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13. Juli 2018
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Darf die EZB Staatsanleihen kaufen?

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DEZERNAT ZUKUNFT

Am Mittwoch, den 10.7.2018, fand vor dem Europäischen Gerichtshof eine mündliche Anhörung zu genau dieser Frage statt. Berichtet wurde darüber unter anderem in der FAZ, der NZZ, im Handelsblatt, auf Euractiv und in der Wirtschaftswoche. Konkret geht es in diesem Gerichtsverfahren darum, ob das Public Sector Purchase Programme (PSPP) innerhalb des Mandats der EZB liegt.

Was ist das PSPP?

Das PSPP ist der Teil des Quantitativen Lockerungsprogramms der EZB, unter welchem jene Staatsanleihen kauft.[1] Diese Ankäufe finden auf dem Sekundärmarkt statt: anstatt Anleihen direkt vom Staat zu kaufen, und so Staatsschulden zu finanzieren, kauft die EZB sie von Banken und anderen Anlegern, die sie zuvor auf dem Primärmarkt vom Staat erworben haben. Das Ziel dieses Programms, das im März 2015 eingeführt wurde, ist die Inflation im Euroraum wieder an das Inflationsziel von 2% heranzuführen.

Seit März 2015 hat die EZB im Rahmen dieses Programmes ca. zwei Billionen Euro an Staatsanleihen der Eurostaaten aufgekauft. Das entspricht ca. 18% des BIPs der Eurozone. Die EZB verfolgt das Ziel, Anleihen proportional zum sogenannten Kapitalschlüssel, also abhängig von den jeweiligen Eigenkapitalanteilen der Länder bei der EZB, zu kaufen. Daher entfallen mehr als 60% dieser Aufkäufe dabei auf die drei größten Volkswirtschaften der Eurozone: Deutschland (490 Milliarden Euro), Frankreich (400 Milliarden Euro), und Italien (350 Milliarden Euro). Die vollständige Aufschlüsselung sowie die genauen Beträge sind hier zu sehen.

Worüber beschweren sich die Kläger?

Die Kläger beanstanden insbesondere, (1) dass das PSPP gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung verstößt, und (2) dass die EZB mit diesem Programm Wirtschafts- und nicht reine Währungspolitik betreibt und so über ihr Mandat hinaustritt.

Das Bundesverfassungsgericht gab den Klägern in einem ersten Beschluss letzten Juli größtenteils recht: „Zwar hat das PSPP eine erklärte währungspolitische Zielsetzung und bedient sich zur Verfolgung dieses Ziels geldpolitischer Mittel; jedoch sind die wirtschaftspolitischen Auswirkungen aufgrund des Volumens des PSPP und der damit verbundenen Voraussehbarkeit des Ankaufs von Staatsanleihen bereits unmittelbar im Programm selbst angelegt.“ Zusätzlich „bestehen Zweifel, ob der PSPP-Beschluss mit dem Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung vereinbar ist.“ (Pressemitteilung des BVerfG, 15. August 2017).

Da es aber im Kern der Sache darum ging, ob die EZB gegen europäisches Recht verstößt (sowohl das Mandat der EZB als auch das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung ist in den europäischen Verträgen verankert), legte das Bundesverfassungsgericht die Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung vor. Am 10.7.2018 war nun die mündliche Anhörung zu diesem Fall vor dem EuGH.

Wie wird der Fall ausgehen?

Wahrscheinlich wird der EuGH das PSPP, unter Auflagen, für rechtens erklären. Dies ist wahrscheinlich, da es im Juni 2015 bereit ein ähnliches Programm der EZB, das Outright Monetary Transactions Programm (OMT) für rechtmäßig erklärt hatte. Es ist weiterhin wahrscheinlich, dass sich das Bundesverfassungsgericht diesem Urteil anschließt, da es dies im OMT Fall im Juni 2016 ebenfalls tat.

Allerdings ist zu bemerken, dass die Argumentationsweise der Gerichte sowohl im PSPP als auch im OMT Fall volkswirtschaftlich bedenklich sind. So beanstandet zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht in seinem PSPP Beschluss, in dem es den Fall dem EuGH zur Klärung vorlegt, dass die Politik der EZB nicht rein währungspolitisch ist, sondern auch wirtschaftspolitische Effekte hat. Diese Trennung ist im Kontext der modernen Makroökonomie problematisch: zum einen steuern Zentralbanken durch ihre Geldpolitik das Nachfrageniveau in ihren Volkswirtschaften, um so ihr Inflationsziel zu erreichen.[2] Es sind also wirtschaftspolitische Effekte der Zentralbankpolitik—insbesondere die Steuerung der Nachfrage—über die Zentralbanken versuchen, ihre geldpolitischen Ziele zu erreichen. Dieses Argument wird hier schön von Sebastian Dullien für den Wirtschaftsdienst ausgeführt.

Zum anderen greifen Zentralbanken immer verteilungspolitisch ein, wenn sie, wie es ihre Aufgabe ist, Zentralbankgeld schaffen. Zentralbankgeld wird geschaffen, indem die EZB im Austausch gegen bestimmte Sicherheiten Banken Bargeld oder Guthaben auf einem Zentralbankkonto (bekannt als Zentralbankreserven) zur Verfügung stellt (siehe unseren Erklärer zu diesem Thema). Wenn die EZB bestimmte Sicherheiten akzeptiert, werden diese automatisch liquider, da man sich mit ihnen Zentralbankgeld besorgen kann. Dies senkt die Liquiditätsprämie für diese Papiere, und damit die Kapitalkosten für alle Firmen, die sich über solche Papiere finanzieren. Konkret hatte dies zum Beispiel einen verteilungspolitischen Effekt, als das Eurosystem sich entschied, auch Kreditforderungen gegen kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) als Sicherheiten zu akzeptieren (siehe Artikel 3 der Leitlinie der EZB vom 9. Juli 2014). Dies reduzierte die Finanzierungskosten dieser Unternehmen und entsprach daher einer wirtschaftspolitischen Förderung eben jener kleiner und mittelständischer Unternehmen. Da die EZB unmöglich jegliche Art von Finanzpapieren als Sicherheiten akzeptieren kann—sonst wären der Zentralbankgeldschöpfung keine Grenzen gesetzt—beinhaltet die unvermeidliche Entscheidung, welche Papiere zu akzeptieren sind, stets ein Stück Verteilungspolitik.

Das Bundesverfassungsgericht versucht also eine Trennung, die volkswirtschaftlich unscharf ist und die unmöglich konsistent über das gesamte geldpolitische Instrumentarium der EZB angewendet werden kann.

Dieser Versuch einer klaren Trennung zwischen Währungs- und Wirtschaftspolitik ist allerdings nicht nur ökonomisch fragwürdig, er kann gar schädlich sein. Wenn zum Beispiel auf Grundlage dieser fiktiven Trennung argumentiert wird, wie vom Bundesverfassungsgericht, dass die EZB keine Instrumente verwenden darf, bei denen „die wirtschaftspolitischen Auswirkungen […] bereits unmittelbar im Programm selbst angelegt“ sind, wäre es der EZB unter Umständen unmöglich, das ihr anvertraute Inflationsziel zu erreichen. Wenn sowohl Privatwirtschaft als auch Staat trotz einem EZB Leitzins von 0% kaum Zugang zu Kredit haben und gleichzeitig eine Konjunkturkrise herrscht—wie in Teilen der Eurozone zum Höhepunkt der Eurokrise zwischen 2010 und 2012—kann die EZB nur dann ihr Inflationsziel erreichen, wenn sie die Wirtschaft durch unkonventionelle Maßnahmen mit gewünscht wirtschaftspolitischen Auswirkungen (wie z.B. das PSPP und andere Programme der Quantitativen Lockerung) weiter ankurbelt. Wird ihr dies verboten, könnte sie unter Umständen eine deflationäre Abwärtsspirale nicht verhindern, obwohl ihr Mandat sie dazu verpflichtet.

Um also zurück zur Ausgangsfrage zu kommen: darf die EZB Staatsanleihen kaufen? Ja, denn sonst könnte sie ihr Mandat nicht erfüllen.

 

[1] Unter dem PSPP können auch Schuldtitel bestimmter supranationaler Institutionen, wie z.B. des ESM, gekauft werden.

[2] Insbesondere tun sie dies, indem sie Zinsen—ob am Geldmarkt, am Markt für Staatsanleihen, oder am Markt für Unternehmensanleihen—steuert. Bei niedrigen Zinsen fallen die Finanzierungskosten für unternehmerische Investitionsprojekte (die überwiegend kreditfinanziert sind), für den Hausbau und -erwerb, sowie für Konsumkredite. Ceteris paribus sorgen niedrige Zinsen also für hohe Nachfrage—um so die Inflation anzuheben, falls sie zu niedrig ist—während hohe Zinsen die Nachfrage drosseln—um so die Inflation abzuschwächen, sollte sie zu hoch sein.

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