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13. Oktober 2022
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Philippa Sigl-Glöckner

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Geldbrief

Gaspreisbremse

Lesedauer: 7 min
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Philippa Sigl-Glöckner, Max Krahé

Am Montag hat die Gas-Kommission ihre Vorschläge zur Gaspreisbremse vorgelegt. Das Gute daran: Es liegen nun Vorschläge zur Deckelung der Gaspreise auf dem Tisch, etwas das noch vor ein paar Monaten in Deutschland undenkbar schien. Das Herausfordernde: Es gibt noch ziemlich viel auszuarbeiten. Die Vorschläge sind eher erste Skizzen als ausgearbeitete Gesetzesentwürfe.

Aber von Anfang an: Die Gaspreise für Haushalte hatten sich bereits im Januar 2022 verdoppelt. Spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine gehört der Stand des Marktpreises für Gas mindestens so zur Berliner Diskussion wie aktuelle Umfragewerte. Bereits im März 2022 schlugen Isabella Weber und Sebastian Dullien einen Gaspreisdeckel vor, Frankreich limitierte den Anstieg der Energiepreise sogar schon im Herbst 2021. Die französische Inflation liegt bei 6% vs. knapp 11% in Deutschland (harmonisierter Verbraucherpreisindex). Allerdings wird in Frankreich auch wesentlich weniger Gas gespart als andernorts (inklusive Deutschland).  

Haushalte: Einfach in der Theorie, schwierig in der Praxis 

Laut Plan der Gas-Kommission soll nun ab dem Frühjahr 2023 in Deutschland 80% des Verbrauchs von Haushalten und Gewerbe bei einem Endverbraucherpreis von 12 Cent/KWh gedeckelt werden (ca. 7 Cent/KWh Marktpreis). 12 Cent entspricht ungefähr dem Doppelten der Vergangenheit (siehe BDEW). Damit würde ein großer Teil der Preissteigerungen vom Staat abgefangen, der Marktpreis hat sich ja je nach historischem Bezugspunkt verzehn- bis verzwanzigfacht. Sobald möglich soll eine Obergrenze für den absoluten gedeckelten Verbrauch eingeführt werden, damit dem Villenbesitzer nach Poolabschaltung nicht die Vollkaskoversicherung zuteilwird.  

Als Wegzehrung bis zum Preisdeckel soll der Bund die Abschlagszahlungen im Dezember 2022 übernehmen. Anstatt sechs Abschläge von Oktober 2022 bis März 2023 (mal angenommen der Deckel kommt im April) zahlen alle nur fünf. Das ist auf jeden Fall besser als nichts, aber doch problematisch: Alle, die bereits substanzielle Abschlagserhöhungen erhalten haben, bleiben für die kommenden sechs Monate auf einem Großteil der Mehrkosten sitzen. Ein Haushalt mit dreimal so hohen Rechnungen zahlt abzüglich des Dezemberabschlags immer noch 2,5mal so viel wie vorher von Oktober bis März, ein Haushalt mit fünfmal so hohen Rechnungen viermal so viel. Für Haushalte ohne substanzielle Rücklagen die einkommensschwächsten 30% ist uns nicht klar, mit welchen Mitteln diese Rechnungen beglichen werden sollen. Wir hoffen, dass die Bundesregierung alle verfügbaren Daten nutzt, um die Auswirkungen ihrer Pläne auf die Haushalte abzuschätzen und gegebenenfalls doch noch einmal nachjustiert.

Industrie: Es ist kompliziert 

Konzeptionell problematischer ist der Deckel für die Industrie. Die soll auf der einen Seite einsparen, also z.B. wo möglich andere Brennstoffe wie Öl nutzen, auf der anderen Seite aber auch nicht in größerem Umfang als unvermeidbar in Deutschland die Fabriken schließen. Aktuell schlägt die Gas-Kommission vor, den Unternehmen 70% ihres Vorjahresverbrauchs zu einem Marktpreis von 7 Cent/KWh anzubieten und den Unternehmen die Option zum Weiterverkauf zu geben. Damit das nicht in der Subventionierung von Stilllegungen oder Abwanderung nach Amerika endet, kommt das gedeckelte Gas mit Verpflichtungen zum Standorterhalt und Planungen für die Transformation. Ob solche Verpflichtungen wirksam Deindustrialisierung vermeiden können, fällt uns schwer einzuschätzen.  

Auf der anderen Seite halten wir einen Marktpreis von 7 Cent/KWh für Unternehmen für zu niedrig. Denn die größten Einsparungen in der Industrie laut Agora Energiewende potenziell knapp 50% resultieren aus dem Brennstoffwechsel. Anstatt Wärme und Strom mit Gas zu erzeugen, können Unternehmen Kohle oder Öl nutzen. Insbesondere Öl ist ein beliebtes Substitut. Sollte der Ölpreis – wie  zuletzt von Goldman Sachs prognostiziert – auf 108 bis 110 USD/Barrel steigen, dürfte sich der Brennstoffwechsel angesichts des auf 7 Cent/KWh gedeckelten Gases aber nicht mehr lohnen. Die Wärme und Stromproduktion mit Öl wäre teurer als die mit Gas. Und da Unternehmen auf Basis von Prognosen über Investitionen entscheiden, muss noch nicht mal der Ölpreis auf 108 USD steigen. Es dürfte bereits die Aussicht reichen, dass sich die Umstellung auf Öl nicht rentiert. 

Nun könnte man natürlich argumentieren, dass Unternehmen so oder so einen Anreiz haben auf Öl umzustellen, da sie dann das Gas weiterverkaufen können. Das wäre aber ein sehr anderer Anreiz als bei einem höheren Gaspreisdeckel: Viel würde in diesem Fall vom (in letzter Zeit sehr volatilen) Preis abhängen, zu dem das eingesparte Gas weiterverkauft werden könnte. Denn ein CEO, der in den Brennstoffwechsel von Gas zu Öl investiert, obwohl die Produktion mit Gas günstiger ist, muss hoffen sein Gas so weiterverkaufen zu können, dass es ihm die Mehrkosten des Wechsels auf Öl wieder in die Kasse spült. Es bestehen Risiken. Daher ist es kein “must do” Geschäft.  

Liegt der Gaspreis hingegen garantiert über dem Ölpreis, würden Unternehmen mit einem Brennstoffwechsel immer Kosten sparen. Alle die können würden wechseln. Jeder CEO, der diesen Wechsel nicht macht, müsste sich vor seinen Eigentümern rechtfertigen.   

Daher hielten wir es für sinnvoll, den Gaspreis bei ‘Ölpreis + x’ zu begrenzen und zwar so, dass Wärme- und Stromerzeugung mit Gas immer wesentlich teurer sind als mit Öl. ‘x’ sollte so gewählt werden, dass sich die Investition innerhalb kürzester Zeit zwei Jahre? gelohnt hat. Darüber hinaus sollte Unterstützung für die Industrie soweit irgend möglich EU-weit koordiniert werden, um ein race to the bottom zu verhindern (siehe auch Bruegel dazu).  

Und die Kosten 

Die Kosten der Gaspreisbremse(n) für 2023 hat die Kommission auf ca. 90 Mrd. Euro beziffert. Unsere Berechnungen ergeben einen sehr ähnlichen Kostenrahmen; die große Unbekannte ist dabei der zukünftige Importpreis für Gas nach Deutschland, insbesondere da zunehmend Gas am Spotmarkt gekauft werden muss, man also den Preisschwankungen am internationalen Gasmarkt sehr stark ausgesetzt ist. Es scheint uns daher wichtig, zeitnah Verträge mit den USA, Katar oder anderen Gaslieferanten zu schließen, um die Zeit auf den aufgewühlten Spotmärkten (Besserung ist nicht in Sicht, siehe IEA) möglichst kurz zu halten. Damit wäre auch Ländern wie Pakistan und Bangladesch, die momentan dank finanzstarker europäischer Käufer kaum noch Flüssiggas am Weltmarkt bekommen, zumindest mittelfristig geholfen.  

Wie geht es weiter? 

Die Bundesregierung will sich am morgigen Freitag zu den Vorschlägen äußern. Wir hoffen insbesondere, dass für die Industrie eine gute Lösung gefunden wird. Es sollte nicht sein, dass die USA Produktion auf amerikanischem Boden im Rahmen des Inflation Reduction Acts massiv fördern, während Deutschland dafür zahlt, dass Unternehmen abwandern.  


Medien- und Veranstaltungsbericht 13.10.2022

  • Medien, Erwähnungen und Zitate:
    • In der Doku Mini Serie „Wer bezahlt die Zukunft?“ des MDR kommt Philippa zu Wort. Die drei Folgen sind ab heute online verfügbar und werden am 23.10 ab 22:20 Uhr ausgestrahlt.  
    • Philippa argumentiert beim RND, dass es für die EZB bessere vertrauensbildende Maßnahmen als schädliche Zinserhöhungen gäbe 
    • In der FAS ging es um die Frage, inwiefern die aktuelle Verschuldung ein Problem darstellt.  
    • Im Interview mit der Deutschen Welle spricht Philippa über den Doppelwumms und die Gaspreisbremse. 
    • Philippa sprach bei einem Webinar von Fridays for Future zum Thema Krisen über Inflation, Gaspreise und die Rolle der Energiewende.  
    • Auch beim österreichischen Standard ging es um die Inflation. Zusammen mit dem Wirtschaftsminister Martin Kocher, Christoph Badelt, Claudia Kettner-Marx und Jan Kluge diskutierte Philippa zum Thema „Der Staat gibt hunderte Millionen aus, um Unternehmen in der Inflationskrise zu helfen. Können wir uns das leisten und ist es die richtige Strategie, oder überfördern wir?“.
    • Im Rahmen des Deutschen Stiftungstags hat Philippa die Arbeit des Dezernat Zukunft vorgestellt und ihre Erfahrungen als Direktorin und Geschäftsführerin geteilt.  
    • Am 28. September diskutierte Philippa beim Frankfurt Forum on US-European GeoEconomics mit Maria Demertzis, Andreas Dombret und Geoffrey Okamoto über die internationale Rolle des Euros und des Dollar.
  • Veranstaltungen:
    • Am 17. Oktober findet unsere Ökonom:innenrunde – Ein Gespräch unter jungen FINTA statt. Zur Registrierung geht es hier.
    • Am 19. Oktober hält Philippa beim Ladies Leadership Lunch der HypoVereinsbank eine Keynote zum Thema Inflation.
    • Am 26. Oktober ist Philippa bei den Berliner Gesprächen von Prof. Dr. Alexander Thiele, Jurist und Schuldenbremsenkenner zu Gast. Das Gespräch steht anschließend als Podcast zur Verfügung.
    • Am 5. Oktober fand unser Open House Webinar mit Peter Schmidt und Christoph-Martin Mai statt, mit denen wir über die Verbraucherpreisstatistik gesprochen haben. Das aufgezeichnete Webinar könnt ihr euch hier ansehen.

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Geldpolitik und der Finanzmärkte. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns und erbitten deren Zusendung an philippa.sigl-gloeckner[at]dezernatzukunft.org


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