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27. April 2019
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Marcel Dimke

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Der Staat und das Geld – Teil 1

6 min Lesezeit
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MARCEL DIMKE

Neoklassik und Neu-Keynesianismus

Im Januar diesen Jahres hielt Olivier Blanchard, ehemaliger Chefökonom des IWFs, eine viel beachtete Rede, die im Kern besagte, dass die Kosten von Staatsschulden in Zeiten niedriger Zinsen ein zu vernachlässigendes Problem seien. Zudem hat auch die Debatte um Modern Monetary Theory (MMT) den Atlantik überquert. MMT argumentiert, dass Staaten einen deutlich größeren fiskalischen Spielraum haben als bisher angenommen. Es gibt also mehr als genug Gründe, um sich eingehender mit den verschiedenen theoretischen Grundlagen der Fiskalpolitik auseinanderzusetzen.

Wir stellen in zwei Artikeln die drei wichtigsten theoretischen Ansichten zur Fiskalpolitik vor: Im ersten Teil wird die Rolle der Fiskalpolitik in neoklassischen Wirtschaftsmodellen und im Neu-Keynesianismus, der aktuell in internationalen Organisationen und der Wissenschaft dominiert, dargestellt. Der zweite Artikel behandelt die Ansichten der Post-Keynesianer, die mit dem Prinzip der Functional Finance eine fundamental andere finanzpolitische Praxis vorschlagen.

Die Neoklassik (oder auch: der Markt wird es richten)

Im engeren Rahmen der neoklassischen Theorie wird kein Handlungsbedarf für die Fiskalpolitik gesehen. In der Neoklassik führt das Marktsystem von allein zu Vollbeschäftigung und Auslastung aller Kapazitäten. Insofern ist eine gezielte Erhöhung der staatlichen Nachfrage nicht nur unnötig, sondern auch schädlich: Die Erhöhung der Staatsausgaben führt zu einer Verdrängung von privaten Ausgaben, dem sogenannten Crowding-out-Effect. Das basiert auf folgenden Mechanismen: Erstens besteht der neoklassische Kapitalmarkt aus einer Nachfrage- und einer Angebotskurve. Nachgefragt werden Investitionen und angeboten werden Sparguthaben. Somit schöpfen die Banken in der Neoklassik kein Giralgeld, sondern sind reine Vermittler, die Sparguthaben der Haushalte an investitionswillige Unternehmen weiterverleihen[1]. Der Preis in diesem Markt ist der Zins, der sich aus den Spar- und Investitionsentscheidungen ergibt. Somit ist der Zins in der Neoklassik explizit das Ergebnis von Marktaktivitäten. Wenn der Staat innerhalb dieses Modells Defizite verzeichnen will, so muss er – wie ein Haushalt – das begrenzte Angebot an Krediten nachfragen. Dabei verdrängt die staatliche Nachfrage die private Investitionsnachfrage, ohne dass erstere eine höhere Produktion herbeiführen könnte.

Zweitens wird davon ausgegangen, dass Unternehmen und Haushalte allesamt rationale Erwartungen haben. Diese rationalen Erwartungen führen dazu, dass höhere, heutige Staatsdefizite von Seiten der Wirtschaftssubjekte als höhere Steuerlast von morgen wahrgenommen werden. Daher fahren Haushalte und Unternehmen ihre Ausgaben zurück, um die zukünftig höheren Steuerzahlungen überhaupt leisten zu können. Somit führen auch hier höhere staatliche Defizite zu einer Verdrängung privater Ausgaben[2]. Zusammenfassend und vereinfacht gesagt, funktionieren in der Neoklassik die Ausgaben des Staates nicht anders, als die Ausgaben eines privaten Haushaltes. Der Fiskalpolitik kommt keine besondere Rolle bei der Überwindung volkswirtschaftlicher Schwäche zu. Allein Strukturreformen, die den Markt effizienter machen, können Wachstum und Beschäftigung ankurbeln. Strukturreformen bedeuten vor allem, dass die Angebotsseite der Wirtschaft reformiert wird. Solche können vielfältig sein und von der Lockerung von Arbeitnehmerrechten bis zu Privatisierungen von staatseigenen Unternehmen reichen.

Der Neu-Keynesianismus (oder auch: die Geldpolitik wird es richten)

Der sogenannte Neu-Keynesianismus prägt heute den Alltag an Unifakultäten und im Politikbetrieb. Auch innerhalb dieses Paradigmas spielt ein aktives Management von Staatsausgaben und -einnahmen eine limitierte Rolle. Stattdessen kommt der Zentralbank besonders große Bedeutung zu: Sie steuert die Zinsen und soll damit die Inflation auf einem niedrigen Niveau stabilisieren. Überhitzt die Wirtschaft, steigt die Inflation und die Zentralbank erhöht die Zinsen. Diese erhöhten Zinsen sorgen für weniger Kreditnachfrage von Seiten der Unternehmen, was die Investitionen reduziert. Braucht die Wirtschaft mehr Schub, senkt die Zentralbank die Zinsen. Diese sollen Investitionen stimulieren, welche wiederum zu erhöhter Beschäftigung führen. Da die Haushalte nun über höhere Einkommen verfügen, steigen auch ihre Konsumausgaben. Da die Geldpolitik im Neu-Keynesianismus das Management der Konjunktur übernimmt, hat die Fiskalpolitik[3] nur eine herabgestufte Rolle. Sie solle nicht als ein aktives Instrument der Wirtschaftspolitik eingesetzt werden, sondern lediglich über den Konjunkturzyklus hinweg Ausgaben und Steuerzahlungen in ähnlicher Höhe realisieren – Stichwort: schwarze Null[4]. Einer unabhängigen Zentralbank wird am ehesten zugetraut unabhängig von politischen Einflüssen und sogenannten Zeitinkonsistenzen eine Zinspolitik durchzusetzen, die langfristig stabiles Wachstum und Beschäftigung erzeugt. 

Und bei Nullzinsen?

Jedoch befinden sich die Ökonomien der entwickelten Welt seit nunmehr zehn Jahren allesamt in einer Lage, in der das Wirtschaftswachstum trotz permanenter Nullzinsen nicht anziehen will:  Die Wirtschaft der Eurozone wuchs in den letzten zehn Jahren durchschnittlich gerade einmal 0,7 Prozent pro Jahr. Die Arbeitslosenquote lag auch 2018 noch bei 8,4 Prozent. Das ist deutlich höher als in den USA (3,9 Prozent) oder Japan (2,7 Prozent). Trotz der Nullzinsen will auch die Inflationsrate nicht so recht anziehen: Zwischen 2014 und 2016 schrammte die Eurozone als Ganzes nur knapp an einer Deflation vorbei. Unternehmen kommen aktuell zwar günstig an Geld, wollen es aber gar nicht haben. Bildlich gesprochen sind die Pferde an die Tränke geführt worden, wollen aber nicht trinken. Der Kreislauf kommt also durch niedrige Zinsen nicht in Fahrt. Dieses Phänomen wird als Zero Lower Bound bezeichnet. In einer solchen Situation argumentieren prominente Neu-Keynesianer wie Paul Krugman für eine Erhöhung der Staatsausgaben[5]. Simon Wren-Lewis aus Oxford hat daher vorgeschlagen, Fiskalregeln mit einer ‚Knock Out‘ Klausel zu versehen: Sobald Zinsen bei null sind, sollten staatliche Defizitregeln ausgesetzt werden, damit die Fiskalpolitik die Wirtschaft wieder ankurbeln kann. Sobald die Zinsen steigen, gelten die Fiskalregeln wieder[6]

Traditionell fiskal lieber zugeknöpft

Neoklassische Wirtschaftsmodelle sehen in der Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage kein Potential für Wachstums- und Beschäftigungssteigerungen. Der Neu-Keynesianismus sieht die Geldpolitik als den Primus der Konjunkturpolitik an. Durch die Steuerung des Zinsniveaus sollen Inflation und Beschäftigung angeregt bzw. ausgebremst werden. Im Falle einer Zero Lower Bound schreibt der Neu-Keynesianismus der Fiskalpolitik jedoch eine wichtige Rolle zu, um der Ökonomie wieder auf die Beine zu helfen. Im kommenden Artikel wird die Fiskalpolitk aus den Augen der Post-Keynesianer betrachtet.


[1] Heine, M.; Herr, H. (2013): Volkswirtschaftslehre – Paradigmenorientierte Einführung in die Mikro- und Makroökonomie, 4. Auflage, München: Oldenbourg.

[2] Barro, R. (1974): Are Government Bonds Net Wealth?, Journal of Political Economy, 82, S. 1095 – 1117.

[3] Arestis, P. (2011): Keynesian economics and the New Consensus in macroeconomics, in: Hein, E.; Stockhammer, E. (Hrsg.): A Modern Guide to Keynesian Macroeconomics and Economic Policies, Cheltenham: Edward Elgar.

[4] In den Standardmodellen des Neu-Keynesianismus wirken expansive Staatsausgaben zuerst einmal positiv, denn sie stimulieren Wachstum und Inflation. Sobald diese Inflation jedoch das von der Zentralbank gesetzte Ziel überschreitet, wird letztere im Regelfall eingreifen. Auf eine zu hohe Inflation antwortet die Zentralbank mit höheren Zinsen, um Investitionen, Beschäftigung und Konsum auf ein Maß zu reduzieren, das die gewünschte Inflation nun erneut generiert (siehe: Christiano, L.; Eichenbaum, M.; Trabandt, M. (2018): On DSGE Models, Journal of Economic Perspectives, 32 (3), 113 – 140).

[5] Krugman, P. (2018): Good enough for government work? Macroeconomics since the crisis, Oxford Review of Economic Policy, 34 (1 – 2), 156 – 168.

[6] https://www.economics.ox.ac.uk/materials/papers/13342/paper704.pdf

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