Bundeshaushalt 2024 – vor allem eine große Erzählung?
Philippa Sigl-Glöckner, Kilian de Ridder, Levi Henze, Axel Kölschbach Ortego
Am Mittwoch wurde der Bundeshaushalt präsentiert. In der Pressekonferenz sprach Christian Lindner nicht – wie man nach der medialen Berichterstattung erwarten hätte können – von einem harten Sparkurs. Stattdessen wolle er lediglich zurück zur ‚finanzpolitischen Normalität‘. Konkret heißt das laut seiner Definition: zurück zum Ausgabenpfad zwischen 2014 und 2019.
2019 vs. 2024
Wie die aktuelle Situation mit der Zeit zwischen 2014 und 2019 vergleichbar ist, bleibt ein Geheimnis. Es herrscht Krieg in Europa. 2022 kamen weit mehr Menschen nach Deutschland als jemals zuvor seit Beginn der Statistik 1950 (Destatis). China hat die deutschen Autoexporte überholt — die seit 2019 rückläufig sind (Destatis). Unsere Wirtschaft steht aufgrund der Dekarbonisierung am Beginn eines großen Umbaus. Dabei geht es nun nicht mehr nur um Klimaschutz, sondern auch um die globale Aufteilung neuer Industrien und damit zukünftigen Wohlstand. Joe Biden hat mit dem Inflation Reduction Act (IRA), einem Programm, das für bestimmte Investitionen in unbegrenztem Volumen Steuergutschriften ausgibt, vorgelegt.
Dazu gab es bereits 2019 große Investitionsrückstände. Insgesamt kommen wir für Bildung, Bundeswehr, Klimaschutz, Bahn und Industriesubventionen (z.B. Industriestrompreis, steuerliche Förderung, andere Subventionen) auf einen Mehrbedarf gegenüber 2019 in der Größenordnung von 100 Mrd. EUR pro Jahr. Man mag sich die alte Zeit zurückwünschen. Realitätsnah ist es nicht.
Abbildung 1
Auch wenn man die wirtschaftliche Lage betrachtet, verwundert die Aussage: 2014 bis 2019 waren sicherlich keine besonders aufregenden Jahre, aber die Wirtschaft wuchs um immerhin 1,8% pro Jahr. Den alten Wachstumspfad haben wir seit Corona verlassen und werden – im Gegensatz zu den USA – voraussichtlich auch nicht mehr dorthin zurückkommen. Wir steuern auf eine Rezession zu, nicht Jahre hohen Wachstums und einer Überauslastung der Wirtschaft. Makroökonomisch wäre es also sinnvoll, die Wirtschaft zu stützen und insbesondere private Investitionen anzukurbeln.
Abbildung 2[1]
Der Bundeshaushalt 2024
Die Ausblendung der aktuellen Lage ist beeindruckender als der Haushalt selbst. Abgesehen von der verteilungspolitisch sinnvollen Reduktion der Einkommensgrenze für das Elterngeld von 300.000 auf 150.000 EUR Jahreseinkommen sind die Kürzungen nicht besonders aufsehenerregend. Prioritäten werden nicht deutlich: Stattdessen hat jedes Ressort bis auf Verteidigung einen Beitrag zur Konsolidierung leisten dürfen. Dazu kommen ein paar kleine Haushältertricks. So wurde der Zuschuss zur Rentenversicherung gekürzt, wurden Ausgaben vom Bund an die Arbeitsämter ausgelagert und ein Sondervermögen in den Haushalt umgebucht. Die im Bundeshaushalt selbst enthaltenen Investitionen sind (wie fast immer) auf Rekordniveau. Bereinigt man um die Inflation, bleiben sie ungefähr konstant. Die Bahn bekommt knapp 1,5 Mrd. EUR mehr als im letzten Jahr, dabei fehlen eigentlich 15 Mrd. EUR pro Jahr bis 2027. Die Hälfte dieses Bedarfs versucht man nun im Klima- und Transformationsfonds (KTF) unterzubringen[2] – so wie eigentlich alles andere auch, das nicht mehr in den Haushalt passt, inklusive der Subventionen für Intel.
Abbildung 3
Auch wenn viel von der Notwendigkeit zu sparen und schwierigen Zielkonflikten gesprochen wird, wirkt der Haushalt nicht so, als ob jeder Spielraum ausgenutzt worden wäre. Eine Rücklage von 6,6 Mrd. EUR bleibt unangetastet. Für ein weiteres Steuergesetz wurde bereits eine Vorsorge von 2 Mrd. EUR veranschlagt. Auch der KTF wirkt noch nicht akut überstrapaziert. Allein aus dem letzten Jahr sind 14 Mrd. EUR – die Hälfte der veranschlagten Mittel – liegen geblieben (BMF). 26 Mrd. EUR Gelder aus dem Aufbau- und Resilienzfonds der EU warten darauf, abgerufen zu werden. Deutschland hat nur noch keine einzige Voraussetzung erfüllt, um die Gelder zu erhalten. So groß scheint der Geldbedarf also noch nicht zu sein.
Stattdessen entsteht der Eindruck des präventiven Sparens. So wurden zum Beispiel Förderprogramme im KTF gestrichen, gekürzt oder gedeckelt: Die restriktiveren Bedingungen bei Einzelsanierungen und Heizungstausch haben zusammen mit den hohen Zinsen dazu geführt, dass das Fördervolumen der KfW nur noch ein Viertel von dem des Vorjahresquartals beträgt. Ein ähnlicher Einbruch steht bei der Förderung von Elektromobilität an: Sie entfällt komplett für Unternehmen, die bisher den größten Anteil der Förderung bezogen haben. Zuletzt soll nach der Sommerpause die Heizungsförderung im Zuge des Gebäudeenergiegesetzes sozial gestaffelt und nach oben gedeckelt werden. Diese und andere Änderungen haben nicht nur die Förderausgaben schrumpfen lassen. Ob das dem Abwenden einer Rezession, schlechter Baukonjunktur und nicht zuletzt den Klimazielen und ihrer sozialen Akzeptanz nützt, ist beinahe eine rhetorische Frage.[3]
Am Ende nützt Sparen beim Klimaschutz noch nicht mal dem Haushalt. Denn unter der Lastenteilungsverordnung der EU muss Deutschland zahlen, wenn es europäische Zielvorgaben im Wärme- und Verkehrssektor verfehlt. In den nächsten Jahren könnte das Kosten in Höhe einstelliger Milliardenbeträge verursachen.[4] Im Bundeshaushalt geht man bisher von keinen Kosten aus.
Boris Pistorius hat zwar das Glück, mit einem großen Sondervermögen ausgestattet zu sein, bekam aber von den gewünschten 10 Mrd. EUR mehr für seinen Haushalt auch nur 1,7 Mrd., die nicht einmal für die Tariflohnerhöhung im öffentlichen Dienst reichen. Spannend wird, ob er es trotz einem mehr oder weniger gleich bleibenden Haushalt schafft, im nächsten Jahr 19 Mrd. EUR aus dem Sondervermögen unter die Rheinmetalls dieser Welt zu bringen. Laut Bundesregierung reicht das, um die Nato-Quote zu erfüllen, also Verteidigungsausgaben in Höhe von 2% des BIPs vorzuweisen. Diese Rechnung können wir nicht nachvollziehen.[5]
In anderen Bereichen ist es nicht ganz klar, ob es am Geld liegt oder an der Implementierung: So wurde aus der Bildungsmilliarde eine Vorsorge von 500 Mio. EUR für das Startchancenprogramm des BMBFs, das allerdings noch zusammen mit den Ländern umgesetzt werden muss. Die Aktienrente dürfte eigentlich nicht dem Sparbeil zum Opfer gefallen sein, da sie aus der Schuldenbremse herausgerechnet wird. Trotzdem findet sich keine weitere Aufstockung des Kapitalstocks im Haushalt.
Deutschlands Sonderweg
Während wir hierzulande von einer Rückkehr zur haushälterischen Normalität reden, sehen es die allermeisten Industrieländer anders. Deutschland betet sein Sparmantra allein auf weiter Flur. Das Defizit des Bunds für 2024 beträgt zwar eher 70 als 17 Mrd. EUR, wenn man weniger kreativ Buchhaltung betreibt als die Bundesregierung. Aber selbst mit dieser höheren Neuverschuldung liegt das deutsche Defizit mit lediglich 1,75% des BIPs weit unter 4,2%, dem Durchschnitt der Industrieländer.
Abbildung 4
Wie Jonas Schaible schreibt, klafft insgesamt eine ziemliche Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit der Scholz’schen Geschichte vom Wirtschaftswunder durch Klimapolitik. Statt zu investieren und die Wirtschaft anzukurbeln, so dass an jeder Ecke gewerkelt wird, neue Wohnungen entstehen, Windräder aufgestellt und Kitas ausgebaut werden, verschreiben wir uns selbst einen depressiven Sparkurs. Angesichts der politischen Stimmung ist das vielleicht nicht die beste Idee.
Wieso macht man das?
So richtig nachvollziehen können wir den finanzpolitischen Kurs der Bundesregierung nicht. Einen externen Sparzwang gibt es nicht. Zum einen sind da die ungenutzten Gelder im Haushalt. Zum anderen bestimmt die Bundesregierung (innerhalb gewisser Grenzen) selbst ihr Kreditlimit. Im Grundgesetz findet sich keine quantitative Obergrenze der Neuverschuldung. Man hat sich aus freien Stücken dazu entschieden, nicht mehr auszugeben. Entscheidend ist die Definition der Konjunkturkomponente (mehr dazu hier), die die Regierung jederzeit (innerhalb gewisser Grenzen) weiterentwickeln könnte.
Begründet wird die selbst auferlegte Sparsamkeit unter anderem mit „neuen finanzpolitischen Realitäten“. Die sehen jedoch gar nicht so furchteinflößend aus. Die für den deutschen Finanzer so wichtige Schuldenquote fällt bereits kontinuierlich ab 2021, wenn man unterstellt, dass die Mittel aus dem Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds weiter so abfließen wie seit Beginn des Jahres.[6]
Aussagekräftiger als die Schuldenquote sind Zinskosten. Nun gab es zwar Horrormeldungen über Zinsausgaben, die von 2022 bis 2023 von 16 Mrd. EUR auf 40 Mrd. EUR gestiegen seien. Legt man aber die neuzeitliche Buchungssystematik zugrunde (mehr zur Problematik der von der Bundesregierung genutzten Buchungssystematik ), steigen die Zinsausgaben nur noch um ca. 3,5 Mrd. EUR oder 0,09% des BIPs. Die Realzinsen sind zwar gestiegen, liegen aber heute bei ungefähr Null. Auch die Finanzierungsperspektive erklärt also nicht, wieso gespart werden muss.
Der Weg zur politischen Absolution
In der Gesamtschau wirkt dieser Haushalt auf uns wie eine große Erzählung, die dazu dient, fiktive Trade-Offs zwischen Sozialausgaben und Investitionen zu kreieren. So können plötzlich Bahninvestitionen gegen die Rente ausgespielt werden — obwohl aus Finanzperspektive beides ginge — und man muss als Politiker nicht mehr rechtfertigen, wieso man eine Erhöhung des Rentenalters eigentlich gut findet. Man muss nur noch erklären, wieso die Bahn dringend Geld braucht, alles andere erledigt der Sachzwang. Dass dieser Sachzwang selbst erschaffen ist, und auch innerhalb einer verantwortungsvollen und auf finanzielle Nachhaltigkeit bedachten Finanzpolitik aufgelöst werden könnte, wird unter den Teppich gekehrt. Ein bisserl mehr Verantwortung für die eigenen politischen Positionen zu übernehmen, wäre durchaus wünschenswert (genauso wie der Bahn nun endlich den großen Scheck zu schreiben, billiger wird es nicht mehr!).
Fußnoten
[1] Ein Faktor, der für die unterschiedliche Entwicklung sicher auch eine zentrale Rolle gespielt hat, ist der Energiepreisschock, der Deutschland sehr viel härter getroffen hat als die USA.
[2] Insgesamt 15 Mrd. EUR, die aber über zwei Jahre verausgabt werden sollen.
[3] Zum vorletzten Punkt kann man sich gut ein Bild über den DIW-Ampelmonitor zu den Klimazielen machen.
[4] Schätzung basierend auf den Preisprognosen wie denen des MCC und dem aktuellen Projektionsbericht des Umweltbundesamtes.
[5] Die für die NATO-Quote relevanten Ausgaben setzen sich aus drei Komponenten zusammen: Dem Sondervermögen, dem Haushalt des BMVg und Ausgaben anderer Ministerien. Legt man die BIP-Prognose der Bundesregierung für 2024 zugrunde, müssten sich die auf die NATO-Quote einzahlenden Ausgaben anderer Ministerien fast verdreifachen.
[6] Wahrscheinlich ist, dass die Mittelabflüsse sich sogar noch verlangsamen.
Medien- und Veranstaltungsbericht 07.07.2023
- Medienerwähnungen und Auftritte
- Am 29.06.23 schrieb Les Echos Start über die Gründung des Instituts Avant-garde. Das Dezernat Zukunft hat die Gründung angeregt und finanziell unterstützt.
- Am 29.06.23 veröffentlichte das Bündnis #FairErben die Forderung nach einer gerechteren Erbschaftssteuer mit einem Zitat von Philippa.
- Am 30.06.23 war Felix beim Ausschuss für Klimaschutz und Energie des Deutschen Bundestages als Experte zum LNG-Beschleunigungsgesetz und Energiewirtschaftsgesetz eingeladen und hat eine Stellungnahme
- Am 02.07.23 wurde das Paper “TINA and the Market Turn” von Max in einem Artikel in der Zeit erwähnt.
- Am 03.07.23 hat Max Krahé gemeinsam mit Georg Diez ein Essay „Alles wird sich ändern“ in der Zeit über die Politik des Klimawandels und die Veränderungen der Demokratie geschrieben.
- Am 03.07.23 fand das Open House Webinar mit Martín Guzmán über Debt Sustainability Analyses statt. Hier geht es zur Aufzeichnug.
- Am 04.07.23 berichtete auch der Tagesspiegel Background „Energie und Klima“ über die Ausschusssitzung zum LNG-Beschleunigungsgesetz und zitiert Felix‘ Stellungnahme.
- Am 04.07.23 erschien die neueste Ausgabe Politische Ökologie mit einem Artikel „Staatliche Finanzierung der Transformation – Öffentliche Ausgaben sind die Voraussetzung dafür, dass privates Kapital investiert wird“ von Philippa, den sie gemeinsam mit Anke Oxenfarth geschrieben hat.
- Ebenfalls am 04.07.23 verwies Makronom in der Rubrik Fremde Federn auf die Podcastfolge über LNG von Climate Gossip, wo Felix zu Gast war.
Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an philippa.sigl-gloeckner[at]dezernatzukunft.org
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