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13. Juni 2025
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Axel Kölschbach Ortego

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Geldbrief

Staatsschulden – aus Japans Fehlern lernen

Lesedauer: 7 min
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Axel Kölschbach-Ortego

Japans Schuldenkrise zeigt, was schieflaufen kann, wenn Staaten sich eher kurzfristig verschulden. Die Regierung in Tokio steht unter Druck: Steigende Zinsen treffen auf ein Missverhältnis in der Staatsbilanz – eher kurzfristige Schulden treffen auf länger gebundenes Vermögen. Deutschland kann daraus lernen: Wer mehr Schulden aufnehmen will, sollte das über mehr langfristige Anleihen tun. Sonst drohen Zinsrisiken und fiskalische Schieflagen. Ein smarter Weg: Staatsanleihen zur Finanzierung strategischer Beteiligungen – sogenannte Bond-to-Equity-Swaps – zum Beispiel beim Stromnetzausbau.

„Die Staatsfinanzlage unseres Landes ist extrem schlecht, zweifellos schlechter als die von Griechenland.“ Mit diesen dramatischen Worten probierte Japans Premierminister Shigeru Ishiba den Ernst der Lage klarzumachen, als er am 19. Mai 2025 im Parlament sprach. Der Vergleich mit Eurokrisen-Griechenland ist wahrscheinlich übertrieben, vielleicht sogar unangemessen.[1] Doch die Frage was Japan falsch gemacht hat, stellt sich trotzdem. Nur so kann Deutschland ähnliche Fehler vermeiden.

Die japanische Malaise

Japans makroökonomisches Umfeld war in den letzten 25 Jahre in einer außergewöhnlichen Situation: Sehr hohe Schuldenstände (weit über 200 Prozent des BIPs), niedrige Inflation (um die Null Prozent), die Geldpolitik geprägt von niedrigen Zinsen und dem großzügigen Einsatz unkonventioneller Geldpolitik der Zentralbank, der sogenannten Bank of Japan (BOJ).

Doch diese Phase ist vorbei. Statt Deflationsdruck gibt es Anzeichen für Inflation: Seit 2024 hat die BOJ den kurzfristigen Zins zweimal angehoben, und auch die Zinsen auf langfristige Staatsanleihen steigen sprunghaft an, wie man bei einer Auktion im Mai sah. Damit steigen die Zinskosten für die öffentliche Hand enorm. Die BOJ wird also mit dem Zinshammer besonders vorsichtig umgehen, erwarten Ökonomen. Die Regierung probiert nun die Haushalte mit Helikoptergeld gegen die Inflation zu unterstützen – dies mag zwar Stimmen für die Parlamentswahlen im Juli sichern, wird allerdings die Staatsfinanzen weiter belasten und die Inflation ankurbeln. Regierung und Zentralbank sind gefangen in einer Interventionsspirale.

Was steckt hinter dem hohen japanischen Schuldenstand?

Der Bruttoschuldenstand liegt heute bei etwa 237 Prozent des BIPs. Dem steht jedoch ein hohes Finanzvermögen gegenüber: Vor allem die öffentliche Pensionskasse ist breit im In- und Ausland investiert. Die Nettoschuldenquote, also die Differenz der staatlichen Verbindlichkeiten vom Vermögen, liegt eher bei 95 Prozent. Wie wir bereits 2024 argumentiert haben, ist die Nettoschuldenquote ein besserer Indikator für die Schuldentragfähigkeit als die Bruttoschuldenquote.

Die japanische Strategie war Folgende: Der öffentliche Sektor verschuldet sich bei der eigenen Bevölkerung durch die Ausgabe von Staatsanleihen und investiert in langlaufende, riskante Assets. Dies ist ein Bond-to-Equity-Swap (ein durch Anleihen finanzierter Kauf von Assets): Die Finanzierung erfolgt über günstiges Fremdkapital, Investitionen kommen in Form von Eigenkapital.

Dadurch schöpft die öffentliche Hand eine Risikoprämie ab: Die Nettorendite auf öffentliche Investitionen lag im Zeitraum 2013 -2023 mehr als 4,5 Prozent über den Finanzierungskosten. Doch die öffentliche Bilanz ist in ihrer Duration[2] nicht ausgeglichen: Die durchschnittliche Duration des staatlichen Finanzvermögens beträgt 24,1 Jahre, die der staatlichen Verbindlichkeiten 3,3 Jahre (Chien u. a. 2023). Dieses Missverhältnis sorgt dafür, dass ein Zinsanstieg nicht durch höhere Renditen aus dem Finanzvermögen kompensiert werden kann.

Staatliche Investitionen durch einen Bond-to-Equity-Swap finanzieren

Zurück nach Deutschland: Hier ist seit März das Tabu gegen höhere Staatsverschuldung gefallen. Die Politik ist bereit, mehr Schulden aufzunehmen, um mehr zu investieren. Wir beim Dezernat denken, dass auch hier ein Bond-to-Equity-Swap sinnvoll sein kann. Der Staat kann damit gezielt in Sektoren von besonderer öffentlicher Bedeutung investieren.

Konkret schlagen wir das für den Ausbau der Stromnetze vor: Der Staat soll hier einen Teil der benötigten Investitionen von 600 Milliarden Euro durch einen Bond-to-Equity-Swap aufbringen, das heißt mit durch Staatsanleihen finanziertem Eigenkapital. Dies wird dann durch privates Eigenkapital ergänzt und mit privatem Fremdkapital gehebelt. Die Dividenden auf das staatliche Eigenkapital werden dazu verwendet, die Zinskosten zu bezahlen und die Netzentgelte langfristig zu deckeln. Finanzpolitisch steigt die Schuldenquote nicht an; als finanzielle Transaktion wäre der Vorgang sogar aus der Schuldenbremse ausgenommen.

Kosten eines Bond-to-Equity-Swaps

Es kommt also auf die Assets an. Zuerst müssen auf die Anleihen Zinsen bezahlt werden. Weiterhin wird das Beteiligungsrisiko, welches immer mit Eigenkapitalbeteiligungen einhergeht, auf die Staatsbilanz übertragen. Das heißt, Staatsanleihen werden als etwas riskantere Assets bewertet. Die Erhöhung des Volumens an Staatsanleihen kann weiterhin zu einem leichten Crowding-Out anderer Anleihen führen.

In jeden Fall ist zu erwarten, dass die Zinsen leicht steigen: In unserer Arbeit zur Stromnetzfinanzierung gehen wir von einer Erhöhung in der Größenordnung von einen bis fünf Basispunkten aus.[3] Das ist zwar nicht viel, die zusätzlichen Zinsen müssen allerdings auf den gesamten Schuldenstand gezahlt werden. Da die öffentliche Verschuldung Deutschlands zurzeit 2,5 Billionen Euro beträgt, würde eine Erhöhung der Zinsen um einen Basispunkt also zu Mehrkosten von 250 Millionen Euro pro Jahr führen.

Es ist also nicht a priori klar, dass ein staatlicher Bond-to-Equity-Swap immer die günstigste Finanzierungsmöglichkeit darstellt. Unsere Analyse zeigt aber, dass das für den Ausbau der Stromnetze sehr wohl der Fall sein dürfte. Denn Stromnetze sind relativ risikoarme Assets, privates Eigenkapital scheitert hier am Liquiditäts- und nicht am Risikoproblem. Der Grund ist, dass Kapitalmärkte in der kurzen Frist wesentlich inelastischer sind, als es die klassische Theorie vorhersagt (Gabaix und Koijen 2022). Das heißt, dass die Kapitalmärkte eigentlich nicht schnell genug das notwendige Eigenkapital in die Stromnetze fließen lassen würden, um die Energiewende zu sichern. Andernfalls bräuchte es weit höhere Renditen als heute üblich, eine rein private Finanzierung wäre also teurer. In dem Fall der Stromnetze sind staatliche Bond-to-Equity-Swaps also überlegen.

Langfristigere Staatsanleihen sichern Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen

Bei anderen Assets ist dies vielleicht nicht der Fall. Wichtig ist, dass man eine ehrliche Analyse macht, wo Bond-to-Equity-Swaps sinnvoll sind — und dabei nicht nur auf eine besonders lockere Geldpolitik setzt. Das war der Fehler, den die Japaner gemacht haben: Durch ihr sogenanntes Yield-Curve-Control hat die BOJ bis 2024 nicht nur den kurzfristigen, sondern auch den langfristigen Zins bestimmt. Die Regierung konnte also langfristige Anleihen zum Preis kurzfristiger Anleihen ausgegeben. Durch ein großes Quantitative Easing-Programm der BOJ  konnte die Regierung sich effektiv Geld zu variablen Zinssätzen leihen, anstatt der höheren festverzinslichen Sätzen. Japan hat versucht, dass Risiko nicht auf die Zinsen umschlagen zu lassen. Als Folge müssten jetzt eigentlich die Steuerzahler das Risiko tragen und gerade in schlechten Zeiten höhere Steuern zahlen, also jetzt.

Wenn in Deutschland nun mehr Staatschulden aufgenommen werden sollen, um mehr Investitionen zu finanzieren, sollten vermehrt langfristige Staatsanleihen ausgegeben werden. Konkret sollte das Stromnetz, welches eine regulatorische Nutzungsdauer von 20 bis 40 Jahren hat, durch Staatsanleihen mit entsprechend langen Laufzeiten finanziert werden. Langfristige Anleihen sind für den Staat teurer als kurzfristige — man spricht von einer steigenden Yield Curve. Aber die Duration der Aktiv- und Passivseite der öffentlichen Bilanz würden weniger stark voneinander abweichen. Die Staatsfinanzen wären nachhaltiger aufgestellt und man würde das Japan-Szenario vermeiden.

Unsere Leseempfehlungen: 

  • Der vielleicht beste Artikel zu den Risiken der japanischen Staatsbilanz ist (Chien u. a. 2023). Hier sind die Daten gut zusammengetragen und auch die makrofinanzielle Theorie dargelegt.
  • Wie man den staatlichen Bond-To-Equity-Swap genau einsetzen könnte, um die Stromnetze zu finanzieren, könnt Ihr in unserem Policy Brief nachlesen.
  • Wie elastisch sind Kapitalmärkte? In der kurzen Frist anscheinend ziemlich inelastisch, was sich als Hindernis für die Finanzierung der Energiewende herausstellen könnte. Langfristig könnte sie allerdings vielleicht auch elastischer Dies ist eine spannende wissenschaftliche Debatte, die prägen könnte, wie wir über die Finanzierung der Energiewende nachdenken.

Fußnoten

[1] Siehe z.B. diese Bloomberg-Kolumne.

[2] Die Duration ist technisch definiert als die Elastizität des Anleihepreises auf den Zinssatz. Wenn z.B. eine Anleihe also eine Duration von 20 hat, dann bedeutet eine Erhöhung des Zinses um 1 Prozentpunkt eine Reduktion des Anleihenwertes um 20 Prozent. Bei Anleihen, die bis zur Fälligkeit keine Zinsen zahlen (sogenannten Zero-Coupon-Bonds) ist die Duration genau die Restlaufzeit. Bei anderen Anleiheklassen ist die Duration schwerer zu berechnen, hängt aber eng mit der Laufzeit zusammen.

[3] Wir orientieren und dabei an dem Vorgehen und der Parametrisierung in (Bayer u.a. 2023, Kapitel 6).

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an axel.koelschbach[at]dezernatzukunft.org


 

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