Deutschland steht in Sachen Jugendarbeitslosigkeit im EU-Vergleich zwar sehr gut da (vgl. Abb. 1); aber auch hierzulande drohen Langzeitfolgen. Und die sind vor allem fiskalisch von Bedeutung.

Abbildung 1: Arbeitslose Jugendliche (15 – 24 Jahre) im Verhältnis zur Erwerbsbevölkerung in %, November 2021; Anmerkung: zu Belgien, Kroatien, Zypern, Rumänien und Slowenien lagen noch keine Daten vor.

Jugendarbeitslosigkeit ist auch fiskalisch ein Problem

Jugendarbeitslosigkeit ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Zunächst hat sie oft signifikante Auswirkungen auf den restlichen Verlauf des Erwerbslebens und führt zu einem dauerhaft niedrigeren Einkommen (sog. „scarring effects“). Wer jung arbeitslos wird, läuft also Gefahr, langfristig auf staatliche Transferleistungen angewiesen zu sein und weniger zu verdienen, also auch weniger zum Steueraufkommen beitragen zu können. Gleichzeitig steht unsere Wirtschaft vor großen Herausforderungen, denen wir nur mit einem produktiven Arbeitsmarkt begegnen können (mehr dazu hier): Dekarbonisierung und Digitalisierung erfordern gut ausgebildete Fachkräfte, die bereits heute knapp sind – ein Trend, der sich mit dem demografischen Wandel und dem Ausscheiden geburtenstarker Jahrgänge aus dem Berufsleben in Zukunft noch verschärfen wird. Junge Menschen aus- und weiterzubilden und anschließend möglichst lückenlos in den Arbeitsmarkt zu integrieren ist elementar, um diesen Herausforderungen zu begegnen und damit nachhaltig gute Staatsfinanzen zu sichern.

Junge Menschen sind strukturell benachteiligt – und während Corona noch ein bisschen mehr

Generell sind junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt von wirtschaftlichen Abschwüngen stärker betroffen als andere Bevölkerungsgruppen. Vergangene Krisen haben außerdem gezeigt, dass auch in einem anschließenden konjunkturellen Aufschwung die Jugendarbeitslosigkeit meist über dem Vorkrisenniveau verbleibt. Diese Vulnerabilität ist zum einen darauf zurückzuführen, dass junge Erwerbstätige im Vergleich zu Menschen im Haupterwerbsalter häufig befristete Arbeitsverträge haben (vgl. Abb. 2). Diese werden in wirtschaftlich schwachen Zeiten und den damit einhergehenden Unsicherheiten für Arbeitgeber oftmals nicht verlängert. Während der Corona-Krise sind Jugendliche in besonderem Maße von diesem Rückgang befristeter Verträge betroffen.

Abbildung 2: Befristete Verträge zur Gesamtzahl der Arbeitnehmer in %, vierteljährlich (jeweils Q3); Anmerkung: befristete Verträge haben im Laufe der Pandemie insgesamt abgenommen, weil sie entweder nicht verlängert wurden oder keine neuen ArbeitnehmerInnen eingestellt wurden.

Zum anderen gehen Wirtschaftskrisen meist mit Einstellungsstopps einher. Jugendliche, die am Ende ihrer schulischen oder beruflichen Ausbildung stehen, sind dann mit einer geringeren Arbeitskräftenachfrage konfrontiert und bereits der Eintritt in den Arbeitsmarkt bleibt ihnen verwehrt. Ein großer Anteil der gestiegenen Arbeitslosenquote unter jungen Menschen während der Pandemie ist daher auf Berufsanfänger zwischen 15 und 24 Jahren zurückzuführen.

In der Corona-Krise kamen zu der wirtschaftlich prekären Lage noch Kontaktbeschränkungen hinzu: in den hiervon hauptsächlich betroffenen Sektoren wie dem Einzelhandel, Gastgewerbe oder Tourismussektor arbeiten überproportional viele junge Erwerbstätige. Darüber hinaus haben die Beschränkungen den Zugang zu sozialpolitischen Maßnahmen wie Beratungen begrenzt. Laut BA hat dies dazu geführt, dass die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge hinter dem Vorkrisenniveau zurückblieb und die Zahl der gemeldeten BewerberInnen stärker gesunken ist als die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen. Junge Menschen werden schlichtweg nicht mehr erreicht.

Das Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit ist schwer zu messen

Der Blick auf die Arbeitslosenquote zeigt, dass junge Menschen zwar stark von den coronabedingten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt betroffen waren, sich die Jugendarbeitslosigkeit aber, ähnlich wie die Arbeitslosigkeit insgesamt, wieder erholen konnte (vgl. Abb. 3). Laut BA sind die Folgen der Corona-Krise jedoch weniger in der gestiegenen Arbeitslosigkeit an sich, mehr in der zunehmenden Langzeitarbeitslosigkeit (also Menschen, die ein Jahr und länger arbeitslos sind) sichtbar. Und das betrifft gerade Jugendliche: während in der Altersgruppe der 25- bis über 55-Jährigen die Langzeitarbeitslosigkeit 2020 im Vorjahresvergleich um 22,5 % zunahm, waren es bei den 15- bis unter 25-Jährigen knapp 60 % (vgl. Abb. 3).

Abbildung 3: Veränderung zum Vorjahr (September) in %; Quelle: BA

Das tatsächliche Ausmaß der arbeitsmarktrelevanten Auswirkungen der Corona-Krise auf junge Menschen bildet der reine Blick auf die Arbeitslosenquote jedoch nicht ab. Denn neben Jugendlichen, die sich in Aus- und Weiterbildung befinden, tauchen auch die, die zum sogenannten Übergangssystem zählen, nicht in der Arbeitslosenquote[1] auf. Als Übergangssystem werden Maßnahmen bezeichnet, die die Chancen von jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt verbessern sollen, jedoch zu keinem berufsqualifizierenden Abschluss führen. Dazu zählen zum Beispiel das Nachholen allgemeinbildender Schulabschlüsse oder auch berufsvorbereitende Praktika. In das Übergangssystem gelangen meist junge Menschen, die entweder keinen Schulabschluss erworben oder nach dem Schulabgang keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. Sie zählen damit nicht als arbeitslos, sind aber besonders gefährdet, langfristig nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt integrierbar zu sein. Anders als bei der Jugendarbeitslosenquote hat sich bei den Abgängen in das Übergangssystem in den vergangenen Jahren wenig getan. So hat zum Beispiel der Anteil von SchulabgängerInnen ohne Schulabschluss im Übergangssystem im Vergleich zu den frühen 2000er Jahren stark zugenommen: 2017 waren es 70.000 SchulabgängerInnen, im Vergleich zu 50.000 im Jahr 2014 und 25.000 im Jahr 2003. Auch die Anzahl von jungen Menschen mit Real- und Hauptschulabschluss im Übergangssystem hat absolut zugenommen.[2]

Ein Indikator, der versucht, den statistischen Schwächen der reinen Arbeitslosenquote entgegenzuwirken, sind die sogenannten NEET (young people neither in employment nor in education and training). Sie umfassen neben den Kurz- und Langzeitarbeitslosen auch junge Menschen, die sonst aus der Arbeitslosenstatistik rausfallen würden, zum Beispiel Wiedereinsteiger, entmutigte ArbeitnehmerInnen oder andere Nichterwerbspersonen. In Deutschland ist die NEET-Rate – im Vergleich zur Arbeitslosenquote – im Zuge der Corona-Krise nochmal angewachsen (vgl. Abb. 4).

Abbildung 4: NEET und Arbeitslose von 15 bis 24 Jahren im Verhältnis zur Bevölkerung in %

Diese Entwicklungen sind Gefahr und Chance

Auch wenn Deutschland in Bezug auf Jugendarbeitslosigkeit verhältnismäßig gut dasteht, stellen die Entwicklung der NEETs und der Langzeitarbeitslosigkeit ein Risiko für die deutsche Wirtschaft dar. Denn die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt ist deutlich seltener erfolgreich als bei Menschen, die kürzer als 12 Monate arbeitslos waren. Hinzu kommen die psychosozialen Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit, die die Betroffenen und das Gesundheitssystem belasten.

Engagierte arbeitspolitische Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld haben gezeigt, dass ein Staat den Arbeitsmarkt in einer solchen Krise durch schuldenfinanzierte Unterstützung vor Schlimmerem bewahren kann. Davon profitieren aber nicht alle. Um der Corona-Krise zu begegnen und gleichzeitig den Arbeitsmarkt für Herausforderungen wie Digitalisierung und Dekarbonisierung zu rüsten, sind Qualifizierung und das Schaffen von Jobchancen zentral. Jugendliche in Langzeitarbeitslosigkeit könnte man zum Beispiel über einen Bildungsbonus erreichen, wie ihn Enzo Weber vorschlägt;  temporäre Neueinstellungszuschüsse könnten für einen besseren Berufseinstieg sorgen. Das gilt auch für die Ausbildungsaufnahme, die unter anderem durch die Übernahme von Arbeitnehmerbeiträgen und einen Zuschuss zu den Ausbildungskosten attraktiver gestaltet werden könnte. Ein voll ausgelasteter, möglicherweise durch den Staat befeuerter Arbeitsmarkt, in dem Firmen den ein oder anderen zusätzlichen Schritt gehen müssen, um Arbeitskräfte zu finden, könnte ebenso dazu beitragen, den Einstieg in Ausbildung oder das Berufsleben zu erleichtern. Jugendarbeitslosigkeitsquoten von knapp 40% in Griechenland, sowie knapp 30% in Spanien und Italien (vgl. Abb. 1) geben auf der anderen Seite einen Hinweis darauf, welchen Effekt Sparpolitik in wirtschaftlichen Schwächephasen für Jugendliche haben kann.

Damit der Arbeitsmarkt langfristig nachhaltig ist und für gute Löhne und ein würdiges Leben sorgt, sollte man also sowohl auf gezielte Arbeitsmarktinstrumente als auch auf die Kraft des Markts setzen. Voraussetzung dafür ist eine gut abgestimmte Politik der Arbeits-, Finanz- und Wirtschaftsressorts, drei Ministerien, die allzu oft als Gegenspieler enden, da die einen sich vor allem um Soziales, die anderen um die Unternehmen und die Dritten primär um das Geldsparen kümmern. Die “Generation Corona” würde sehr davon profitieren, wenn stattdessen alle drei ihren Fokus auf guter Arbeit und nachhaltigem Wohlstand legen. Es wäre neben allem anderen der echte Beweis, dass die Sache über der Parteifarbe steht.

Wir sind hoffnungsvoll und wünschen Euch und Ihnen einen guten Start in das Jahr 2022!

Bleibt gesund!


Fußnoten

[1] Eurostat unterscheidet hier zwischen zwei Arten von Arbeitslosenquoten, die youth unemployment rate und die youth unemployment ratio: Erstere setzt die arbeitslosen Jugendlichen mit der Gesamtzahl der 15- bis 24-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt ins Verhältnis; Letztere misst dagegen den Anteil arbeitsloser Jugendlicher an der Gesamtzahl der Bevölkerung in der Altersklasse 15 – 24 Jahre. Junge Menschen, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, weil sie sich zum Beispiel in einer Ausbildung befinden, fallen aus diesem zweiten Indikator raus.

[2] Lediglich HochschulabsolventInnen konnten ein höheres Beschäftigungsniveau als noch in den 2000ern verzeichnen.


Medienbericht 12/01

  • Dominik Leusder hat der Italienischen Zeitung Domani zu Europäischen Fiskalregeln ein Interview gegeben, welches am 23.12 erschien und das Ihr hier finden könnt.
  • Vor Weihnachten hatten wir an dieser Stelle bereits bekannt gegeben, dass wir mit unserem European Macro Policy Network gestartet sind. Neben der Förderung von Fiscal Future e.V. haben wir vor Jahresende noch zwei weitere Fördervereinbarungen unterzeichnet. Neu mit an Board des EMPN sind das Netzwerk Plurale Ökonomik e.V., das wir mit insgesamt 127.900 € fördern werden, sowie das Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche, das Fördergelder in Höhe von 487.600 € für Forschung zu Automatischen Stabilisatoren und dem Arbeitsmarkt erhalten hat.
  • Am 30.12 erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel mit Titel „Tricksen für die Zukunft“ welcher unseren Reformvorschlag für die Schuldenbremse erwähnte.
  • In der aktuellen Ausgabe der Zeit findet sich ein Streitgespräch von Hans-Werner Sinn und Philippa zu Schulden und Inflation.

Veranstaltungen

  • Florian Schuster spricht am Dienstag, den 25.01 um 18 Uhr im Rahmen der Ringvorlesung der Rethinking Economics Kiel zur Schuldenbremse. Eine Teilnahme an der Vorlesung ist unter diesem Link per Zoom möglich.
  • Am 27.01 um 19 Uhr sprechen wir bei unserem Invitation Only Webinar mit Prof. Dr. Achim Truger über die Arbeit im Sachverständigenrates Wirtschaft, dessen Bedeutung und inhaltliche Positionsveränderungen des Gremiums in den vergangenen Jahren. Alle weiteren Infos samt Registrierung findet Ihr hier.

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Geldpolitik und der Finanzmärkte. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns und erbitten deren Zusendung an pola.schneemelcher[at]dezernatzukunft.org


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