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Eine Grundgesetzreform in 30 Tagen
Im Wahlkampf sprach kaum jemand über Geld. Das hat sich geändert: Es geht endlich wieder ums Geld. Das Fenster für eine Reform der Schuldenbremse ist offen. In unserem Policy Paper machen wir einen Vorschlag für eine ökonomisch sinnvolle Schuldenregel. Zwei weitere Papiere untersuchen, wie Klimaschutzausgaben unter dieser Regel berücksichtigt werden können und wie die Finanzmärkte auf eine Reform reagieren würden. Dieser Geldbrief fasst unseren Reformvorschlag und unsere Analysen zusammen und erklärt, wie eine Reform schnell gelingen kann.
Die Bundestagswahl ist vorbei. Die Union gewinnt, koaliert wird vermutlich mit der SPD, die FDP ist raus, AfD und Linke haben zusammen mehr als ein Drittel der Sitze. Für eine Grundgesetzreform der Schuldenbremse wird es also enger. Deswegen öffnet Friedrich Merz die Tür plötzlich weit: Noch bevor die nächste Regierung steht, könnte der „alte“ Bundestag über eine Reform abstimmen. Noch verfügen CDU/CSU, SPD und Grüne über eine Mehrheit, um das Grundgesetz zu ändern.
Nötig ist das, denn das Haushaltsloch der neuen Bundesregierung ist riesig. Es gibt viel zu modernisieren. Für Infrastruktur, Daseinsvorsorge und Bundeswehr fehlen im Bundeshaushalt jährlich mehr als 100 Mrd. Euro–. Dazu kommen teure Versprechen aus dem Wahlkampf und ein Donald Trump, der die europäische Sicherheitsarchitektur abreißt. Der Moment der Wahrheit ist gekommen.
Ein Sondervermögen für die Bundeswehr stopft keine strukturellen Haushaltslöcher. Deutschland braucht einen dauerhaft funktionierenden Finanzierungsrahmen. Die Bedarfe sind so hoch, die Unsicherheit über künftige verfassungsändernde Mehrheiten so groß, dass kein Weg an einer grundlegenden Schuldenbremsenreform vorbeiführt. Wie könnte eine Reform in weniger als 30 Tagen aussehen?
Zwei Dinge sind entscheidend: Erstens wird der Rahmen des Möglichen bei jeder Art von Grundgesetzänderung von den europäischen Fiskalregeln vorgegeben. Mehr geht nur, wenn diese in Zukunft entsprechend angepasst werden (z. B. für Verteidigungsausgaben, wie aktuell diskutiert wird). Zweitens sollte dieser Rahmen optimal ausgenutzt werden. „Optimal“ heißt: ökonomisch sinnvoll. Eine neue Schuldenregel sollte Spielräume für wachstumssteigernde Investitionen und Reformen schaffen. Momentan müssen sie vorher aus dem laufenden Haushalt „herausgespart“ werden – oder kommen erst gar nicht zustande.
In diesem Policy Paper haben wir einen Reformvorschlag für die Schuldenbremse entwickelt, der diese beiden Ideen berücksichtigt.
Einfach Europa machen
Unser Vorschlag: Eine neue deutsche Schuldenregel sollte einfach aus den EU-Fiskalregeln abgeleitet werden. Diese sind zwar nicht unproblematisch und fußen auf einer wissenschaftlich unzureichend fundierten Schuldenquote. Aber sie sind für Deutschland rechtlich bindend. Die Bundesregierung sollte sich nicht freiwillig noch weiter einschränken.
Wie die deutsche Schuldenregel konkret aussehen könnte, haben wir abgeschätzt: Aus den EU-Fiskalregeln ergibt sich – bei einiger Unsicherheit mit Blick auf ihren Vollzug – für die nächste Legislaturperiode vermutlich ein maximal zulässiges Budgetdefizit von ca. 1,8 Prozent des BIP. Diese numerische Obergrenze könnte gesetzlich festgeschrieben und müsste regelmäßig – z. B. zu Beginn jeder Legislaturperiode – im Einklang mit den Berechnungen unter den EU-Regeln aktualisiert werden.
Im Bundeshaushalt könnte das laut Finanzplan im Vergleich zur Schuldenbremse in der kommenden Legislaturperiode pro Jahr 15 bis 20 Mrd. Euro mehr Spielraum schaffen, ggf. noch mehr, wenn gewisse Ausgaben von den EU-Regeln ausgenommen werden. Für Bund, Länder und Kommunen zusammen kämen mittelfristig sogar bis zu 30 Mrd. Euro zustande. Das wäre angesichts der deutschen Finanzbedarfe zwar noch immer nicht genug, aber ein entscheidender Fortschritt.
Wann ist eine Schuldenregel ökonomisch sinnvoll?
Wir schlagen außerdem vor, diesen EU-rechtlich vorgegebenen Rahmen ökonomisch sinnvoll auszugestalten. Dafür definieren wir drei Kriterien (die die Schuldenbremse übrigens allesamt nicht erfüllt).
- Eine Schuldenregel ist ökonomisch sinnvoll, wenn sie die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen sicherstellt, welche maßgeblich vom Verhältnis von inflationsbereinigten Zinsen und Wirtschaftswachstum abhängt. Die Schuldenregel sollte je nach Verhältnis der beiden mehr oder weniger Verschuldung zulassen – ähnlich einem Tempolimit beim Autofahren, das die Geschwindigkeit von der Unfallgefahr abhängig macht. Dieses Prinzip ist in den EU-Fiskalregeln angelegt.
- Es ist außerdem ökonomisch sinnvoll, wenn eine Schuldenregel Kredite für wachstumssteigernde Politik, etwa Investitionen in Infrastruktur und Bildung, manche Steuerreformen oder Staatsausgaben gegen eine wirtschaftliche Unterauslastung, erlaubt. Denn erst Wachstum und die mit ihm verbundenen Steuereinnahmen machen Staatsschulden und Zinslasten langfristig tragfähig.
- Eine Schuldenregel muss in jeder Situation die staatliche Handlungsfähigkeit sicherstellen. Die heutige Notlagenklausel tut das nur bedingt, weil sie Ausnahmekredite an enge Bedingungen knüpft und eine jahresscharfe Verausgabung verlangt.
Prinzip ins Grundgesetz, Ausgestaltung einfachgesetzlich
Wir machen einen konkreten Vorschlag für die rechtliche Umsetzung dieser Schuldenregel. Er besteht aus drei Elementen.
Abbildung 1
Erstens ist eine Schuldenregel, die das Verschuldungslimit an die makroökonomischen Gegebenheiten anpasst, unvereinbar mit einer spezifischen numerischen Obergrenze im Grundgesetz. Das Grundgesetz sollte stattdessen das Ziel nachhaltiger Staatsfinanzen definieren und die Politik dazu verpflichten, zu Beginn einer Legislaturperiode eine konkrete Schuldenregel – in unserem Vorschlag eine aus den EU-Fiskalregeln abgeleitete Defizitgrenze – auf einfachgesetzlicher Ebene festzulegen. Das zwingt die Politik, die Frage nachhaltiger Staatsfinanzen regelmäßig neu zu beantworten. Die Einhaltung der Regel sollte von einer unabhängigen Fiskalinstitution mit beratendem Charakter überprüft werden. Das stärkt die öffentlichen Rechenschaftspflichten der Regierung und gibt ihr den Anreiz, eine nachhaltige Haushaltspolitik zu betreiben. In den Niederlanden – ähnlich wie Deutschland ein fiskalisch zurückhaltendes Land – wird ein solches System der Fiskalregeln bereits erfolgreich praktiziert.
Zweitens sollte das Grundgesetz vorgeben, dass Kreditspielräume grundsätzlich nur für produktive, d. h., das langfristige Wachstumspotenzial steigernde, Ausgaben genutzt werden dürfen. Wir vermeiden hier bewusst den Investitionsbegriff, denn Investitionen setzen schlicht voraus, dass eine Ausgabe einen Vermögenswert schafft, egal, ob dieser Wachstum schafft. Die produktiven Effekte solcher Ausgaben könnten ebenfalls von einer beratenden, unabhängigen Institution überprüft werden.
Drittens sollte die neue Schuldenregel in Ausnahmesituationen Kredite für vorübergehende, außergewöhnliche Bedarfe zulassen. Das würde das Korsett der heutigen Notlagenklausel lockern, stets staatliche Handlungsfähigkeit gewährleisten und abrupte Veränderungen der Haushaltspolitik vermeiden. Einem Missbrauch der Ausnahmeklausel kann durch entsprechende Tilgungsverpflichtungen oder Mehrheitserfordernisse im Grundgesetz vorgebeugt werden. Eine quantitative Begrenzung der Ausnahmekredite kann einfachgesetzlich erfolgen.
Kann sich Deutschland mehr Schulden überhaupt leisten?
Dieser Frage sind wir nachgegangen. Die wahrscheinliche Antwort: ja. Wie oben erwähnt, schätzen wir den zusätzlichen verfügbaren Verschuldungsspielraum nach einer Schuldenbremsenreform unter den EU-Fiskalregeln auf bis zu 30 Mrd. Euro pro Jahr. Die EU-Fiskalregeln erfordern trotz dieser Verschuldung eine fallende Schuldenquote (siehe Abbildung 2). Mit einem höheren Wirtschaftswachstum würde sie sogar fallen, wenn die Zinsen steigen und Deutschland sich mehr als EU-rechtlich erlaubt verschulden würde. Dass die Zinsen auf Bundesanleihen von einer Reform überhaupt hochgetrieben würden, ist unwahrscheinlich, wie wir außerdem zeigen.
Abbildung 2
Schuldenbremsenreform: nicht hinreichend, aber notwendig
Selbstverständlich ist Geld nicht alles. Deutschland hat ebenso großen Bedarf an Reformen, die das Arbeitsangebot erhöhen, Bürokratie abbauen und die öffentliche Verwaltung effizienter machen.
Aber alles ist ohne Geld nichts. Deutschland braucht für seine Infrastruktur, Daseinsvorsorge, Dekarbonisierung und Verteidigung mehr öffentliches Geld. Und es kann sich diese Ausgaben leisten.
Im Wahlkampf wurde diese Debatte um die Finanzen kaum geführt. Die Politik scheint die Zeichen der Zeit nun aber erkannt zu haben. Angesichts der politischen Lage ist die Zeitspanne für eine Grundgesetzreform endlich. Unser Lösungsvorschlag: einfach Europa machen – und zwar ökonomisch sinnvoll.
Unsere Leseempfehlungen:
- Unser Reformvorschlag für eine ökonomisch sinnvolle Schuldenregel findet sich auf unserer Website.
- Lucas Guttenberg und Nils Redeker haben Ende 2024 eine vielbeachtete Studie zum Vergleich des fiskalischen Spielraums unter der Schuldenbremse und den EU-Fiskalregeln veröffentlicht.
Medienrück- und Veranstaltungsausblick 28.02.25
- Rückblick
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- Am 16.02.2025 erschien ein Essay von Max Krahé in der Zeit (Paywall) zum Thema Demokratie und Wahlen.
- Am 20.02.2025 zitierte The Economist (Paywall) Florian Schuster-Johnson zum Thema Sondervermögen.
- Am 21.02.2025 zitierte De Smog Janek Steitz zur Notwendigkeit einer ökologischen Restrukturierung des deutschen Wirtschaftsmodells.
- Am 23.02.2025 erschien ein Interview mit Florian Schuster-Johnson zur Bundestagswahl und der wirtschaftlichen Situation in Deutschland bei Al Jazeera English.
- Am 24.02.2025 wurde die Finanzierungsbedarfestudie des DZ im Tagesspiegel Backgound (Newsletter-Abo notwendig) erwähnt.
- Am 25.02.2025 zitierte die Bild Philippa Sigl-Glöckner zur Bilanz der Bundesbank.
- Am 25.02.2025 wurde Philippa Sigl-Glöckner in der Bild zu den Themen Haushalt und Schulden bzgl. Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD zitiert.
- Am 25.02.2025 wurde im Podcast „Der Tag“ der Vorschlag des DZ erwähnt, produktive Ausgaben aus der Schuldenbremse auszuklammern (Minute 18).
- Am 26.02.2025 erschien im Surplus (Newsletter-Abo notwendig) ein Beitrag von Florian Schuster-Johnson zu einer ökonomisch sonnvollen Reform der Schuldenbremse.
- Am 26.02.2025 wurde Florian Schuster-Johnson in der taz zu den Reformvorschlägen des DZ zu einer ökonomisch sinnvollen Schuldenregel zitiert.
- Ausblick
- Am 04.03.2024 veranstaltet das DZ um 15 Uhr auf Zoom ein Open House Webinar mit Florian Schuster-Johnson zum Thema „Welche Schuldenregel Deutschland jetzt braucht“. Hier geht es zur Anmeldung.
Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an max.krahe[at]dezernatzukunft.org
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