
Wie viel Potenzialwachstum steckt im Koalitionsvertrag?
Sven von Wangenheim, Saskia Gottschalk, Dr. Florian Schuster-Johnson
Die schwarz-rote Koalition setzt sich in ihrem Koalitionsvertrag das Ziel, das Potenzial-wachstum wieder auf deutlich über ein Prozent zu steigern. Wir schätzen in diesem Pa-pier, dass das Potenzialwachstum mit ausgewählten Maßnahmen und Zielen des Koaliti-onsvertrags bis 2029 um 0,4 Punkte auf 1,2 Prozent gesteigert werden könnte. Das wür-de bei voller Ausschöpfung des Potenzials dem Bundeshaushalt in den kommenden vier Jahren rund 24 Mrd. Euro zusätzliche Einnahmen bringen. Für die Finanzierung vieler wei-terer Pläne des Koalitionsvertrags könnte das zu wenig sein; wir schätzen eine Finanzie-rungslücke von mindestens 50 Mrd. Euro. Zuletzt zeigen wir, wie wichtig ein höheres Po-tenzialwachstum für die Einhaltung der EU-Fiskalregeln ist.
Warum haben wir dieses Papier geschrieben?
Deutschland steht wirtschaftspolitisch an einem Wendepunkt. Die Kombination aus schwächelnder Exportnachfrage, demografischem Wandel und jahrzehntelangem Investitionsstau fordert ein neues Wachstumsmodell. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD muss darauf Antworten finden und steht somit ganz unter dem Motto „Wachstum“. Uns interessiert dabei insbesondere das Wachstum des Produktionspotenzials – also des potenziellen BIPs, das unter normaler, nachhaltiger Auslastung der Produktionsfaktoren erreichbar ist. Das Produktionspotenzial ist vor allem im Hinblick auf die EU-Fiskalregeln relevant: Deutschland kann laut diesen Regeln neue Schulden nur dann zur Finanzierung der notwendigen Investitionen aufnehmen, wenn das mittel- und langfristige Potenzialwachstum ausreicht, um die Schuldenquote auf lange Sicht zu senken. Wir wollen Wachstum und Fiskalpolitik daher zusammen denken und prüfen, wie viel Potenzialwachstum in den geplanten Maßnahmen des Koalitionsvertrag stecken – und wie sich dies auf den Bundeshaushalt und die Einhaltung der EU-Fiskalregeln auswirkt.
Was haben wir gelernt?
Wir haben gelernt, dass die Maßnahmen des Koalitionsvertrages das Potenzialwachstum Deutschlands deutlich anheben könnten – am Ende der kommenden Legislaturperiode (2029) könnte das Potenzialwachstum durch die analysierten Maßnahmen bei 1,2 Prozent anstatt 0,8 Prozent liegen. Die neue Koalition würde ihr erklärtes Ziel von einem Prozent Potenzialwachstum somit erreichen. Allerdings bleiben wichtige Potenziale ungenutzt, etwa bei der Erwerbstätigkeit von Frauen und bei der Integration von Langzeitarbeitslosen und Geflüchteten. Zudem ist der Koalitionsvertrag finanziell nicht vollständig abgesichert: Die wachstumsbedingten Mehreinnahmen von rund 24 Mrd. Euro sind zwar beachtlich, aber nicht ausreichend, um alle angekündigten Projekte zu finanzieren. Letztlich kommen wir zu dem Schluss, dass eine realistischere Schätzung des Potenzialwachstums erforderlich ist, um die EU-Fiskalregeln ökonomisch sinnvoll anzuwenden und fiskalische Spielräume besser zu nutzen. Dafür schlagen wir vor, verbindlich beschlossene Maßnahmen – wie in unserem Papier beispielhaft gezeigt – bereits in die Schätzung des Produktionspotenzials mit aufzunehmen.
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