Image
18. Dezember 2025
 / 

Philippa Sigl-Glöckner

 / 
 / 
Geldbrief

Der Jahresend-Geldbrief 2025: Zwischen Fiskalflut und Deindustrialisierung?

Lesedauer: 8 min
[wp_dark_mode_switch style="3"]

Philippa Sigl-Glöckner, Dr. Maximilian Paleschke

In unserem letzten Geldbrief des Jahres blicken wir auf Umbrüche in der Fiskalpolitik und die drohende Deindustrialisierung in Deutschland. Dazu skizzieren wir, in welche Richtung Deutschlands zukünftiges Geschäftsmodell gehen könnte. Zum Schluss gibt es einen kurzen Ausblick auf 2026.

Kommt die Fiskalflut?

1992 war der erste Epochenbruch in der Fiskalpolitik: Quatschzahlen fanden ihren Weg in die Schuldenregeln. 2025 folgte der nächste. Seit März dieses Jahres gibt es für Verschuldung zum Zweck der Verteidigung keine Obergrenze mehr.[1]

Dazu gibt es 500 Milliarden für die Infrastruktur und den Klimaschutz – verteilt über zwölf Jahre. Mancher Banker sprach schon von einer „fiscal flood“. Diese Flut wird die Wachstumsdynamik nicht fundamental verändern, aber hoffentlich (!) die Verspätung der Bahn reduzieren.

Aber Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn es nicht für den Kernhaushalt die Schuldenbremse beibehalten hätte – die wunderbar zufällige 0,35-Prozent-Defizitgrenze.[2] Das führt dazu, dass in den nächsten Jahren zwar viel Geld für Panzer und Schienen da ist, sonst aber überall gespart werden muss. Die zahlreichen Geschenke im Haushalt 2026 verschärfen das Problem.

Ab dem Jahr 2028 klafft eine Lücke von über 60 Milliarden Euro im Haushalt. Das entspricht knapp zehn Prozent der Gesamtausgaben und ist in der Haushaltswelt unglaublich viel. Uns ist nicht klar, wie diese Lücke geschlossen werden soll – vor allem, wenn die Wirtschaft nicht läuft.

Comeback oder Deindustrialisierung?

Kurzfristig wird die Wirtschaft etwas besser laufen. Die Bundesregierung gibt so viel Geld aus, dass das anders kaum möglich ist. Aber dauerhaft besser wird es eher nicht. Das deutsche Geschäftsmodell stimmt nicht mehr. Jeden Monat verschwinden gut bezahlte Jobs. Das neue Wunderkind, die Verteidigungsindustrie, ist zu klein, um das aufzufangen. Sie beschäftigt insgesamt 17.000 Menschen. Die Autoindustrie allein hat innerhalb eines Jahres über 50.000 Jobs verloren.

Je mehr wir diskutiert und gepodcastet haben (z. B. zu den Quartalsergebnissen der Automobilhersteller, der Situation der Zulieferer, dem Autogipfel oder der gestiegenen Arbeitslosigkeit), desto schlimmer scheint uns die Lage: Wir glauben, dass Deutschland eine umfassende Deindustrialisierung droht. Das gängige Rezept – an der Wettbewerbsfähigkeit mit ein paar Schröderschen Sozial- und Arbeitsmarktreformen zu drehen – wird nicht helfen. So kostet zum Beispiel der chinesische BYD Seal 9.000 Euro weniger als der ID.3 von VW. Die beschlossene Senkung der Unternehmenssteuern wird dieses Delta um ca. 80 Euro reduzieren. Spezialmaschinen aus China kosten mittlerweile nur ein Fünftel der hiesigen Varianten, bei vergleichbarer Qualität.

Schröders Reformen waren in den 2000ern deswegen so effektiv, weil sie auf ein Weltereignis folgten: Chinas Beitritt zur WTO im Jahr 2001. Damit öffnete sich ein gigantischer Absatzmarkt für deutsche Hersteller. Es gab große Nachfrage, die die Unternehmen dank Schröders Reformen leichter bedienen konnten. Heute fehlt aber die Nachfrage, weil China bessere Maschinen baut. Dabei hilft kein noch so mutiger Schröder 2.0.

Ein neues Geschäftsmodell muss her

Was hilft? Wir sind in der Geschichte zurückgegangen, zu dem Punkt, an dem Deutschland zum Maschinenbauer der Welt aufgestiegen ist. Das war Ende des 19. Jahrhunderts. Damals war man Weltspitze in der Bildung, hatte die Universität als Forschungsstätte neu erfunden und den ersten Sozialstaat der Welt geschaffen. Deutsche Erfindungen veränderten die Welt.

Heute dagegen akzeptieren wir, dass ein großer Teil der Neuntklässler die Mindestanforderungen in Mathe nicht mehr erfüllt, dass die deutschen Unis in Rankings auf Seite zwei oder drei auftauchen und dass die großen Erfindungen aus den USA oder China kommen.

Daran ändert auch das neue Sondervermögen nichts. Für Kitas und Schulen gibt es keinen einzigen zusätzlichen Euro. Die Probleme bei der Ausgründung von Unternehmen aus Universitäten und ihrer Skalierung bestehen weiterhin. Deutschland möchte zu den wohlhabendsten Ländern der Welt gehören, ohne sich bei Bildung, öffentlichen Leistungen und Innovation lang zu machen. Das funktioniert nicht.

Es wird gar nicht mehr für möglich gehalten, dass wir ein so gutes Bildungssystem wie andere europäische oder gar asiatische Staaten haben können. Anstatt 40 Milliarden Euro in das Schulsystem zu stecken – damit könnte man es einmal vergolden – subventionieren wir die Energiepreise in der vagen Hoffnung, dass das die Wettbewerbsfähigkeit zurückbringt.

Ein neues deutsches Geschäftsmodell sollte den Exportfetisch ablegen. Ja, Güter zu produzieren, die die Welt will, ist gut. Und ja, Industriejobs sind wichtig, weil sie sehr gut bezahlt sind. Aber mehr Export ist nicht immer besser. Denn irgendwann ist man abhängig davon, dass die anderen kaufen wollen. Dazu kostet der Fokus auf Exporte, wenn man darüber öffentliche Leistungen und Innovationsfähigkeit aus dem Blick verliert.

Unser Plan für 2026

Die gewürfelten Zahlen der Schuldenregeln werden uns leider nicht so schnell loslassen. Sorge bereitet uns die 60-Prozent-Schuldenquote. In deren Namen könnten nun Infrastrukturinvestitionen an private Investoren ausgelagert werden. Private Investoren lassen sich ihren Kapitaleinsatz vergüten und meist liegt diese Vergütung deutlich über dem, was den Bund die Ausgabe seiner eigenen Anleihen kosten würde – irgendjemand muss ja (etwas polemisch gesagt) für die teuren Anzüge der Investoren zahlen. Wenn der teure Anzug mit einem echten Mehrwert verbunden ist – etwa einer klugen Investitionsentscheidung –, kann das gerechtfertigt sein. Diesen Mehrwert sehen wir aber zum Beispiel bei Brückensanierungen oder dem Bau von Autobahnen nicht.

Eigentlich würden wir unsere Energie viel lieber auf nachhaltiges Wachstum, gute Jobs und einen zukunftsfesten Haushalt konzentrieren. Wo entstehen die gut bezahlten Arbeitsplätze von morgen? Wie lassen sich im Bundeshaushalt unnötige Subventionen abbauen und Ausgaben für exzellente öffentliche Leistungen erhöhen? Und wie geht der Bund insgesamt klug mit seinem Geld um?

Das sind anspruchsvolle Fragen. Umso glücklicher sind wir, dass wir ein fantastisches Team haben, das auch in diesem Jahr wieder tolle Arbeit geleistet hat – besonders stolz sind wir auf die Fortschritte im Aufbau unserer eigenen Datensätze und Modelle, deren Entwicklung durch KI (und den Kinderschokoladenvorrat unserer Kollegin Franzi) beflügelt wurde.

2026 erwarten euch spannende Analysen, neue Folgen der Geldfrage, mehr experimentelle Insta-Videos, jede Menge Eye-Candy-Dashboards von unserem neuen Data Wizard, neue Datensätze, auf die wir selbst schon sehr gespannt sind – und eine Überraschung …

Wir möchten uns herzlich bei all jenen bedanken, die unsere Arbeit möglich machen – und bei denen, die gerade darüber nachdenken, ob es nicht eine gute Idee wäre, das Dezernat finanziell zu unterstützen 😊. Das könnt ihr hier tun. Gerade in der aktuellen Situation empfinden wir es als großes Privileg, an den Fragen arbeiten zu dürfen, die uns alle täglich umtreiben.

Danke für eure treue Leserschaft – trotz all des Pessimismus, den wir in diesem Jahr nicht vollständig abschütteln konnten. Wenn ihr Feedback, Kommentare oder auch Wutausbrüche mit uns teilen möchtet, freuen wir uns sehr über eine Nachricht an info@dezernatzukunft.org. Frohe Weihnachten und see you in 2026!

Max und Philippa im Namen des DZ-Teams

Unsere Lese- und Hörempfehlungen: 

  • Wir haben dieses Jahr unseren Podcast „Die Geldfrage“ gestartet und reden über die entscheidenden Fragen rund ums Geld. Wir erklären, kommentieren und ordnen ein: Wie finanziert sich der Staat? Wofür gibt er wie viel aus? Klar, verständlich und auf den Punkt. Hört gerne einmal rein.
  • Eine sinnvolle Fiskalpolitik muss Haushaltspolitik und Wirtschaftswachstum zusammendenken. Welche Wachstumspotenziale haben Ausgaben und wie wirken diese auf den Haushalt? Wir wollen dieser Perspektive mehr Aufmerksamkeit geben und haben in diesem Jahr das „Growth and Budget Lab“ gegründet. Mit unseren Analysen, unserem Haushaltstracker und unserem Growth Dashboard liefern wir makroökonomische Analysen und quantifizieren die Wachstumseffekte von Fiskalpolitik.
  • Gemeinsam mit Agora Energiewende und der Stiftung Klimaneutralität haben wir die Studie “Investitionen in eine zukunftsfähige Daseins­vorsorge” veröffentlicht und analysieren darin die Kapitalbedarfe der rund 900 Energieversorger. Wir beziffern deren zusätzlichen Eigenkapitalbedarf bis 2045 auf insgesamt 63 Milliarden Euro.

Medienbericht 18.12.2025

Medienerwähnungen und Auftritte

  • Rückblick
    • Am 11.12.2025 wurde die gemeinsame Studie „Investitionen in eine zukunftsfähige Daseinsvorsorge“ von Agora Energiewende, Stiftung Klimaneutralität und Dezernat Zukunft vorgestellt und gemeinsam mit Vertreter:innen aus Politik, Energiebranche, Finanzsektor und Kommunen diskutiert. Hier geht es zur Aufzeichnung.
    • Am 14.12.2025 waren Vera Huwe und Niklas Illenseer beim Podcast she drives mobility von Katja Diehl zu Gast und haben über Trassenpreise und den Sanierungsstau bei der Bahn gesprochen.
    • Am 16.12.2025 wurde Maximilian Paleschke in der taz zum Aus vom Verbrenner-Aus der EU-Kommission zitiert.
    • Am 17.12.2025 fand die englischsprachige Veranstaltung „Ideas of Energy“ statt. Zum Thema „Energy and Climate“ sprach Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und ging dabei besonders auf für den Kampf gegen die Klimakrise relevante Dynamiken, Kipppunkte und Gestaltungsmöglichkeiten ein. Ideas of Energy ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe der Freigeist-Forschungsgruppe “Geopolitics in the Age of Offshore Finance” an der Freien Universität Berlin, des Global Public Policy Institute (GPPi) und Dezernat Zukunft.

Fußnoten

[1] Im Rahmen der deutschen Regeln. In Europa gibt es weiterhin eine Obergrenze.

[2] Die man seit diesem Jahr auch den Ländern zugesteht; wieso 0,35 Prozent kann man nicht wissenschaftlich begründen.

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts-, Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an philippa.sigl-gloeckner[at]dezernatzukunft.org


 

Hat dir der Artikel gefallen?

Show some love mit einer Spende
oder folge uns auf Twitter

Teile unsere Inhalte

Ähnliche Artikel aus unserem Archiv