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11. Mai 2023
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Max Krahé

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Fachtexte

Italiens Stagnation verstehen

4 min Lesezeit
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Max Krahé

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Die wirtschaftliche Stagnation Italiens ist von fiskal- und allgemeinpolitischer Bedeutung. Da eine wirksame Therapie eine genaue Diagnose voraussetzt, werden in diesem Papier die wichtigsten Erklärungen für diese Stagnation zusammengefasst, verglichen und bewertet. Das Paper kommt zu dem Schluss, dass keiner dieser Erklärungsansätze für sich genommen überzeugend ist. Es folgt daher eine Synthese ihrer vielversprechendsten Elemente. Direkte Ursachen finden sich im hohen Anteil kleiner, aber unproduktiverer Unternehmen sowie in mangelnden privaten und öffentlichen Investitionen. Dahinter liegen tiefere Gründe, darunter eine festgefahrenes Justizsystem, asymmetrische Steuerdurchsetzung zum Vorteil kleiner Firmen, sowie ein in sich selbst widersprüchlicher Reformmix, der Strukturreformen mit intensiver Sparpolitik kombinierte. Auch wenn im Paper keine direkten Vorschläge für neue Reformen gemacht werden, so legen die Ergebnisse nahe, dass zukünftige Reformen den Kern der italienischen Stagnation angehen muss, ohne die investitionshemmenden Fehler der letzten 30 Jahre zu wiederholen. Vor diesem Hintergrund könnte der Ansatz positiver Konditionalität – d. h. Auflagen, die bei Erfüllung zusätzliche Ressourcen freisetzen, wie bei NextGenEU – ein vielversprechender Weg sein.

Warum haben wir das Papier geschrieben?

Nachdem wir uns zunächst auf die deutsche Fiskalpolitik konzentriert hatten, war die nächste Frage, wie eine gute Fiskalpolitik in der Eurozone aussehen könnte. Hier hat sich Italien schnell als Dreh- und Angelpunkt herauskristallisiert: Es ist “too big to fail”, so dass ein fiskalisches Regelwerk, das nicht für Italien funktioniert, auch nicht für die Eurozone funktionieren kann.

Aber was bedeutet es im Fall von Italien, dass Fiskalregeln “funktionieren”? Weil das niedrige Wachstum die zentrale Herausforderung für Italiens Schuldentragfähigkeit ist, und weil dauerhaftes Niedrigwachstum Italiens politische Stabilität gefährdet, bedeutet “funktionieren” vor allem, Italien zu Wachstum zu verhelfen. Daher mussten wir verstehen, was die Ursache für die wirtschaftliche Stagnation Italiens ist. Wenn wir diese Ursachen kennen, können wir konstruktiver darüber nachdenken, ob – und wenn ja, unter welchen Umständen – eine Reform der Fiskalregeln dazu beitragen könnte, Italiens Wachstum zu anzukurbeln.

Was haben wir gelernt?

Wir haben gelernt, dass die klassischen Erkläransätze, wie übermäßiger Spardruck, die Unfähigkeit, die eigene Währung abzuwerten oder das generelle Ausbleiben von Reformen in den letzten zwanzig Jahren, nicht alleinstehend funktionieren. Es erscheint daher wenig aussichtsreich, einfach die Defizit- oder Schuldengrenzen aufzuheben, abzusenken, oder die bisherigen Reformansätze schlicht zu intensivieren.

Stattdessen scheint das Problem darin zu liegen, dass Italien eine doppelt inkohärente Mischung aus Strukturreformen und Sparmaßnahmen beschlossen hat, an der festgehalten wurde, auch nachdem ihre Unwirksamkeit offensichtlich geworden war. Dieser Reformmix bestand aus einer Sparpolitik in Kombination mit allgemein wirtschaftsliberalisierenden Strukturreformen. Dieser Mix erwies sich zum einen als makroökonomisch inkohärent, weil Strukturreformen bei unzureichender Gesamtnachfrage nur schwer zu guten Ergebnissen führen. Zum anderen erwies er sich auch deshalb als inkohärent, weil die verschiedenen Reformen sich mikroökonomisch gegenseitig behinderten. Während beispielsweise einige Arbeitsmarktreformen ein angelsächsisches Modell mit generalistischen Qualifikationen und hoher Arbeitskräftemobilität förderten, zielten andere auf das deutsche Modell ab, das Investitionen in unternehmensspezifische Qualifikationen durch Stabilität und Beschäftigungsschutz fördert. Infolge dieser doppelten Inkohärenz haben die Reformen der letzten zwanzig Jahre das alte, überholte Wachstumsmodell Italiens zerschlagen, ohne ein neues zu schaffen.

Neben diesem inkohärenten Reformmix erweisen sich drei institutionelle Merkmale als wesentliche Hürden für Investitions- und Produktivitätswachstum: die organisierte Kriminalität, das Justizsystem und – in geringerem Maße – die Qualität der öffentlichen Verwaltung, vor allem auf lokaler Ebene. Diese Faktoren verringern die privaten Investitionen und mindern die Qualität der öffentlichen Investitionen.

In Bezug auf unsere ursprüngliche Frage, ob und wie die europäischen Fiskalregeln für Italien anwendbar gemacht werden könnten, haben wir Folgendes gelernt: Erstens schaffen sparorientierte Fiskalregeln ein Umfeld, in dem notwendige Strukturreformen schwieriger umzusetzen sind und weniger Aussicht auf Erfolg haben. Zweitens könnte eine Konzentration auf italienische Unternehmen und deren Management ein nützlicher Ansatzpunkt für die nächste Reformphase sein. Spezifische Zielvorgaben könnten darin bestehen, Maßnahmen zu treffen die auf eine Verbesserung der Qualität von Firmenmanagement abzielen und das Entstehen größerer, erfolgreicher und hochproduktiver Unternehmen in Italien begünstigen. Konkrete Maßnahmen zu diesem Zweck könnten Verbesserungen des Justizsystems, eine bessere und gleichmäßigere Durchsetzung der Steuergesetze (um die implizite Subventionierung kleiner Unternehmen durch eine laxe Rechtsdurchsetzung zu beenden), eine bessere polizeiliche Bekämpfung des organisierten Verbrechens, kohärente Reformen des Bankwesens und der Unternehmensfinanzierung, um stärkeren Druck auf ein qualitativ minderwertiges Management auszuüben, sowie eine Industriestrategie zur Integration des italienischen verarbeitenden Gewerbes in den mitteleuropäischen Produktionskern umfassen. Drittens und letztens sollte ein übergreifendes Ziel weiterer Reformbemühungen die Umwandlung des italienischen Kapitalismus von einem extraktiv-eigennützigen zu einem kooperativ-inklusiven Typ sein. Extraktive Institutionen sind möglicherweise die Hauptursache für die Produktivitätsstagnation – solange diese nicht angegangen werden, können private Investitionen erlahmen, das Humankapital verkümmern und öffentliche Investitionen unwirksam bleiben.

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