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29. April 2021
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Jan-Erik Thie

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Geldbrief

Die Lage der Länder

11 min Lesezeit
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In der deutschen Finanzpolitik spielen die Bundesländer eine große Rolle. Mit knapp 420 Milliarden Euro lagen die Länderausgaben 2019 noch vor den Ausgaben des Bundes (knapp 400 Mrd. Euro). Neben finanziellen Verpflichtungen für Polizei und Verwaltung tragen die Länder die Ausgabenverantwortung für wichtige Bereiche wie Bildung und Teile der Infrastruktur. Sie sind eine unverzichtbare Säule staatlicher Aktivität.

Trotzdem kommen die Bundesländer in der aktuellen Diskussion um die Zukunft deutscher Finanzpolitik kaum vor. Dabei sind die Länderhaushalte nicht nur in der Summe (in Normalzeiten) größer als der Bundeshaushalt. Auch sind die landeseigenen Schuldenbremsen strikter als ihr Pendant auf Bundesebene.[1] Zwar wurden sie — wie auch die Bundesschuldenbremse — aufgrund der Notsituation ausgesetzt, um staatliche Interventionen in Form von massiven Hilfszahlungen zu ermöglichen. Ob dies allerdings auch für die kommenden Jahre gilt, ist ungewiss. Daher wirft dieser Dezernatsbrief einen Blick auf die Lage der Länder.

Zusammengefasst:

  • Im Krisenjahr 2020: Sowohl in der Planung als auch in der Ausführung gab es große Unterschiede zwischen den Ländern.
  • Mit Blick nach vorne: Ähnlich wie auf Bundesebene sicherten sich die meisten Länder in 2020 einen gewissen Haushaltsspielraum für die Zukunft. Wir begrüßen dies. Gleichzeitig bedauern wir jedoch erneut, dass die Transparenz zukünftiger Haushalte so gemindert wird, und dass solches Bunkern durch die Schuldenbremse überhaupt erst nötig geworden ist.
  • Zudem wird im Ausblick deutlich: Durch ausreichend finanziellen Puffer und großzügig erteiltem Tilgungszeitraum sind manche Länder für die Zeit nach Corona vergleichsweise gut gewappnet. Andere hingegen finden sich in einer deutlich schwierigeren Lage. Für alle Länder gilt jedoch: Aufgrund strukturell eng greifender Schuldenbremsen und dem hohen Investitionsbedarf auf kommunaler Ebene (für den die Länder indirekt verantwortlich sind) dürfte in Zukunft erheblicher Reformbedarf bestehen.

Insgesamt, so unsere Schlussfolgerung, bieten Länderfinanzen viel Potential für weitere Forschung.

Die Länder in der Coronakrise

Die Coronakrise ist eine Ausnahmesituation. In allen Bundesländern haben sich die Parlamente darauf geeinigt, die verfassungsrechtlich zulässige Notklausel zu ziehen und die Pandemie als Naturkatastrophe zu deklarieren. Die Länder konnten daher Kredite in der Höhe aufnehmen, die sie für nötig erachteten.

Die erteilte Kreditermächtigung im Krisenjahr 2020 lag in den meisten Bundesländern in einer Bandbreite von 15 bis 30% der tatsächlichen Haushaltsausgaben desselben Jahres (siehe Abbildung 1[2]). Ausreißer nach oben war Schleswig-Holstein mit gut 44% Kreditermächtigung in Relation zu den 2020-Haushaltsausgaben, gefolgt von Hessen mit knapp 37%. Am anderen Ende der Skala liegt Sachsen-Anhalt. Das dortige Parlament hat der Landesregierung lediglich eine Kreditermächtigung in Höhe von 2% der landeseigenen Ausgaben in 2020 erteilt.

Auch bei den tatsächlich aufgenommenen Krediten gibt es gravierende Differenzen. Während beispielsweise die Landesregierung von Baden-Württemberg ihren Kreditrahmen fast vollständig ausgenutzt und Kredite in Höhe von knapp 19% der Ausgaben in 2020 aufgenommen hat, lag die Nettokreditaufnahme in Sachsen bei null. Noch knausriger trieb es ausgerechnet die einzige Landesregierung, die von einem linken Ministerpräsidenten geführt wird. Obwohl auch Thüringen eine Kreditermächtigung in Höhe von immerhin knapp 16% der öffentlichen Aufwendungen besaß, hat die dortige Regierung netto Kredite im Wert von 5 Millionen Euro sogar getilgt.

Ein besonderer Fall ist Sachsen-Anhalt: obwohl die dortige Nettokreditaufnahme mit 4% der letztjährigen Ausgaben relativ gering war, übertraf diese dennoch die erteilten Kreditermächtigungen, welche sich lediglich auf 2% beliefen. Wie dem Nachtragshaushalt zu entnehmen ist, sollte der restliche Teil der Ausgaben durch Entnahmen aus Rücklagen geschlossen werden.[3]

Trotz des Aussetzens der Länderschuldenbremsen gilt: Die in der Notsituation aufgenommenen Kredite müssen mit einem Tilgungsplan versehen werden. Je höher das Kreditaufkommen, desto höher auch das Tilgungsvolumen. Die Länder können diese Tilgungsverpflichtung strecken, also die jährliche Tilgung reduzieren, indem sie einen möglichst langen Zeitraum zur Begleichung ihrer Schulden wählen.

Bei den Tilgungsverpflichtungen ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei den Kreditermächtigungen und den Nettokreditaufnahmen. Die meisten Bundesländer wollen ihre Schulden innerhalb von 20 bis 30 Jahren zurückgezahlt haben. Doch auch hier gibt es Ausreißer: Nordrhein-Westfalen streckt die Tilgungsverpflichtung auf 50 Jahre. Im Gegensatz dazu müssen die Schulden in Sachsen-Anhalt innerhalb von drei Jahren beglichen werden. Einen ähnlich kurzen Tilgungszeitraum haben Thüringen und Sachsen mit fünf bzw. sechs Jahren angesetzt.

Die finanzpolitische Reaktion der Bundesländer auf die Coronakrise lässt sich also wie folgt zusammenfassen: Während zwar alle Länder die Notklausel gezogen haben, gibt es dennoch gravierende Unterschiede bei den erteilten Kreditermächtigungen. In Relation zu den jeweiligen 2020-Haushaltsausgaben haben sich Schleswig-Holstein und Hessen die größte finanzielle Feuerkraft gesichert, Sachsen-Anhalt auf der anderen Seite die geringste. Am stärksten Gebrauch davon gemacht haben wiederum Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg.

Bunkern im Schatten der Schuldenbremse

Falls die Impfkampagne wie geplant weiter an Fahrt aufnimmt und falls keine impfresistenten Varianten auftreten sollten, wird die Pandemie bis 2022 medizinisch gemeistert sein. Ihre wirtschaftlichen Folgen werden jedoch auch in den kommenden Jahren noch zu spüren sein. Wie ist also der finanzpolitische Ausblick für die Bundesländer?

Ähnlich wie auf Bundesebene gilt: Die erteilten Kreditermächtigungen können auch in den kommenden Jahren noch eingelöst werden. Die dann wieder wirksamen Schuldenbremsen erfassen diese nicht. Je nach Ausgestaltung gibt es jedoch Unterschiede, bis wann und für welche Ausgabezwecke die Ermächtigungen verwendet werden müssen.

So haben die meisten Bundesländer, darunter NRW, Bayern und Niedersachsen, im Zuge der Coronakrise Sondervermögen eingerichtet oder aufgestockt, welche die erteilten Kreditermächtigungen auch in den kommenden Jahren noch verwenden können. Die Sondervermögen sind zweckgebunden und haben zumeist auch eine zeitliche Begrenzung (oft auf die nächsten zwei bis drei Jahre). Andere Länder wie etwa Berlin haben durch die Kreditermächtigung quasi Rücklagen gebildet. Dabei finden keine finanziellen Transaktionen statt. Diese Rücklagen sind viel mehr Kreditermächtigungen, die noch nicht verwendet wurden und somit auch in den kommenden Jahren noch zur Verfügung stehen. Die tatsächliche Aufnahme von Schulden findet also erst später statt. Eine Befristung der Auszahlung gibt es bei diesen Rücklagen nicht.

Insgesamt wurden so Kreditermächtigungen in Höhe von ca. 70 Milliarden Euro gebunkert.[4]  Die mit Abstand größten (relativen) Puffer haben Hessen und Schleswig-Holstein. Sie verfügen über bislang ungenutzte Kreditermächtigungen in Höhe von 36,1% bzw. 35,5% der jeweiligen Haushaltsausgaben in 2020. Am unteren Ende der Skala liegen Brandenburg und Berlin (beide 8%) sowie Hamburg (7%) und Baden-Württemberg (5%).

Zugespitzt bedeutet dies: Die Bundesländer haben die Gunst der Notsituation genutzt und sich mithilfe der Kreditermächtigungen ein Polster für die kommenden Jahre zugelegt. Wie auf Bundesebene begrüßen wir diese Entscheidung: Anstelle von harten Ausgabenkürzungen zur Einhaltung der dann reaktivierten Schuldenbremsen können die Länder so ihre Ausgabenniveaus zumindest kurzfristig halten, um den Gang aus der Krise wirtschaftlich zu unterstützen. Zwar müssen die aufgenommenen Kredite oder die später eingelösten Kreditermächtigungen längerfristig wieder zurückgezahlt werden. Doch für die kommenden Jahre erlaubt der gesetzte Kreditrahmen den jeweiligen Länderregierungen eine gewisse Flexibilität.

Wir bedauern zwar, dass durch die Kreditermächtigung die Transparenz bei der Aufstellung zukünftiger Haushalte gemindert wird. Ebenso ist zu kritisieren, dass derartige Finanzakrobatik aufgrund der kontraproduktiven Länderschuldenbremsen überhaupt notwendig ist. Dennoch: Das Bunkern im Schatten der Schuldenbremse war die richtige Entscheidung.

Neben den unterschiedlich großen Polstern werden die teils sehr unterschiedlichen Tilgungszeiträume die Haushaltsaufstellung in den kommenden Jahren beeinflussen. Kürzere Tilgungsfristen sorgen dafür, dass jedes Jahr eine vergleichsweise hohe Tilgungszahlung fällig wird. Entsprechend groß ist der Haushaltsposten für die jährlichen Tilgungen – Ausgaben, die dann an anderer Stelle fehlen. Bei längeren Laufzeiten fallen die jährlichen Tilgungsverpflichtungen hingegen geringer aus. Wie oben bereits gezeigt, haben sich insbesondere drei Bundesländer im Osten für extrem kurze Laufzeiten entschieden: Sachsen-Anhalt (drei Jahre), Thüringen (fünf) und Sachsen (sechs). Nordrhein-Westfalen hingegen streckt seine Tilgungszahlungen auf 50 Jahre.

Stellt man diese Faktoren in Zusammenhang, so ergeben sich teilweise große Unterschiede zwischen den Ländern (siehe Abbildung 2[5]). Schleswig-Holstein besitzt einen großzügigen finanziellen Puffer, den es zudem planmäßig über einen relativ langen Zeitraum tilgen will. Ähnliches gilt für auch Hessen.

Vor größeren Herausforderungen dürften die Finanzplaner in Thüringen und Sachsen stehen. Zwar besitzen beide Länder noch relativ große Puffer. Doch die ausgesprochen kurze Tilgungsfrist dürfte die mittelfristige Finanzplanung gehörig unter Druck setzen. In Sachsen-Anhalt dagegen wurde das Pulver bereits vollständig verschossen. Die dortige Landesregierung sollte daher auch dieses Jahr von der Notklausel Gebrauch machen und zusätzliche Kredite aufnehmen. Andernfalls droht dem Land ein erheblicher Spardruck bei den Haushaltsaufstellungen der kommenden Jahre.

Länderübergreifend gilt jedoch: Es dürfte in Zukunft erheblicher Reformbedarf bestehen. Die Schuldenbremsen der Länder erlauben keine strukturelle Neuverschuldung, so dass die Tilgungszahlungen der Corona-Schulden direkt mit ordentlichen Haushaltsausgaben konkurrieren. Gleichzeitig besteht weiterhin ein großer Investitionsbedarf auf kommunaler Ebene, der zuletzt auf knapp 150 Milliarden Euro geschätzt wurde. Da die Länder letztlich die Haushaltsverantwortung für die Kommunen tragen, wird auch dies für zukünftigen Druck auf die Länderhaushalte sorgen.

Ein untererforschtes Feld

Ein Großteil deutscher Finanzpolitik findet in den Ländern statt. Dennoch ist dieser Bereich im Vergleich zur Bundesfinanzpolitik in der Forschung unterbeleuchtet. Aufgrund der kommenden Herausforderungen wäre es gut, sowohl Reformbedarf als auch Reformoptionen klarer zu beleuchten.[6]

Ein weiterer thematischer Schwerpunkt, der an dieser Stelle nicht näher betrachtet wurde, ist die methodologische Ausgestaltung der einzelnen Länderschuldenbremsen. Gerade hier lohnt sich aber eine ausführlichere Untersuchung. Denn das Grundgesetz verpflichtet zwar die Länder, eine landeseigene Schuldenbremse aufzustellen. Doch über die detaillierte Auslegung der eigenen Landesversion konnten die Regierungen frei entscheiden. Insbesondere die Methoden zur Berechnung der Konjunkturkomponenten bieten Raum für weitergehende Analysen. Die drei unterschiedlichen Verfahren — das Steuertrend-, das Steuerniveau- und das Produktionslückenverfahren (siehe Abbildung 2 für eine Länderzuordnung der Verfahren) — erlauben in verschiedenen Situationen teilweise erhebliche Abweichungen bei der Neuverschuldung. Die entsprechenden Unterschiede zwischen den Methoden und ihre jeweiligen Konsequenzen für die Länder klarer herauszuarbeiten, scheint uns daher eine wichtige Aufgabe für weitergehende Forschung zu sein.

Jan-Erik Thie ist Junior Researcher am Ecologic Institut. Sein Fokus liegt auf klima- und makroökonomischen Themen. Auf Twitter: @J_E_Thie


Fußnoten

[1] Während der Bund jederzeit Nettokredite in Höhe von 0,35% des BIP aufnehmen kann, ist den Ländern eine strukturelle Nettokreditaufnahme untersagt. Zwar können sie in konjunkturellen Schwächephasen Kredite in Höhe einer errechneten negativen Konjunkturkomponente aufnehmen. Gleichzeitig müssen die Länder aber auch in Boomzeiten Ausgaben in der Höhe der (nun positiven) Konjunkturkomponente einsparen. Strukturell sind demnach jegliche Ausgaben mit entsprechenden Einnahmen auszugleichen.

[2] Bundesministerium der Finanzen (BMF), Nitschke, Remo (2021), Gründer et al. (2020), Ifo Institut (2021) 

[3] Zwar waren planmäßig weniger Entnahmen veranschlagt als die tatsächliche Nettokreditaufnahme anzeigt. Es ist aber davon auszugehen, dass die Landesregierung stärker von Rücklagen Gebrauch gemacht hat als im eigentlichen Nachtragshaushalt angesetzt war.

[4] Insgesamt besitzen die Bundesländer Kreditermächtigungen in Höhe von knapp 115 Milliarden Euro. Tatsächlich aufgenommen, als Nettokreditaufnahmen, haben sie netto lediglich ca. 43 Milliarden Euro.

[5] Beznoska et al. (2021), Nitschke, Remo (2021) 

[6] Ein erster Vorschlag, der gezielt das kommunale Investitionsdefizit angeht, wurde vor kurzem von René Geißler entwickelt.

Der Dezernatsbrief ist ein zweiwöchentlicher Kommentar zu aktuellen Fragen der deutschen und europäischen Ökonomie. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns und erbitten deren Zusendung an info[at]dezernatzukunft.org


Für den Ausblick, gleich zwei Dezernatsveranstaltungen heute Nachmittag:

  • Im Rahmen des diesjährigen Tag der Progressiven Wirtschaftspolitik der Friedrich Ebert Stiftung haben wir ein Panel zu sozial-ökologischer Transformation und Vollbeschäftigung organisiert. Ab 16:30 wird Philippa dort mit Vítor Constâncio, Sebastian Dullien und Aurore Lalucq über die aktuellen Herausforderungen der Fiskal- und Geldpolitik in Europa sprechen. Paolo Gentiloni wird zuvor ein Eröffnungsstatement geben. Anmeldung hier.
  • Ebenso findet heute Abend ab 19 Uhr unser Stammtisch statt. Mit unserem Gast Julia Friedrichs sprechen wir über ihr Buch “Working Class” und den Wert der Arbeit. Zur Anmeldung geht es hier.

Zusätzlich: am 2.6. um 18:00 Uhr wird Philippa mit Achim Truger und Dirk Ehnts über „Was ist mit den Schulden? Finanzpolitik in der Corona-Krise“ reden, organisiert von der Gruppe Plurale Ökonomik Erfurt.

Darüber hinaus war Philippa vor kurzem zu Gast beim Podcast In der Wirtschaft und nahm Teil an einem Online-Fachgespräch zur aktuellen Wirtschafts- und Finanzpolitik in Sachsen, dessen Video nun auf YouTube verfügbar ist.

Zu guter Letzt: Wir freuen uns weiterhin über Feedback zu unserer neuen Webseite.

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