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8. November 2024
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Max Krahé

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Geldbrief

Tod durch Schuldenbremse

Lesedauer: 7 min
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Max Krahé, Timm Leinker

Die Ampel ist aus. Gescheitert ist sie an einer dogmatischen Auslegung der Schuldenbremse. Diese verwandelte Abwägungsfragen, um die es bei guter Finanzpolitik immer geht, in  Reinheitstests, die nur die reine Lehre oder den Bruch kennen. Doch die reine Lehre, die Schulden immer ablehnt, ist falsch, schädlich und weltfremd. Das Ende der Ampel ist damit eine Chance, wieder zu besseren Finanzdiskussionen zu kommen.

Christian Lindner als Finanzminister ist Geschichte. Dieser versucht, sich als prinzipientreuen Hüter der Staatsfinanzen in Szene zu setzen, und scheint überrascht, dass Scholz dieser Inszenierung ein abruptes Ende gesetzt hat. Scholz hingegen ist anzumerken, dass er froh ist Lindner los zu sein und trotzdem wohl gerne ohne diesen großen Knall zu Ende regiert hätte, wie auch Habeck. Wir erklären, wie es zu diesem Zerwürfnis kommen konnte.

It’s the money, stupid

Nur scheinbar ist die Ampel an wirtschaftspolitischen Differenzen gescheitert. Was der Trennungslärm und das Lindner-Papier von letztem Freitag vergessen machen: Die Ampel war auf dem Weg, eine neue wirtschaftspolitische Synthese zu entwickeln. Diese kombinierte klassisch-liberale Elemente — Bürokratieabbau, Planungsbeschleunigung, CO2-Bepreisung — mit jüngeren ökonomischen Lehren, insbesondere bezüglich fiskalischer Krisen- und Inflationsbekämpfung, Industriepolitik und wirtschaftlicher Resilienz. Angebots- und Nachfragepolitik wurden beide gewürdigt, gerade erstere wurde dabei neu gedacht. Das ging nicht immer gut (siehe Intel). Doch es war ein konstruktives Ringen um diese Synthese, das bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts von letztem November die Ampel beseelte.

Gescheitert ist die Ampel an der Schuldenbremse, oder um genau zu sein: an ihrer dogmatischen Auslegung. Nachdem das BVerfG-Urteil der Regierung 60 Milliarden Euro an Spielraum entzog, waren es Konflikte um knapp zweistellige Milliardenbeträge, die den verbitterten Streit auslösten, erst bei der Haushaltsaufstellung vor dem Sommer, dann in den parlamentarischen Beratungen seit September.

Diese Summen hätte man finden können, auch innerhalb der Schuldenbremse. Das haben wir mit unserer Arbeit gezeigt. Aber wenn aus Fiskalregeln Reinheitsgebote werden, dann führen selbst Kleinstbeträge – 0,1 Prozentpunkte des BIPs – zu Explosionen, und letztlich dem Bruch der Ampel.

Abwägungsfragen dürfen keine Reinheitstests sein

Wie konnte es dazu kommen? Eine dogmatische Auslegung der Schuldenbremse verwandelte Abwägungsfragen in Reinheitstests. Gute Finanzpolitik ist immer eine Abwägung zwischen verschiedenen Zielen und Risiken: eine vollausgelastete Wirtschaft, ein handlungsfähiger Staat, ein legitimes und breit akzeptiertes Steuer- und Abgabensystem – und natürlich die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen.

Fokussiert man darauf, was öffentliche Finanzen tragfähig macht, so findet man weitere Abwägungsfragen: das Verhältnis von Wachstum, Zinsen, Inflation und (Primär-)Defizit; welche Konsequenzen Ausgaben, Einnahmen und weitere Politikmaßnahmen auf diese Variablen haben; und wie man deren Entwicklungen langfristig einschätzt.

Bei gewichtigen Abwägungsfragen ist es selbstverständlich, dass man zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen kann. Deshalb ist es natürlich, dass es harte politische Auseinandersetzungen darüber gibt, was das richtige Maß an Neuverschuldung ist, welche Ausgaben notwendig sind und wann Steuern gehoben oder gesenkt werden sollen.

So kann man auch dafür oder dagegen sein, die im Grundgesetz verankerte Möglichkeit der Notlage zu nutzen, um gewisse Ausgaben per Neuverschuldung zu finanzieren. Zieht man jedoch künstliche Begrenzungen ein — „Neuverschuldung ist immer falsch“ oder „mehr als X Prozent Schuldenquote ist verboten“ — so verändert man die Diskussion. Aus einem oft harten, aber prinzipiell offenen und konstruktiven Ausfechten unterschiedlicher Einschätzungen werden absolute Konflikte, die jeder Grauzone entbehren. Man zieht Gräben, über die niemand mehr springen kann. Anstatt den Kompromiss zu suchen, verlangt man nach Sieg oder Niederlage, sieht nur noch Heilige oder Sünder, Korruption oder die reine Lehre.

Die reine Lehre ist gefährlich

Die reine Lehre kann man predigen. Doch sie ist falsch, schädlich und weltfremd.

Sie ist falsch in dem präzisen Sinne, dass Neuverschuldung mal die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen verbessern kann, mal sie nicht verändert, mal sie verschlechtert. Was im konkreten Fall passiert, hängt vom Kontext ab.[1] Es ist also sachlich inkohärent, Neuverschuldung dogmatisch mit dem Argument abzulehnen, dass dies „solide Haushaltsführung“ oder „generationengerecht“ sei.

Darüber hinaus ist die reine Lehre schädlich, und heute in besonderem Maße. Sie macht es unmöglich, die epochalen Aufgaben zu lösen, die vor unserer Gesellschaft und dem Staat liegen. Sie ist wachstumsfeindlich und verhindert eine Verlängerung der öffentlichen Bilanz selbst dann, wenn diese notwendig ist, um dringende Investitionen zu tätigen, von denen ein Land über Jahrzehnte zehren wird.

Sie ist zu guter Letzt weltfremd. „Staatsschulden sind das letzte Mittel“ – das kann man zwar, wie Michael Link (stellv. Fraktionsvorsitzender, FDP), sagen. Aber fast allen, die regelmäßig mit größeren Summen Geld zu tun haben, ist klar, dass Schulden lediglich ein Finanzmittel unter vielen anderen sind. Sie per se als besonders schädlich oder gefährlich herauszustellen, zeugt von einem eingeschränkten Verständnis der Wirtschafts- und Finanzwelt.

Eine doppelte Tragödie

Das Verhalten der FDP seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts war in dieser Hinsicht gleich eine doppelte Tragödie. Einerseits sorgte es dafür, dass Deutschland nun in einem kritischen Moment ohne handlungsfähige Regierung dasteht.

Andererseits hat die FDP den Bruch genau in dem Moment erzwungen, in dem die fundamentale Sorge erneut widerlegt wurde, mit der ihre dogmatische Auslegung begründet wird.

Diese Sorge ist folgende: Wähler:innen hätten eine inhärente Unvernunft, aus der sie Regierungen und Parteien wählen, die heute Geschenke machen, aber dabei nicht an morgen denken. Also müsse man die Haushaltsfreiheit des Parlaments einschränken, damit diesen die Möglichkeit der unvernünftigen Finanzpolitik genommen ist.

Abgesehen davon, dass diese Sorge in einem gewissen Konflikt mit dem liberalen Menschenbild steht, haben die US-Wahlen gerade gezeigt, dass diese Sorge unbegründet ist. Wähler:innen strafen genau jene Regierungen ab, die die Inflation nicht gut kontrollieren. Und wenn sich ein Staat in seiner souveränen Währung verschuldet – wie für die Bundesrepublik de facto der Fall – dann ist die Konsequenz von „Geschenken heute, an Morgen nicht denken“ nie der Zahlungsausfall (das verhindert die Zentralbank), sondern nur die Inflation.

Vor diesem Hintergrund ist es zwar problematisch, dass Deutschland die nächsten Wochen und Monate ohne Mehrheitsregierung dastehen wird. Doch hoffen wir darauf, dass wir im kommenden Wahlkampf wieder weg von fiskalischen Reinheitsprüfungen und zurück zum Ausfechten komplexer Abwägungen kommen.

Unsere Leseempfehlungen:

  • In seiner sehens- statt lesenswerten Analyse bei Welt TV geht Robin Alexander auf die Bedeutung von politischen Abwägungen ein.
  • Die Zeit lieferte noch vor dem Ampel-Bruch eine scharfsinnige Analyse zu Christian Lindners Beweggründen, mit Würdigung seiner Doppelrolle als Parteivorsitzender und Finanzminister.

Fußnoten

[1] Ist die Wirtschaft unter-, voll-, oder überausgelastet? Für welche Ausgaben werden die Gelder verwendet? Sind (reale) Zinsen größer oder kleiner als das Wachstum?


Medienrück- und Veranstaltungsausblick 08.11.24

  • Rückblick
    • Am 5.11.24 zitierte Bild [Paywall] Max Krahé zu den Auswirkungen der US-Wahl auf Deutschland.
    • Am 5.11.24 erschien in Focus online ein Gastbeitrag von Philippa Sigl-Glöckner zur Schuldenbremse.
    • Am 6.11. erschien auf Table Media ein Beitrag von Max Krahé darüber, wie Europa auf den zukünftigen US-Präsidenten Trump reagieren sollte.
    • Am 6.11.24 erschien auf Politik & Ökonomie ein Gespräch zwischen dem Herausgeber Otmar Tibes und Philippa Sigl-Glöckner über ihr Buch, Deutschlands Schuldenregeln und deren Auswirkungen.
    • Am 7.11.24 hat Florian Schuster-Johnson am Panel zu öff. Finanzen auf der Konferenz „New Economies: tipping points in a shifting political landscape“ teilgenommen. Die anderen Panelisten sind Karim Harris (Open Society Foundation), Daniela Gabor (University of the West of England), Danny Sriskandarajah (New Economics Foundation) und Kate Mackenzie (GSCC). Die Aufnahme des Panels kann hier nachgeschaut werden.
  • Ausblick 
    • Am 14.11.24 ist Philippa Sigl-Glöckner bei einer Podiumsdiskussion zur Schuldenbremse. Ein Jahr nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts diskutieren Prof.  Lars P. Feld (Walter Eucken Institut, Freiburg), Prof. Christian Waldhoff (HU Berlin), Philippa Sigl-Glöckner (Dezernat Zukunft) und Prof. Alexander Thiele (BSP Berlin). Hier anmelden.  
    • Am 16.11.24 (19-21 Uhr) debattiert Philippa Sigl-Glöckner mit Friedrich Heinemann (ZEW) auf den Science & Innovation Days in Tübingen wie ein wirtschaftlicher Aufschwung in Deutschland finanziert werden kann. Anmeldung hier 
    • Am 17.11.24 (19-21 Uhr) diskutiert Philippa Sigl-Glöckner die Thesen ihres neuen Buches „Gutes Geld“ in Frankfurt/M im Schirn Café mit Philipp Krohn von der FAZ. Hier anmelden (Tickets für 5 Euro). 
  • Buchtour von Philippa (“Gutes Geld”)

Philippa Sigl-Glöckner diskutiert ihr neues Buch “Gutes Geld”. In dieser pragmatischen Utopie analysiert sie Geldsystem und Staatsfinanzen.

Details auf den Veranstaltungsseiten. Für Hamburg und Bayreuth werden Zeit und genauer Ort noch bekannt gegeben. 

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an max.krahe[at]dezernatzukunft.org

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