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1. Oktober 2025
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Nicolas Gassen

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Geldbrief

Sondergeldbrief: Warum der Bund bei TenneT einsteigen sollte

Lesedauer: 5 min
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Nicolas Gassen, Niklas Illenseer, Janek Steitz 

Für die Energiewende muss massiv in die Netze investiert werden. Die Übertragungsnetzbetreiber Amprion und TenneT buhlen um Geld internationaler Investoren – das ist eine Chance für den Bund auch einzusteigen. Indem er Eigenkapital günstig bereitstellt und seinen Finanzierungsvorteil über die Netzentgelte weitergibt, kann er die Netzkosten strukturell senken. Das entlastet Haushalte und Unternehmen mittelfristig. Am besten steigt der Bund jetzt mit circa 50 Prozent bei TenneT Deutschland ein.

Die deutsche Energiewende steht und fällt mit den Netzen. Allein im Übertragungsnetz müssen bis 2045 investiert werden, um zum Beispiel Windstrom aus dem Norden zu den Verbraucherzentren im Westen und Süden zu bringen. Bereits Ende des letzten Jahres haben wir gezeigt, dass es dafür einen mittleren, zweistelligen Milliardenbetrag an frischem Eigenkapital für die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) braucht.

Und genau bei den ÜNBs bewegt sich gerade viel: Amprion hat sich Anfang September über 3 Milliarden Euro frisches Eigenkapital vom US-Investor Apollo gesichert. Nun öffnen auch die Niederlande den deutschen Arm von TenneT – ein Konsortium aus internationalen Investoren steigt mit fast 10 Milliarden Euro für 46 Prozent der Anteile ein. Derweil läuft der von der Bundesnetzagentur angestoßene Reformprozess der Netzentgeltregulierung, der perspektivisch zu einer merklich attraktiveren Vergütung führen dürfte. Das zeigt: Kapital ist durchaus verfügbar, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Doch der Einstieg privater Investoren birgt Risiken.

Berlin unter Zugzwang

Der Druck auf die Bundesregierung ist hoch. Schließlich haben Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag „strategische staatliche Beteiligungen im Energiesektor“ in Aussicht gestellt, um die Kontrolle über kritische Energieinfrastrukturen zu erhalten (bzw. zu gewinnen), ausdrücklich auch bei Netzbetreibern. Ein Einstieg bei TenneT werde derzeit geprüft und wurde bereits im vergangenen Sommer erwogen, scheiterte jedoch am Widerstand des damaligen Bundesfinanzministers Lindner.

Staatliche Beteiligungen bei Netzbetreibern sind kein Neuland: 2018 stieg die KfW bei 50Hertz ein, TransnetBW gehört zum Teil Baden-Württemberg und Staaten wie Dänemark, Frankreich oder Italien halten ebenfalls Anteile an ihren ÜNBs. Präzedenzfälle gibt es also genug.

Kostentreiber Kapitalkosten: Staatseinstieg auch ökonomisch geboten

Staatliche Beteiligungen am Stromnetz sind auch ökonomisch sinnvoll. Zum einen sind Stromnetze natürliche Monopole und bieten sich daher grundsätzlich für Staatsbeteiligungen an. Ein anderes Argument sind Kosten: Ein Einstieg des Bundes bei TenneT würde die Finanzierungskosten des Netzausbaus mittelfristig substanziell senken und so für niedrigere Netzentgelte und letztlich Stromkosten sorgen. Denn der Netzausbau ist kapitalintensiv: Eigen- und Fremdkapitalkosten werden zum zentralen Treiber der Netzkosten, sowohl wegen der enormen Investitionen als auch aufgrund steigender Renditeansprüche der Investoren. Diese Kosten werden über die Netzentgelte an die Stromverbraucher durchgereicht.

Abbildung 1

Staatseinstieg mit System

Wieso würde der Staatseinstieg die Kosten senken? Mit einem sogenannten Bond-to-Equity-Switch kann der Bund Eigenkapital über Staatsanleihen zu günstigen Refinanzierungsbedingungen bereitstellen. Die Zinskosten des Staates liegen deutlich unter der regulatorisch festgelegten Eigenkapitalrendite (die zudem im laufenden Reformprozess vermutlich angehoben wird). Gibt der Staat diesen Renditevorteil über die Netzentgelte weiter, sinken Stromkosten für Haushalte und Unternehmen.

Unsere Berechnungen aus dem letzten Jahr zeigen: Wäre der Bund mit 50 Prozent bei allen ÜNB beteiligt und gäbe den Finanzierungskostenvorteil voll weiter, könnten jährlich rund 2 Milliarden Euro gespart werden; die Übertragungsnetzentgelte würden um circa 10 Prozent sinken. Um das möglichst effizient zu machen, sollten die Beteiligungen an den Netzbetreibern in einer Bundes-Energieinfrastrukturgesellschaft gebündelt und Gewinne genutzt werden, um Netzentgelte zu senken – nicht zur Haushaltskonsolidierung.

„Belastet das den Haushalt?“ Nein.

Denn: Der Staat erwirbt Vermögenswerte und die Dividenden aus den Beteiligungen decken die Finanzierungskosten sowie die Netzentgeltzuschüsse langfristig ab. Ein entscheidender Vorteil, denn unser Fiscal Space Indicator zeigt: Bis 2035 könnte der finanzielle Spielraum des Bundes gegen Null tendieren. Denn nach Abzug aller rechtlich gebundenen Ausgaben – etwa für Sozialversicherungen, Verteidigung oder Zinsen –  bleiben dem Bund kaum frei verfügbare Mittel.

Umso wichtiger wäre eine Staatsbeteiligung an TenneT: Zwar bindet diese zunächst Kapital, eröffnet aber zugleich erhebliche mittelfristige Einsparpotenziale. Das ist doppelt vorteilhaft: Strom wird günstiger und gleichzeitig wird der Bundeshaushalt entlastet, denn die strukturelle Kostensenkung senkt nötige Zuschüsse (2026 bezuschusst der Bund die Übertragungsnetzentgelte mit 6,5 Milliarden Euro).

Auch die über 800 Verteilnetzbetreiber benötigen dringend mehr Geld. Hier ist die Lage heterogener, die Umsetzung eines Beteiligungsmodells komplexer. Doch Modelle liegen auf dem Tisch – etwa von BET oder BDEW und VKU. Ungeachtet der konkreten Ausgestaltung gilt: Auch hier kann staatliches Eigenkapital helfen, Zinskosten zu dämpfen.

Vom Bremsklotz zum Rückgrat

Die Energiewende braucht Netze und Netze brauchen Kapital. Gerade jetzt, da die Niederlande neue Investoren für TenneT Deutschland suchen, hat die Bundesregierung die Chance zu handeln. Am besten steigt sie nicht nur mit 25 Prozent, sondern gleich mit 50 Prozent ein. Dabei geht es weniger um einen Mehrheitsanteil (49 Prozent reichen auch), sondern darum TenneT kurzfristig mit ausreichend Eigenkapital auszustatten und mittelfristig über das beschriebene Dividendenrecycling – Gewinne werden genutzt, um Netzentgelte zu senken – Milliarden zu sparen.

Über die Finanzierung muss man sich keine Sorgen machen: Die Beteiligung kann sowohl aus dem Sondervermögen oder auch als finanzielle Transaktion, die nicht auf die Schuldenbremse angerechnet wird, finanziert werden. Negative Auswirkungen auf die Zinsen deutscher Bundesanleihen sind dabei nicht zu erwarten.

Die Bundesregierung kann mit einem Einstieg bei TenneT die Energiewende beschleunigen, Stromkosten senken und die Kontrolle über den Ausbau kritischer Energieinfrastruktur zurückgewinnen. Die Regierung sollte diese Möglichkeit jetzt nutzen.

Unsere Leseempfehlungen: 

  • In diesem Papier haben wir ausführlich analysiert, wie der Bund beim Stromnetzausbau Kapital mobilisieren und Netzentgelte senken kann.
  • Im sogenannten NEST-Prozess erfasst die Bundesnetzagentur unter anderem Regelungen, die für die Kosten- und Erlösbestimmung der Netzbetreiber relevant sind. Dieses Papier gibt eine Übersicht über Verfahren und Stand der Überlegungen.

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts-, Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an nicolas.gassen[at]dezernatzukunft.org


 

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