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29. Juli 2025
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Max Krahé

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Geldbrief
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Deal ja. Gewissheit? Nein.

Lesedauer: 7 min
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Max Krahé, Nils Gerresheim, Sara Schulte

Ursula von der Leyen und Donald Trump haben sich im Zollstreit geeinigt. Diese Einigung ist nicht schlecht. Ob sie hält, ist aber unklar. Und sie verdeutlicht erneut, wie dünn das Eis geworden ist, auf dem unser Wirtschafts- und Sicherheitsmodell stehen.

Am Sonntag verkündeten Ursula von der Leyen und Donald Trump eine Einigung im Zollstreit. Was steckt drin? Wie ist diese zu bewerten? Wird sie halten?

15 Prozent auf (fast) alles

Kernstück der Einigung ist ein neuer 15-Prozent-Zoll, der (fast) alle bisherigen Zölle ablöst und auf (fast) alle Warenexporte aus der EU in die USA gelten soll. 

Andere Regeln wurden für Stahl und Aluminium vereinbart. Hier sollen weiterhin Zölle von 50 Prozent gelten. Ein wichtiges Detail ist dabei noch unklar – dazu unten mehr. Dem gegenüber soll für eine Reihe von Sektoren ein beidseitiger Null-Prozent-Zoll gelten. Laut dem Handelsblatt sind dies Flugzeuge und Flugzeugteile, bestimmte Agrarprodukte, bestimmte Chemikalien, einige Pharmazeutik-Generika, Halbleiterausrüstung und bestimmte kritische Grundstoffe, Rohstoffe und Zubehörteile. Eine genaue Liste gibt es noch nicht.  

Die EU hat zugesagt, eine Reihe ihrer eigenen Zölle auf amerikanische Waren zu senken. Aber auch hier sind einige Dinge unklar. Im Falle von Automobilien ist zum Beispiel noch nicht bekannt, ob sie von 10 auf 2,5 oder null Prozent gesenkt werden sollen.  

Zusätzlich hat die EU zugesagt, innerhalb der nächsten drei Jahre 750 Milliarden US Dollar an Energieimporten aus den USA zu kaufen und im selben Zeitraum 600 Milliarden US Dollar in den USA zu investieren (Deutsche Welle). 

Kein schlechter Deal

Dies ist kein schlechter Deal. Aber zunächst der Kontext: Trotz ihrer stolzen Tradition als Zollunion und Handelsblock ist die EU nur eingeschränkt verhandlungsfähig gegenüber der Trump-Regierung. Denn letztere verknüpft Handelsfragen mit Sicherheits-, Außen- und (europäischer) Innenpolitik. Für eine solche Mischverhandlung ist die heutige EU nicht gemacht. Die EU kann zwar in Handelsfragen als einheitlicher Akteur agieren, da die Mitgliedsstaaten die entsprechenden Kompetenzen nach Brüssel delegiert haben. In der Sicherheits-, Außen- und Innenpolitik kann sie dies nicht. Hier fehlen ihr die Kompetenzen. Außerdem haben die Mitgliedsstaaten unterschiedliche Interessen und divergierende Einschätzungen der Bedrohungslage, so dass sie nicht immer mit einer Stimme sprechen.  

Dies machte es der Trump-Regierung einfach, Europa zu spalten und die europäische Verhandlungsposition zu schwächen. Insbesondere die Vermischung mit Sicherheitsthemen war hierbei relevant. So berichtet die Tagesschau: „Parteiübergreifend wird die starke Abhängigkeit von US-Rüstungstechnik als ein Grund für die schwache Verhandlungsposition der Europäer genannt – die nun noch verstärkt werden könnte.“ Dies ist auch ein Indiz dafür, warum die EU nicht stärker darauf gesetzt hat, die Abhängigkeit amerikanischer Tech-Konzerne vom Europäischen Markt als Druckmittel einzusetzen. In diesem Kontext sind drei positive Elemente der Einigung hervorzuheben.

1. Der 15-Prozent-Zoll ist nur eine leichte Erhöhung gegenüber dem Status Quo 

Vor Trumps Amtszeit lag der durchschnittliche US-Zoll auf europäische Waren bei circa 2 bis 5 Prozent[1]; ab April kamen 10 Prozent dazu. Die 15 Prozent schreiben also im Wesentlichen Trumps erste Salve fest. In einzelnen Fällen, insbesondere für Automobile und Autoteile, ist es sogar eine deutliche Absenkung. Hier galt zuletzt ein Zoll von 27,5 Prozent, der sich aus Trumps 25 Prozent und den vorher bestehenden 2,5 Prozent zusammensetzte. 

2. Die Einigung schützt Europas relativen Zugang zum amerikanischen Markt 

Zwar konnte Großbritannien einen 10-Prozent-Zoll heraushandeln. Doch mit 15 Prozent liegen wir gleichauf mit Japan, sind leicht bessergestellt als die Philippinen (19 Prozent) und Vietnam (20 Prozent) und haben einen deutlichen Vorteil gegenüber China (30 Prozent). (siehe Abbildung 1)

Abbildung 1

Damit ist nicht auszuschließen, dass die EU auch in den kommenden Jahren ihren Anteil am Gesamtvolumen erhöht, das die USA jedes Jahr importieren. Ein höherer Marktanteil könnte eine Reduktion der Gesamtimportmenge und eine Verschiebung hin zu heimischer US-Produktion zumindest teilweise ausgleichen. 

Abbildung 2

3. 50-Prozent-Zölle auf Stahl und Aluminium stützen deutsche und europäische Automobilwerke

Denn mit diesen Zöllen verteuern sie zentrale Rohstoffe für US-Automobilwerke. Dies könnte theoretisch durch eine höhere US Stahl- und Aluminiumbinnenproduktion abgefangen werden, gerade angesichts günstigerer US-Energiekosten. Es ist jedoch gut möglich, dass amerikanische Stahl- und Aluminiumfirmen die Zollbarrieren nutzen, um höhere Preise für ihre Waren zu verlangen. So bliebe der Nachteil für US-Automobilwerke bestehen. Auch der noch schwelende Streit mit Mexiko und Kanada könnte die Kosten für US-Werke steigern. 

Dass die Einigung in einem schwierigen Kontext den gröbsten Schaden von Europa abwendet, zeigen auch die ersten Modellierungen. Laut Capital Economics senkt sie das europäische BIP um 0,3 Prozent relativ zur Baseline. Julian Hinz vom IfW Kiel projiziert noch geringere kurzfristige Schäden: 0,15 Prozent des BIPs für Deutschland, 0,11 Prozent für die Eurozone und 0,1 Prozent für die EU. Ein großer Faktor ist dabei das Ausbleiben von Sonderzöllen auf Autos. Bestünden diese fort, wäre mit einem Schaden von 0,51 Prozent des deutschen BIPs zu rechnen (Handelsblatt). Das Yale Budget Lab sieht sogar einen langfristig positiven Effekt auf das EU-BIP von 0,08 Prozent, der jedoch nicht aus dem EU-USAbkommen allein resultiert, sondern aus den globalen Verschiebungen (insbesondere zulasten von China und Kanada), die Trumps Zollpolitik insgesamt verursacht (Abbildung 3). 

Abbildung 3

Aber keine Gewissheit 

Auch 0,1 bis 0,3 Prozent des BIPs sind schmerzhaft. Doch die größere Gefahr ist, dass diese Einigung keine Gewissheit über die Zukunft des Welthandels schafft – entgegen dessen, was EU-seitig als das größte Plus der Einigung hervorgehoben wird[2]. 

Bezeichnend sind bereits Ort und Art der Einigung. Sie war nicht das Ergebnis detaillierter Verhandlungsrunden zwischen erfahrenden Experten, in denen Zwischenergebnisse durch Rückkoppelung in die jeweilige Innenpolitik verankert wurden. Sondern sie wurde in einem schottischen Golf-Hotel im Besitz der Trump-Familie erzielt, nach circa einer Stunde direkter Gespräche zwischen den beiden Präsidenten. Was in sechzig Minuten geeint wurde, kann in einer Stunde wieder gesprengt werden. 

Anlässe zu einer solchen Sprengung gibt es viele. In der Berichterstattung um die Einigung – dessen Text, wenn es ihn denn gibt, uns zum Redaktionsschluss noch nicht vorlag – sind einige Diskrepanzen erkennbar.

  • Laut dem Wall Street Journal scheint die US-Seite zu glauben, dass die EU zugesagt hat, grundsätzlich alle Zölle auf US-Waren auf null Prozent zu senken. Das Weiße Haus sagt in seinem „Fact Sheet“, dass die EU alle Zölle auf industrielle Waren aus den USA auf null senken wird. Die EU-Seite hat hingegen betont, dass dies nur im Rahmen der sektoralen „Null-für-Null-Ausnahmen“ gilt, also für Flugzeuge, Halbleiterausrüstung, bestimmte Chemikalien und so weiter, deren genaue Liste noch zu verhandeln ist. Wie oben erwähnt gibt es außerdem widersprüchliche Aussagen bezüglich US-Autoexporte nach Europa[3].
  • Für Stahl und Aluminium berichtet die Tagesschau, dass zwar die 50-Prozent-Zölle bestehen bleiben sollen, dass aber die EU-Seite davon ausgeht, dass bestimmte Mengen davon ausgenommen werden sollen. 
  • Zu pharmazeutischen Erzeugnissen besteht ebenfalls Unklarheit: Während Präsidentin von der Leyen betonte, dass auch hier die 15-Prozent-Zölle als Obergrenze gelten sollen, sprach Präsident Trump davon, dass diese separat behandelt werden. Ihm widersprach jedoch laut The Guardian und der BBC ein ungenannter „senior US official“ bzw. „a White House Source“, die im Nachgang von der Leyens Aussage bestätigte. Auch das Fact Sheet des Weißen Hauses spricht davon, dass Pharmazeutika mit 15 Prozent bezollt werden. 

Neben dem Sprengstoff, der in diesen warenspezifischen Fragen steckt, können auch die beiden Dollar-Zusagen zu einem Stein des Anstoßes werden. 2024 exportierten die USA circa 75 Milliarden US Dollar an Öl und Gas nach Europa, Russland circa 23 (Abbildung 4). Um innerhalb von drei Jahren ein Volumen von 250 Milliarden US Dollar pro Jahr zu erreichen, und damit die zugesagten 750 Milliarden, müsste nicht nur die EU-Nachfrage nach fossilen Energieträgern konstant bleiben oder steigen und sämtliche Importe aus Russland durch US-Importe ersetzt werden. Darüber hinaus müsste sich der Ölpreis mehr als verdoppeln und/oder signifikante Marktanteile von anderen Öl- und Gasexporteuren – zum Beispiel Norwegen, Saudi-Arabien oder Kasachstan – in Richtung USA verschoben werden. Ob eine solche politisch gewollte Verschiebung angesichts der begrenzten Kompetenzen der EU in diesem Bereich möglich ist, bleibt höchst fragwürdig. Dass das damit einhergehende Klumpenrisiko höchst unattraktiv wäre, ist angesichts der aktuellen US-Regierung offensichtlich. 

Abbildung 4

Auch die 600 Milliarden US Dollar an europäischen Investitionen in die USA scheinen ambitioniert. Einerseits liegt die Zahl oberhalb des historischen Investitionsvolumens: Zwischen 2008 und 2024 lag das durchschnittliche jährliche Volumen von europäischem Foreign Direct Investment (FDI) in die USA bei ca. 130 Milliarden Dollar pro Jahr, seit 2019 nur bei 80 Milliarden Dollar pro Jahr (Abbildung 5). Über drei Jahre entstünde selbst bei 130 Milliarden pro Jahr eine Lücke von 210 Milliarden relativ zur Einigung. Das Weiße Haus spricht sogar davon, dass die 600 Milliarden zusätzlich zu den über 100 Milliarden Dollar sei, die europäische Firmen jährlich in den USA investieren[4]. Dies würde die Zahl gänzlich unrealistisch machen.

 

Abbildung 5

Andererseits könnten definitorische Unklarheiten Anlass für zukünftige Konflikte sein. So ist zum Beispiel unklar, ob europäische Rüstungskäufe auf die 600 Milliarden einzahlen – so berichtet es zum Beispiel The Guardian – oder ob es dabei nur um FDI geht. Ebenfalls unklar ist, wie europäisches FDI zu messen ist. In den offiziellen Zahlen ist auffällig, dass circa 60 Prozent des europäischen FDIs in die USA aus den Niederlanden, Luxemburg und Irland stammt (Abbildung 5)[5]. Aufgrund der Größe dieser Volkswirtschaften ist klar, dass es sich dabei um indirekte Finanzflüsse handelt. Da gerade amerikanische Firmen, zum Beispiel aus der Pharmabranche, oft aus steuerlichen Gründen Finanzflüsse über diese Länder abwickeln, ist es vorstellbar, dass diese Zahlen nicht unkritisch von der Trump-Regierung akzeptiert werden. 

Eines ist jedoch nicht zu kritisieren: Dass durch die 600 Milliarden Dollar in Zukunft Investitionsmittel in Europa fehlen würden. Denn der stetige Anstieg europäischer Auslandsinvestitionen ist nichts anderes als die Kehrseite europäischer – und insbesondere deutscher – Exportüberschüsse. Dieses Problem stammt nicht aus dem Weißen Haus, sondern ist die buchhalterische Kehrseite unseres exportorientierten Wirtschaftsmodells. 

Ein exponiertes Geschäftsmodell 

Entgegen anderer Stimmen sehen wir die Einigung als keinen schlechten Deal. In widrigen Umständen hat die EU-Kommission das herausverhandelt, was mit ihren Instrumenten und Kompetenzen möglich war. Damit hat sie fürs Erste größeren Schaden von Europa abgewendet.  

Was die Einigung vielmehr aufzeigt, ist die strukturelle Schwäche Deutschlands und Europas in einer neuen, raueren Welt. Solange Handelspolitik isoliert von anderen Politikfeldern behandelt wurde, funktionierte sowohl die Architektur der Maastricht-EU als auch Deutschlands Grand Strategy als Handelsnation. Nun, da die USA, China und anderen Staaten Handelspolitik als erweitertes Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik verwenden — auch mit dem Ziel, in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten hineinzuregieren — wird sichtbar, wie schwach unsere Verhandlungsposition auf diesen anderen Feldern ist, und damit insgesamt. Selbst das wichtigste Ziel, Gewissheit zu schaffen, scheint nicht erreicht. 

Der Weg zu mehr Wohlstand, Sicherheit und Selbstbestimmung für Europa ist daher nicht, etwas besser mit Trump zu verhandeln. Die Pfründe, die Europa hat, kann es in seiner jetzigen Verfassung nur schwer mobilisieren. Stattdessen ist es der lange und steinige Weg, Sicherheitspolitik, Wachstumsmodelle und die staatliche Architektur Europas miteinander und mit der neuen Zeit in Einklang zu bringen. 

Unsere Leseempfehlungen: 

Als Hintergrund empfehlen wir dieses Mal zwei Texte aus eigener Produktion: 

  • Jenseits von Maastricht – wie Europa an Souveränität gewinnen kann. Dieses Papier analysiert die Maastricht-EU, Europas politische Ordnung seit den 1990er Jahren. Es zeigt, dass diese Architektur auf die Überwindung von Souveränität zielte, nicht auf deren Stärkung. Dieses Ziel ergab Sinn im besonderen historischen Moment der 1990er und frühen 2000er. In einer Welt von Krieg und geopolitischer Handelspolitik ist es jedoch eine überholte Zielsetzung und das Papier skizziert Wege, wie Europa an Souveränität gewinnen könnte. 

 


Fußnoten

[1] Bildet man einen einfachen Durchschnitt über alle gehandelten Warenkategorien, so lag der durchschnittliche Zoll bei 4,8 Prozent. Gewichtet man die Warenkategorien nach ihrem tatsächlichen Handelsvolumen, so lag er bei 1,7 Prozent. Dieser Unterschied resultiert in großen Teilen daraus, dass landwirtschaftliche Waren mit höheren Zollen belegt sind, jedoch relativ zu Industriewaren einen kleineren Teil des Gesamthandels ausmachen (Datenquelle: WTO).

[2] Wie So Ursula von der Leyen: „Das heutige Abkommen schafft Gewissheit in unsicheren Zeiten“ (Handelsblatt). Auch der Umgang mit Wein und Spirituosen muss noch verhandelt werden. Die New York Times berichtet, dass hierzu noch keine Abmachung besteht.

[3]This new investment is in addition to the over $100 billion EU companies already invest in the United States every year.”

[4] Auch relativ zu Deutschland stechen diese Länder ins Auge. So melden die Niederlande bestehende Gesamtinvestitionen in den USA die 160 Prozent der deutschen Investitionen dort entsprechen. Luxemburg meldet 180 Prozent, Irland 70 Prozent.

[5] Zum Vergleich, die Niederlande haben ein BIP von ca. 26 Prozent des deutschen BIPs, Luxemburg von 2 Prozent, Irland von 12 Prozent.

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