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3. Mai 2019
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Marcel Dimke

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Der Staat und das Geld – Teil 2

6 min Lesezeit
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MARCEL DIMKE

Post-Keynesianismus

Dieser Text ist der zweite Teil unserer Reihe zu Theorien der Fiskalpolitik. Der vorherige Teil befasste sich mit der Neoklassik und dem aktuellen Mainstream, dem Neu-Keynesianismus. Im Gegensatz zu diesen beiden Denkschulen argumentiert der Post-Keynesianismus, dass Fiskalpolitik eine zentrale Rolle bei der Stabilisierung der Wirtschaft spielt. 

Der Post-Keynesianismus (oder auch: die Fiskalpolitik wird es richten)

Anders als die Zentralbank-fokussierten Neu-Keynesianer stellen Post-Keynesianer die Fiskalpolitik in den Mittelpunkt. Der post-Keynesianischen Lehre zufolge kann nur eine aktive Fiskalpolitik für Vollbeschäftigung sorgen. Ein ausgeglichener Staatshaushalt wird weder als nötig, noch als zielführend angesehen. Die hohe Toleranz der Post-Keynesianer für staatliche Verschuldung (in eigener Währung!) begründet sich in einer eigenen Theorie zur Herkunft und Rolle des Geldes: Laut Ökonomen wie Abba Lerner ist Geld keine knappe Ressource, sondern eine ‘Kreatur des Staates“ und eine soziale Rechnungseinheit, die Schuldner-Gläubiger-Beziehungen festhält[1]. Da Geld eine Schöpfung des Staates selbst ist, kann es ihm selbst nicht ausgehen. Staaten, die sich in ihrer eigenen Währung verschulden, können nicht zahlungsunfähig werden[2]. Demnach ist auch die Aussage, dass sich der währungssouveräne Staat über Steuern finanziert nicht schlüssig: Post-Keynesianer vertreten, dass der Staat zuerst Geld in den Umlauf bringt, welches er dann mittels Steuern der Wirtschaft wieder entzieht, um Nachfrage nach Geld zu sichern und Inflation zu verhindern. 

Der Post-Keynesianismus argumentiert, dass die Fiskalpolitik die Ökonomie an einem Punkt stabilisieren muss, der ein hohes Maß an Beschäftigung gewährleistet, ohne dabei Inflation auszulösen: Indem der Staat Geld ausgibt, erhöht er die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen. Wenn eine höhere Nachfrage vorhanden ist, sehen Unternehmen optimistischer in die Zukunft, investieren und stellen neue Arbeitskräfte ein, um mehr produzieren und anbieten zu können. Aus höherer Nachfrage entsteht also mehr Beschäftigung. Erhöhte Nachfrage kann natürlich auch von Haushalten, Unternehmen oder aus dem Ausland kommen. Jedoch ist der Staat der einzige Akteur in einer Volkswirtschaft, der seine Nachfrage unabhängig von anderen Akteuren signifikant und unmittelbar erhöhen kann. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass Staaten, die sich in eigener Währung verschulden, nicht zahlungsunfähig werden können.

Demnach haben Post-Keynesianer eine fundamental andere Vorstellung davon, was ein ‚schlechtes‘ Staatsbudget ist: Abba Lerner definiert schlechte Staatsfinanzen als solche, die entweder für unzureichende Beschäftigung oder übermäßige Inflation sorgen. Da ein ‚schlechter‘ oder ‚guter‘ Haushalt also an seiner Funktion und nicht Messgrößen festgemacht wird, nennt sich dieses Prinzip Functional Finance. Ob für das Erreichen dieser Ziele ein Budgetsaldo von 1, -2 oder -6 Prozent des BIPs notwendig ist, ist irrelevant. Functional Finance besagt des Weiteren, dass der Staat nicht zwingendermaßen Staatsanleihen emittieren müsse, wenn er neues Geld ausgeben möchte. Für den Staat sollte lediglich die Abwägung von Interesse sein, ob es sinnvoller ist, dass Haushalte und Unternehmen einen liquideren (Bargeld) oder einen weniger liquiden Vermögensgegenstand (Staatsanleihen) halten[3]. Die Grenze für Staatsausgaben ist die Inflation.

Ähnliche Konzepte werden von Anhängern der Modern Monetary Theory (MMT) vertreten, die durch die US-Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez und ihrer Forderung nach einem Green New Deal kürzlich viel Aufmerksamkeit bekam. Die MMT bewegt sich in der langen Tradition post-Keynesianischer Forschung.

Neu- vs Post-Keynesianismus

Der zentrale Unterschied zwischen MMTlern wie Stephanie Kelton und Neu-Keynesianern wie Krugman liegt in den unterschiedlichen Sichtweisen über die Ausführung von Geld- und Fiskalpolitik. Krugman argumentiert, dass Staat und Privatpersonen um einen limitierten Geldtopf kämpfen[4]. Dahinter liegt die Annahme, dass die Regierung alle Defizitausgaben mit Geldern bestreitet, die sie vorher durch die Ausgabe von Schuldpapieren eingesammelt hat. Will die Regierung mehr Schuldpapiere ausgeben, muss sie dafür einen höheren Preis zahlen, d.h. der Zins auf Staatsanleihen und damit der Zins auf die meisten Privatkredite steigt. Die Ähnlichkeiten zum oben beschriebenen neoklassischen Kapitalmarkt fallen an dieser Stelle ins Auge. Außerdem hebt Krugmans Zentralbank die Zinsen an, sobald die Defizitausgaben der Regierung Wirtschaftsaktivität über die geschätzte Kapazität hinaus ankurbeln[5].

Im Gegensatz zu Krugman nimmt Kelton[6] an, dass der Staat Defizitausgaben bestreitet, indem die Zentralbank der Regierung Geld auf ihrem Konto gutschreibt. Das führt dazu, dass Staatsausgaben die Liquidität im Bankensystem erhöhen, wodurch der Interbankzins fällt. Der Zins des Interbankenmarktes ist derjenige, der die Zinsstruktur in der gesamten Wirtschaft sehr stark beeinflusst. Ist der Interbankenzins niedrig ist er es also auch für Unternehmen und Haushalte. Post-Keynesianer und MMTler sehen einen permanent niedrigen Zins nicht als Problem, sondern als wünschenswert an. Ein permanent niedriger Zins bietet Unternehmen Investitionsanreize und sorgt zudem für eine stabile Verteilung zwischen Gläubigern und Schuldnern[7]. Folglich kommt den Zentralbanken im Post-Keynesianismus bei der Maximierung von Wachstum und Beschäftigung nur eine unterstützende Rolle zu.

Post-Keynesianer sehen also im Gegensatz zu Neu-Keynesianern die Fiskalpolitik in der Pflicht – die Zentralbank wird auf den Rücksitz verwiesen.

Eine Theorie für alle Fälle?

Für die Neoklassik verhält es sich mit Staatsausgaben nicht viel anders wie mit einem Haushalt, der langfristig nicht mehr ausgeben kann, als er vorher eingenommen hat. Strukturreformen, nicht Staatsausgaben helfen einer strauchelnden Wirtschaft wieder auf die Beine. Auch die Neu-Keynesianer sind keine Fans aktiver Fiskalpolitik, solange Zentralbanken die Wirtschaft durch niedrige Zinsen ankurbeln können. Wenn jedoch die Zinsen schon bei null sind und damit auch die Zinsen auf Staatsanleihen unter der Wachstumsrate der Wirtschaft liegen (es also zu erwarten ist, dass der Schuldenberg quasi automatisch schrumpft), sind für Neu-Keynesianer wie Krugman oder Blanchard staatliche Defizite gerechtfertigt. Im Gegensatz dazu sehen Post-Keynesianer es als zentrale Aufgabe des Staats durch aktive Fiskalpolitik die Nachfrage auf einem Niveau zu stabilisieren, das möglichst nah an Vollbeschäftigung herankommt, ohne Inflation zu generieren.

Es fällt auf, dass die drei vorgestellten Theorien jeweils zu einer bestimmten wirtschaftlichen Situation passen: Die Neoklassik passt zu einer Wirtschaft mit großen Ineffizienzen und einem Staat, der über Ausgaben Ressourcen bindet, ohne daraus Produktivkraft zu schöpfen. Der Neu-Keynesianismus passt zu einer Wirtschaft, die in der Regel genug Nachfrage generiert, so dass die Geldpolitik die Betriebstemperatur regeln kann. Der Post-Keynesianismus passt zu einer Wirtschaft, die unausgelastete Produktionskapazitäten besitzt, größere Arbeitslosenzahlen vorweist und zusätzlich einen hohen Grad an Währungssouveränität besitzt.
Um die Relativität etwas einzuschränken: Es gibt sicherlich eine Berechtigung für verschiedene Theorien, die alle Mehrwert für gewisse Situationen bieten. Es ist jedoch problematisch, wenn Theorien faktische Zusammenhänge, wie Geldschöpfung ignorieren. Auch aus diesem Grund halten wir die Kollaboration von Forschung und implementierenden Institutionen für zentral.

 


[1] Lerner, A. (1947): Money as a Creature of the State, The American Economic Review, 37 (2), 312 – 317.

[2] Wray, R. (2012): Modern Money Theory – Primer on Macroeconomics for Sovereign Monetary Systems, London: Palgrave Macmillan.
Tcherneva, P. (2007): Chartalism and the tax-driven approach to money, in: Arestis, P.; Sawyer, M. (eds.): A Handbook of Alternative Monetary Economics, Cheltenham: Edward Elgar.

[3] Lerner, A. (1943): Functional Finance and the Federal Debt, Social Research, 10 (1), p. 38 – 51.

[4] https://www.nytimes.com/2017/01/09/opinion/deficits-matter-again.html?rref=collection%2Fcolumn%2Fpaul-krugman&action=click&contentCollection=opinion&region=stream&module=stream_unit&version=latest&contentPlacement=1&pgtype=collection

[5] Das Problem hier ist, dass sich die Kapazität einer Wirtschaft empirisch nicht beobachten lässt und Schätzungen dazu sehr problematisch sind. Mehr Hintergrund dazu gibt es im Interview mit Philip Heimberger.

[6] Jo Michell beschreibt die Unterschiede zwischen Krugman und Keltons Annahmen im Detail in einem exzellenten Blogpost.

[7] Rochon, L.-P.; Setterfield, M. (2007): Interest rates, income distribution and monetary policy dominance: Post-Keynesians and the “fair-rate” of interest, Journal of Post Keynesian Economics, 30 (1), 13 – 42.

Bild: Wikimedia.

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