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1. Oktober 2021
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Florian Kern

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Die Preise und die Pandemie

9 min Lesezeit
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FLORIAN KERN, LEVI HENZE

„Inflationgespenst“, „Geldfresser“, „Mega-Gau“ – an Panikmache vor Inflation mangelt es derzeit nicht. Im Dezernatsbrief haben wir vor kurzem schon eine Einordnung zur aktuellen Preisentwicklung vorgenommen. Für alle glücklichen Besitzerinnen eines Goldesels erklären wir hier auch den Einfluss der Geldpolitik auf Vermögenspreise. Den ganz Eiligen unter euch zeigen wir hier in fünf Charts und sechs Fragen das Wichtigste zum Thema Inflation, wo die aktuelle Preisentwicklung herrührt und warum deshalb niemand in Panik geraten sollte.

Was ist eigentlich Inflation?

Mit Inflation ist ein Anstieg des allgemeinen Preisniveaus gemeint. Wenn der Spritpreis am Morgen steigt oder die nächste Mieterhöhung kommt ist das noch lange keine Inflation. Nur wenn das Leben für alle Menschen unterm Strich teurer wird spricht man auch von Inflation.

Um das festzustellen, gibt es den Verbraucherpreisindex (kurz: VPI). Darin werden 650 Produkte und Dienstleistungen inklusive Tortenböden, Kohlebriketts und Campingplatzgebühr preislich erfasst. Die Einzelposten werden dann nach einem Schema gewichtet das unser aller Kaufverhalten abzubilden versucht.

Für die Inflationsmessung wird der aktuelle VPI dann mit dem des gleichen Monats im Vorjahr verglichen. Die Inflation in diesem September bedeutet also, dass die Verbraucherpreise heute insgesamt um 4,1 Prozent höher sind als im September 2020. 

Aber Moment: 4,1 Prozent ist für Deutschland der höchste Wert seit 1993. Schauen wir also mal genauer hin.

Warum steigen gerade die Preise?

Nachwirkungen der Pandemie: Die Pandemie hat auf dem gesamten Globus die wirtschaftliche Aktivität zum Erliegen gebracht. Das hat im letzten Jahr in Deutschland nicht zu Inflation, sondern im Gegenteil zu Deflation – also zu sinkenden Preisen – geführt. Unten sehen wir, dass die durchschnittliche Preissteigerung nach dem März 2020 immer noch unter dem langfristigen Durchschnitt der Jahre davor liegt. Trotzdem: Der Anstieg seit Beginn des Jahres ist deutlich zu erkennen. In den berichteten Inflationszahlen stecken aber vor allem einmalige Effekte und Energiepreissteigerungen, die wir uns im Folgenden näher anschauen.

Nicht alle Preise steigen gleich stark: Im neuen Jahr haben besonders die segmente Wohnen und Verkehr zur höheren Inflationsmessung beigetragen. Beide Segmente sind stark von den internationalen Energiepreisen beeinflusst. Der globale Energiemarkt ist besonders Krisenanfällig: Lahmt die globale Wirtschaftsentwicklung, fallen oder stagnieren die Öl- und Gaspreise. Beginnt die Wirtschaft sich wieder zu erhohlen, ziehen die Preise für einen gewissen Zeitraum wieder an. Im Posten „Andere“ stecken auch sogenannte langlebige Konsumgüter, die eine besondere Rolle in der Pandemie gespielt haben.

Globale Lieferketten: Die Pandemie hat auf der ganzen Welt das Konsumverhalten der Menschen, aber auch der Unternehmen beeinflusst. Vor allem Dienstleistungen wie etwa die Gastronomie haben darunter gelitten – das dafür eingesparte Geld wurde aber von vielen stattdessen für Güter ausgegeben, die in einer Pandemie besonders praktisch sind: Laptops, Smartphones, Spielekonsolen. Langfristig sieht der Trend hier genau umgekehrt aus: Langlebige Konsumgüter (“durables”) – worunter auch Elektrogeräte fallen – zeigen seit Jahrzehnten geringere Preissteigerungen als Dienstleistungen (“services”). Das ist ein Grund, warum die Annahme gerechtfertigt ist, dass es sich um temporäre Preissteigerungen handelt. Der Präsident der US-Notenbank Fed hat diese beiden Entwicklungen auf einer Rede auf der Notenbankertagung Ende August aufgezeigt:

Gleichzeitig reagierten im März 2020 die meisten Unternehmen nach ihrem Rezessionshandbuch: Mit Stellenabbau und geringerer Produktion. Die höhere Nachfrage nach Konsumgütern kam für diese Unternehmen dann total überraschend. Die erhöhte Nachfrage traf hier also auf ein ohenhin schon eingeschränktes Angebot. Zum Beispiel Halbleiter, die in fast allen Elektrogeräten, aber auch in der Autoindustrie gebraucht werden, sind aktuell knapp und bremsen damit Unternehmen, die gerne mehr produzieren würden. Wenn die Halbleiterindustrie die Produktion ausgebaut hat, wird sich dieses Problem von alleine lösen.

(Neu)Startschwierigkeiten: Nachdem Dienstleistungen im letzten Jahr kaum nachgefragt wurden, wollen die Menschen nun wieder Essen gehen oder in Urlaub fahren. Viele Restaurants, Bars und Hotels, die in hohem Maße nicht festangestellte MitarbeiterInnen beschäftigten, haben diese in der Pandemie verloren und haben nun Probleme, das gleiche Angebot bereitzustellen wie vor der Pandemie. Während die Pandemie also in ihrer Hochzeit zu einem Nachfrageüberhang bei den Waren führte, führt sie zu ihrem Ende zu einem Nachfrageüberhang bei Dienstleistungen, der auch hier zu einmaligen und vorübergehenden Preissteigerungen führt. Es gibt jedoch keinen Grund zur Annahme, dass diese Preissteigerungen wiederkehrender Natur sind, denn auch diese Verhaltensänderung wird temporär sein.

Ist die Politik schuld an der Inflation?

Ja und Nein. Fiskalpolitisch wurde sehr entschlossen auf die Pandemie reagiert, nicht nur in Deutschland und Europa. Das ist auch gut so: Unternehmenshilfen und Kurzarbeit haben vielen Menschen den Lebensunterhalt gesichert. 

Ohne Frage hatte das auch eine Wirkung auf die Preise, denn Menschen hatten weiterhin Geld in der Tasche, während viele Arbeitsbereiche heruntergefahren wurden. Wie in unseren Charts gut zu erkennen ist, sind die Priese trotzdem zunächst nicht gestiegen, sondern tendenziell gefallen. 

In Deutschland kommt allerdings eine besondere Maßnahme hinzu: Die Senkung der Mehrwertsteuer von Juli bis Dezember 2020. Um zu verstehen, wie sich das auf die Preise auswirkt, müssen wir uns ansehen, was der sogenannte Basiseffekt ist.

Der Basiseffekt: Das Wort „Basiseffekt“ muss man ganz wörtlich nehmen. Um einen Prozentunterschied zu berechnen braucht es zwei Zahlen. Bei der Inflationsmessung sind das eben der Verbraucherpreisindex des aktuellen Monats und des Vorjahresmonats (die Basis). Wenn wir die Basis aber um ein Jahr nach hinten verschieben und dann die jährliche Inflation berechnen, sieht das schon ganz anders aus:

Die Verschiebung des Vergleichszeitraums ist aber nicht willkürlich. Denn 2020 war ein Krisenjahr und genau hier ist ein starker Basiseffekt erwartbar. Es kam zum Beispiel in einigen Branchen, wie oben beschrieben, zu Unterauslastung die sinkende oder gleich bleibende Preise zur Folge hatte. 2021 konnte die Preisentwicklung dann „nachgeholt“ werden. 

Die Mehrwertsteuer: Ganz besonders wichtig ist aber der Zeitraum von Juli bis Dezember 2020: Wegen der Senkung der Mehrwertsteuer haben die Preise praktisch Vorjahresnivau erreicht, das bedeutet: Eine Inflation von Null Prozent oder weniger. Einen genau umgekehrten Effekt von etwa 2 Prozentpunkten können wir deshalb rein rechnerisch bis Dezember 2021 erwarten, denn wir vergleichen ja mit den Monaten, in denen die Mehrwertsteuer gesenkt war.

Macht die Inflation uns ärmer?

Preissteigerungen sind natürlich politisch alles andere als irrelevant. Aus ökonomischer Sicht ist es jedoch wichtig, die richtige Politikmaßnahme zu empfehlen, wenn wir Kaufkraftverluste ausgleichen wollen. Weder mit Hinblick auf die Lohnentwicklung noch beim Thema Ungleichheit allgemein ist die Zentralbank der richtige Addressat.

Inflation und Löhne: Oft wird Inflation für sinkende Löhne verantwortlich gemacht. So zäumt man das Pferd aber von hinten auf: Bei schwacher Lohnentwicklung wäre eine restriktive Geldpolitik, die versucht die Inflation zu begrenzen sogar kontraproduktiv. Denn in die Lohnentwicklung fließt auch ein, ob die Menschen sich wegen schlechter wirtschaftlicher Aussichten Angst um ihren Job machen müssen. Für eine stabile Lohnentwicklung sind vielmehr gute Lohnverhandlungen, eine aktive Fiskalpolitik und auch die Beschäftigungsbedingungen im öffentlichen Dienst verantwortlich.

Tatsächlich ist es allerdings dieses Jahr zum ersten Mal seit einigen Jahren zu sinkenden Reallöhnen gekommen. Aber auch hier ist es wichtig zu beachten, dass darin natürlich die Mehrwertsteuersenkung enthalten ist und bis zum Jahresende den gleichen Effekt haben wird wie bei der Inflation auch.

Inflation und Ungleicheit: Zwei Argumente werden immer wieder vorgebracht, wenn es um den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Geldpolitik geht. Zum einen sei die EZB für steigende Vermögenswerte verantwortlich und würde dadurch vermögende Menschen reicher machen. Es stimmt zwar, dass die Notenbank Vermögenspreise aller Art beeinflusst. Umgekehrt würden die Folgen einer restriktiven Geldpolitik aber nicht primär vermögende Menschen treffen. Sie würden durch eine ausgebremste Konjunktur vor allem diejenigen in unsicheren Arbeitsverhältnissen und mit wenig Vermögen treffen. Von Inflation sind leider immer auch Menschen betroffen, die von Transferleistungen wie Arbeitslosengeld, Rente oder Bafög leben. Aber auch hier gilt: Steigende Zinsen würden das Problem nur verschlimmern. Stattdessen kann politisch mit einem angemessenen Inflationsausgleich reagiert werden. Die Werkzeuge der Zentralbank sind hier, wie bei der Lohnentwicklung auch, viel zu grobkörnig und ungenau und die Verteilungswirkung der Zinsen eher klein.

Warum erhöht die EZB die Zinsen nicht?

Geldpolitische Maßnahmen wirken immer zeitverzögert. Bis eine Zinserhöhung einen Effekt auf Investitionen, Einkommen und den Konsum hat, kann ein Jahr oder noch mehr Zeit vergehen. Wenn die Geldpolitik also mit Zinserhöhungen auf vermutlich vorrübergehende Preissteigerungen reagiert, dann würde der Effekt der Zinserhöhung erst zur Geltung kommen, wenn die Inflationsraten wieder auf dem vorherigen Niveau sind. Die Zinserhöhung würde dann die Inflationsrate weiter unter das Inflationsziel drücken, zu niedrigeren Einkommen führen und Arbeitslosigkeit hervorrufen. Das wäre insbesondere schlimm für Menschen mit niedrigen Einkommen, da deren Lohnentwicklung viel stärker von der Arbeitslosenquote abhängt wie die von Top-Verdienern.

Werden die Preise weiter steigen?

Viele Entwicklungen, die derzeit die Preise beeinflussen, sind aller Wahrscheinlichkeit nach zeitlich begrenzt. Es gibt dennoch einige Entwicklungen, die es sich lohnt im Blick zu behalten.

In diesem und nächstem Jahr ist das zum Beispiel das ungleiche Zusammenspiel der wirtschaftlichen Erholung. Während sich in Europa das wirtschaftliche Zusammenleben normalisiert ist in vielen Ländern die Pandemie noch nicht vorbei, zum Beispiel weil die Impfquote nicht so hoch ist wie bei uns. 

In Deutschland wird das vermutlich bis ins nächste Jahr hinein für stockende Lieferketten sorgen, was auch die Preise für einige Zeit noch beeinflussen wird. Es spricht aber einiges dafür, dass viele Preiserhöhungen einmalig sind, sich also nicht langfristig auf die Preisentwicklung niederschlagen werden.

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