Die Eurogruppe: Fülle der Macht, Dürre der Legitimierung
BENJAMIN BRAUN, MARINA HÜBNER
Was ist die Eurogruppe, warum gibt es sie, und wie steht es um die Balance ihrer Macht und Legitimität? Benjamin Braun und Marina Hübner argumentieren, dass die seit 2010—vor allem außerhalb Deutschlands—kontrovers geführte Diskussion um die Eurogruppe schon in deren Entstehungsgeschichte begründet liegt, zeichnen ihre Entwicklung nach und betonen weiterhin bestehende Probleme.
1992 wurde durch den Vertrag von Maastricht die europäische Wirtschafts- und Währungsunion aus der Taufe gehoben. Trotz teils weitreichender Unterschiede im Produktivitätsniveau, in nationalen Tarifverhandlungssystemen, und in der gesellschaftlichen Inflationstoleranz verzichteten die elf Gründungsmitglieder auf die Gründung neuer Institutionen, um die nationalen Wirtschafts- und Fiskalpolitiken effektiv, europäisch, und demokratisch zu koordinieren.
Ersatzweise trafen sich die nationalen Finanzminister der Euroländer regelmäßig zu informellen Gesprächen in Brüssel. Die 1998 gegründete Eurogruppe diente als Gremium zur losen wirtschafts- und fiskalpolitischen Koordinierung, ohne formale Entscheidungsbefugnisse. Sie war ein Minimalkompromiss, der weit hinter der von Frankreich geforderten „Wirtschaftsregierung“ zurückblieb.
Frühe Kritik, heiterer Himmel
Währungspolitische ohne wirtschaftspolitische Union: dies führe nicht zu Einigkeit und Verständigung, sondern zu Konflikt und Spaltung. Kein geringerer als der renommierte Soziologe Ralf Dahrendorf prophezeite dem Euro bereits Mitte der Neunziger eine düstere Zukunft: „Die Währungsunion ist ein großer Irrtum. […] Das Projekt Währungsunion erzieht die Länder zu deutschem Verhalten, aber nicht alle Länder wollen sich so verhalten wie Deutschland“ (Dahrendorf, 1995). Der Kern seiner Kritik war, dass der Euro auf kurz oder lang neue „Sachzwänge“ schaffen würde—insbesondere Konvergenz auf das deutsche Wirtschaftsmodell—ohne gleichzeitig Institutionen zu schaffen, in denen die verschiedenen möglichen Antworten auf diese Zwänge abgewogen und letztendlich legitim entschieden werden könnten.
Doch in den folgenden Jahren schien die positive wirtschaftliche Entwicklung der Kritik am europäischen Währungsprojekt den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die neue Währung punktete mit einem stabilen Preisniveau und soliden makroökonomischen Verhältnissen. Hohe Wachstumsraten in den schwächeren Euroländern nährten zudem die Hoffnung auf eine rasche Annäherung an die ökonomisch stärkeren nordeuropäischen Partner – und das weitgehend ohne Zwang.
Stunde der Eurokrise, Stunde der Eurogruppe—keine Sternstunde der Demokratie
Die Eurokrise ab 2010 verschaffte den frühen Kritikern späte, wenn auch bittere, Genugtuung. Rasch entwickelte sich die Eurogruppe zu einem neuen Machtzentrum, das wichtige Beschlüsse zur Reform der Währungsunion inhaltlich vorbereitete. Hinter verschlossenen Türen und ohne detaillierte Protokolle traf das Gremium Entscheidungen mit weitreichenden Auswirkungen auf das Leben von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern in Europa. Dies gilt insbesondere für die makroökonomischen Anpassungsprogramme, denen sich ESM-Schuldnerstaaten unterwerfen mussten. Diese wurden von der Eurogruppe in enger Kooperation mit der Europäischen Kommission erarbeitet und in ihrer Implementierung durch die betreffenden Regierungen von der Troika aus IWF, EZB und Kommission überwacht.
Die Krise gab den Blick frei auf die divergenten Wirtschaftsstrukturen in der Eurozone und die dadurch bedingten ungleichen Machtstrukturen innerhalb der Eurogruppe. Diese hatten nicht nur zum Ausbruch der Eurokrise beigetragen, sie ließen nun auch keine für alle Mitgliedsstaaten akzeptable Lösungen mehr zu. Aufgrund der fortexistierenden Macht- und Wirtschaftsungleichgewichte dominierten Reformansätze, die zugunsten der „Gläubigerländer“ ausfielen und die Interessen der „Schuldnerländer“ fundamental verletzten. Deutschlands exportorientiertes Wirtschaftsmodell diente als Modell für die von der Eurogruppe entwickelten Reformprogramme.
Den sogenannten Programmländern blieb nichts anderes übrig, als die Politik der fiskalischen Austerität und der inneren Abwertung zu akzeptieren und umzusetzen.[1] Dies hatte verheerende Konsequenzen für die demokratische Mitbestimmung. Wählerinnen und Wähler hatten keinerlei Möglichkeit, Einfluss auf die Eurogruppe zu nehmen. Einerseits standen die Parteien von 18 der 19 Finanzministerinnen und Finanzminister nur in anderen Ländern zur Wahl. Andererseits blieben auch nationale Wahlergebnisse mehrfach ohne Konsequenzen – neu gewählte Regierungen sahen sich mit denselben Troika-Auflagen konfrontiert wie abgewählte Vorgängerregierungen. Die Eurogruppe hebelte so ein wichtiges demokratisches Prinzip aus: die Möglichkeit, zwischen unterschiedlichen Politikprogrammen wählen zu können.
Probleme bleiben ungelöst
Dahrendorfs Warnung erwies sich als weitsichtig. Die Währungsunion sollte die Angleichung zwischen den europäischen Ländern beschleunigen und ihren Zusammenhalt stärken, führte aber im Gegenteil zu wirtschaftlicher Divergenz und politischen Konflikten, die bis heute anhalten.
Durch die Schuldenkrise wuchs die politische Durchschlagskraft der Eurogruppe sprunghaft an, ohne dass ihre de jure oder de facto demokratische Legitimität verbessert worden wäre. Legitimität jedoch ist die entscheidende Größe für den dauerhaften Bestand eines demokratisch vereinbarten Regelsystems. Nur so lässt sich sicherstellen, dass eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger die Institutionen, die das politische und wirtschaftliche Miteinander organisieren, als gerecht empfinden und durch regelkonformes Verhalten stützen. Die Diskrepanz zwischen der Machtfülle und der demokratischen Rechenschaftspflicht der Eurogruppe bleibt eine strukturelle Schwachstelle in der politischen Ordnung der Eurozone. Es sollte eine dringliche Priorität der Mitgliedsstaaten sein, dieses Problem noch vor dem nächsten Finanzgewitter anzugehen.
Mehr zu diesem Thema:
Benjamin Braun und Marina Hübner. Vanishing Act: The Eurogroup’s Accountability. Transparency International, Brüssel 2019.
Der Spiegel. „Alle Eier in einen Korb“: Lord Ralf Dahrendorf über die Gefahren der Währungsunion und die Krise Europas, Spiegel-Gespräch. Der Spiegel 50 (1995), 27–33.
[1] Eine klassische Abwertung bedeutet, dass Unterschiede im Preisniveau zwischen Ländern über eine Wechselkursänderungen ausgeglichen werden. Wenn zum Beispiel in Italien früher das Lohnniveau bzw. Preise schneller stiegen als in Deutschland, konnte (vor Einführung des Euros) eine Abwertung der Lira wieder für Gleichgewicht sorgen. Eine interne Abwertung bedeutet, dass unterschiedliche Entwicklungen nicht über eine Abwertung der Lira, sondern durch Kürzen von Löhnen und das Senken von Preisen ausgeglichen werden.
Bild: © European Union / beëlzepu.
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