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25. Februar 2025
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Florian Schuster-Johnson

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Fachtexte

Eine ökonomisch sinnvolle Schuldenregel

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Dr. Florian Schuster-Johnson, Felix Heilmann, Dr. Max Krahé, Philippa Sigl-Glöckner, Janek Steitz

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Eine Schuldenregel ist ökonomisch sinnvoll, wenn sie nachhaltige Staatsfinanzen sicherstellt. Die Schuldenbremse tut das nicht, weil sie gegenüber den beiden wesentlichen Bestimmungsfaktoren der fiskalischen Nachhaltigkeit – Zinsen und Wachstum – blind ist. Zwar weisen auch die reformier-ten europäischen Fiskalregeln erhebliche Probleme auf, z. B. durch eine arbiträre Begrenzung der Schuldenquote auf 60 Prozent des BIP. Doch erstens setzen sie bei einer Reform der Schuldenbremse den Rahmen des rechtlich Möglichen. Zweitens ist in ihnen grundsätzlich ein wichtiges Prinzip ange-legt: das zulässige Verschuldungslimit ist von makroökonomischen Bedingungen, insbesondere Wirt-schaftswachstum, abhängig.

Um den durch sie vorgegebenen fiskalpolitischen Rahmen optimal auszunutzen, schlagen wir vor, die neue Schuldenregel aus den EU-Fiskalregeln abzuleiten. Aus ihnen ergibt sich in unseren Berech-nungen für die kommende Legislaturperiode ein durchschnittliches, maximal zulässiges gesamtstaat-liches Budgetdefizit von 1,8 Prozent des BIP, welches gesetzlich festgeschrieben werden sollte und somit im deutschen Recht verankert würde. Das entspricht einem im Vergleich zur Schuldenbremse zusätzlichen jährlichen Verschuldungsspielraum für Bund, Länder und Kommunen von bis zu 30 Mrd. Euro jährlich – ein Volumen, das sich Deutschland ökonomisch gut leisten kann. Dieses Volu-men reicht zwar nicht aus, um die dringend notwendige Modernisierung Deutschlands vollständig zu finanzieren. Doch gekoppelt mit einem größeren Reformpaket könnte es die Grundlage für eine ef-fektive Wachstums- und Modernisierungsagenda sein.

Wir definieren drei Prinzipien für die rechtliche Umsetzung einer neuen deutschen Schuldenregel. Erstens: Grundgesetzliche Zielvorgabe nachhaltiger Staatsfinanzen. Da deren Bestimmungsfaktoren (Zinsen und Wachstum) im Lauf der Zeit variieren, ist dieses Ziel mit einer numerischen Obergrenze im Grundgesetz nicht vereinbar; sie sollte einfachgesetzlich festgelegt und regelmäßig überprüft wer-den. Zweitens: Koppelung des verfügbaren Kreditspielraums an produktive, d. h., das langfristige Wachstum steigernde, Ausgaben. Denn erst Wachstum macht zusätzliche Finanzierungslasten tragfä-hig. Drittens: Beseitigung der rechtlichen Unsicherheit der derzeitigen Notlagenklausel. Denn die staatliche Handlungsfähigkeit muss stets gewährleistet sein.

Warum haben wir dieses Papier geschrieben?

Deutschland steht vor einem immensen Modernisierungsstau. Es fehlen 600 bis 800 Mrd. Euro für Infrastruktur, Daseinsvorsorge, Dekarbonisierung und Verteidigung; seit 20 Jahren hat es in Deutschland keine grundlegenden Reformen von Steuersystem, Sozialstaat oder öffentlicher Verwaltung gegeben. Im November 2024 zerbrach am Streit ums Geld sogar die Ampel-Regierung. Zu alldem kommt (wie überall in Europa) ein Erstarken der politischen Kräfte jenseits der demokratischen Mitte. Zur Lösung dieser Probleme braucht Deutschland einen neuen Finanzierungsrahmen. Die Schuldenbremse bietet diesen nicht, denn sie schafft keinen ausreichenden fiskalischen Spielraum, insbesondere für wachstumssteigender Politikmaßnahmen. Wir wollten einen Vorschlag für eine ökonomisch sinnvolle Schuldenregel entwerfen. „Ökonomisch sinnvoll“ heißt: Sie erlaubt wachstumssteigende Politik, sichert so die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen und leistet einen Beitrag zur Auflösung des deutschen Modernisierungsstaus.

Was haben wir gelernt?

Wir haben gelernt, dass eine Schuldenbremsenreform eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für das Gelingen der Modernisierung Deutschlands ist. Denn Deutschland ist rechtlich an die EU-Fiskalregeln gebunden. Diese sind zwar ebenfalls problematisch; in ihnen ist aber das sinnvolle Prinzip angelegt, das Verschuldungslimit von den makroökonomischen Rahmenbedingungen – insbesondere Zinskosten und Wachstum – abhängig zu machen. Wir schlagen deshalb vor, die neue deutsche Schuldenregel aus den europäischen Fiskalregeln abzuleiten. Für die nächste Legislaturperiode ergibt sich aus ihnen vermutlich ein maximal zulässiges Budgetdefizit von ca. 1,8 Prozent des BIP, was bis zu 30 Mrd. Euro pro Jahr mehr als unter der Schuldenbremse entspricht. Das reicht zwar nicht zur Finanzierung der deutschen Modernisierungsbedarfe, wäre aber ein Fortschritt. Für die rechtliche Umsetzung folgt daraus: Eine numerische Obergrenze der Verschuldung im Grundgesetz ist mit einer ökonomisch sinnvollen Schuldenregel nicht vereinbar; stattdessen sollte im Grundgesetz das Ziel nachhaltiger Staatsfinanzen vorgegeben werden. Außerdem sollte die Verschuldung auf produktive, d. h. langfristig wachstumssteigernde, Ausgaben und vorübergehende, außergewöhnliche Bedarfe begrenzt werden. Die spezifische Ausgestaltung der Regel – in unserem Vorschlag abgeleitet aus den EU-Fiskalregeln – sollte auf einfachgesetzlicher Ebene erfolgen. Zudem schlagen wir vor, die Regel und die gesamtwirtschaftlichen Effekte der Finanzpolitik verbindlich wissenschaftlich evaluieren zu lassen, um Haushaltspolitik evidenzbasierter zu machen.

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