Critical macro-finance: Eine Einführung
SAHIL JAI DUTTA, RUBEN KREMERS, FABIAN PAPE, JOHANNES PETRY
Der folgende Gastbeitrag basiert auf der Einleitung zu dem Forum ‚Critical Macro-Finance‘, veröffentlicht im Journal Finance & Society.
Seit Beginn der COVID-19 Krise im März 2020 hat die US-Zentralbank (Federal Reserve; Fed), Maßnahmen von historischem Ausmaß ergriffen. Die Nervosität über die wirtschaftlichen Konsequenzen der Pandemie löste an den Finanzmärkten eine weltweite Flucht von Investoren in den US-Dollar aus. In Entwicklungsländern hat dies zu einer beispiellosen Kapitalflucht geführt und kurzzeitig wurde dadurch sogar der Markt für US-Staatsanleihen destabilisiert. Angesichts dieser Entwicklung sah sich die Fed bereits früh gezwungen, mit Interventionen in Höhe von 1,5 Billionen Dollar einzuspringen.
Dass solch eine dramatische Summe öffentlicher Gelder zur Beruhigung privater Finanzmärkte zur Verfügung gestellt wird, unterstreicht die fundamentale politische Bedeutung globaler Geldmärkte und des internationalen Kreditverkehrs. Die Interventionen—teils ausgeführt durch rapide neu geschaffene Zentralbankfazilitäten—zeigen insbesondere auch, dass kritische Analysen nicht nur die Konsequenzen des Finanzsystems, sondern auch die internen Prozesse der Finanzialisierung beleuchten sollten, sprich wie das Zahlungssystem funktioniert, wie Marktteilnehmer mit Liquiditätszwängen umgehen, wie Geldpolitik umgesetzt wird und wie Zentralbanken in diese Prozesse eingebunden sind.
Critical Macro-Finance (CMF) nimmt sich dieser Fragen an. Basierend auf einer von Hyman Minsky inspirierten Analyse versteht CMF die Wirtschaft als ein Netzwerk von Akteuren, die untereinander Zahlungen tätigen und annehmen. Akteure mit unterschiedlichen Präferenzen werden so als ein Netzwerk ineinandergreifender Bilanzen betrachtet. Primär im Blick sind aus dieser Perspektive nicht die realen wirtschaftlichen Aktivitäten, sondern die kontinuierliche Entwicklung gegenseitiger finanzieller Verbindlichkeiten. Diese zutiefst finanzorientierte Analyse wirtschaftlicher Prozesse erlaubt es CMF, die politischen und ökonomischen Dynamiken des globalen Zahlungssystems als eine bislang unterbeleuchtete Hauptproblematik sichtbar zu machen und zu analysieren.
Die Entstehungsgeschichte von CMF: 2008 als entscheidender Anstoß
Die Entstehungsgeschichte von CMF ist vielfältig, doch die Finanzkrise von 2008 spielt eine zentrale Rolle. Die Krise wurde zunächst aus konventionell makroökonomischer Perspektive analysiert, als ein Problem von Ungleichgewichten in nationalen Leistungsbilanzen. Diese Perspektive steht in der Tradition volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen und analysiert Netto-Kapitalflüsse zwischen klar abgegrenzten Staaten. Sie argumentiert, dass Finanzkrisen aus Ungleichgewichten in der Realwirtschaft resultieren: Haushaltsüberschüsse im Osten hätten den Finanzsektor im Westen aufgebläht und zu einer toxischen Mischung aus Deregulierung, komplexen Finanzprodukten und spekulativen Exzessen beigetragen, was schließlich zur Krise geführt habe.
Im Gegensatz zu dieser makroökonomischen Sichtweise entwickelten heterodoxe Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und anderer internationaler Finanzinstitutionen eine alternative, makro-finanzielle Perspektive (bspw. Claudio Borio, Zoltan Poszar oder Hyun Song Shin). Dieser Ansatz konzentriert sich nicht auf Netto-Kapitalflüsse zwischen nationalen Volkswirtschaften, sondern auf Brutto-Kapitalströme zwischen globalen Banken. Dieser Betrachtungsweise liegt das Argument zugrunde, dass Finanzkrisen aus Ungleichgewichten im internationalen Kreditverkehr entstehen. Da die Verbindlichkeiten der einen Bank zugleich die Vermögenswerte einer anderen Bank darstellen, sind insbesondere auch die Gläubiger den Konsequenzen von Kreditengpässen ausgesetzt.
Als in 2007 Hypotheken an Kreditwürdigkeit verloren und in 2008 die Nervosität an den Finanzmärkten stieg, versuchten Finanzinstitute ihre Wertpapiere zu liquidieren. Der kollektive Notverkauf führte jedoch zu einem dramatischen Preisverfall der Vermögenswerte. So kam es zu Turbulenzen im weltweiten Interbankenhandel: Banken verloren das Vertrauen in Kreditsicherheiten, die kurz zuvor noch zur Absicherung kurzfristiger Anleihen akzeptiert wurden. Insbesondere europäische Banken, deren Geschäftsmodell darauf ausgerichtet war, sich schier unbeschränkte Summen in Dollar kurzfristig zu leihen und zu verleihen, standen plötzlich ohne private Refinanzierungsmöglichkeit da. Weil sie zudem nicht von den jeweiligen Zentralbanken mit US-Dollars versorgt werden konnten, entwickelte sich dies zu einer existenziellen Bedrohung. Aus einem lokalen Problem im US-Hypothekenmarkt wurde eine globale Finanzkrise.
Die makro-finanzielle Analyse zeigt, dass—trotz aller Verwerfungen und schwerwiegenden Auswirkungen der Krise in der Realwirtschaft—eine wichtige Erklärung für das Ausmaß der Krise vor allem im Interbankenhandel und den Geldmärkten zu finden ist.
Finanzexperten der BIZ sowie einige heterodoxen Ökonomen am Rande des wissenschaftlichen Mainstreams hatten dies schon frühzeitig identifiziert—im Gegensatz zum akademischen Mainstream der Volkswirtschaftslehre. Dieser heterodoxe Ansatz wurde von Gruppen wie Rethinking Economics, dem Institute for New Economic Thinking (INET), Perry Mehrlings Online-Kurs „Economics of Money and Banking“ und durch den CMF-Blog des Economics Department an der University of West England weiterentwickelt. Er fand schnell ein breiteres Publikum in der Finanzpresse, insbesondere im Alphaville-Blog der Financial Times.
Kritische Stimmen in der Politischen Ökonomie verfolgten zeitgleich ähnliche Argumentationswege, so wurden zum Beispiel das Schattenbankensystem und der Aufstieg marktbasierter Bankprozesse zum Thema. Die Arbeit von Daniela Gabor und ihren Koautoren erfuhr zudem wachsende Aufmerksamkeit. Der technische Unterbau („plumbing“), insbesondere die infrastrukturellen und juristischen Rahmenbedingungen und -prozesse, die das Finanzsystem ermöglichen und strukturieren, wurden von dieser Gruppe als Problematik identifiziert. Die Veröffentlichung von Adam Toozes Historie der Finanzkrise, Crashed, trug diese finanzzentrierte Perspektive schließlich von der akademischen- und Fachwelt in eine breitere Öffentlichkeit. Makrofinanz, so Tooze, hatte begonnen die Makroökonomie als „lingua franca“ der Macht abzulösen.
Eine geldpolitische Analyse als theoretische Grundlage
CMF basiert auf einer geldpolitischen Analyse, die ihre Ursprünge in Keynes, Schumpeter und vor allem Minsky findet. Im Gegensatz zu volkswirtschaftlichen Textbüchern geht dieser Ansatz davon aus, dass realwirtschaftliche Akteure fundamental von monetären Fragen beeinflusst werden. Im Kontext von Unsicherheit ziehen Marktteilnehmer (liquides) Geld langfristigen (illiquiden) Investitionen vor. Diese Präferenz für Liquidität ist sowohl absichernd—liquide Reserven erlauben Zahlungsfähigkeit, selbst wenn Investitionen fehlschlagen—und spekulativ, wenn etwa Reserven gehalten werden, um später zu lukrativeren Bedingungen verliehen zu werden.
Minsky übertrug dieses keynesianische Verständnis von Liquidität auf die USA in der Nachkriegszeit. Für Minsky wird Liquidität zu einem Problem der Bilanzierung. Beide Seiten der Bilanzposition sind hierbei wichtig: Geldabflüsse müssen von Geldeinnahmen gedeckt werden können. Diese Einfluss-Abfluss-Dynamik stellt einen täglichen Zahlungs- oder „Überlebenszwang“ dar. Der Zugriff auf Liquidität wird somit die axiomatische Grundlage des Kapitalismus, der höchste Zwang wirtschaftlichen Handelns und das fundamentale Prinzip des globalen Finanzsystems.
Dieser Fokus ermöglicht es CMF, einen substanziellen Bruch mit der neoklassischen Wirtschaftstheorie zu vollziehen. Dies unterscheidet CMF allerdings auch in wichtigen Punkten von der bisherigen Finanzialisierungsforschung. Diese Forschungsrichtung hat seit den 1990er Jahren gezeigt, wie der Finanzkapitalismus zunehmend abgekoppelt von der Realwirtschaft operiert, wobei der analytische Fokus vornehmlich auf Vermögenswerten lag. Forscher haben analysiert wie die Erschaffung neuer Vermögenswerte die wachsende Macht von Kreditgebern gestärkt, Haushalten, Firmen, und Regierungen neue Zwänge auferlegt und diese dem Finanzsektor untergeordnet hat. Diese Analysen haben wichtige Beträge zu unserem Verständnis von Unsicherheit und Ungleichheit in heutigen Gesellschaften geleistet. Gleichzeitig aber hat die Finanzialisierungsforschung selten die soziale und technische Konstruktion von Finanzmärkten im Detail analysiert. Das Finanzsystem wird hier häufig funktional als Instrument der Kreditgeber verstanden, als übermächtiger Mechanismus der die Realwirtschaft den Zwängen der Finanzmärkte unterwirft.
CMF stellt sich gegen diese Fokussierung auf die Resultate von Finanzmärkten und lenkt den Fokus zurück auf die Prozesse, denen Finanzmärkten unterliegen, insbesondere auf die Methoden des Bilanzstrukturmanagements (liability management), durch die tägliche Zahlungszwänge bedient werden. Diese Analyse erlaubt eine andere Perspektive auf die Finanzialisierung. Während vorherige Studien soziale Risiken und die Gefahr der Insolvenz für Schuldner hervorgehoben haben, betont das auf Verbindlichkeiten fokussierte CMF die Zentralität von Liquidität: solange eine Institution sich weiter im Markt finanzieren kann, bleibt die Qualität von Vermögenswerten zweitranging. Anstelle von Zahlungsfähigkeit ist Zahlungsliquidität zentral für das Handeln wirtschaftlicher Akteure.
Die politische Relevanz von CMF: Machtverhältnisse verständlich machen
CMF bedient sich derselben Sprache und Kategorien, die auch von Finanzexperten in Wirtschaft und Politik verwendet werden. Dies erleichtert es dem Ansatz erheblich, in finanzpolitischen Debatten außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses Gehör zu finden. Ein wichtiger Bereich in dem dies besonders sichtbar wird, ist die öffentliche Debatte um die Krisenpolitik der Zentralbanken. Während sich die kritische Forschung der Politischen Ökonomie zuvor vor allem gegen die Delegation geldpolitischer Entscheidungsmacht an nicht gewählte Technokraten richtete, rückt CMF die gegenseitigen Abhängigkeiten von politischen und technokratischen Akteuren—von Regierungen, Zentralbanken und privater Finanzwirtschaft—in den Vordergrund. Dabei wird deutlich, dass Zentralbanken, indem sie den Liquiditätsbedarf der großen Geschäftsbanken decken, nicht nur staatliche Geldpolitik betreiben, sondern (ob sie es wollen oder nicht) auch erheblichen Einfluss auf die private Kreditvergabe ausüben. Eine brisante Beobachtung dabei ist, dass durch den Versuch, wirtschaftspolitische Ziele durch Märkte zu erreichen, gewisse Abhängigkeiten zwischen Zentralbanken und der privaten Finanzwirtschaft entstehen.
Diese Dynamiken sind bei weitem keine rein technokratische Angelegenheit, die sich bloß um die effektive Kontrolle der Finanzmarktstabilitӓt drehen. Sie betreffen vielmehr grundsätzlich die politische und normative Ausrichtung der gegenwärtigen Geld- und Fiskalpolitik. So geraten scheinbar technische Regelungen, wie etwa die Zulassung bestimmter Schuldtitel als Sicherheiten in den Kreditsicherheitsrahmen (collateral framework) der Zentralbanken in den Fokus (z.B. Braun und Hübner, van ’t Klooster). Welche Schuldtitel akzeptiert werden ist wichtig in der privaten Kreditvergabe, da bestehende Regelungen beispielsweise die Ölindustrie massiv begünstigen.
Ein anderer Bereich, in dem sich der Einfluss von CMF deutlich bemerkbar macht, ist in der politischen Auseinandersetzung mit der anhaltenden Abhängigkeit der Entwicklungs- und Schwellenländer von Offshore-Dollar-Märkten. Während sich die wissenschaftliche Debatte zuvor häufig um die Problematik volatiler Währungskurse und plötzlicher Kapitalflucht drehte, richtet CMF die Aufmerksamkeit auf das grundlegende Problem, dass Länder—oder systemrelevante Akteure in diesen Ländern—Schulden in Dollar aufnehmen, um Kredite in lokaler Währung zu finanzieren. Dies betrifft unter anderem ostasiatische Pensionsfonds und Lebensversicherer, die europäische Banken seit der Finanzkrise von 2007/8 als größte Kreditnehmer auf den Offshore-Dollar-Märkten abgelöst haben. Diese neuen globalen ‘cash-pools‘ sind damit zu einem zumindest ebenbürtigen Faktor in Fragen der globalen Finanzmarktstabilität geworden und veranschaulichen die zunehmend marktbasierte Organisation nationaler Finanzsysteme.
Vor diesem Hintergrund problematisiert CMF auch den rapiden Bedeutungs- und Machtgewinn privater Vermögensverwalter (asset manager), welcher in der wissenschaftlichen Debatte aufmerksam verfolgt wird. Seit 2008 haben sich diese privaten Unternehmen zu einer mächtigen wirtschaftlichen und politischen Instanz entwickelt. Nicht nur, weil sie enorme Vermögenswerte kontrollieren, sondern auch, weil sie eine zentrale Rolle in den Offshore-Geschäften sowohl von Banken als auch der neuen globalen cash-pools spielen. Darüber hinaus sind diese zunehmend in wichtige politische Entscheidungen involviert, indem sie Regierungen und Zentralbanken weltweit beraten. Dies führte bereits zu einer Reihe von eindeutigen Interessenskonflikten. Zum Beispiel sicherte sich der weltweit größte Vermögensverwalter BlackRock eine Schlüsselrolle als Berater der Fed in deren Anleiheankaufprogrammen im Zuge von COVID-19; eine Rolle in der BlackRock etwa zum Kauf seiner eigenen Vermögenswerte raten konnte. Wenig überraschend lockte BlackRocks Vorzeige-Corporate Bond ETF (LQD:US) im folgenden Monat Investitionen in Höhe von 4,3 Milliarden USD an. Vergleichbare Produkte der Konkurrenten Vanguard und State Street erhielten lediglich 22 Millionen USD, bzw. 15 Millionen USD, also nur knapp ein Hundertstel dessen, was auf Blackrocks ETF entfiel. Zusätzlich zu der Erforschung sogenannter ‚regulatory capture‘, also der Vereinnahmung von Regulierungsakteuren durch die zu regulierende Branche, macht CMF daher neue komplexe Verflechtungen zwischen privaten und öffentlichen Akteure sichtbar und der öffentlichen Debatte zugänglich.
Kurzum, CMF analysiert die vielseitigen Wechselwirkungen unterschiedlicher politischer und wirtschaftlicher Akteure innerhalb der Finanzwelt sowie deren Auswirkungen auf globale Marktprozesse und deren Regulierung. Damit ermöglicht der Ansatz ein besseres Verständnis der Machtverhältnisse im Zentrum der Finanzwirtschaft, der Frage, wie Kreditforderungen politisch ausgehandelt und instrumentalisiert werden, sowie der Akteure oder Branchen, welche durch diese Prozesse über die Zeit an Bedeutung und Macht gewinnen.
Was ist ‚kritisch‘ an CMF?
CMF ist eher ein ökonomischer als ein politökonomischer Analyserahmen. Der Vorteil daran ist, dass CMF einen klaren analytischen Standpunkt vertritt, der als Grundlage zum Verständnis für Wirtschaftsprozesse dient. Jedoch birgt die bilanz-zentrierte Sichtweise des Ansatzes auch Grenzen, die es zu benennen und zu hinterfragen gilt.
Politisch gesehen ist es genau dieser analytische Standpunkt, welcher CMF das Gehör von Experten und Regulatoren verschafft. Allerdings mag es sein, dass CMF dadurch auch an den intellektuellen Analyserahmen und die politischen Gestaltungsvorstellungen dieser Experten gebunden wird. Methodisch gesehen stellt CMF grundsätzlich alle Institutionen gleich und löst diese dadurch aus ihrem spezifischen Kontext heraus. Obwohl alle bankähnlichen Institutionen individuelle Strategien haben, ist das „Zahlungsproblem“ (payments problem) der axiomatische Grundsatz der Analyse, wodurch CMF eine grundlegend deduktive Forschungsmethode nahelegt. Die Politische Ökonomie hat sich jedoch immer mit deduktiven Methodologien schwergetan, da diese bestimmte Forschungsfragen ausschließen. Wie kann CMF beispielsweise erklären, dass Praktiken des cash-flow management in einer Handelsabteilung der US-Investmentbank Bankers Trust entstand und nicht etwa bei der britischen Barclays Bank? Oder wieso etwa ausgerechnet deutsche Banken Probleme hatten diese Praktiken anzuwenden, und welche Auswirkungen dies auf die Eurokrise hatte? CMF könnte Probleme haben, zu konzeptualisieren inwiefern solche historischen und geographischen Entwicklungen und Zusammenhänge Zahlungsproblematiken beeinflussen.
Wofür steht also das ‚kritische‘ in kritischer Makrofinanz? Es steht für die Politisierung des technischen Unterbaus, die angeblich apolitischen Infrastrukturen und Prozesse von Finanzmärkten. Aber ohne eine bestimmte methodologische Vorgehensweise, die sich vom Makrofinanz-Mainstream abhebt, stellt ‚kritisch‘ lediglich eine Selbstverpflichtung zu ebensolchen normativen Fragen dar. Trotz aller Aufmerksamkeit, die Finanzprozesse dabei erfahren, beschäftigt sich CMF letztlich mit den gleichen Sachverhalten und Fragen wie die Finanzialisierungsforschung, insbesondere den demokratischen Implikationen des ‚Regierens durch Märkte‘ sowie den sozialen Auswirkungen ‚ungeduldigen‘ Kapitals. Grundlegend teilen CMF und die Finanzialisierungsforschung eine Frustration mit der Art und Weise, wie realwirtschaftliche Prozesse untergraben werden durch die neoliberale Wende in globalen Finanzmärkten.
Die entscheidende Frage—welche in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Finance & Society im Detail (auf Englisch) behandelt wird—ist daher, wie genau uns eine solche ‚kritische‘ Makrofinanz hilft, die ungleichen politökonomischen Entwicklungen des zeitgenössischen Kapitalismus zu erforschen.
Die Finanzkrise 2008 hat eindrucksvoll bewiesen, dass Forscher die technischen Aspekte und Prozesse globaler Finanzmärkte näher beleuchten müssen. Teil dieser großen intellektuellen Herausforderung für die politische Ökonomie und Finanzialisierungsforschung ist dabei, Finanzmärkte selbst zu analysieren, und nicht lediglich im Hinblick auf realwirtschaftliche Prozesse und Konsequenzen. Den analytischen Fokus von Solvenz zu Liquidität und von den Konsequenzen von Finanzmärkten zu deren konstituierenden Prozessen zu verschieben, ist ein vielversprechender Untersuchungsansatz, der durch CMF möglich wird. Um diesen Perspektivenwechsel zu vollziehen muss analysiert werden, inwiefern Finanzprozesse wie Fremdkapitalaufnahme, Liquiditätsprovision oder Verbindlichkeiten- und Kreditsicherheits-management im globalen Kapitalismus ermöglicht, verbreitet und reproduziert werden.
Picture credit: Elbpresse
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