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5. Juni 2020
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Dezernat Zukunft

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Wie man eine Währung internationalisiert – Steffen Murau im Interview mit dem Dezernat Zukunft, Teil 2

9 min Lesezeit
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MATHIS RICHTMANN

Steffen Murau (@steffenmurau) ist Politischer Ökonom und Forscher am Global Development Policy Center der Boston University.

Teil 1 des Interviews ist hier verfügbar.

Stehen Währungen eigentlich im Wettbewerb miteinander? Ist der Euro ein Konkurrent zum US-Dollar? Nicht zuletzt der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich für eine Internationalisierung des Euros ausgesprochen.

Es wird natürlich oft von Konkurrenz gesprochen. Dabei scheint es dann vordergründig darum zu gehen, in welchem „Team“ man ist. Team Europa unterstützt den Euro, Team USA den Dollar. Ein oft verwendetes Kriterium ist der Wechselkurs. Es wird dann z.B. gefeiert, wenn die eigene Währung stärker ist als die andere. Diese Art von Konkurrenz halte ich für Unsinn. Wenn eine Währung auf- oder abwertet, ist das ja nicht für eine Seite per se gut oder schlecht, sondern führt auf beiden Seiten zu Gewinnern und Verlieren.

Die Währungskonkurrenz besteht eher in der Frage, inwieweit die eigene Währung oder Recheneinheit für Offshore-Geldschöpfung verwendet wird. Da liegt der US-Dollar weit vorne auf Platz 1, der Euro ein ganzes Stück dahinter auf Platz 2, und dann kommt lange nichts.

Die zentrale Frage ist nun, warum es erstrebenswert sein soll, eine internationalisierte Währung zu haben. Grundsätzlich ist dies ein zweischneidiges Schwert. Zum Beispiel gehen damit Risiken für die Finanzstabilität einher, da sich private Offshore-Geldschöpfung im heutigen System kaum kontrollieren lässt. Bei Krisen im Offshore US-Dollar System werden Investoren versuchen, ihre Offshore- in Onshore-Dollars umzutauschen, für die es z.B. eine Einlagenversicherung gibt. Das ist dann ein globaler Bank Run auf Offshore-Dollars. Den gab es 2008. Um das zu verhindern, muss sich die Fed wie eben zurzeit als internationale Zentralbank verhalten, obwohl das eigentlich jenseits ihres Mandats liegt.

Was sind die Vorteile?

Ich möchte zwei Punkte hervorheben. Zum einen ist die internationale Rolle des US-Dollars für US-Banken sehr lukrativ. Diese haben eine zentrale Stellung im  globalen Finanzsystem als Mittler zwischen der Fed und der restlichen Welt, und können so strukturell Profite in den USA konzentrieren. Zum anderen hat die US-Regierung geostrategische Vorteile. Während internationale Institutionen nämlich die in US-Dollar denominierten Instrumente autonom außerhalb der USA schöpfen können, haben internationale Zahlungen mit diesen Instrumenten eine rechtliche und technische Onshore-Komponente. Daraus leiten US-Gerichte rechtliche Zuständigkeit für sich ab und können weltweit agierende Unternehmen und Aktivitäten verfolgen. Stichwort: FIFA. Oder das US-Finanzministerium kann Finanzsanktionen verhängen und unliebsame Staaten vom globalen Zahlungsverkehr abschneiden. Stichwort Iran.

Was würde aus deiner Sicht eine Euro-Internationalisierung überhaupt bedeuten?

Internationalisierung ist kein so eindeutiger Begriff. Traditionell gibt es die Vorstellung, dass es dabei um die Verwendung des Euros als Zahlungsmittel im Ausland gehen müsse, was dann mit dem Export von Euro-Banknoten und der Nutzung als Devisenreserve zu tun haben könnte. Daneben kann man sich auch anschauen, wie stark die Wechselkurs- oder Zinsbewegungen des Euro andere Währungen beeinflussen.[1]

Wenn wir uns auf das konzeptionelle Framework des Offshore US-Dollar Systems einlassen, dann würde Euro-Internationalisierung aber primär bedeuten, dass mehr Finanzinstitutionen außerhalb der Eurozone den Euro als Recheneinheit für ihre Finanzprodukte benutzen. Zum einen kann das dadurch passieren, dass der Zahlungsverkehr in Euros abgerechnet wird – also in Finanztransaktionen, die spiegelbildlich zum Handel von Gütern und Dienstleistungen ablaufen. Zum Beispiel wird der Euro in Produktions- und Lieferketten verwendet von Zulieferern aus EU-Staaten, die nicht Mitglieder der Eurozone sind. Wenn diese Firmen Handelskredite von ihren Banken benötigen, dann werden diese entsprechend Offshore-Euros schaffen. Zum anderen kann der Euro außerhalb der Eurozone bei reinen Finanzgeschäften verwendet werden, denen keine Güter oder Dienstleistungstransaktionen gegenüberstehen. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn Firmen oder Staaten außerhalb der Eurozone Anleihen in Euro ausgeben.

Die Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zeigen, dass der Euro vor allem eine regionale Bedeutung hat. Auf globaler Ebene spielt diese Rolle der US-Dollar. Da sich die meisten Akteure innerhalb des global integrierten Systems auf den US-Dollar als „Key Currency“ geeinigt haben, macht es für einzelne Akteure wenig Sinn, auf eine alternative Währung, also Recheneinheit, umzuschwenken. Wenn zum Beispiel der globale Ölhandel von US-Dollars auf Euros umgestellt würde, wäre das für die Euro-Internationalisierung ein riesiger Schritt. Dass das passiert, ist aber extrem unwahrscheinlich. Hier gibt es starke Netzwerk-Effekte und Pfadabhängigkeiten. Politisch würde es den USA auch nicht schmecken. Sie würden sicherlich einiges in die Waagschale werfen, um das zu verhindern.

Wenn wir auf den Vorschlag von Jean-Claude Juncker zurückkommen, welche Akteure könnten denn die Internationalisierung des Euros vorantreiben?

Als Politischer Ökonom sehe ich da unterschiedliche Mechanismen, die greifen könnten. Erstens ist es denkbar, dass eine weitere Internationalisierung des Euros durch privatwirtschaftliche Initiative erfolgt. Wenn zum Beispiel mehr Industrien aus der Eurozone ihre Produktions- und Lieferketten auf Länder außerhalb der Eurozone ausweiten, wird das zu verstärkter Schöpfung von in Offshore-Euro denominierten Instrumenten führen, weil die Zulieferer eben Euros brauchen.

Zweitens könnten Staaten, die nicht Mitglied der Eurozone sind, eine stärkere Rolle für den Euro in ihrem Finanzsystem anstreben und damit zur Euro-Internationalisierung beitragen. Ein Beispiel ist Russland. Das wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion per Schockdoktrin ins Offshore US-Dollar System integriert. Seit einigen Jahren versucht man dort, das System zu „dedollarisieren“, insbesondere nach den US-Finanzsanktionen seit 2014. Allerdings ist das leichter gesagt als getan. Konkret hat man versucht, mehr Anleihen nicht mehr in US-Dollar, sondern in Euro auszugeben. In besonders nennenswertem Umfang ist das aber bislang nicht passiert. Das hängt ja auch entscheidend davon ab, wer in eine solche Anleihe investieren will. Außerdem braucht Russland im internationalen Rohstoffhandel nun einmal primär US-Dollar.

Drittens könnte Währungsinternationalisierung Teil der Außenpolitik sein. Beispielsweise haben die USA nach dem zweiten Weltkrieg die Internationalisierung des US-Dollar durch den Marshall-Plan vorangetrieben, und China versucht seit einigen Jahren den Renminbi mithilfe der Belt and Road Initiative zu internationalisieren. In beiden Fällen handelt es sich um strategische, langfristige Auslandsinvestitionen, die aber in heimischer Währung getätigt werden. Das könnte die EU mit dem Euro auch versuchen. Denkbar wäre so etwas wie ein geostrategisches Konzept der EU, das verschiedene Politikbereiche koordiniert. Davon sind wir im Moment aber meilenweit entfernt. Mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik tut sich die EU traditionell schwer. Daneben gibt es eine gegensätzliche Interessenlage von Mitgliedern und Nichtmitgliedern der Eurozone innerhalb der EU in Bezug auf den Euro, nachdem Länder außerhalb der Eurozone den Glauben an die Vorzüge der Euromitgliedschaft verloren haben. Und innerhalb der Eurozone ist der Konflikt zwischen Überschuss- und Defizitländern nicht gelöst. Covid-19 hat den Streit über Eurobonds einmal mehr auf die Tagesordnung gesetzt, auch wenn wir gerade eine Dynamik sehen, das fiskalische Segment der Eurozonenarchitektur weiterzuentwickeln.

Schließlich wäre es denkbar, dass die EZB Anreize zur Euro-Internationalisierung setzt. Im Offshore US-Dollar System sind ja Zentralbanken offensichtlich mit die handlungsfähigsten Akteure und übernehmen de facto außenpolitische und -wirtschaftliche Aufgaben. Nehmen wir die Federal Reserve als Vorbild. Mit den Swap Lines zeigt sie die Bereitschaft, Offshore-Geldschöpfung im Krisenfall zu stabilisieren und macht diese Art von institutioneller Lösung international attraktiver. Auf Europa übertragen könnte die EZB eine Struktur von internationalen Swap Lines aufbauen, die ihre Funktion als Gläubiger der letzten Instanz auf andere Währungsräume ausdehnt, um so gezielt Anreize für Offshore-Geldschöpfung in Euros zu setzen.

Dieser Vorschlag für EUR-Swap Lines der EZB klingt interessant. Gibt es dafür bereits Vorbilder? Hältst Du ein solches Vorgehen für realistisch?

Die EZB hat bereits eine Reihe von Swap Lines. Zum einen bestehen diese mit den großen internationalen Zentralbanken wie eben der Fed und der Bank of England, aber auch mit der Zentralbank der Volksrepublik China, der Chinesischen Volksbank. Hauptziel ist dabei sicherlich, dass das Eurosystem im Zweifelsfall genügend ausländische Währung hat. Zum anderen gibt es seit der Eurokrise Swap Lines mit Dänemark, Lettland, Polen, Schweden und Ungarn. Bei diesen geht es sicherlich eher darum, dass sich die Zentralbanken dieser Länder mit Euros eindecken können.

Mittels ihrer Swap Lines für Polen und Ungarn hat die EZB Offshore-Euros allerdings nicht gerade attraktiv gemacht für Firmen und Banken in diesen Ländern.[2] Ihre Vorgehensweise bei der Vergabe von Swap Lines an kleinere Partnerländer hat sich deutlich von der der Fed unterschieden. Wo die Federal Reserve Banken großzügig mit Liquidität versorgt hat, war die EZB deutlich zurückhaltender. Bei der Vergabe der Swap Lines hat die EZB nicht die jeweiligen Fremdwährungen (also Złoty und Forinth) als Pfand akzeptiert, wie die Fed das bei ihren Swap Lines tut. Stattdessen hat sie nur gegen solche Sicherheiten Euros verliehen, die ohnehin bereits im EZB-Collateral Framework akzeptabel waren. Das entspricht vom Mechanismus her der FIMA-Fazilität, die die Federal Reserve Ende März eingeführt hat und durch die sie US-Dollars gegen US-Staatsanleihen verleiht. Wenn das Politik-Ziel tatsächlich sein sollte, die private Nutzung des Euros offshore zu forcieren, dann könnte sich die EZB überlegen, die Swap Lines für bestimmte Währungsräume einzuführen und die Reserven der entsprechenden Zentralbanken als Pfand zu akzeptieren. Das wäre eine effektive und auch realistische Policy-Maßnahme.

Unter der EZB von Trichet vor zwölf Jahren wäre das kaum denkbar gewesen. Durch die „Whatever it takes“ Garantie von Mario Draghi aber hat sich die EZB in gewisser Weise neu erfunden und ihr Mandat praktisch neu interpretiert. Dadurch hat sie sich deutlich mehr Handlungsspielraum zugesprochen. Diese Transformation gipfelte jüngst im Pandemic Emergency Purchase Program (PEPP), das im März beschlossen worden ist und das Collateral Framework der EZB noch einmal deutlich veränderte. Das heißt es sieht so aus, also ob unter der Ägide von Christine Lagarde eine solche Politik schon deutlich realistischer wäre—zumindest solange das Bundesverfassungsgericht mitspielt.


[1] Siehe zum Beispiel Benjamin J. Cohen, The Geography of Money (Ithaca and London: Cornell University Press, 1998); Philipp Hartmann and Otmar Issing, ‘The International Role of the Euro’, Journal of Policy Modeling 24 (2002): 315–45; oder Barry Eichengreen and Masahiro Kawai, ‘Introduction and Overview’, in Renminbi Internationalization. Achievement, Prospects, and Challenges (Washington, D.C.: Brooking Institution Press, 2015).

[2] Siehe z.B. Daniela Gabor, ‘Our Currency, Our Banks, Your Problem. On the ECB’s Relationship with New Member States During and Immediately After the Crisis’, Discussion Paper (Financial, Economy, Society and Sustainable Development), 2015).

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