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31. Oktober 2024
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Vera Huwe

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Geldbrief

Beschleuniger oder Bremsklotz? Der Staat als Akteur in der grünen Industriepolitik

Lesedauer: 8 min
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Vera Huwe

Mit der Ausweitung grüner Industriepolitik scheint der Staat die grüne Transformation beschleunigen zu wollen. Doch in einigen Sektoren verhindert er den Ausstieg aus fossilen Energien aktiv. Im Geldbrief beleuchtet unsere neue Kollegin Dr. Vera Huwe, wie sich diese widersprüchliche Gleichzeitigkeit erklären lässt. Anhand ihrer Studie zur Transformation der Luftfahrtindustrie, die unten verlinkt ist, lotet sie Potentiale und Grenzen grüner Industriepolitik aus.

Mit der Industriepolitik ist, so scheint es, der Staat zurück. Unter der Maßgabe der Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit, strategischer Autonomie und Fortschritten bei der grünen Transformation werden in der EU und Deutschland seit diesem Jahr mehrere strategisch relevante, dezidiert grüne Schlüsselindustrien gefördert, etwa mittels Klimaschutzverträgen in Deutschland und dem Net-Zero Industry Act (NZIA) in der EU. In Deutschland ist Industriepolitik bislang eher Stückwerk, aber auch hier bewegt sich etwas. In einem unserer aktuellen Projekte haben meine Kollegen etwa die 10 Mrd. € Förderung für eine Intel-Halbleiterfabrik, die größte industriepolitische Förderung eines Einzelunternehmens in der Geschichte der BRD, unter die Lupe genommen. Die Ausgangslage dieser Analyse war: Der Staat beabsichtigt, eine für die Transformation essenzielle Industrie zu unterstützen. Wir prüfen, ob die mutmaßlichen Effekte die Förderhöhe rechtfertigen.

Der Staat als Beschleuniger und als Bremsklotz

Doch wer genau hinsieht, findet eine irritierende Gleichzeitigkeit: Der Staat, der die grüne Transformation mittels Industriepolitik in einigen Sektoren vorantreibt, verhindert in anderen Sektoren den Ausstieg aus fossiler Energie. Dies ist zum Beispiel im Flugsektor der Fall.

Fliegen ist der CO2-intensivste Verkehrsträger, dazu kommen eine Vielzahl an klimarelevanten Nicht-CO2-Effekten, die die Klimawirkung des CO2 in hohen Flughöhen verdreifachen.[1] Neben dem Emissionsbeitrag ist der Trend der Flugemissionen bedenklich: Während andere Sektoren inzwischen Emissionsminderungen verzeichnen, steigen Flugemissionen rasant an – vor der Pandemie um bis zu + 5 % pro Jahr.[2] Der Flugsektor ist dennoch klimapolitisch kaum reguliert und profitiert von großzügigen Sonderregelungen und Subventionen.[3] Darüber hinaus wurden fossil betriebene Flugzeuge in der EU-Taxonomie als nachhaltiges Investment zugelassen, in Schweden wurde kürzlich die Flugsteuer abgeschafft und der Beginn des ohnehin schwachen internationalen Abkommens CORSIA aufgeschoben.

Warum also sehen wir diese Gleichzeitigkeit von industriepolitischer Beschleunigung und Verzögerung oder gar Blockade der grünen Transformation?

Erneuerbare Energien können nicht alle fossilen Produkte ersetzen

Erstens, die Unterstützung grüner Industriezweige setzt voraus, dass grüne Produkte oder Technologien materiell erzeugt werden können. Da die Erneuerbaren jedoch andere Charakteristika haben als fossile Energieträger, ist es in manchen Sektoren technisch nicht – oder nur zu sehr hohen Kosten – möglich, grüne Substitute zu entwickeln.[4] Für den Betrieb von Flugzeugen ist beispielsweise eine sehr hohe Energiedichte erforderlich. Da strom- oder wasserstoffbasierte Flugzeuge weniger Energie pro Volumeneinheit speichern können, werden Batterien bzw. Tanks zu groß oder zu schwer, besonders für die Langstrecke.[5] Der Dekarbonisierungspfad über synthetische Kraftstoffe, der derzeit von der EU primär verfolgt wird, ist in seinem Minderungspotential begrenzt und überdies im Übergang sehr teuer – beispielsweise ist e-Kerosin etwa drei- bis viermal so teuer wie fossiles Kerosin. Zudem ist derzeit nicht absehbar, dass die notwendigen Treibstoffmengen bereitstehen. Anders als in anderen Sektoren steht im Flugsektor somit bislang kein grüner Ersatz zur Verfügung – und ist auch für die nächsten Jahre nicht absehbar.

Der Staat ist selbst tief in die Flugindustrie involviert

Zweitens kann der Staat ein Eigeninteresse am Erhalt der fossilen Industrie haben. Der Staat ist kein einheitliches Gebilde, sondern nimmt vielmehr verschiedene Rollen gegenüber der Industrie ein, die historisch gewachsen sind und aus denen sich unterschiedliche – und möglicherweise konfligierende – Zielsetzungen ergeben. Wenn wir an Klimaziele denken, sehen wir den Staat, der der Industrie als Regulator gegenübersteht. Der Staat ist jedoch gleichzeitig Besitzer, Förderer und auch Kunde der Flugindustrie. Staaten besitzen beispielsweise Flughäfen, sie subventionieren und legen Rettungsprogramme für Fluggesellschaften auf und bestellen Flugzeuge für ihr Militär. Tabelle 1 zeigt exemplarisch, wie sich die verschiedenen Rollen des Staates in europäischen Ländern ausformen.

Tabelle 1

Der Staat ist also nicht nur ein wohlmeinender Regulator, der gewissermaßen von außen die Industrie reguliert und zur Transformation bewegen will; er ist gleichzeitig selbst in der Flugindustrie involviert, profitiert von ihr und unterstützt sie. Diese enge Verflechtung von Staat und Industrie, insbesondere in einem Sektor, in dem die Möglichkeit, grüne Industrieakteure hervorzubringen, an harte physikalische Grenzen stößt, wirkt einem schnellen Ausstieg aus fossiler Energie im Flugsektor entgegen. 

Staatliche Unterstützung bietet Chancen

Gleichzeitig eröffnet ein mehrdimensionaler Blick auf den Staat neue Möglichkeiten. Denn wenn der Staat in eine Industrie involviert ist, versetzt ihn das auch in die Lage, direkt oder indirekt Einfluss auf sie auszuüben. Diese zusätzlichen Kapazitäten lassen sich für die grüne Transformation nutzen: Der Staat könnte Obergrenzen für Flüge auf Flughäfen in seinem Besitz festlegen, selbst Wasserstoffflugzeuge in Auftrag geben oder finanzielle Unterstützung in Krisenzeiten an die Reduktion fossiler Kraftstoffe koppeln (siehe Tabelle 2). Im Flugsektor werden diese Möglichkeiten bisher fast gar nicht genutzt, um die grüne Transformation zu stärken.

Tabelle 2

Ein stringentes Ausschöpfen der vielfältigen Rollen des Staates im Rahmen der grünen Industriepolitik hat das Potential, den Dekarbonisierungspfad der Industrie zu beschleunigen und enger an gesellschaftliche Zielvorgaben zu koppeln. Um den Staat vom Bremsklotz zum Beschleuniger zu schieben, müssen wir jedoch die bestehenden konfligierenden Handlungslogiken des Staates ernst nehmen. Wie lässt sich ein Instrumentenmix geschickt ausgestalten, um sektorspezifische Zielkonflikte abzumildern und welche gesellschaftlichen Akteure können für diese Kräfteverschiebung mobilisieren? Daran werden wir in Zukunft verstärkt arbeiten.

Vera Huwe hat am Institut für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen promoviert und wird sich beim Dezernat Zukunft mit der Finanzierung der Verkehrswende beschäftigen. Der diesem Geldbrief zugrundeliegende Artikel wurde gemeinsam mit Debbie Hopkins (Uni Oxford) und Giulio Mattioli (TU Dortmund) verfasst und ist hier open access verfügbar.

Unsere Leseempfehlungen:

  • Die neue Studie von Frédéric Dobruszkes und Ko-Autoren hebt hervor, dass Langstreckenflüge eine besonders dringliche Herausforderung für die Klimapolitik darstellen, denn Langstreckenflüge – also eben jene Flüge, die man technologisch kaum dekarbonisieren und auch mit dem Zug nicht ersetzen kann, machen zwar insgesamt nur einen kleinen Teil aller Flüge aus, verursachen aber fast die Hälfte des Treibstoffverbrauchs und damit der Emissionen und sind auf einem besonders explosiven Wachstumspfad.
  • Der Vorschlag von Melanie Brusseler und Ko-Autor:innen für ein öffentliches Energieerzeugungsunternehmen zeigt die makroökonomischen und systemischen Vorteile des gezielten Einsatzes der staatlichen Rolle als Besitzer zur Beschleunigung der Energiewende auf.
  • In diesem Blogbeitrag denkt J. W. Mason im Zeichen der sicherheitspolitischen Zuspitzung zwischen den USA und China über den Zusammenhang zwischen Industriepolitik und der staatlichen Kapazität zur Kriegsführung nach.

Fußnoten

[1] Lee et al. 2021

[2] Ebenda.

[3] Siehe etwa Gössling et al. 2017. Beispielsweise gilt für den innereuropäischen Flugverkehr im EU-ETS1 ein eigenes Cap, mit einem weniger strengen Abschmelzfaktor. Nicht-CO2-Effekte sind von der Bepreisung ausgenommen. Klimarelevante Subventionen des Flugverkehrs sind etwa die Energiesteuerbefreiung von Kerosin und die Mehrwertsteuerbefreiung auf internationalen Flügen.

[4] Lund et al. 2023

[5] Siehe Schäfer 2019 für elektrische und CleanSkyH2&FCH 2020 für wasserstoffbasierte Flugzeuge


Medienrück- und Veranstaltungsausblick 31.10.24

  • Rückblick
    • Am 24.10.24 wurde Florian Schuster-Johnson in der Bild zur Reformoption der Konjunkturkomponente der Schuldenbremse zitiert.  
    • Am 25.10.24 zitierte Tagesspiegel Background Janek Steitz zu den Auswirkungen der Steuerschätzung auf den KTF.  
    • Am 28.10.24 erschien im vorwärts ein Interview mit Philippa Sigl-Glöckner zu der Frage wie Deutschlands Staatsfinanzen zukunftsfest werden.  
    • Am 29.10.24 diskutierten im Podcast „Tim Guldimann – Debatte zu Dritt“ Philippa Sigl-Glöckner und Otto Fricke (FDP) über den Investitionsbedarf in Deutschland und die Rolle der Schuldenbremse.  
    • Am 29.10.24 zitierte Le Monde [Paywall] Max Krahé zu den Streiterein der Ampel und der Krise bei Volkswagen. 
  • Ausblick
    • Am 7.11.24 wird Florian Schuster-Johnson am Panel zu öff. Finanzen auf der Konferenz „New Economies: tipping points in a shifting political landscape“ teilnehmen. Die anderen Panelisten sind Karim Harris (Open Society Foundation), Daniela Gabor (University of the West of England), Danny Sriskandarajah (New Economics Foundation) und Kate Mackenzie (GSCC). das Panel wird ab 11:30 live über Zoom übertragen.  
    • Am 14.11.24 ist Philippa Sigl-Glöckner bei einer Podiumsdiskussion zur Schuldenbremse. Ein Jahr nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts diskutieren Prof.  Lars P. Feld (Walter Eucken Institut, Freiburg), Prof. Christian Waldhoff (HU Berlin), Philippa Sigl-Glöckner (Dezernat Zukunft) und Prof. Alexander Thiele (BSP Berlin). Hier anmelden.  
    • Am 16.11.24 (19-21 Uhr) debattiert Philippa Sigl-Glöckner mit Friedrich Heinemann (ZEW) auf den Science & Innovation Days in Tübingen wie ein wirtschaftlicher Aufschwung in Deutschland finanziert werden kann. Anmeldung hier 
    • Am 17.11.24 (19-21 Uhr) diskutiert Philippa Sigl-Glöckner die Thesen ihres neuen Buches „Gutes Geld“ in Frankfurt/M im Schirn Café mit Philipp Krohn von der FAZ. Hier anmelden (Tickets für 5 Euro). 
  • Buchtour von Philippa (“Gutes Geld”)

Philippa Sigl-Glöckner diskutiert ihr neues Buch “Gutes Geld”. In dieser pragmatischen Utopie analysiert sie Geldsystem und Staatsfinanzen.

    • 14.11. Berlin, Podium
    • 16.11. Tübingen, Podium
    • 17.11. Frankfurt/M, Buchvorstellung 
    • 18.11. Oestrich-Winkel, Buchvorstellung 
    • 18.11. Mainz, Vortrag 
    • 19.11. Hamburg, Vortrag 
    • 21.11. Hof oder Bayreuth, Buchvorstellung 
    • 27.11. München, Buchvorstellung 
    • 29.12. Elmau, Buchvorstellung

Details auf den Veranstaltungsseiten. Für Hamburg, Hof (oder Bayreuth) und München werden Zeit und genauer Ort noch bekannt gegeben. 

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an vera.huwe[at]dezernatzukunft.org

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