Strenge Fiskalregeln reduzieren öffentliche Investitionen
Leonard Mühlenweg, Max Krahé
Reduzieren Fiskalregeln öffentliche Investitionen? In diesem Geldbrief fassen wir ein paar Highlights aus einem kürzlich erschienenen Working Paper von Leonard Mühlenweg (FiscalFuture) und Dr. Lena Gerling (CIW Münster) zusammen, das sich mit diesem Thema beschäftigt. Das zentrale Ergebnis: strengere Fiskalregeln führen zu einer signifikanten Reduktion öffentlicher Investitionen, welche die allgemeine Ausgabenreduktion, die mit Fiskalregeln einhergeht, deutlich übersteigt.
Ein Maß der Strenge
Aber bevor wir dieses Ergebnis im Detail erklären: Wie misst man eigentlich, wie streng Fiskalregeln sind? In älteren Papieren wurde häufig nur geschaut, ob es Fiskalregeln gibt oder nicht. Heute hingegen werden die unterschiedlichen Eigenschaften von Fiskalregeln oft in einem Index zusammengefasst und aufsummiert. Dabei geht es zum Beispiel um die Art der Rechtsgrundlage — Verankerung in der Verfassung, einem regulären Gesetz, oder einer einfachen Regierungsverordnung? — oder ob es externes Monitoring gibt oder nicht.
Schwierig dabei: Die unterschiedlichen Einzelaspekte sind nicht direkt miteinander vergleichbar. Und während man innerhalb einer Eigenschaft sagen kann, welche Ausprägungen strenger und weniger streng sind, ist es nicht offensichtlich, wie man das in zahlenmäßige Unterschiede übersetzen kann. Gibt man den Ausprägungen schlicht numerische Werte (1, 2, 3, usw.) und berechnet dann den Index auf Basis eines (gewichteten) Durchschnitts, folgen daraus problematische und willkürliche Annahmen, wie beispielsweise, dass Primärrecht doppelt so stringent ist wie Sekundärrecht oder dass eine “Einheit” Monitoring so viel wert ist wie eine “Einheit” Rechtsgrundlage.
Um diese (oft implizit gelassenen) Annahmen zu vermeiden, benutzt das Papier die sogenannte Partially Ordered Set Theory (POSET). Dieser Ansatz respektiert sowohl die ordinale Struktur — dass z. B. eine Verankerung in der Verfassung strenger ist als ein einfaches Gesetz, dass man aber nicht sagen kann, wie viel strenger —, als auch, dass die einzelnen Dimensionen von Fiskalregeln nicht direkt miteinander verglichen werden können. Wie genau POSET funktioniert, wird Euch hier erklärt.
Strengere Fiskalregeln im Verlauf der Zeit
Mittels der Fiscal Governance Datenbank der Europäischen Kommission, der POSET Methodik und einer dynamischen Panel-Regression untersucht das Papier den Effekt subnationaler Fiskalregeln auf öffentliche Ausgaben und öffentliche Investitionen auf der subnationalen Ebene in Europa. Die Auswirkungen auf dieser Ebene sind besonders untererforscht, gleichzeitig spielt die subnationale Ebene oft eine zentrale Rolle in der Bereitstellung öffentlicher Güter und der Tätigung öffentlicher Investitionen.
Ein erstes Ergebnis: Im Zeitraum von 1995 bis 2018 sind die subnationalen Fiskalregeln in Europa deutlich strenger geworden (Abbildung 1). Die durchschnittliche Fiskalregelstärke steigerte sich um mehr als 80%, von 3,1 (1995) auf 5,7 (2018). Während sich im Jahr 1995 oft keine oder lediglich mittel-strenge Fiskalregeln finden, verringert sich der Anteil ohne Fiskalregeln bis 2009 um mehr als die Hälfte und der Anteil mit einer mittleren Stringenz nimmt deutlich zu. Im Zeitraum zwischen 2009 und 2018 sieht man dann eine erneute Verschiebung hin zu noch stärkeren Fiskalregeln.
Im gleichen Zeitraum ist der Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben auf subnationaler Ebene um 5 Prozent gesunken (s. Tabelle A.3 im Papier), von 21,2% auf 16,4%.
Abbildung 1
Fiskalregeln sind ein Investitionshemmnis
Diese Stringenzanalyse bildet den Grundstein, um den Effekt von Fiskalregeln auf öffentliche Ausgaben und Investitionen quantitativ zu schätzen. Dafür verwendet das Papier ein dynamisches Panel Modell (S. 15 des Papiers). Abbildung 2 zeigt die geschätzten Effekte für das Baseline Modell. In der konservativen Version des Baseline Modells ergeben sich bei Verschärfung des Fiscal Rule Stringency Index um eine durchschnittliche Schwankung[1] Effekte zwischen -0,5 und -1,3 Prozent für öffentliche Ausgaben und zwischen -2,8 und -4,4 Prozent für Investitionen.
Abbildung 2
Betrachtet man den Effekt nach drei Jahren, führt eine Verschärfung um eine Standardabweichung zu einer Reduktion der öffentlichen Investitionen um 4,4 Prozent, während der Rückgang der öffentlichen Ausgaben lediglich 0,5 Prozent beträgt.
Auch für noch längere Zeiträume ergeben sich Effekte in ähnlicher Größenordnung. Im Vergleich mit einem ansonsten gleichen Szenario sinkt das Investitionsniveau durch Verschärfung der Fiskalregeln um eine Standardabweichung langfristig um dauerhaft mindestens 4 Prozent. Dies führt zu einer Reduktion des Investitionsanteils an den Gesamtausgaben um 6,4 Prozent, was im Durchschnitt einer Reduktion um ca. einen Prozentpunkt von 19,3 auf 18,1 Prozent entspricht (siehe Abbildung 11, S. 27 des Papiers).
Die Ergebnisse sind robust: Eine Vielzahl empirischer Methoden zeigt ähnliche oder noch größere Effekte an (siehe Abschnitt B des Appendixes). Dabei ergibt sich immer das gleiche Muster: Fiskalregeln führen zu einer signifikanten Reduktion öffentlicher Investitionen, welche die allgemeine Ausgabenreduktion deutlich übersteigt. Fiskalregeln sind ein Investitionshemmnis.
Was bedeutet das für Deutschland?
Die Frage subnationaler Fiskalregeln und ihrer Effekte ist in Deutschland besonders relevant: Hier gibt es einen bedeutenden Investitionsstau. In den letzten 20 Jahren ist der Wert des Kapitalstocks der Länder und Kommunen um 36 Milliarden Euro zurückgegangen. Das heißt: In den vergangenen beiden Jahrzehnten haben wir 36 Milliarden Euro weniger investiert als abgeschrieben. Das ist gerade deshalb erschreckend, weil die subnationale Ebene ungefähr 70 Prozent aller öffentlichen Investitionen in Deutschland ausmacht.
Dabei gilt auch: Auf Basis der oben diskutierten Studie lässt sich nicht abschließend sagen, welchen Anteil Fiskalregeln, insbesondere die Schuldenbremsen auf Länderebene, daran hatten. Für die spezifische Analyse des Effekts einzelner Fiskalregeln bräuchte es eine andere methodische Herangehensweise. Was die Studie allerdings zeigt, ist, dass stärkere Fiskalregeln im Allgemeinen zu einem geringeren Investitionsniveau auf der subnationalen Ebene führen in Europa.
Abbildung 3
Das Papier stützt daher die Hypothese, dass starre Fiskalregeln eine Gefahr für die Bewältigung des bereits existierenden Investitionsstaus darstellen. Darüber hinaus suggeriert es, dass sie auch für die Tätigung zukünftig notwendiger Investitionen ein Hindernis sind. Dies scheint auch der Gesetzgeber erkannt zu haben: Als besonders wichtig betrachtete Einzelbereiche, wie zum Beispiel der Bau von Autobahnen, sind von den Fiskalregeln ausgenommen, indem ihre Finanzierung im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften außerhalb der öffentlichen Haushalte stattfindet. Gerade im Anblick der enormen Herausforderungen, die bei Klimaschutz, Bildung, Digitalisierung, Resilienz und Souveränität vor uns liegen, sowie mit Blick auf die sich abschwächende Konjunktur, sollten wir uns daher genau überlegen, welches Rahmenwerk wir der Fiskalpolitik in unserer Demokratie geben wollen.
Unsere Leseempfehlungen:
Passend zum Thema dieses Geldbriefes, drei Empfehlungen rund um Investitionen in Deutschland:
- Das vollständige Working Paper von Leonard Mühlenweg und Dr. Lena Gerling: „Do Fiscal Rules Reduce Public Investment? Evidence for European Regions”.
- Ein Papier von Bruegel zu öffentlichen Investitionen in Deutschland im europäischen Vergleich.
- Der kürzlich veröffentlichte Bericht des Economist zu den Aussichten der deutschen Wirtschaft.
- Außerdem: ein Aufruf zur Einreichung von Papieren für eine spannende Konferenz an der Yale University, „Neoliberalism and capitalism as keywords of contemporary history“ (23. – 25.2.2024). Einreichungsfrist ist der 24.10.2023.
Fußnoten
[1] Genauer gesagt: um eine Standardabweichung.
Medien- und Veranstaltungsbericht 31.08.2023
- Medienerwähnungen und Auftritte
- Am 14.07.23 wurde das Italienpapier von Max im euobserver erwähnt.
- Am 16.07.23 haben die Mikroökonomen in ihrer Podcastfolge unseren Sondergeldbrief zum Haushalt empfohlen.
- Am 27.07.23 wurde Felix bei euractiv mit einer Einschätzung zu Deutschlands Klassifizierungssystem für öffentliche Garantien für Exportkredite zitiert.
- Am 29.07.23 wurde Max bei NTV zu den „Bidenomics“ interviewt.
- Am 31.07.23 wurde Levi bei euractiv zu Subventionen beim Strompreis und zu energieintensiven Produktionen in Deutschland zitiert.
- Am 02.08.23 wurde Max bei T-Online mit einer Einschätzung der „Bidenomics“ zitiert.
- Am 07.08.23 hat Max einen Artikel „Keine Alternative?“ bei Politik & Ökonomie veröffentlicht, worin er Fritz Bartels Buch „The Triumph of Broken Promises“ rezensiert.
- Am 24.08.23 hat Philippa dem Magazin der Arbeitnehmerkammer Bremen ein Interview zur Schuldenbremse, Geld für Klimaschutz, Investitionen in Bildung und zur USA gegeben.
- Am 25.08.23 hat die SZ Philippa zur Problematik bei der Berechnung der zulässigen Neuverschuldung bzgl. der Schuldenbremse zitiert.
- Am 30.08.23 hat das Handelsblatt einen Artikel über unseren Policy Brief und der dazugehörigen Studie des IW Consult über die energieintensive Industrie in Deutschland veröffentlicht. Janek wird im Artikel zitiert.
- Am 31.08.23 wurde unser Policy Brief über die energieintensive Industrie in Deutschland im Tagesspiegel Background „Energie und Klima“ erwähnt.
- Veranstaltungen
- Am 02.09.23 diskutiert Philippa auf der Tagung der Arbeitnehmerkammer Bremen mit dem Titel „Zukunft des deutschen und europäischen Wirtschaftsmodells in der Zeitenwende“. Sie ist bei den Panels zur Finanzierung der Transformation und zu einem neuen Wirtschaftsmodell in Europa dabei. Hier kann man sich anmelden.
Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an leonard.muehlenweg[at]fiscalfuture.de
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