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13. November 2025
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Florian Schuster-Johnson

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Geldbrief

Sondergeldbrief: Bundesbank-Vorschlag: Zahlenzauber fürs Grundgesetz

Lesedauer: 5 min
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Dr. Florian Schuster-Johnson

Die Bundesbank hat einen Vorschlag zur Reform der Schuldenbremse gemacht. Dieser hat drei Stufen. Erstens: Es soll sich in dieser Legislaturperiode nichts ändern. Zweitens: Von 2029 bis 2036 soll massiv gespart und die Verschuldung schrittweise abgebaut werden. Drittens: Ab 2036 kommt eine neue Schuldenregel ins Spiel, mit der der Bund einen festen Kreditrahmen bekommt, um zusätzliche Sachinvestitionen zu finanzieren. Wir finden die Idee mehrerer Phasen nachvollziehbar, fragen uns aber, wie dieser Vorschlag im Rahmen einer grundgesetzlichen Schuldenregel umgesetzt werden soll.

Der Bundesbankvorschlag zur Reform der Schuldenbremse hat drei Stufen:

  • Stufe 1: Warten auf Godot: In dieser Legislaturperiode ändert sich nichts.
  • Stufe 2: Sieben magere Jahre: 2029 bis 2036 wird jedes Jahr massiv gespart.
  • Stufe 3: Formelland: Ab 2036 gibt es noch mehr Zahlen im Grundgesetz und eine komplizierte Defizitformel mit Verschuldungsmöglichkeit in Abhängigkeit von Sachinvestitionen und Schuldenquote.

Warten auf Godot

Von 2025 bis 2029 soll sich an den bestehenden komplizierten Regeln eigentlich nichts ändern. Eigentlich, weil die Bundesbank gerne eine strengere Definition der „Zusätzlichkeit“ der Investitionen und eine Präzisierung für die Bereichsausnahme für die Verteidigungsausgaben hätte. Würde die Bundesregierung dies umsetzen, würde der finanzielle Spielraum sofort enger. Die Bundesregierung müsste diverse Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag auf den Prüfstand stellen; nur wenig davon könnten umgesetzt werden. Denn  die meisten davon erhöhen Ausgaben oder reduzieren Einnahmen dauerhaft und vergrößern somit langfristig das Haushaltsproblem. Dadurch täte sich die Regierung deutlich leichter in der zweiten Stufe des Bundesbankvorschlags, der große Einsparungen erfordert. Es sieht aber nicht so aus, als wäre die Bundesregierung bereit, das zu tun. Daher würde in der ersten Stufe wahrscheinlich nichts passieren, auch wenn das ein sinnvoller Ansatz wäre.

Sieben magere Jahre

In der zweiten Stufe – wir befinden uns jetzt in der kommenden Legislaturperiode – ginge es anders zu. Es müsste Jahr für Jahr hart gespart werden. Wir könnten uns vorstellen, dass die Zuneigung, die Parteien dem Vorschlag entgegenbringen, mit der Wahrscheinlichkeit korrelieren wird, ab dem Jahr 2029 zu regieren: Denn bis 2036 soll die dann amtierende Bundesregierung das Defizit um 0,5 Prozent des BIP pro Jahr reduzieren: das wären in heutigen Zahlen mehr als 20 Milliarden Euro jährlich.

Wie könnte man Jahr für Jahr auf solche Größenordnungen kommen? Zum Beispiel, indem man sukzessive alle Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag rückgängig macht, alle Energiesubventionen abschafft, alle Bildungs- und Forschungsausgaben des Bundes streicht, darauf hofft, dass trotz all dieser Einsparungen 80 Prozent mehr Bürgergeldempfänger in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung finden als heute, und die Mehrwertsteuer erhöht – die Sparoption, zu der in der Geschichte der Bundesrepublik am häufigsten gegriffen wurde. Spardruck in dieser Dimension kann zum Problem für die Demokratie werden: Die nächste Bundesregierung hätte faktisch keinen Spielraum, ihr eigenes, von den Wählern bestätigtes Programm umzusetzen. Mit potenziell dramatischen Folgen für das Vertrauen der Menschen in das demokratische System und Parteien.

Formelland

Ab 2036 soll dann eine neue Defizitformel gelten. Bei einer Schuldenquote von über 60 Prozent – ja, die zufälligen 60 Prozent, die man 1992 nur in das Protokoll der Maastricht-Verträge schrieb, damit sie nicht zum bedeutungslosen Dauerbrenner würden – dürfte sich der Bund nur noch mit 0,1 Prozent des BIP verschulden (statt wie bisher mit 0,35 Prozent). Wenn er es trotzdem schafft, mehr Sachinvestitionen zu tätigen als im Jahr 2024 (Methode siehe Q&A), dann gäbe es dafür einen Verschuldungsspielraum von bis zu 0,8 Prozent pro Jahr. Der wäre aber nur für Sachinvestitionen zulässig, also vor allem Straßen, Schienen und Gebäude. Solche Sachinvestitionen machen nur einen sehr kleinen Teil der Bundesinvestitionen aus. 2024 waren es sieben Milliarden Euro. Das hieße, es gäbe viele neue Bahngleise, aber wenig andere produktive Dinge wie Bildung, Kinderbetreuung usw. Wieso Sachinvestitionen vor produktiven Ausgaben den Vorzug erhalten, erschließt sich uns nicht.

Sollte die Schuldenquote irgendwann wieder unter 60 Prozent fallen – ein Szenario, dass angesichts von Aufrüstung und Nachholbedarf bei der Infrastruktur vor Mitte des Jahrhunderts unwahrscheinlich ist und danach auch nur deshalb plausibel, weil wir über die Zeit danach so wenig wissen, dass fast alles plausibel ist – dürfte sich der Bund wieder mit 0,35 Prozent des BIP verschulden, so wie heute unter der Schuldenbremse.

Woher kommen die Kennzahlen der Bundesbank? Sie hat berechnet, dass mit diesen Defiziten und ihren heutigen Projektionen die EU-Schuldenregeln eingehalten würden. Dazu sollte man wissen: Die EU-Schuldenregeln geben keine starren Grenzen mehr vor, sondern sind auch ein Formelapparat, der alle vier Jahre eine neue Vorgabe ausspuckt. Man würde also auf Basis des heutigen Ergebnisses des europäischen Formelapparats einen deutschen Zahlenapparat in das Grundgesetz schreiben, der so lange korrekt ist, wie sich nichts anders entwickelt als gedacht. Was aber, wenn die Rechnung morgen anders aussieht? Dann stehen (mal wieder) Zahlen im Grundgesetz, die mit der Realität wenig zu tun haben und ob fehlender Zweidrittelmehrheiten womöglich nicht mehr herauszubekommen sind.

Unser Fazit

Schrittweise das Defizit zurückzufahren und die Verteidigungsausgaben aus dem Haushalt zu finanzieren, ist sinnvoll. Wir zahlen heute Soldatensold und -pensionen mit Schulden. Dafür gibt es keine gute ökonomische Begründung. Auch ist es gut, einen mittelfristigen Pfad für die Finanzpolitik zu skizzieren.

Aber wir fragen uns, ob der Bundesbankvorschlag tatsächlich ein Vorschlag für einen neuen Grundgesetztext für die Schuldenbremse ist – oder doch eher ein Vorschlag dazu, wie die deutsche Fiskalpolitik die nächsten zwanzig Jahre aussehen sollte. Es gibt viele Reformvorschläge zur Schuldenbremse im Grundgesetz, aber dass sich zu der zufälligen Defizitgrenze von 0,35 Prozent des BIP noch weitere – mehr oder weniger zufällige – Zahlen mit Nachkommastellen gesellen sollten, haben wir selten gehört – und halten das nicht für den richtigen Weg.

Vor allem, weil man es so viel einfacher machen könnte: Denn die neue deutsche Regel, eine Ableitung von den EU-Regeln zu einem gewissen Zeitpunkt, würde sowieso nur in den Jahren gelten, in denen sie strenger bindet als Europa. Unser Vorschlag: die Fiskalregeln im Grundgesetz deutlich vereinfachen. Und sicherstellen, dass die Bundesrepublik die europäischen Regeln befolgt. Etwa, indem man die Defizitgrenze der Schuldenbremse immer an die EU-Vorgabe anpasst (siehe unseren Geldbrief dazu).

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts-, Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an florian.schuster-johnson[at]dezernatzukunft.org


 

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