
Sondergeldbrief: Wie groß ist das Schuldenpaket wirklich?
Philippa Sigl-Glöckner, Florian Schuster-Johnson
Union und SPD haben sich am Dienstag auf ein spektakulär klingendes Schuldenpaket geeinigt. Tatsächlich spektakulär ist die vorgeschlagene Ausnahme für Verteidigung. Das Infrastrukturpaket dagegen dürfte vor allem Haushaltslücken füllen und könnte wesentlich geringere Auswirkungen haben als von den meisten angenommen. Dazu kommt eine byzantinische Finanzbürokratie, zu deren Beseitigung wir aber natürlich auch einen Vorschlag haben …
Es war eine schnelle Einigung und eine, bei der einigen ein Stein vom Herzen gefallen ist. Der Aufbau der deutschen Verteidigung wird nicht am Geld scheitern. Und auch sonst scheinen die Koalitionäre in spe von Union und SPD in der Lage, pragmatische Lösungen zu finden.
Aber was steckt drin im großen Fiskalpaket, das Markus Söder, Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken am Dienstag verkündeten?
Just swipe the card oder die 1-Prozent-Regel
Ausgaben im Verteidigungshaushalt, die ein Prozent des BIP überschreiten, sollen von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Das klingt wenig spektakulär. Bliebe es bei der aktuellen Haushaltsplanung würde diese Regel zehn Milliarden zusätzliche Neuverschuldung ermöglichen – keine riesige Summe.
Das verkennt aber die Dimension dieser Neuregelung. Mit der 1-Prozent-Regel ist es erstmals in der bundesdeutschen Geschichte möglich, jede Art Verteidigungsausgabe unbegrenzt mit Schulden zu finanzieren. Nun kann man argumentieren, dass Rüstungsinvestitionen für Industrieaufträge sorgen, damit Wachstum und Steuereinnahmen generieren, also für sich selbst zahlen. Wie sehr das der Fall ist, hängt vor allem davon ab, für was und wo das Geld ausgegeben wird.
Sollte es tatsächlich dazu kommen, dass Soldatengehälter und -pensionen oder andere Betriebskosten über Schulden finanziert werden, wären das genau die Schulden, vor denen in Deutschland so eifrig gewarnt wird: Schulden, die wir zukünftigen Generationen überlassen, weil sie womöglich kein Wirtschaftswachstum und mehr Steuereinnahmen in der Zukunft mit sich bringen. Angesichts der aktuellen Lage mag das ein untergeordnetes Problem sein, man sollte sich dessen aber bewusst sein. Die 1-Prozent-Regel ist eine der radikalsten Entscheidungen in der Geschichte der deutschen Finanzpolitik. Welche Auswirkung sie hat, wird auf Politik und Beschaffung ankommen.
Lückenfüller Sondervermögen
Laut SPD und Union soll es ein 10 Jahre laufendes Sondervermögen über 500 Milliarden Euro für Infrastruktur geben, 100 Milliarden Euro für Länder und Kommunen, 400 für den Bund. Das entspricht 40 Milliarden Euro pro Jahr.
Das hört sich nach sehr viel an, aber wird all das Geld auch tatsächlich Neues finanzieren? Eher nicht. Aktuell klafft im Bundeshaushalt trotz aller Einsparversuche der Ampel eine große Lücke. Die schließt auch die 1-Prozent-Regel für Verteidigung nicht – sie reduziert sie lediglich um knapp zehn Milliarden Euro.
Darüber hinaus dürften ca. 30 der jährlichen 40 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen benötigt werden, um bereits eingeplante Infrastrukturinvestitionen zu finanzieren. Nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Gelder käme zusätzlichen Investitionen zugute. Die von uns geschätzten Finanzbedarfe des Bundes für Infrastruktur, Daseinsvorsorge und Co. von 70 Milliarden Euro pro Jahr wären bei weitem nicht adressiert.
Dazu fehlt im Haushalt weiterhin das Geld für Entlastungen, wie zum Beispiel die Dämpfung der Netzentgelte. Long story short: Ohne weitere Änderungen am Finanzrahmen wird weiterhin Geld für Infrastruktur und die Stützung des Wachstums fehlen – wobei ein schneller Anstieg der Verteidigungsinvestitionen bereits einen deutlichen Beitrag zum Wachstum liefern könnte.
Abbildung 1 zeigt, welche Finanzbedarfe durch die Grundgesetzreform abgedeckt sind und welche weiterhin offen bleiben. Sogar beim Haushalt verbleibt in zukünftigen Jahren eine Lücke. Damit besteht trotz großem Finanzpaket die Gefahr, dass an all dem gespart wird, das Wirtschaftswachstum und Stabilität sichert, zum Beispiel Betreuung, Bildung, Integration oder auch innere Sicherheit.
Abbildung 1
Lesebeispiel: Für das Jahr 2026 würde die vorgeschlagene Grundgesetzänderung dafür sorgen, dass 32 Milliarden Euro Haushaltslücke finanziert sind, während sieben Milliarden offen blieben.
Quelle: Finanzplan, BMWK, eigene Darstellung, Dr. Florian Schuster-Johnson
The real deal: Schuldenbremsenreform?
Das vorgeschlagene Haushaltspaket ist eine pragmatische Antwort auf aktuelle Probleme. Es füllt die größten Löcher im Haushalt und verhindert, dass Investitionen komplett unter die Räder kommen. Auch gibt es endlich Planungssicherheit für den Aufbau der Verteidigung.
Das Paket hat aber zwei Probleme: Erstens reicht es nicht aus. Zweitens treibt es die deutsche Finanzbürokratie auf die Spitze. Früher gab es einen Haushalt und eine deutsche Schuldenregel, die die europäischen Vorgaben in deutsches Recht übersetzte.
Bald gibt es womöglich drei große, teils zweckgebundene Geldtöpfe, den Bundeshaushalt, das Sondervermögen für Verteidigungsinvestitionen, das Sondervermögen für Infrastruktur, die drei Regeln unterliegen: Der Schuldenbremse, der 1-Prozent-Regel und den europäischen Schuldenregeln. Und weil das noch nicht kompliziert genug ist, funktionieren die europäischen Schuldenregeln seit ihrer Reform im Jahr 2024 gänzlich anders als die Schuldenbremse.
Der Bund hat unterschiedliche Teile seines Finanzkörpers in überlappende Korsette eingeschnürt. Während alle nach weniger Bürokratie rufen, verstricken wir uns in einer kolossal komplexen Finanzbürokratie, die kaum einer versteht und die weit mehr Papier als sinnvolle Finanzierungsentscheidungen hervorbringen dürfte.
Es gibt einen Ausweg: Die für 2025 verabredete Reform der Schuldenbremse. Geht es nach dem alten Drehbuch, wird in der Reform eine zufällige Zahl durch eine andere ersetzt und das Regelchaos bleibt. Oder man ringt sich zu einer trivialen Änderung der deutschen Schuldenregel durch und ersetzt zig Detailregelungen durch einen einzigen Satz: „Deutschland hält sich an das europäische Regelwerk.“
Deutschland hatte die Schuldenbremse. Von ihr ist wenig übrig. Es ist Zeit für Reform.
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